Freiheit und Knechtschaft
Die Befreiung der Kirche des Abendlandes (964 bis 1073)
Einleitung
In diesem Abschnitt regierten:
Benedikt V. 964
Leo VIII. 964-965
Johannes XIII. 965-972
Benedikt VI. 972-974
Benedikt VII. 974-983
Johannes XIV. 983-984
Bonifatius VII. 984-985 siehe unter Johannes XIV.
Johannes XV. 985-996
Gregor V. 996-999
Silvester II. 999-1003
Johannes XVII. 1003
Johannes XVIII. 1004-1009
Sergius IV. 1009-1012
Benedikt VIII. 1012-1024
Johannes XIX. 1024-1032
Benedikt IX. 1032-1044
Silvester III. 1045
Gregor VI. 1045-1046
Klemens II. 1046-1047
Damasus II. 1048
Hl. Leo IX. 1048-1054
Viktor II. 1055-1057
Stephan X. 1057-1058
Nikolaus II. 1059-1061
Alexander II. 1061-1073
Wir haben im vorausgehenden Zeitabschnitt erzählt, daß sich in der Stadt Rom ehrgeizige Männer und nichtswürdige Frauen eine Herrschaft über die Statthalter Jesu Christi angemaßt haben. Sie konnten das tun, weil es damals bei der allgemeinen Verwirrung keinen Kaiser gab, der die Päpste gegen ihre Widersacher kräftig und dauernd geschützt hätte. Die Folge davon war, daß eine allgemeine Unordnung in der christlichen Gesellschaft einriß. Man sah nichts mehr als Krieg und Mordtaten, Diebstahl und Raub. Zwar ist der Heilige Stuhl in Rom nicht vernichtet worden, obwohl man mehrere Päpste durch Gift und Dolch aus dem Weg geräumt hat; allein das Unheil, welches die Feinde der Kirche Christi in Rom angerichtet haben, war sehr groß.
Und doch hatte der Heilige Stuhl während des langen und furchtbaren Sturmes im „eisernen Jahrhundert“ seine wohltätige und belebende Kraft nicht verloren. Die Zeitumstände hinderten ihn nur, sie so recht zu offenbaren. Sobald die Verhältnisse sich änderten, ging von Rom wieder der Anstoß zur Erneuerung des kirchlichen Lebens aus. Die eingerissenen Missbräuche wurden beseitigt, die blutenden Wunden geheilt.
Die zwei Tatsachen: die Erneuerung oder Befreiung der Kirche des Abendlandes und die Knechtschaft der Kirche des Morgenlandes, werden uns in dem kommenden Zeitalter beschäftigen. „Gott liebt nichts so sehr“, sagt der heilige Anselm, „als die Freiheit seiner Kirche und er will nicht, daß seine Braut eine Sklavin sei.“ Daher erlangt die römische Kirche trotz aller Verfolgung jedesmal ihre Freiheit wieder. Dagegen sinkt die griechische Kirche in unheilvolle Sklaverei, aus der sie sich nicht mehr zu retten vermag. Aus diesem Grunde nennen wir diesen Zeitabschnitt „Freiheit und Knechtschaft“.
Die Päpste teilen vielfach das Los der Propheten des Alten Bundes, welche von Gott geschickt waren, die Sünden ihres Volkes zu bestrafen. Viele Propheten starben eines gewaltsamen Todes. Andere, wie Elias, mussten sich flüchten, um dem Tod zu entgehen. Ähnlich erging es den Päpsten. Sie waren oft genug ein Gegenstand des Widerspruches, weil sie die Sünden der Völker, den Stolz, den Ehrgeiz tadelten und bekämpften. Doch schon nahte die Zeit der vollen Freiheit der Kirche Jesu Christi und der Stellvertreter Gottes auf Erden. Die Päpste hatten nach der Völkerwanderung dem deutschen Volk eine große Liebe und Sorgfalt gewidmet. Den Apostel der Deutschen, den heiligen Bonifatius, hatten sie mit der Vollgewalt des apostolischen Amtes ausgerüstet. Wirklich blühten sehr bald Künste und Wissenschaften wieder auf in dem Land, in dem man seit Langem nur Kriegsgetöse und Schlachten-Gesänge vernommen hatte.
Nun brach der Tag an, an dem die deutschen Völker, die Sachsen, die Franken, die Bayern und Schwaben dem Heiligen Stuhl in Rom ihre Dankbarkeit erweisen sollten. Es ist ein merkwürdiges Zusammentreffen: In Italien herrschen die trostlosesten Zustände; die Lage des Heiligen Stuhles verschlimmert sich mit jedem Tage. Da ersteht diesseits der Alpen das mächtige Königsgeschlecht der Sachsen, das unter Otto I. an die Spitze Europas tritt. Die Herrscher aus dem sächsischen und fränkischen Hause eilen dem Heiligen Stuhl zu Hilfe, demütigen seine Feinde und befreien die Braut Christi aus den Fesseln, welche man ihr angelegt hatte. Mit Kaiser Otto I., seinem Sohn Otto II. und seinem Enkel Otto III. wetteiferten ihre Nachfolger auf dem deutschen Kaiserthron, Heinrich II. und Heinrich III. Alle nahmen sich um die Kirche Christi mit Begeisterung an und gaben ihr treffliche oberste Hirten. Und Gott fügte es in seiner Barmherzigkeit, daß die genannten deutschen Herrscher durch die Zeitumstände veranlaßt wurden, ausgezeichnete Männer als Päpste nach Rom zu senden oder in Rom wählen zu lassen. Denn nur Päpste, welche sich durch Heiligkeit des Lebens, durch Wissenschaft, durch Tugend auszeichneten, konnten sich in dieser schweren Zeit das notwendige Ansehen erwerben und beruhigend auf Italien wirken.
Um eben diese Zeit blühten fromme Fürsten-Geschlechter. Der heilige Olaf war König von Schweden; Kanut, den wir im Verlauf der folgenden Geschichte als demütigen Pilger in Rom treffen werden, beherrschte Dänemark und England. Der heilige König Stephan schmückte den Thron der Ungarn. Der fromme König Robert erbaute Frankreich durch seine gute Gesinnung.
Wie Deutschland reich war an Heiligen auf dem Thron, so traten zu der Zeit, da in der Kirche die notwendige Freiheit erkämpft werden musste, auch heilige Bischöfe auf. Einer der berühmtesten wurde der heilige Ulrich, Bischof von Augsburg. Während der heilige Ulrich in Schwaben wirkte, war der heilige Pilgrim vom Jahre 971 bis zum Jahre 991 als Bischof von Passau segensreich tätig. Um sein Volk gegen die Einfälle der wilden Ungarn zu sichern, begab er sich selbst als Missionar zu diesen und predigte das heilige Evangelium mit dem besten Erfolg. Der heilige Pilgrim hielt unerschütterlich zu den deutschen Königen aus dem sächsischen Geschlecht und ermunterte sie mit allem Eifer, so daß sie der heiligen Kirche Gottes so wesentliche Dienste leisteten.
Der heilige Wolfgang erblickte in Schwaben als Kind frommer Eltern im Jahre 924 das Licht der Welt, und trat im Jahre 965 als Mönch in das Benediktiner-Kloster zu Einsiedeln ein. Da lernte ihn der heilige Bischof Ulrich von Augsburg kennen, weihte ihn im Jahre 968 zum Priester und schickte ihn als Missionar ebenfalls nach Ungarn. Im Jahre 972 wurde er ungeachtet seines Widerstrebens vom Kaiser Otto I. Auf den bischöflichen Stuhl von Regensburg erhoben.
Ein vertrauter Freund und Ratgeber des Kaisers Heinrich des Heiligen war Gotthard, Abt von Niederalteich, der von Gott berufen war, die Klöster zu verbessern. Sobald die alte Frömmigkeit wieder in die Klostermauern zurückgekehrt war, begab sich der heilige Mann auf Befehl des Kaisers in verschiedene andere Klöster und weckte dort wieder den klösterlichen Sinn und sorgte für ein wahres erbauliches Leben. Gotthard wurde später durch seinen Freund, den Kaiser Heinrich, genötigt, das Bistum Hildesheim anzunehmen. Dort starb er, reich an Tugenden und Wundern als Heiliger.
Doch war es Deutschland nicht allein, wo die Päpste treue Mitarbeiter fanden. Auch die anderen Länder Europas blieben hierin nicht zurück. Wir haben schon gesagt, daß Ungarn, Schweden, England, Frankreich um die Zeit, da das Abendland neu auflebte, ausgezeichnete Regenten hatten. Diese wurden unterstützt durch ebenso treffliche Bischöfe und Priester. England besaß einen Bischof Dunstan und einen Elphagus. In Frankreich wurde das weltberühmte Kloster Cluny eine Missionsschule, aus der zahlreiche glaubenseifrige Priester hervor gingen, welche es verstanden, die Liebe zu Gott tief in die Herzen der Menschen zu pflanzen. Ganz Europa ist dieser heiligen Stätte zum Dank verpflichtet. Auch Italien erwachte aus seinem Schlummer, in den es infolge der traurigen Zeiten gesunken war. Dort weckten das kirchliche Leben der Einsiedler Nilus, der Kardinal und Bischof von Ostia, Petrus Damiani und der Kardinal Hildebrand. Zwei Männer: der heilige Romuald und Johannes Gualbertus stifteten die Orden von Camalduli und Vallombrosa.
Nach dieser allgemeinen Betrachtung wollen wir jetzt die Päpste dieses Zeitabschnittes einzeln kennen lernen und sehen, wie mit Hilfe Gottes ein neues, frisches Glaubensleben aus ihrer segensreichen Tätigkeit hervor geht. –
aus: Chrysostomus Stangl, kath. Weltpriester, Die Statthalter Jesu Christi auf Erden, 1907, S. 352 – S. 356