Lexikon für Theologie und Kirche
Stichwort: Barmherzigkeit
Barmherzigkeit (misericordia) ist die Tugend, die Mitleid hat mit fremdem Übel, und zwar nicht bloß dem Gefühl nach, sondern unter dem Einfluß und der Leitung des vernünftigen Willens. Sie ist (vgl. S. Thom. 2,2, q. 30, q. 2 u. q. 32, a. 1) ein Ausfluß der Liebe, die das Übel des andern als eigenes Übel ansieht und daher zu dessen Hebung oder Linderung schreitet. Ohne diesen äußern Willen zur Betätigung, falls sie möglich ist, hätte man nicht den vollendeten Tugendakt, sondern unfruchtbares Mitleid. Hieraus ist ersichtlich, daß die nächste und dringlichste Betätigung der Liebe in Werken der Barmherzigkeit besteht, und daß diese der Prüfstein der Liebe und der vornehmste Rechtstitel zum ewigen Leben sind, wie sie von Christus selbst (Mt. 25,34ff) bezeichnet worden. Nach der Verschiedenartigkeit der zu hebenden Nöte werden leibliche und geistliche Werke der Barmherzigkeit unterschieden, in Gedächtnisversen: Visito, poto, cibo, redimo, tego, colligo, condo und Consule, carpe, doce, solare, remitte, fer, ora!
Ordens-Genossenschaften von der Barmherzigkeit
Nächst den barmherzigen Brüdern und Barmherzigen Schwestern ist die Benennung nach der Barmherzigkeit (misericordia) vielen andern religiösen Genossenschaften teils als Haupt-, teils als Nebentitel eigentümlich. Zu den letzteren zählen u.a. die Schwestern der Christlichen Schulen von der Barmherzigkeit (Schulschwestern), die Schwestern der Barmherzigkeit vom hl. Karl Borromäus (Borromäerinnen), vom (Dritten Orden des) hl. Franziskus (Franziskanerinnen), von der hl. Elisabeth (Elisabethinerinnen), vom Hl. Kreuz (Kreuzschwestern), von der Allerseligsten Jungfrau und Schmerzhaften Mutter Maria (Klemensschwestern), vom hl. Augustinus (Alexianerinnen oder Zellitinnen), vom hl. Vinzenz von Paul (Barmherzige Schwestern) usw. – Im Haupttitel benennen sich nach der Barmherzigkeit:
Priester (Väter) von der Barmherzigkeit (Presbyteri a Misericordia, abgekürzt SPM), 1808 in Lyon von Abbé Jean-Baptiste Rausan für Lehrtätigkeit und Aushilfe ind der Pfarrseelsorge gestiftet, von Napoleon I. unterdrückt, von Gregor XVI. 1834 wieder errichtet und zugleich bestätigt.
Brüder U.L.F. von der Barmherzigkeit, 1839 gegründet von Kanonikus Jean-Baptiste-Corneille Scheppers zu Mecheln (hier Mutterhaus) zwecks Fürsorge-Erziehung, Krankenpflege, Besserung jugendlicher Sträflinge und Leitung von Freischulen; 18.12.1857 von Pius IX. approbiert.
Schwestern der Barmherzigkeit: Moniales mit feierlicher Profeß sind die Augustinerinnen von der Barmherzigkeit Jesu, sowie die Nonnen (Religieuses) U.L.F. Von der Barmherzigkeit, 1633 in Aix von Pater Antoine Yvan und Maria Madgalena (Martin) von der Heiligsten Dreifaltigkeit zur Erziehung armer Mädchen unbescholtener Herkunft gestiftet. Die Konstitutionen, denen die Augustinerregel zu Grunde liegt, wurden 1642 und 1648 vom Papst approbiert.
aus: Michael Buchberger, Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. I, 1930, S. 976