Die Honoriusfrage auf dem Vatikanischen Konzil
Der Erzbischof von Mechelen, Viktor Auguste Dechamps erklärt auf dem Vatikanum
Die Verurteilung Honorius auf dem VI. Konzil (680-681)
Der Erzbischof von Mechelen drückt in seiner ersten Antwort (1) sein Erstaunen über die Heftigkeit aus, welche sich in Gratrys Schreiben kund gibt, und er sagt, daß die Schlußworte des Briefes ihn mit Furcht für Gratry erfüllt hätten. ‚Sie haben also von unserem Herrn Jesus Christus den Auftrag erhalten, es als etwas ‚absolut Unbestreitbares‘ zu behaupten, daß sein Stellvertreter auf Erden, der Nachfolger des hl. Petrus, in einer dogmatischen Entscheidung der ganzen Kirche die Pflicht auferlegen kann, die Irrlehre zu glauben‘ (2) ‚Sie haben… den Auftrag erhalten, dieses, d. h. das Gegenteil von dem, was allgemeiner Glaube der Kirche ist, zu lehren? Ich sage, was allgemeiner Glaube der Kirche ist; denn „fast alle Katholiken glauben, und alle befolgen praktisch den Satz, daß der Papst, wenn er in Sachen des Glaubens oder der Sitten förmlich entscheidet, nicht irren kann.“ Es sind das Ihre eigenen Worte (Von der Erkenntnis Gottes Bd. II). Als Sie dieselben schrieben, anerkannten Sie ohne Zweifel, was Suarez also ausdrückt: Es ist katholische Wahrheit, daß der Papst, wenn er ex cathedra entscheidet, d. h. wenn er etwas der Gesamtkirche authentisch als Gegenstand des göttlichen Glaubens verfolgt, Glaubensregel sei, welche nicht irren kann. So lehren gegenwärtig alle katholischen Gelehrten, und nach meinem Dafürhalten kommt dieser Lehre Glaubensgewißheit zu (De Fide, disp. 10) … Und Sie behaupten heute ohne Scheu, daß sie von Gott den Auftrag erhalten haben, eben diese Lehre zu verwerfen. (3)
Der Erzbischof macht dann fünf Punkte über die Honoriusfrage namhaft, die er nacheinander in verschiedenen Briefen seinem Gegner zu beweisen verspricht, so wie es ihm seine Arbeiten auf dem Konzil erlauben. In diesem ersten Brief zeigt er nach dem hl. Alfons von Liguori, daß Honorius in seinem Schreiben an Sergius keine Irrtümer vorgetragen hat. (4) In Bezug auf die Einrede, daß das sechste Konzil aber den Papst Honorius wegen eines in diesem Schreiben gelehrten Irrtums verurteilt habe, antwortet er mit demselben heiligen Kirchenlehrer: ‚Wenn das Konzil unter dem Namen Häretiker wirklich den des Honorius angeführt hat, so behaupten Bellarmin, Tournely und Berti, in Übereinstimmung mit dem Kardinal Turrecremata, er sei infolge eines faktischen Irrtums (error facti) verurteilt worden, wozu die Väter durch falsche Informationen bestimmt worden seien; und hat das Konzil keineswegs in einem factum dogmaticum geirrt (denn in diesem kann weder der Papst noch das ökumenische Konzil irren), sondern in einem rein faktischen und partikulären Irrtum infolge falscher Informationen, weil der Brief des Honorius schlecht aus dem Lateinischen ins Griechische übersetzt war; was die Väter zum Glauben bestimmte, daß der Papst an Sergius in einem häretischen Sinn geschrieben habe. In einen Irrtum solcher Art können aber nach der einstimmigen Lehre der Theologen auch allgemeine Konzilien fallen. (5) …
In seinem dritten Brief erst kommt er (Gratry) auf die erste Antwort Dechamps` zurück. Wenn dieser gezeigt hat, daß in dem Brief des Honorius an Sergius, auf Grund dessen jener der Häresie wegen verurteilt worden ist, keine Häresie gelehrt wird, so erwidert Gratry: „aber das sechste Konzil verurteilt ihn. (6) Er bemerkt dabei nicht, daß er, indem er um jeden Preis die Lehre von der Unfehlbarkeit des Papstes durch den Ausspruch eines Konzils widerlegen will, die Unfehlbarkeit der allgemeinen Konzilien in Frage gestellt. Die von Dechamps dargelegte Ansicht mehrerer Theologen von dem faktischen Irrtum, unter dessen Einfluß das Konzil gestanden habe, macht er in auffallender Kürze ab. Er versteht sie nicht und glaubt, sie sei auch keinem andern verständlich: ‚Wem ist, frage ich, diese Argumentation einleuchtend? Enthält sie etwas anderes als leere Worte?‘ (7) Offenbar weiß er, der Nichttheologe, nicht, was ein ‚error facti‘ ist. Der Theologe versteht die Argumentation. Ein Konzil kann zwar mit Unfehlbarkeit darüber urteilen, ob ein Schriftstück eine Häresie enthält oder nicht, es ist dieses Urteil ein Urteil über ein ‚factum dogmaticum‘ ; aber, ob dieses Schriftstück von diesem oder von Jenem Verfasser stammt, ob es gerade so, wie es vorliegt, von dem Verfasser geschrieben, oder ob es verstümmelt oder in mangelhafter Übersetzung vorgelegt worden ist, hierüber kann es nur urteilen, wie jeder andere, und bei diesem Urteil ist ein Irrtum möglich. Da nun jene Theologen einerseits sahen, daß der Brief des Honorius an Sergius keine Häresie enthielt, daß aber anderseits das sechste Konzil auf Grund dieses Briefes den Honorius verurteilte, lag es ihnen wahrhaftig nahe, die Hypothese aufzustellen, daß dem Konzil der Brief nicht in derselben Form vorgelegen habe, wie er uns vorliegt, sondern verstümmelt oder in einer ungenauen griechischen Übersetzung. (8) Dann ist Honorius trotz des Urteils des Konzils nicht Häretiker; das Konzil hat einen faktischen Irrtum begangen…
In seinem zweiten Brief gibt Dechamps eine Übersetzung des Briefes von Sergius an Honorius, des ersten Briefes von Honorius an Sergius und eines Teiles des zweiten und beweist dann auf Grund dieser Schriftstücke, daß Honorius keine Glaubens-Entscheidung an Sergius erlassen hat. Er schreibt: ‚Um die Briefe des Honorius zu dogmatischen Entscheidungen oder zu Definitionen ex cathedra zu machen, sagen Sie, der Papst habe als Papst geschrieben in einer Glaubens-Streitigkeit, welche die orientalische Kirche in Bewegung setzte, und daß folglich die Schreiben des Honorius offenbar dogmatische seien. Allein nicht darum handelt es sich, ob diese Schreiben von einer dogmatischen Frage handeln, sondern darum, ob sie dieselbe entscheiden.‘ (9) Die Briefe des Honorius sind aber keine Entscheidungen. Wenn nun also das sechste Konzil den Honorius wegen seiner Briefe an Sergius als Häretiker verurteilt hätte, so folgte hieraus durchaus nichts gegen die Lehre, daß der Papst, wenn er ex cathedra spricht, unfehlbar ist. (10)
Zweitens aber zeigt Dechamps aus jenen Briefen, daß der Papst in denselben überhaupt nicht den Monotheletismus, ja daß er das gerade Gegenteil lehrt. (11) Dann läßt er sich auf die von Gratry zu erwartende Antwort ein, daß ja die Aussprüche der Konzilien den Honorius der Häresie für schuldig erklären. Dechamps verweist Gratry zunächst an die Autorität des Bischofs Ginoulhiac von Grenoble, eines der entschiedensten Gegner der Definition der Lehre von der päpstlichen Unfehlbarkeit, welcher den Honorius trotz der scheinbar entgegen gesetzten Aussprüche der Konzilien von der Häresie frei erkläre. (12)
Bevor er selbst auf die Konzilien eingeht, bespricht er die Äußerungen der Päpste, welche Gratry auch als gravierend für Honorius angeführt habe. (13) Es sind dies namentlich drei Briefe Leo II. In seinem Brief an die Bischöfe Spaniens drücke sich Leo folgendermaßen aus: ‚Alle diese, welche wegen ihres Verbrechens gegen die Reinheit der apostolischen Tradition (auf dem sechsten Konzil) von der ewigen Verwerfung getroffen werden, nämlich: Theodor von Pharan, Cyrus, Sergius, wie desgleichen Honorius, der, die Pflicht seiner apostolischen Autorität verletzend, die Flamme der Häresie, anstatt sie auszulöschen, durch seine Nachlässigkeit genährt hat.‘ – ‚Sie sehen‘, sagt Dechamps, ‚wie der hl. Leo II. einen Unterschied macht zwischen denen, die er des Verbrechens gegen die Reinheit der apostolischen Überlieferung beschuldigt, und dem Papst Honorius, dem er nur zur Last legt, daß er seine Amtspflicht versäumte, indem er das von anderen angezündete Feuer der Häresie auszulöschen vernachlässigte.‘ Denselben Unterschied macht Leo, wie Dechamps zeigt, auch in seinen anderen Briefen an den König Erwig und an den Kaiser und die Bischöfe des Orients. (14)
Dechamps geht dann auf das Glaubensbekenntnis über, welches die Päpste bei ihrer Thronbesteigung ablegten, in welchem sie nach Gratry (15) ebenso, wie das sechste Konzil, den Honorius der Schuld der Häresie bezichtigt hätten. Dechamps zeigt, daß sie zwischen den Urhebern der Häresie und dem Honorius gerade so unterscheiden wie Leo. Lautet ja der Text des Glaubens-Bekenntnisses folgendermaßen: ‚Wir bekennen die Lehre der Väter des sechsten allgemeinen Konzils…, welche mit beständigem Anathem belegen… die Urheber dieser neuen häretischen Lehre, Sergius, Pyrrhus, Paulus und Petrus von Konstantinopel, und zur gleichen Zeit den Honorius, der ihre verabscheuungswürdige Lehre begünstigte.‘ (16)
Es bleiben also, um die in der Honoriusfrage sich erhebenden Schwierigkeiten zu begleichen, nur noch die Worte des sechsten Konzils zu erklären übrig.
Dechamps hat schon vorher Theologen zitiert, welche durch die Annahme, dem Konzil habe ein ungenauer Text von Honorius` Brief an Sergius vorgelegen, die Schwierigkeit beseitigten. Wir bedürfen aber einer solchen Annahme nicht. Dechamps legt in diesem zweiten Brief zwei nicht sehr voneinander verschiedene Erklärungen vor, die eine von Guéranger, die andere aus der Civiltà, von denen, wie er sagt, Gratry eine wählen möge, da jede von beiden genüge, die Schwierigkeit zu heben. Wir teilen nur die Lösung Guérangers mit, da Gratry in der Antwort auch nur diese berücksichtigt.
Guéranger also erinnert daran, daß das Konzil ohne den Papst keine endgültigen Beschlüsse fassen kann. Seine Beschlüsse bedürfen noch, damit sie rechtskräftig werden, der Bestätigung des Papstes, und nur insoweit werden sie rechtskräftig, als sie diese päpstliche Bestätigung erhalten. Der hl. Leo nun bestätigte das Konzil durch ein an den Kaiser gerichtetes Schreiben. ‚In diesem Brief spricht er die vollkommene Orthodoxie der von den Vätern des Konzils gegebenen Definition bezüglich der dogmatischen Frage aus, um derentwillen das Konzil berufen war; er bestätigt diese Entscheidung kraft der Autorität des Apostolischen Stuhles und verleiht diesem Konzil den Rang des sechsten allgemeinen Konzils. Darauf geht der Papst zu den vom Konzil seiner Definition angehängten Anathemen über, und hier gibt er zu erkennen, in welcher Weise er, in seiner höchsten Entscheidung, die Verurteilung des Honorius durch das Konzil annimmt. Wir sahen, daß das Dekret des Konzils den Namen des Honorius mitten unter die Namen des Theodor von Pharan, des Sergius, des Pyrrhus, Paulus und Petrus von Konstantinopel und des Cyrus von Alexandrien anführt. Der hl. Leo II. nimmt dieses Anathem nur so an, daß er diese Vermischung und Gleichstellung aufhebt, indem er den Theodor von Pharan, den Cyrus von Alexandrien, Sergius, Pyrrhus, Paulus und Petrus von Konstantinopel, welche die Irrlehre förmlich gelehrt hatten, in einem gemeinsamen Anathem vereinigt. Was den Honorius betrifft, so belegt er ihn auch mit dem Anathem; aber er stellt für ihn eine besondere Klasse auf: „Und auch Honorius“, sagt er, „der diese apostolische Kirche (von Rom) nicht durch die apostolische Lehre erglänzen, sondern den Glauben, der makellos sein muss, durch profanen Verrat verderben ließ.“ (17)
‚Das ist also das sechste ökumenische Konzil, das sein wahrer Sinn. Es ist die Entscheidung des Papstes, die ihm wie allen anderen Konzilien den ökumenischen Charakter verlieh; es ist ökumenisch in alledem, worin der Heilige Vater es angenommen hat; und es ist nicht ökumenisch in allem übrigen; gerade wie auch das zweite Konzil es in jenen Dekreten nicht ist, die der hl. Damasus nicht annahm; wie es desgleichen das Konzil von Chalcedon in seinem berühmten Kanon nicht ist, dem Leo der Große die Bestätigung versagte.
‚Der hochwürdige P. Gratry wird daraus entnehmen, daß ich, was zuzugestehen ist, zugestehe. Ich gestehe ihm zu, daß das sechste Konzil den Honorius verurteilt hat. Vom geschichtlichen Standpunkt aus gestehe ich zu, daß jenes Konzil diesen Papst als Häretiker verurteilt hat; denn wiederholt im Laufe der Sitzungen sowie in den Akklamationen hat die Versammlung sich dieser Freiheit bedient; aber das wahre sechste Konzil, dasjenige, dem der Papst die notwendige und kanonische Form verliehen, das Konzil, das bei den Gläubigen höchste Autorität besitzt, hat den Honorius nur als einen untreuen Wächter des Despotismus des Glaubens, nicht aber als einen Anhänger der Häresie zensuriert. Die Gerechtigkeit und die Wahrheit verbieten uns, weiter zu gehen. (18)
Nachdem auf diese Weise die Schwierigkeit, welche man aus dem sechsten Konzil zum Beweis der Häresie des Honorius hernimmt, wie uns scheint, gründlich gelöst war, fügte Dechamps noch hinzu: ‚Ebenso, und zwar aus noch stärkeren Gründen, verhält es sich mit dem siebenten und achten Konzil, dessen Worte sich beschränken, die des sechsten nur minder stark wiederholen und die man durch nichts anderes als das Glaubensbekenntnis der Päpste, unter deren Autorität diese Konzilien versammelt waren, verstehen kann.‘ (19)
Anmerkungen:
(1) Drei Briefe über die Unfehlbarkeit des Papstes an P. Gratry von V. A. Dechamps, Erzbischof von Mechelen, Autorisierte Übersetzung (Mainz 1870, S. 1)
(2) A.a.O. S. 2
(3) A.a.O., S. 2f.
(4) Ebd., S. 8ff.
(5) Ebd. S. 10f.
(6) Dritter Brief Gratrys S. 9
(7) Ebd. S. 6.
(8) Schon der hl. Maximus, ein Zeitgenosse und einer der Haupt-Theologen in den menotheletistischen Streitigkeiten, behauptete, daß die Briefe des Honorius durch die Häupter der Sekte gefälscht worden seien (Guéranger, Défense de l`Église Romaine contre les accusations du R. P. Gratry p. 14) Nach ihm haben manche Theologen diese Ansicht angenommen und geglaubt, hierdurch sei die aus der Verurteilung des Honorius durch das Konzil sich ergebende Schwierigkeit gelöst. Jene Ansicht ist aber nicht genügend begründet. Dechamps beachtet sie auch weiter nicht mehr, und in seinem zweiten Brief zeigt er zur Lösung der Schwierigkeit nach Guéranger, daß die Verurteilung des Honorius durch das Konzil keine Rechtsgültigkeit habe, weil sie vom Papst nicht approbiert sei.
(9) Dechamps, Zweiter Brief S. 30.
(10) Ebd. S. 31.
(11) Ebd. S. 31ff.
(12) Ebd. S. 36.
(13) Erster Brief S. 21ff.
(14) Dechamps, Zweiter Brief S. 38ff.
(15) Gratry, Erster Brief S. 24ff.
(16) Dechamps a.a.O. S. 42.
(17) Dechamps (a.a.O. S. 44, Anm.1) bemerkt zu den letzten Worten, daß die Übersetzung des Griechischen von Maunoury, die er vorher gegeben hatte (S. 39f.), weit genauer sei. – ‚Wir belegen mit dem Anathem… auch den Honorius, der sich nicht bemühte, die Reinheit dieser apostolischen Kirche durch die Lehre der apostolischen Überlieferung rein zu bewahren, sondern duldete, daß die Makellose durch profanen Verrat befleckt wurde.‘
(18) Dechamps, zweiter Brief S. 43f. – Guéranger, Défense etc. p. 17 sq. – Vgl. mit dieser Lösung der Honoriusfrage auch den gründlichen Artikel über diese Frage von Grisar in Wetzer und Welte`s Kirchenlexikon VI, S. 230
(19) Dechamps a.a.O. S. 46. –
aus: Theodor Granderath SJ, Geschichte des Vatikanischen Konzils Von seiner ersten Ankündigung bis zu seiner Vertagung, Bd. 2, 1903, S. 525 – S. 529; S. 535 – S. 539