Die lieben Heiligen Gottes
Eine gute Heiligenlegende gehört zu den nützlichsten Hausbüchern in einer christlichen Familie.
Eine Heiligenlegende ist eine Beschreibung des Lebens der Heiligen zum Zweck der Erbauung des Geistes und des Herzens.
Eine gute Beschreibung des Lebens der Heiligen dient, wie nicht leicht etwas Anderes, dazu, daß wir tief eingehen in die Religion, somit wahrhaft fromm und seiner Zeit auch Heilige des Himmels werden. (siehe auch den Beitrag: Vom Nutzen Heiligenlegenden zu lesen)
In dem Maße, als mit dem Fortschritt der Zeit und des Christentums die Zahl der Heiligen sich vermehrte, vermehrte sich in der Folge auch der Ruf der Kirche an ihre Kinder, daß sie auf ihre vollendeten Brüder und Schwestern hinschauen und ihr Leben betrachten sollen. Zu diesem Ende setzte sie eine große Anzahl von Heiligenfesten, gebotene und nicht gebotene, ein…
Warum dient die Betrachtung des Lebens der Heiligen dazu, daß wir tief eingehen in die Religion?
Die Religion ist Glaube, Hoffnung und Liebe. „Jetzt bleiben Glaube, Hoffnung und Liebe, diese Drei“, sagt Paulus. (1. Kor. 13) Wo diese Drei sind, da ist wahre Religion; wo sie nicht sind, da ist auch die Religion nicht.
Das erste in der Religion ist der Glaube
Der Glaube ist der Anfang des menschlichen Heiles, Grund und Wurzel aller Rechtfertigung (Konzil von Trient, Sess. 6), ohne ihn ist es unmöglich, Gott zu gefallen (Hebr. 11), ohne ihn gibt es keine wahre Religion.
Dieser Glaube aber – wie sehr wird er gefördert durch den Hinblick auf das Leben der Heiligen, auf das Leben derjenigen, zu denen der ewige Richter bereits gesagt hat: „Selig seid ihr, die ihr geglaubt habt!“
Er wird gefördert, indem wir durch diesen Hinblick den Inhalt und den Grund des Glaubens in vorzüglicher Weise kennen lernen.
Das Leben der Heiligen ist also nur der nach außen hervor tretende Glaube, ist der Glaube, der in der Liebe tätig ist.
Demnach ist die Betrachtung des Lebens der Heiligen ein Unterricht im Glauben. Und sie ist ein vorzüglich guter Unterricht, weil ein anschaulicher und deswegen sehr verständlicher Unterricht, …
So wie wir aber den Inhalt des Glaubens aus dem Leben der Heiligen erkennen, so auch den Grund des Glaubens… Die Gottesliebe der Heiligen, ihre Nächstenliebe, ihre Geduld, ihre Freudigkeit in bösen wie in guten Tagen, die Reinheit ihres Wandels und ihre Tugenden alle zeigen uns die Heiligen in einer Größe, welche der außer dem Christentum lebende Mensch beinahe für übermenschlich halten muss… Herrlich, ja überherrlich sind die Früchte, die im Leben der Heiligen vor unsere Augen treten. Welches ist aber der Baum, an dem solche Früchte wachsen? Der Glaube.
Das zweite also in der Religion ist die Hoffnung.
Christlich hoffen heißt das Gute erwarten und zugleich wünschen, das Gott uns versprochen hat.
Die Hoffnung ist ebenso notwendig als der Glaube.
Die Hoffnung zu wecken und zu stärken, ist aber die Betrachtung des Lebens der Heiligen in besonderem Grade geeignet. Wir sehen da unsere ehrwürdigen Brüder und Schwestern, welche, wie sie im Herrn gelebt haben, so auch im Herrn gestorben sind in der innigsten Vereinigung mit Ihm; wir begleiten sie im Geiste hinüber in die Ewigkeit und hören den Richter zu ihnen sprechen: „Kommt, ihr Gebenedeiten meines Vaters, und nehmt in Besitz das Reich, welches euch bereitet ist seit Grundlegung der Welt!“ (Matth. 25) und wir schauen im Geiste, wie sie nun da sind, wo Christus, ihr Meister, ist, wie sie frohlocken über die Herrlichkeit, die Gott seinem Sohn gegeben hat: wir sind entzückt ob des Anblickes, wie sie in der glückseligsten Vereinigung unter einander geschart sind um den glorreichen Thron ihrer Königin und Mutter, wie sie in überströmender Liebe vereinigt sind auch mit den Chören der Engel, jeder Heilige insbesondere vereinigt mit seinem Schutzengel, und dem Dreieinigen ihre freudigste Huldigung zujubeln…
Kein Schatten eines Übels fällt mehr auf sie, und was sie genießen, hat kein Auge gesehen, kein Ohr gehört, und keines Menschen Herz empfunden. Wie sollte ein solcher Blick in den Himmel nicht ein brennendes Verlangen in uns entzünden, auch in den Himmel zu kommen! „Wie ekelt mich die Erde an, wenn ich in den Himmel schaue!“ sprach der heilige Ignatius von Loyola; „ich wünsche aufgelöst zu werden und bei Christus zu sein“, hat lange vor ihm der heilige Paulus ausgerufen. (Philipp. 1)
So dient das betrachtete Leben der Heiligen eben so sehr zur Förderung der Erwartung des Himmels, als der Sehnsucht nach demselben, dient also zur Förderung der christlichen Hoffnung.
Ein wesentlicher Bestandteil der Religion ist noch die Liebe,
ja sie ist, wie der Apostel sagt, die größte unter den Dreien. Gott ist die Liebe (2. Joh. 4), und es kann daher sicherlich Jener zu Gott nicht kommen und muss im Tode bleiben, der keine Liebe hat. Christus selbst bezeichnet die Liebe als das erste und größte Gebot. Ohne Liebe gibt es keine wahre Religion.
Worin besteht aber die wahre Liebe? Christus gibt uns Antwort auf diese Frage. Er sagt: „Wer meine Gebote hat und sie hält, der ist es, der Mich liebt“ (Joh. 14); wir müssen Christi Gebote haben, d. h. sie kennen und anerkennen im Glauben: die Liebe muss ruhen auf unverfälschtem Glauben (1. Tim. 5); und wir müssen diese Gebote auch halten, müssen meiden, was sie verbieten, und ausüben, was sie befehlen. Alles, was man sonst Liebe nennt, ist entweder nicht viel wert, oder wertlos. Oder sogar verwerflich.
Die Betrachtung des Lebens der Heiligen ist aber wieder ganz geeignet, eine solche Liebe in uns zu erwecken und zu stärken. Diese erprobten Diener Gottes hatten die Gebote Gottes, sie kannten und anerkannten Christum als ihren Gesetzgeber im Glauben, sie kannten und anerkannten also die Gebote Christi. Von diesem Glauben haben wir schon oben gesprochen; aber sie hielten auch die Gebote, die sie im Glauben hatten, sie lebten aus dem Glauben, der Glaube war in ihnen tätig. Wie arbeiteten sie, ein Jeder in seinem Beruf, Tag und Nacht! Wie befolgten sie das Wort des Herrn: „Ich muss wirken, so lange es Tag ist!“ (Joh. 9) Und wie Vieles erwirkten sie!
Wer nun diese Großtaten der Liebe, sie mögen in der äußeren Erscheinung groß oder nicht groß sein, betrachtet, wie wird er sich angetrieben fühlen, jene Liebe, aus der sie hervor gegangen sind, sich auch anzueignen und mit ihr auch Großes zu wirken, äußerlich Großes, wenn er kann, oder doch Großes im Kleinen, wenn er äußerlich Großes nicht wirken kann! Wie wird er sich angetrieben fühlen, die Gebote des Herrn zu haben und zu beobachten – wie wird er, gezogen von der heiligen Kraft dieser lebendigen Vorbilder, fortschreiten in der Liebe! Die nämliche Herrlichkeit des Lebens der Heiligen, welche den Grund zum Glauben an das Christentum gibt, gibt durch den Antrieb zur Nachahmung auch den Grund zur christlichen Liebe.
Also der Glaube, die Hoffnung und die Liebe wird mächtig gefördert durch die Betrachtung des Lebens der Heiligen, und daher mächtig gefördert die Religion, die aus diesen Dreien besteht.
Also der Glaube, die Hoffnung und die Liebe wird mächtig gefördert durch die Betrachtung des Lebens der Heiligen, und daher mächtig gefördert die Religion, die aus diesen Dreien besteht. –
aus: Otto Bitschnau OSB, Das Leben der Heiligen Gottes, Vorwort von Sr. Gnaden des Hochwürdigsten Herrn Franz Joseph Rudigier, Bischof von Linz