Geschichte der Juden nach 70 n. Chr.

Geschichte der Juden: Sephardische Juden feiern Hoshanah Rabah

Geschichte der Juden nach dem Untergang des jüdischen Staates

1. Bis zur Herrschaft des Islams

Längst vor Jerusalems Zerstörung durch Titus waren die Juden durch fast alle Gebiete des römischen Reiches verbreitet (Diaspora Israel) Durch die Katastrophe i. J. 70 verschwanden Tempeldienst und Synedrium, damit auch die Bedeutung des Priestertums und der Einfluss der sadduzäischen Aristokratie. Das Erbe traten die pharisäischen Gesetzeslehrer an. Ihr Sammelplatz war zunächst Jamnia, dessen Lehrhaus Mittelpunkt für die Gesamtleitung wurden (später zu Sepphoris, zuletzt in Tiberias). Mit diesem war ein Gerichtshof verbunden, dessen Entscheidungen als normativ anerkannt wurden; er vertrat also die Stelle des früheren Synedriums. Der Präsident, später Patriarch genannt, war zugleich Oberhaupt der Diaspora.

In der Träumerei von einer Wiedervereinigung des alten Reiches lagen die Keime zu neuen Aufständen (so unter Trajan) und schließlich zur tollkühnen Erhebung unter Bar Kochba, die 135 mit völliger Niederwerfung endete. Jerusalem, nunmehr die heidnische Kolonie Aelia Capitolina, zu betreten, war den Juden unter Todesstrafe verboten. Ohne politische Heimat, nur durch die ideale Macht des Gesetzes zusammengeschlossen, blieben sie fortan ein Wandervolk, Fremdlinge unter Fremden.

Juden in Palästina und Babylonien

In Palästina wurden die Arbeiten am Gesetz fortgesetzt und alle Materien mit peinlicher Sorgfalt erörtert (Periode der Tannaim). Unter Jehuda I ha-Nasi erreichte das Patriarchat seine höchste Machtfülle; nach ihm schwand sein Ansehen, und nach Gamaliels IV Tode 425 hob es Kaiser Theodosius II auf. Der Schwerpunkt des Judentums wanderte nach Babylonien. –

Im römischen Reich gab Caracallas Constitutio Antoniniana de civitate v. 212 den Juden das römische Bürgerrecht. Die christlichen Kaiser erließen beschränkende Gesetze; immerhin blieben die Juden im Genuss ihrer bürgerlichen Rechte. Doch kam es da und dort zu stürmischen Ausschreitungen gegen sie. Anlass war, daß sie gegen Christus und Christentum hetzten und wahnsinnige Beschuldigungen gegen die Christen aufbrachten. –

Babylonien beherbergte eine besonders starke jüdische Bevölkerung. Den Kriegsgefangenen Nebukadnezars war das Land zur 2. Heimat geworden; nur wenige hatten vom Recht der Heimkehr Gebrauch gemacht. Im Norden, um Nehardea, bildeten sie vielerorts die Mehrzahl der Bewohner. Sie hatten autonome Verwaltung und Rechtspflege unter einem Exilfürsten (Resch geluta = „Haupt der Verbannung“), der sein Geschlecht auf David zurückführte. Seine Gewalt war unumschränkt und oft drückend; später entstand ihm in den Schulhäuptern der babylonischen Akademien ein Gegengewicht.

Schon Anfang des 2. Jahrhunderts war Nehardea ein Sitz der rabbinischen Gelehrsamkeit; im 3. Jahrhundert blühte die durch Abba Areka gegründete Akademie in Sura; nach der Zerstörung Nehardeas 259 wurde die Hochschule in Pumbeditha eröffnet. Die Tätigkeit der Amoräer dieser Schulen schließt mit Rabina II bar Huna († 499). Nach ihm vollendeten die Saboräer den babylonischen Talmud.

Infolge der Bedrückungen unter Jezdegerd II (438 bis 457) und Firuz (459 – 484) wanderten viele Juden nach Indien aus. –

Arabien bewohnten seit alters zahlreiche Juden. Die Christenverfolgung durch Dhû-Nuwâs veranlasste 525 das Einschreiten des abessinischen Königs Elesbaas. –

Juden im byzantinischen Reich

Im byzantinischen Reich erließ Justinian I 530 harte Ausnahme-Gesetze. Ihre Verbindung mit Chosrau II, dem sie auch bei der Eroberung Jerusalems in die Hände arbeiteten, büßten die Juden 628 unter Heraklius schwer. Leo III. zwang sie 721, Christen zu werden oder auszuwandern. Damals kam ein Teil zu den Chazaren (Chasaren); deren Chagan nahm mit vielen Untertanen das Judentum an, das sich dort bis zum Untergang des Reiches 964 durch die Russen v. Kijew behauptete. –

Die staatliche Neubildung im ehemaligen weströmischen Reich fanden fast überall Juden-Gemeinden vor. In Italien konnten die Juden sich unter der Herrschaft der Ostgoten und Langobarden nicht beklagen. Besonders bemühten sich die Päpste um Gerechtigkeit und Billigkeit gegen sie. –

Im Frankenreich und in Spanien

Im Frankenreiche fanden sich Juden unter Chlodwig in fast allen Städten. Sie trieben unbeschränkt Handel und Gewerbe, hatten auch Grundbesitz. Doch folgten dann einzelne Ausnahmegesetze. Das Konzil v. Reims 627/30 verbot besonders ihren schwunghaften, inhumanen Handel mit christlichen Sklaven und Sklavinnen, die sie bis nach Afrika und in die orientalischen Harems verhandelten. –

Jüdische Niederlassungen in Spanien sind sehr alt. Bereits die ersten spanischen Synoden mussten starke jüdisch Einflüsse abwehren. Die religiösen, politischen und sozialen Freiheiten der Juden wurden dabei nicht angetastet. Aber nach Rekkareds Übertritt zur katholischen Kirche fasste die 3. Synode v. Toledo 589 einschneidende Beschlüsse; doch kümmerten sich die Großen des Reiches wenig darum und gewährten den Juden Unterstützung und ungerechte Vorteile. Deshalb verfügte König Sisbut, daß alle Juden binnen einer Frist sich taufen lassen oder das Land verlassen sollten.

Unter König Swintila (621-31) kehrten dann die Ausgewanderten zurück und die Getauften gaben ihr Christentum wieder auf. Die 4. Synode v. Toledo 633 wandte sich gegen Zwangstaufen; doch durften Getaufte nicht mehr zum Judentum zurücktreten. Diese heimlichen Juden bildeten fortan ein gefährliches Element für Staat und Kirche.

2. Vom Islam bis Ende des 18. Jahrhunderts

Die zahlreichen Juden in Arabien übten mächtigen Einfluss auf die Bildung des Islams aus. Aber Mohammed verfolgte sie blutig, als sie ihn nicht anerkannten. 636 untersagte ihnen Omar den Aufenthalt in Arabien. Auch in den eroberten Ländern unterwarf er sie Beschränkungen; doch leisteten die Juden den Mohammedanern bei ihrem Vordringen überall Vorschub. Als Omar das persische Reich gestürzt hatte, stellte er das Exilarchat wieder her. Streitigkeiten zwischen dem Exilarchen und den Häuptern der Akademien führten um 659 zum Gaonat.

Das religiöse Empfinden löste im 8. Jahrhundert als Reaktion gegen den verknöcherten Talmudismus den Karäismus aus. Mitte des 10. Jahrhunderts wurde der letzte Exilarch ermordet und die Würde aufgehoben. Auch das Gaonat erlosch 948; die Schule v. Pumbeditha bestand wohl bis 1039, verlor aber Ansehen und Einfluss. So bildeten die Juden des Ostens keine Ganzes mehr; der geistliche Mittelpunkt war fortan in Europa. –

Juden in Spanien

Ein neues Vaterland eröffnete sich ihnen in Spanien unter den Mauren. Durch die Berührung mit arabischer Literatur entstand eine der glänzendsten Blüten geistiger Kultur des Judentums. Die Almohaden verfolgten überall Christen wie Juden. Das Vordringen der christlichen Waffen brachte ihnen zunächst keine Nachteile; Juden bekleideten sogar ehrenvollste Ämter. Bei ihrem Wucher und Sichhineindrängen in die einflussreichsten Stellen, ihrer Prunksucht, ihrem Stolz und Übermut blieben jedoch Ausbrüche gegen sie nicht aus. Gleich bei der 1. Judenhetze 1391 zu Sevilla wurden 4000 Juden getötet. Ausbeuterisch und verhasst waren besonders die getauften Juden (Marranos), die seit dem 14. Jahrhundert beängstigend zunahmen. Da man sie als ständige Gefahr für Staat und Kirche erkannte, wurde 1480 zu ihrer Überwachung die Inquisition eingeführt.

Ferdinand V. von Aragón verwies die Juden 1492 des Landes. 1496 wurden sie auch aus Navarra und Portugal verbannt. Die spanisch-portugiesischen Juden oder Sephardim wandten sich nach Nordafrika, Italien und besonders den türkischen Ländern. Ihr spanisch-jüdischer Dialekt, das Spaniolische, hat sich bei ihnen bis heute erhalten. –

In Italien

In Italien blieben die Verhältnisse den Juden im Ganzen am günstigsten; die Päpste waren häufig ihre Beschützer. In den Städten wie den Fürsten gegenüber gebrauchten die Juden ihre Geldmacht. Ihre Zahl mehrte sich außerordentlich, auch durch Marranen aus Spanien. Das macht begreiflich, daß im 16. Jahrhundert einige Päpste ihre Macht zu brechen suchten. Seitdem war ihr Schicksal wechselvoll. –

In Frankreich

In Frankreich erfuhren die Juden unter den Karolingern eine milde Behandlung, ähnlich unter den Kapetingern. Später wurden sie jedoch von den Königen und Vasallen ausgesogen und gedrückt. Zu blutigen Verfolgungen kam es während der Kreuzzüge und Albigenser-Kriege. Wie anderwärts weckte der religiöse Enthusiasmus der Kreuzzüge auch primitive Instinkte; auch geistliche Schauspiele, die Liturgie (“perfidi Judaei“), Prediger und Kunstdarstellungen mögen beim mittelalterlichen Menschen mittelbar zu einer Stimmung beigetragen haben, die sich bei wirklichen oder angeblichen Vergehen der Juden zu Hass entlud.

Bei der Verfolgung zu Blois 1171 tauchte zum 1. Mal die Beschuldigung der Tötung von Christenkindern zu rituellen Zwecken auf. Papst Innozenz IV. wies später diese Anklage energisch zurück. 1320 waren die Juden der schrecklichen Hirtenverfolgung im südlichen Frankreich ausgesetzt; mehr als 100 Gemeinden wurden vernichtet; weder König noch Papst vermochten dem Aufstand Einhalt zu gebieten. Später wurde ihnen „der schwarze Tod“ verhängnisvoll. 1394 wies Karl VI. sie aus. In den Landschaften, die nicht direkt der Krone unterstanden, so im päpstlichen Gebiet v. Avignon, durften sie bleiben. Die meisten gingen nach Deutschland, ein Teil nach Piemont und Oberitalien. –

In England

In England hatten seit der Normannen-Herrschaft zahlreiche Juden sich angesiedelt. Durch die Charta Judaeorum aus dem 12. Jahrhundert waren sie mit Person und Besitz Eigentum des Königs, Auswanderung und Erbrecht untersagt. Zunächst blieben sie ohne Beunruhigung, da die Könige sie aus finanziellen Interessen schützten. Der Volkshass aber kam zuerst bei der Krönung des Richard I. Löwenherz 1189 in London zum Ausbruch; zu Gemetzel kam es dann auch in andern Orten. Eduard I. wies sie 1290 unter Einziehung ihrer liegenden Güter aus. Oliver Cromwell gestattete einzelnen, sich in England niederzulassen und Handel zu treiben. Als 1753 den Juden Naturalisierung ermöglicht werden sollte, vereitelte ein Entrüstungssturm des Volkes das bereits erlassene Gesetz.

In Deutschland

Nach Deutschland waren Juden im Gefolge von römischen Soldaten zuerst an den Rhein gekommen; im 4. Jahrhundert sind sie nachweisbar in Köln. Ihre 1. eigentliche Niederlassung scheint Worms gewesen zu sein. Im 9. Jahrhundert finden sie sich auch in andern Städten; von da aus verbreiteten sie sich allmählich nach Böhmen und Polen. Nach germanischem Recht waren sie Fremdlinge, denen man Privilegien einräumen konnte, aber ohne Anspruch auf bürgerliche Rechte. Ihre Lage war verhältnismäßig günstig; im Ganzen blieb ihre rechtliche und soziale Stellung trotz feindseliger Erlasse ziemlich unangefochten.

Mit den Kreuzzügen brachen schreckliche Zeiten für sie an, besonders 1096 am Rhein, in Böhmen und Ungarn. 1146 folgte eine 2. Verfolgung; nur mit Mühe konnte der hl. Bernhard die Mordlust zügeln. Seitdem nahmen die Kaiser die Juden unter ihren Schutz; von da an galten sie als „Kaiserliche Kammerknechte“. Dafür mussten sie eine ständige Abgabe zahlen. Als zum kaiserlichen Hausgesinde gehörig, durften sie nicht bedrückt oder beraubt werden. Doch dauerte die Verfolgung fort auf Grund verschiedener Beschuldigungen, wegen Blutanklage, Hostienschändung (vgl. RömQschr 1926, 167/97) u. a.

Neue Verfolgungen zog der Tatareneinfall nach sich. Unter Führung Rindfleischs wurden 1298 fast alle Judengemeinden in Bayern, Österreich und Franken unterdrückt; 1336 bis 1338 kam es zu lawinenartigen Bewegungen von Böhmen bis zum Elsaß („König Armleder“). Zur Zeit des „schwarzen Todes“ (1348 bis 1350), da man die Juden der Brunnenvergiftung beschuldigte, raste, genährt durch Zunftrevolution und Endzeitstimmung (Geißler), der Judenmord durch West- und Mitteleuropa (außer Italien). Papst, Kaiser und Theologen vermochten dem Aberglauben und der Hetze nicht Einhalt zu tun.

Die Kriegszüge gegen die Husiten begannen mit Verfolgung der Juden. Auch sonst wurde ihre Lage schlimmer. Hatten sie früher alle Geschäfte, besonders den Handel, in der Hand, so trat jetzt ein reger Bürgerstand und die deutsche Kaufmannschaft, die auch ausländische Handelsniederlassungen gründete, in Konkurrenz mit ihnen. So blieben den Juden hauptsächlich Geldgeschäft, Steuerpacht und Wucher, die sie dem Volk immer verhasster machten. Auf dem Reichstag v. Nürnberg 1356 nötigten die Kurfürsten den Kaiser durch die „Goldene Bulle“, ihnen das ertragreiche Regal des Judenschutzes abzutreten. Anfang des 16. Jahrhunderts waren die Juden aus den meisten Reichsstädten und großen Territorien vertrieben. Man hatte es auch auf Vernichtung des Talmuds abgesehen (Pfefferkorn), die schließlich durch Reuchlins Gutachten verhindert wurde.

Die Reformation hat den Juden keine bessere Lage gebracht. Erst Ende des 17. Jahrhunderts trat eine gewisse Sicherheit ein; das Toleranzedikt Joseph II. v. 1782 brachte endlich auch für die Juden eine neue Zeit. –

In Holland

Holland bot Ende des 16. Jahrhunderts den spanisch-portugiesischen Marranen ein Asyl; allmählich erfolgte auch von anderer Seite Zuzug. Besonders blühte die jüdische Gemeinde in Amsterdam. Hier herrschte strenge Talmud-Orthodoxie; die Rabbiner hatten unumschränkte Gewalt und konnten die schwersten Strafen verhängen (vgl. das Vorgehen gegen Acosta und Spinoza). –

In Polen

In Polen waren die Juden als Handelsleute bereits im 11. Jahrhundert angesiedelt; seit dem 13. Jahrhundert war ihr Reichtum und Einfluss bedeutend. Polen war eine Zuflucht für deutsche und andere Juden. Ihre Gemeinden besaßen völlige Selbstverwaltung; die Mitglieder unterstanden der strengen Zucht der Vorsteher und Rabbiner. Sie waren zu Bezirks- und Landes-Organisationen zusammengeschlossen; als Vertretung tagte jährlich 2-mal die „Synode der 4 Länder“ in Jaroslaw oder Lublin. Seit dem Verfall der königlichen Macht nach 1572 beschlossen die polnischen Landtage beschränkende Gesetze. Schweres traf die Juden besonders beim Aufstand 1648 in der Ukraine; 1654 rissen die Russen Kleinrussland an sich und vertrieben die Juden; 1656 überfluteten die Schweden unter Karl IX. Westpolen. In allen Ländern erschienen versprengte Juden, besonders in Deutschland.

Mit der Teilung Polens zerfiel auch die Einheit des dortigen Judentums. Eifrig gepflegt wurde dort das talmudische Studium, artete aber in spitzfindiges Disputieren aus. Da polnische Talmudgelehrte in Deutschland und Holland gesuchte Lehrer waren und stete Rückwanderungen stattfanden, hat das polnische Wesen mit seinen eigentümlichen Manieren und dem aus der ursprünglich deutschen Umgangssprache verdorbenen „Jiddisch“ auch die deutschen Gemeinden unvorteilhaft beeinflusst und für die europäische Judenschaft allmählich den Gegensatz zwischen den Aschkenasim und Sephardim (deutsch-polnische und spanisch-portugiesische Juden) festgelegt. –

Im türkischen Reich

Im türkischen Reich verstärkten sich die Juden sehr durch Einwanderung. Sie waren Zollpächter und hatten den Handel in ihren Händen. Seitdem füllt sich auch Palästina wieder mit Juden. Hier, besonders in Galiläa, entstand im 16. Jahrhundert jene praktische Ausdeutung und Anwendung der Kabbala, die das jüdische Leben mit schwärmerischen und abergläubischen Vorstellungen durchsetzte und Mitte des 17. Jahrhunderts auch den Anstoß gab zur Bewegung des Pseudomessias Sabbathai Zewi.

3. Das Ringen um Emanzipation seit Ende des 18. Jahrhunderts

Seit Ende des 18. Jahrhunderts begann für die Juden eine neue Epoche, das Ringen nach Emanzipation und deren allmähliche Durchführung. Es bedurfte aber erst einer völligen inneren Umgestaltung, eingeleitet in Deutschland durch Moses Mendelssohn, wie äußeren Wandlung, angebahnt durch die Emanzipation der Juden in Frankreich.

1780 proklamierte die Nordamerikanische Union, 1791 Frankreich die bürgerliche Gleichstellung der Juden. Die Bestimmungen eines 1806 nach Paris berufenen Parlaments von jüdischen Notablen erhob 1807 der „große Sanhedrin“ zu bindenden Beschlüssen; auf Grund dieser Konsistorial-Verfassung errichtete Napoleon eine jüdische Staatskirche. Die Verfassung v. 1830 und das Gesetz v. 1831 stellten die Juden den christlichen Konfessionen völlig gleich und verfügten staatliche Besoldung ihrer Rabbiner. Die Grundsätze der Revolution machten sich 1796 in Holland, 1808 durch Jérôme im Königreich Westfalen geltend. –

In den deutschen Staaten

Auch in den deutschen Staaten kam es 1801 bis 1813 zu einer allmählichen Besserstellung und Teilemanzipation der Juden. Preußen gewährte durch Gesetz v. 11.3.1812 bürgerliche Gleichstellung, ohne sie jedoch durchzuführen. Nach den Befreiungskriegen wurde den Juden vielfach das Errungene wieder entzogen oder verkümmert. Auf dem Wiener Kongress 1814/15 widersetzten sich die kleineren Staaten und besonders die Freien Städte der beantragten vollen Gleichberechtigung. Vorkämpfer der Juden wurden dann Gabriel Rießer († 1863) für die politische Freiheit und Ludwig Philippson († 1890) für die religiöse und soziale Erziehung.

Die Frankfurter Nationalversammlung 1848 erklärte die „Grundrechte des deutschen Volkes als unabhängig vom religiösen Bekenntnis“. Auch die preußische Verfassung v. 31.1.1850 fügte sich, doch mit der Einschränkung, dass bei den staatlichen Einrichtungen, die mit der Religionsübung im Zusammenhang stehen, die christliche Religion zu Grunde gelegt werde. Das Gesetz des Norddeutschen Bundes v. 3.7.1869, ebenso die Reichsverfassung v. 1871 hoben alle aus der Verschiedenheit des religiösen Bekenntnisses noch bestehenden Beschränkungen der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte auf. –

In Österreich und anderen Ländern

In Österreich brachte die Verfassung v. 4.4.1849 den Juden die Gleichberechtigung; das Staatsgesetz v. 21.2.1867 beseitigte alle vom Religionsbekenntnis herrührenden rechtlichen Verschiedenheiten und räumte in sämtlichen Kronländern mit den Ausnahmegesetzen auf. Nach dem „Ausgleich“ mit Österreich bestätigte auch der ungarische Reichsrat 1867 die bürgerliche und staatsbürgerliche Gleichstellung der Juden, und mit der Aufnahme unter die gesetzlich rezipierten Konfessionen 1896 war die völlige Emanzipation auch in Ungarn erfolgt. –

In der Schweiz vollzog sie sich 1863, in Italien mit der Gründung des geeinten Reiches 1870; in den skandinavischen Ländern ist sie ebenfalls durchgeführt. –

In England wurden die Juden 1845 zu den Munizipalämtern, 1858 zum Parlament, 1859 auch zu den Staatsämtern zugelassen. –

In Spanien sind sie seit 1837 wieder geduldet. –

In der Türkei

Ihre 1840 gefährdete Sicherheit in der Türkei wegen angeblichen Ritualmordes in Damaskus wurde durch einen von Moses Montefiore erwirkten Ferman schnell wieder hergestellt. –

In Russland

In Russland behandelte Nikolaus I. die Juden mit ausgesuchter Härte. Unter Alexander II. besserte sich ihre Lage allmählich, gestaltete sich aber nach seiner Ermordung 1881 um so trauriger. Der Weltkrieg führte zum Sturz des Zarentums. Wie die Juden an dessen Untergrabung starken Anteil hatten (Nihilismus), so zeigten sie sich nun als die tüchtigsten Werkzeuge der von Lenin aufgerichteten bolschewistischen Herrschaft. –

Einen Wendepunkt der jüdischen Geschichte brachte der Weltkrieg. England nahm Fühlung mit dem Zionismus und erklärte sich mit seinen Bundesgenossen bereit, dem jüdischen Volk in seiner alten nationalen Heimat Autonomie zu verleihen; das Mandat über Palästina ließ es sich durch den Völkerbund 1922 bestätigen. Ob hierdurch eine Lösung der Judenfrage erzielt ist, steht dahin.

Siehe zur Politik der Engländer in Palästina: Die Besiedlung Palästinas durch die Juden

Die politisch-soziale Macht der Juden

Seit ihrer Emanzipation sind die Juden zu einer politisch-sozialen Macht geworden; sie traten bald an die Spitze des Großkapitals und nützten ihre Vorherrschaft vielfach rücksichtslos aus. Dazu tritt der schlimme Einfluss vieler ihrer Literaten, die auch vor der christlichen Religion nicht Halt machen, vor allem aber die beherrschende Stellung der Juden in Handel, in der Presse, vielfach auch in der Politik, und der große Einfluss auf das Theater, wodurch der libertinistische und revolutionäre Teil des Judentums zersetzend auf Religiosität und Volkscharakter einwirkt.

Als Gegenströmung ist in Verbindung mit dem Rassegedanken der Antisemitismus in den letzten Jahren angewachsen. Seit Übernahme der Regierung durch den Nationalsozialismus erfolgt in Deutschland eine starke Rückdrängung des Judentums im öffentlichen und kulturellen Leben; auch erging 21.4.1933 ein Verbot des Schächtens. –
aus: Michael Buchberger, Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. V, 1933, Sp. 682 – Sp. 687

Bildquellen

  • Picart_Sephardic_Jews_Observe_Hoshanah_Rabah: wikimedia
Tags: Judentum

Verwandte Beiträge

Religionsgeschichte der Juden
Judentum und Christentum