Lexikon für Theologie und Kirche
Stichwort: Jerusalem
Maßstabsgetreues Modell von Jerusalem zur Zeit des Zweiten Tempels.
Jerusalem, die bekannte Hauptstadt des jüdischen Königreiches.
Die so benannte Stadt lag an der Stelle, welche nach der ganzen Gebirgsbildung Palästinas als das Herz und der Mittelpunkt dieses Landes betrachtet werden kann. Genau westlich von der Jordanmündung, auf der Wasserscheide zwischen dem Toten und dem mittelländischen Meer, entsendet das Gebirge Ephraim einen von Norden nach Süden gerichteten zungenförmigen Vorsprung, der von zwei fast rings herumlaufenden und an der Südspitze sich vereinigenden Tälern umschlossen ist und nur im Nordwesten mit der Hochfläche von Judäa zusammenhängt.
Die geographische Lage Jerusalems
Um den Norden und Osten zieht sich eine tiefe Schlucht mit steilen Felswänden, welche nach dem darin fließenden Regenbach den Namen Kedron erhalten hat. Längs der Westseite läuft ein Tal, das sich später rechtwinklig umbiegt und an der Südseite der Stadt vorbeizieht; an dieser Stelle ward das Tal Ben Hinnom, gewöhnlicher Gehenna genannt. Die beiden Täler vereinigen sich an der Südostecke der ganzen Erhebung zu einer tief eingeschnittenen Schlucht, welche heute Wadi en Nar heißt.
Bemerkenswert ist, dass die heilige Schrift für zwei dieser Niederungen eine Verschiedenheit in der Bezeichnung festhält. Für die östliche Schlucht kommt nur die Benennung nachal, d. h. Bachtal oder Wadi, vor (2. Sam. 15, 23; 3. Kön. 2, 37 u. f.), auch ohne Zusatz des Eigennamens (2. Esdr. 2, 15; 2. Par. 33, 14). Das Tal im Süden heißt immer gaj, mit dem Eigennamen gê Hinnom (Jos. 15, 8; 18, 16; 4. Kön. 23, 10 u.f.), auch ohne denselben haggaj (Jer. 2, 23; 2. Esdr. 2, 13; 3, 13; 2. Par. 26, 9).
Da nun ein Tal, das man in der Nähe Jerusalems suchen darf, die dritte Bezeichnung ʿemek führt, so scheint hierunter das westliche Tal, dessen Fortsetzung Ge Hinnom ist, verstanden zu sein (Jos. 15, 8; 18, 16); dies hätte dann nach Gen. 14, 17; 2. Sam. 18, 18 auch Save oder Königstal geheißen (Palest. Explor. Fund 1889, 38). In neuerer Zeit nennt man es aus bloßer Übereinkunft das Tal Gihon nach einem darin befindlichen Wasser.
Jenseits der genannten Täler ist Jerusalem auf allen Seiten von höher aufsteigenden bergen umgeben (Ps. 124, 2). Aus dem Kedrontal steigt im Norden der Scopus (Jos. B. 2, 19, 4), im Osten zunächst der Ölberg, südlicher der sog. Berg des Ärgernisses (3. Kön. 11, 7) auf. Jenseits des Ben-Hinnom-Tales erhebt sich der Berg des bösen Rates, auf dem Kaiphas ein Landhaus gehabt und die Matth. 26, 3 u. 4 berichtete Versammlung abgehalten haben soll; am Fuß desselben wird Hakeldama gezeigt (Matt. 27, 8).
Das Gihon- oder Königstal ist weiter nach Westen von einer Höhe begrenzt, welche man Mangels eines anderen Namens auch Berg Gihon nennt; es ist diejenige Höhe, auf welcher Titus ein Lager aufschlug und den Belagerungswall aufführte.
Alle genannten Stellen sind heute noch mit Sicherheit zu unterscheiden und zuverlässig zu identifizieren, so dass über dieselben keine Meinungs-Verschiedenheit obwaltet. Anders aber ist es mit den einzelnen Bestandteilen der Stadt selbst, welche nicht so leicht zu erkennen sind, und über welche daher eine unglaublich große Meinungs-Verschiedenheit besteht. Von den im Folgenden vorgetragenen Ansichten kann nur gesagt werden, dass sie von einer Anzahl verständiger forscher geteilt werden.
Vorauszuschicken ist, dass das Massiv, auf welchem die Stadt liegt, sich von Nordwesten nach Südosten stetig senkt, in die umgebenden Täler aber auf allen Seiten steil abfällt. Da der Talboden ringsum seit Jahrtausenden aufgehöht ist, so sind die Talränder weniger hoch, aber nicht weniger jäh als früher. Der Bergkörper selbst ist auch durch Einschnitte und Senkungen mannigfach gegliedert, obwohl Schuttanhäufung und künstliche Ausfüllung im Laufe der Zeit bedeutend nivelliert und selbst den Lauf und die Begrenzung einzelner Niederungen unkenntlich gemacht haben.
Von Norden nach Süden zieht sich, oben westlich gebogen, durch die Anhöhe ein breites Tal, welches man zu Römerzeiten Tyropöon oder Käsmachertal nannte; durch dieses wird das ganze Massiv in zwei Hälften geteilt, deren westliche beträchtlich höher als die östliche ist. Als Jerusalem sich über beide Höhen erstreckte, hieß die eine die Oberstadt, die andere die Unterstadt. Wie es scheint, hat diese Tatsache bewirkt, dass der Name Jerusalem im Alten Testament allmählich die Dualform Jeruschalajim angenommen hat.
Die obere Stadt bedeckte anfänglich bloß den südlichen Teil der Westhälfte, in welchem eine zweitausend-jährige Tradition den oft genannten Berg Sion erblickt; auf dem nördlichen Teil dieser Hälfte, der durch ein Quertal vom Tyropöon her abgetrennt war, befand sich damals der Richtplatz, Golgotha oder die Schädelstätte genannt, so dass diese nördliche Höhe, welche nunmehr innerhalb der Stadt liegt und die Grabeskirche trägt, den Namen Kalvarienberg erhielt.
Die niedere und schmalere Hälfte der gesamten Berghalde lässt drei gesonderte Höhen unterscheiden, welche von Norden nach Süden gerechnet, als Berg Bezetha (Olivenheim), Tempelberg oder Moria und Felshöhe Ophel angeführt werden. So war Jerusalem, ähnlich wie Rom, eine Hügelstadt (Ps. 86, 1), und diesen Charakter haben ungeheure Schuttanhäufungen, die bis zu 100 Fuß (Anm.: ca. 30 m) mächtig sind, auch jetzt noch nicht verwischen können.
Ursache der ersten Ansiedlung
Ursache der ersten Ansiedlung auf diesen Berghöhen war vermutlich der große Wasserreichtum in einer wasserlosen Umgebung. Schon Strabo (16, 2, 36. 40) macht auf diese Eigentümlichkeit von Jerusalem aufmerksam. Nach bekannten Gesetzen müssen die Täler auf beiden Seiten der Bergzunge, welche von viel höherem Gebirge ausgeht, dem Regenwasser großer Gebirgsstrecken zum Abfluss dienen.
Das im westlichen Tal zusammenströmende Wasser ward seit unvordenklicher Zeit in Bassins gesammelt und von dort unterirdisch in die Stadt geleitet; im Kedrontal aber floss ein Bach, der noch jetzt in seinem alten Bett unter hohen Schuttlagern zu finden ist, während auf dem nunmehrigen Talboden nur ein intermittierender Regenbach fließt. Daneben hatte Jerusalem auch reiche Wasserquellen, welche freilich der Gebirgsbildung gemäß in großer Tiefe aufgebohrt und daher ebenso, wie das aus dem Königstal geleitete Wasser, mehr Brunnen als Quellen nach unserem Begriff waren.
In der heiligen Schrift werden genannt:
1. die Quelle Gihon im Westtal, die vielleicht ursprünglich den Wasserlauf durch Ben Hinnom bis zum Kedron bildete, in Folge strategischer Vorkehrungen des Königs Ezechias aber jetzt verschwunden ist und wahrscheinlich sich unterirdisch in eines der vorhandenen Reservoirs ergießt;
2. die Quelle Rogel, ein tiefer Brunnen am Südende der Stadt, gerade da, wo die beiden Täler sich vereinigen, vermutlich (wegen 3. Kön. 1, 9) auch Drachenbrunnen (2. Esdra 2, 13), jetzt Bir Ejub, Hiobsbrunnen genannt;
3. die jetzige Marienquelle, welche südöstlich am Tempelberg ausbricht, die einzige zugängliche Quelle von Jerusalem, von Josephus auch Quell Siloa genannt (B. J. 5, 4, 1.2), während die heilige Schrift nur einen Teich Siloe kennt, und wohl identisch mit „Gihon im Tal“ (gîchôn bannachal, 2. Par. 33, 14); das sogen. Heilbad, Harram esch-Schifâ ein 70 Fuß tiefer Brunnenschacht mit abgezweigter unterirdischer Leitung, über welche nähere Auskunft noch fehlt; vielleicht hängt auch dieses Wasser mit der Marienquelle zusammen, vielleicht ist es auch die natürliche Quelle, welche nach Pseudo-Aristeas innerhalb des Heiligtums war. Wo der 2. Mach. 1,19 genannte Brunnen lag, ist nicht zu bestimmen.
Anlage von Wasserbassins und Teichen
Die Kostbarkeit des Wassers im regenarmen Morgenland hatte ferner die Beherrscher von Jerusalem veranlasst, frühzeitig für größere Wasserbehälter oder Teiche vor und in der Stadt zu sorgen, welche keinen Tropfen nutzlos zu Grunde gehen ließen. Von solchen werden als die wichtigsten genannt:
1, Der Obere und der Untere Teich;
2, der Königsteich, vermutlich ein Reservoir bei der Marienquelle, das jetzt verschüttet ist (2. Esdr. 2, 14; Jos. B. J. 5, 4, 2 Salomonsteich genannt);
3, der Teich Asuja (Piscina, quae grandi opere constructa est, 2. Esdr. 3, 16), ein ebenfalls verschütteter zweiter Teich bei Siloe;
4, der Teich Amygdalon (Jos. B. J. 5, 11, 4), die jetzige Birket el Betrak oder der Patriarchenteich, südwestlich von der heiligen Grabkirche in deren nächster Nähe gelegen, dessen Name wohl für (…) Teich der Türme zu fassen ist, da er bei den von Herodes gebauten sogen. Königlichen Türmen lag;
5, der Seifenkrauts- oder Sperlingsteich (Jos. B. J. 5, 11, 4), die heutige Birket Israin am Nordende des Tempelbergs, welche lange für den Teich Bethesda gehalten wurde;
6, der Schlangenteich (…) (Jos. B. J. 5, 3, 2), im Norden der Stadt. Eine besondere Berühmtheit hat
7, der Teich Bethesda erlangt, nicht bloß wegen des großen Wunders, welches der Herr nach Joh. 5, 2 bei demselben wirkte, sondern auch wegen der kürzlich geschehenen Auffindung desselben, welche die über denselben oben II, 546 gegebene Notiz zu vervollständigen gestattet.
Derselbe war im früheren Mittelalter noch wohl bekannt und wurde von allen Pilgern besucht, die ihn als ein Doppelreservoir (lacus gemellares) bezeichnen. Seit einem Jahrtausend aber war die Lage desselben unbekannt, und die Tradition konnte nur festhalten, dass er nördlich vom Tempelberg zu suchen sei; daher ward die Birket Israin damit verwechselt. Im Jahr 1888 nun wurde Bethesda durch den deutschen Baurat Schick ganz in der Nähe der St. Anna-Kirche wieder entdeckt, und der Augenschein führte zu merkwürdigen Aufschlüssen.
Bekanntlich gibt die Vulgata mit dem Cod. Sinait. an, Bethesda sei die probatica piscina, der Schafteich, an welchem die Opferlämmer gewaschen wurden, gewesen, und dies bestätigen für ihre Zeit (Eusebius, Hieronymus (Lagarde, Onomast. 240, 15; 108, 9) und Chrysostomus (In Jo. 5, 2), während nach den griechischen Ausgaben des Textes Bethesda (…) „beim Schafteich“ oder „am Schaftor“ war. Alle diese Angaben erscheinen jetzt richtig.
Der Teich Bethesda
Heilung des Gelähmten von Bethesda. 1575, Rijksmuseum Amsterdam
Man weiß nunmehr, dass der Bethesda ein weites, tief in den Felsen eingehauenes Bassin war.
Die fünf Hallen, von welchen der hl. Johannes spricht, lagen nicht, wie man gewöhnlich annimmt, und wie auch Cyrill von Jerusalem (Hom. In Paral. 1) sich denkt, rings um einen Doppelteich, so dass vier die Umgebung, einer die Scheidung der beiden Reservoirs gebildet hätte, sondern ein einziger Teich trug auf Säulen, welche man in der Richtung der Schmalseiten aus dem lebendigen Fels stehen gelassen hatte, ein mehrgliedriges Gewölbe, und auf der südlichsten Bogenreihe standen fünf gewölbte Kammern oder Hallen, deren Boden das damalige Niveau bezeichnete, und aus welchen man die Treppen durch das Gewölbe hinab bis zum Wasserspiegel und zur Sohle des Bassins kommen konnte.
Bei den wiederholten Zerstörungen Jerusalems häufte sich der Schutt so an, dass die Gewölbe der fünf über dem Teich befindlichen Porticus dem Boden gleich lagen. In dieser Zeit wurde auf denselben eine kleine Marienkirche errichtet, deren Reste jetzt selbst erst aus dem Schutt gegraben werden mussten; durch diese entstand die Legende, welche aus Johannes Damascenus ins römische Brevier übergegangen ist (Lect. IV in Praesent. B.M.V.), dass Maria an dieser Stelle geboren worden sei (Arnold von Harff, Pilgerfahrt, hrsg. Von E. Von Groote, Köln 1860, 182; Mislin, Die heiligen Orte II, 494).
Im früheren Mittelalter war das Vorhandensein des Teiches unter der Kirche noch bekannt (Antonin. Mart. 27; Sophron., Anacreont 20, Migne, PP. gr. LXXXVII, 3). Inzwischen wurden die nördlichen Abteilungen des Teiches verschüttet, und es blieb nur das Südende bekannt, das fortwährend als Teich Bethesda gezeigt wurde und jetzt wieder aufgefunden worden ist.
Neben demselben ward dann während der ersten christlichen Jahrhunderte ein Wasserbehälter in den Schutt gemauert, welcher an Länge und Breite dem inzwischen abgemauerten Südende selbst gleich war; so entstanden die lacus gemellares, von den denen die Pilger reden. Woher der Teich sein Wasser erhielt und noch erhält, ist noch nicht erforscht. (Vgl. Zeitschr. Des Deutschen Paläst.-Vereins XI, 1888, 178; Palest. Explor. Fund 1888, 115)
Da alle genannten Wasser für die Bedürfnisse der schnell anwachsenden und immer viele fremde beherbergenden Stadt nicht ausreichten, so musste man auch schon frühzeitig seine Zuflucht dazu nehmen, Wasser aus der Ferne herzuleiten. Eine uralte Wasserleitung, welche die Tradition auf Salomon zurückführt (vgl. Eccl. 2, 6), brachte aus dem bei Bethlehem gelegenen Etam das Wasser der „salomonischen Teiche“ nach dem Tempelberg von Jerusalem.
Nach Etam selbst aber geht eine Leitung aus dem weiter südlich gelegenen Wadi el Arrub, welche erst von Suleiman dem Großen, neuerdings von der türkischen Regierung restauriert, im Jahr 1863 aber von den Bewohnern Bethlehems abgeschnitten und für ihre Zwecke verwendet wurde; dies ist wohl die von Pilatus zum höchsten Unwillen der Juden angelegte, von welcher Josephus (Ant. 18, 3, 2) spricht.
Ob die von Ezechias angelegte Wasserleitung, welche Eccli. 48, 19 gerühmt wird, eine andere als die aus dem Gihon ist, bleibt unentschieden. Außerdem aber ist der Felsboden von Jerusalem nach jeder Richtung von Wassergängen durchzogen, welche nur gelegentlich bei Neubauten oder wissenschaftlichen Nachgrabungen zu Tage kommen; eine Anzahl anderer Leitungen, welche durch den Schutt gemauert erscheinen, sind jedenfalls für Abzugskanäle zu halten.
Zisternen als Mittel, das wertvolle Regenwasser zu sammeln, waren von jeher in Jerusalem sowohl auf Staatskosten als aus Privatmitteln in großer Menge angelegt, so dass manche unbenutzt blieben (Jer. 38, 6; Socin-Bädeker, Palästina 182).
Die erste Ansiedlung auf dem Boden Jerusalems
Die erste Ansiedlung auf dem Boden von Jerusalem geschah durch die semitischen Urbewohner des palästinensischen Landes, und zwar in der späteren Unterstadt. Sie erhielt den Namen Salem (Jos. Antt. 1, 10, 2) und trug denselben nachweisbar noch zu Abrahams Zeit (Gen. 14, 18); dass sie auch noch zur Zeit Jakobs so geheißen, ist ein durch unrichtige Übersetzung von Gen. 33, 18 (statt „wohlbehalten“) entstandener Irrtum. Von den Beherrschern dieser Stadt wird in der heiligen Schrift nur Melchisedech (Gen. 14, 18) genannt.
Da später (Jos. 10, 1) auch ein kanaanitischer König von Jerusalem Adonisedec heißt, so sind ältere Erklärer auf den Gedanken gekommen, die Stadt Salem habe auch den Namen Sedek geführt, und letzteres Wort sei demnach Is. 1, 26 als Eigennamen zu fassen; doch liegt dies nicht in dem ut prius der bezeichneten Stelle.
Als die Kanaaniter ins Land gekommen waren, ließen sich dieselben auch auf dem Boden von Jerusalem nieder und bauten die Oberstadt auf dem Berg Sion, welche sie, vielleicht in chamitischem Ausdruck, Jebus nannten. Obwohl die Ankömmlinge überhaupt zuerst einträchtig mit den früheren Bewohnern zusammenlebten und auch deren Sprache annahmen, so wurden die zu Jebus wohnenden, welche hiernach Jebusiter hießen, sich doch bald des Vorteils bewusst, den ihnen ihre gesicherte Lage bot, und rissen die Herrschaft an sich; daher erscheint zu Josues Zeit ein kanaanitischer König von Jerusalem, der mit seinen Stammesgenossen von den Israeliten getötet ward (Jos. 10, 26)
In dieser Zeit war der Name Jerusalem für die Doppelstadt schon allgemein üblich geworden. Bei der Verteilung des Landes wurde die grenze zwischen Juda und Benjamin über das Tal Ben Hinnom gezogen, so dass ganz Jerusalem dem Stamm Benjamin zufiel. Als aber der Stamm Juda im Bund mit Simeon sich in den Besitz seines Erbteils setzte, hielt er es nicht für geraten, hart an seiner Grenze eine kanaanitische Veste bestehen zu lassen und zerstörte deswegen Jerusalem vollständig (Richt. 1, 8).
Jerusalem als kanaanitische Stadt Jebus
Kaum war aber weiter nach Süden gezogen, so sammelten sich die Kanaaniter wieder und stellten das zerstörte Jebus wieder her. Inzwischen rückten auch die Benjaminiten nach, konnten aber die Jebusiter nicht vertreiben und begnügten sich einstweilen, die übrigen ihnen zugefallenen Plätze zu besiedeln (Richt. 1, 21). So war wieder Jebus als rein kanaanitische Stadt an die Stelle von Jerusalem getreten (Richt. 19, 10-14), bis beim Anwachsen des Stammes sich auch in dem alten Salem wieder israelitische Bewohner niederließen, so dass der Name Jerusalem wieder in Gebrauch kam (2. Sam. 5, 5)
Während vier Jahrhunderten blieben die Jebusiter nunmehr in dem ungestörten Besitz der Oberstadt von Jerusalem. Die kriegerischen Ereignisse, welche im Richterbuch erzählt sind und an welchen sie selbst oft genug beteiligt waren, veranlassten sie, ihren von Natur schon durch steile Felswände geschützten Wohnort noch mehr zu befestigen, und sie legten zu diesem Zweck außer starken Mauern auch eine Burg oder Akropolis an, welche in der heiligen Schrift ebenso wie die entsprechen Veste zu Sichem Mello genannt wird (Richt. 9, 6; 2. Sam. 5, 9).
Die Übernahme Jerusalems durch König David
Die Bedeutung, welche die Örtlichkeit hierdurch gewann, entging David nicht, als er sich durch Isboseths Tod an die Spitze von ganz Israel gestellt sah. Er wollte innerhalb seiner Besitzungen die Trutzveste einer feindseligen Macht nicht dulden,, sondern die Vorteile, welche die Lage der Stadt bot, zur Befestigung seiner eigenen Herrschaft ausnutzen. Nachdem er daher in Hebron öffentlich zum König gesalbt war, zog er mit seiner gesamten Macht nach Jerusalem, um Jebus in seine Gewalt zu bringen.
Die herausfordernde Sprache, womit die Jebusiter das Ansinnen der Übergabe beantworteten, entflammte den Mut der Belagerer, und sehr bald war „die Burg auf dem Sion“ erstürmt (2. Sam. 5, 7f.; 1. Par. 11, 4 u. 5) Hier schlug David nunmehr seine Residenz auf, und seitdem heißt Jebus oder Sion in der heiligen Schrift „die Davidsstadt“. Er vervollständigte vor allem die Befestigungen und war dann darauf bedacht, Wohnungen für sich und die Seinigen zu schaffen (2. Sam. 5, 9; 7, 2; 1. Par. 11, 7; 15, 1; 17, 1). Dabei duldete er aus Klugheit die Jebusiter als Beisassen und ließ sie in ungestörtem Besitz ihres Grundeigentums (2. Sam. 24, 16).
Der Bau des Tempels in Jerusalem durch König Salomon
In einem theokratischen Staat aber konnte, wie David wohl erkannte, eine Stadt den politischen Schwerpunkt nicht bilden, wenn sie nicht zugleich der religiöse Mittelpunkt des Volkes war. Sobald er daher seine Herrschaft durch Besiegung der Philister als der Erbfeind Israels gesichert hatte, zog er mit größter Feierlichkeit nach Kariathiarim, um die Bundeslade, welche dort seit ihrer Rückkehr aus dem Philisterland aufbewahrt wurde, nach dem Sion bringen zu lassen.
Die Stiftshütte, welche er nur als Provisorium betrachten konnte, ließ er zu Gabaon (1. Par. 16, 39 u. 40), weil er von vornherein aus politischen wie aus religiösen Beweggründen auf den Bau eines monumentalen Heiligtums bedacht war; auf Sion ward nur ein leichtes, aber kostbares Zelt für die Bundeslade aufgeschlagen (2. Sam. 7, 2 u. 17; 1. Par. 15, 1 u. 3; 16, 1; 17, 1).
Allein durch Nathan erfuhr er, dass Gott nicht von ihm, sondern von seinem Sohn einen Tempel gebaut haben wolle; er selbst konnte nur die Baukosten ansammeln und den Platz zum künftigen Gotteshaus bestimmen (2. Sam. 24, 16-25; 1. Par. 21, 15-28; 22, 1 u. 2) Dieser war ein großes Feld des Jebusiters Areuna, welches nach 2. Par. 3, 1 auf dem Berg Moria lag.
Als Salomon zur Regierung gelangt war, gab er seiner Frömmigkeit wie seiner Staatsklugheit dadurch den besten Ausdruck, dass er vor allem andern zur Erbauung eines Tempels schritt. Zu dem Ende wurde zuerst eine Ebene als Tempelplatz hergerichtet, indem aus den Tyropöon einerseits und dem Kedrontal andererseits gewaltige Mauern aus ungeheuren, geränderten Quadern aufgeführt wurden, während zum nördlichen Abschluss der Area fast gar keine, zum südlichen nur geringe Bauten auf dem Felsen nötig waren.
Um den Raum oben auszufüllen, wurde vielleicht schon damals ein teil der Felshöhe abgetragen. Vermutlich wurden sogleich auch an der Südseite des Tempels die Wohnungen der Hohenpriester, Priester und Leviten und auf dem Ostabhang des Ophel die Wohnungen der Nathinäer hergerichtet (vgl. 2. Esdr. 3, 26; 11, 21). In unmittelbarer Nähe des Tempelgebäudes errichtete Salomon dann einen Palast für sich, der fortan die Residenz der davidischen Könige blieb und deswegen 2. Esdr. 3, 25 kurzweg „das Königshaus“, 12, 36 aber „das Haus Davids“ heißt.
Es war ein Komplex von Hallen, Prunkgemächern und Wohnräumen, von welchem nach 3. Kön. 7, 1ff. Nur ein unvollkommener Begriff zu gewinnen ist. Derselbe war nach Süden durch einen hohen Turm (2. Esdr. 3, 25 u. 27), den Herdenturm (Mich. 4, 8), bewehrt, und an diesen schloss sich das Gefängnis (Jer. 32, 2) an.
Dieser Königsturm ist wohl der nämliche, welchen der Heiland (Luk. 13, 4) den Turm von Siloe nannte, als sein Einsturz das Zusammenbrechen der jüdischen Macht weissagte.
Von weiteren Prachtbauten Salomons wird das „Haus der Tochter Pharaos“, seiner Gemahlin, die bis zu dessen Vollendung in der „Stadt Davids“ gewohnt hatte, genannt (3. Kön. 7, 8), sowie „alles, was ihm in Jerusalem zu bauen gelüstete“. Salomons Regierung war überhaupt das Zeitalter des höchsten Aufschwungs für Jerusalem; sein Beispiel erweckte ohne Zweifel daselbst eine rege Baulust, zu deren Befriedigung er der Nation durch verständige Vorsorge die Mittel schaffte.
Die Sicherung der Stadt Jerusalem durch König Salomon
Mit der Verschönerung der Stadt ging deren Sicherung Hand in Hand.
Salomon befestigte vor allem, nachdem seine Gemahlin den Sion verlassen hatte, Mello, die Hauptbastion der Oberstadt, und baute darauf eine vollständige Mauer um das gesamte Jerusalem; dadurch „verschloss er die Lücke an der Stadt Davids“ (3. Kön. 11, 27), weil bis dahin der Sion ummauert, die Unterstadt aber noch nicht zu dem befestigten Komplex gezogen war.
Schließlich errichtete Salomon auch Gebäude zu Jerusalem, welche kein gesegnetes Andenken hinterließen; auf dem Berg des Ärgernisses erbaute er einen Tempel des Chamos; wo er den Tempel des Moloch und die übrigen Götzentempel für seine heidnischen Frauen errichtete, ist unbekannt. Unter der späteren Regierung Salomons und unter seinen Nachfolgern richtete sich die Spekulation der Häusererbauer naturgemäß auf die Umgebung des Tempels; so bedeckte sich die Gegend westlich und nördlich vom Tempel mit Geschäftshäusern.
Siehe dazu den Beitrag: Aufstieg und Fall von König Salomon
Die weitere Entwicklung der Stadt während der Königszeit
Aus diesem Stadtteil hat der hebräische Text von Jer. 37, 21 den einen Namen der „Bäckergasse“ aufbewahrt; die Namen von Straßen, welche später in der heiligen Schrift genannt werden, „die Oststraße“ (2. Par. 29, 4), „die breite Straße“ (2. Esdr. 3, 8), „die Stadttorstraße“ (2. Par. 32, 6), „die Straße vor dem Wassertor“ (2. Esdr. 8, 1 u. 3), „die Tempelstraße“ (1. Esdr. 10, 9), „die Ephraimstorstraße“ (2. Esdr. 8, 16), sind wohl nicht städtische Benennungen, sondern Verdeutlichungen des Schriftstellers.
Die Stadt entwickelte sich während der Königszeit hauptsächlich infolge des großen Fremdenverkehrs, welchen die Feier der drei großen Feste beim Tempel bewirkte. Für ihre fortschreitende Befestigung waren besonders Ozias, Joatham, Ezechias und Manasses tätig.
Ozias versah die mehr gefährdeten Tore an der Nordwestseite der Stadt, wo kein Taleinschnitt war, mit Türmen und Außenwerken (2. Par. 26, 9). Joatham befestigte die Mauer in der Nähe des Tempels (2. Par. 27, 3). Ezechias setzte Jerusalem beim Heranrücken des assyrischen Heeres in Verteidigungszustand, indem er sämtliche schadhafte Stellen an der Mauer ausbessern, überall die fehlenden Türme errichten und den Mello auf Sion noch stärker bewehren ließ (2. Par. 32, 5).
Manasses „baute die nicht zur Stadt Davids gehörige Mauer westlich vom ‚Sprudel im Tal‘ bis zum Fischtor und umgab den Ophel und machte sie überaus hoch“ (2. Par. 33, 14). Hier ist teils von einem Ausbau, teils von einem Neubau die Rede. Der Ausbau betraf die Ostmauer der Stadt westlich vom Marienquell, angefangen längs des Kedrontals hinauf bis zur Nordostecke der Stadt und außerdem die gesamte Befestigung des Ophel. Der Neubau war aber eine Mauer, welche von jener Nordostecke sich erst nördlich, dann westlich über das Tyropöon und wieder südlich bis zur vorhandenen Stadtmauer erstreckte und so den Hügel Bezetha mit in den Stadtbezirk zog.
Auf diese Weise erhielt Jerusalem diejenige Größe und Gestalt, welche sie bis zur Belagerung durch die Chaldäer bewahrte; sie bestand bis dahin aus Sion in der Oberstadt, aus Ophel, Moria und Bezetha, das damals Gareb hieß (Jer. 31, 39), in der Unterstadt.
Im Süden zog sich die Mauer zwischen Sion und Ophel um den tiefsten Teil des Tyropöon herum und bildete auf diese Weise einen Ärmel in die Stadt hinein. Seit Manasses war die gesamte Mauer mit Zinnen gekrönt und mit Türmen bewehrt (2. Par. 26, 9 u. 15; 32, 5). Vervollständigt wurde die Sicherung der Stadt durch einige besonders feste Turmbauten, von denen namentlich der Turm Hananeel (Jer. 31, 38) genannt wird. Von den Toren, welche die Mauern durchbrachen, werden aus dieser Zeit genannt:
das Fischtor (2. Par. 33, 14) an der Nordostecke der Stadt, dann westlich rund um die Stadt: das Ephraims- oder Benjaminstor (4. Kön. 14, 13; 2. Par. 25, 23), das Ecktor (4. Kön. 14, 13), das Taltor (2. Par. 26, 9), das Ziegel- oder Scherbentor (Jer. 19, 2), das Mitteltor (Jer. 39, 3), das Tor zwischen den zwei Mauern (4. Kön. 25, 4), das Rosstor (Jer. 31, 40). Wo das auch aus dieser Zeit genannte Tor des Stadtobersten Josue war, ist ungewiss.
Jerusalem wurde wiederholt erobert und geplündert
Trotz seiner starken Befestigung ward Jerusalem wiederholt von fremden Königen erobert und geplündert. Nachdem schon unter Roboam der ägyptische Pharao Sesac (3. Kön. 14, 26) die Schätze Jerusalems mit sich geführt hatte, nutzte der israelitische König Joas seinen Sieg über Amasias von Juda aus, indem er die Mauer auf eine lange Strecke niederreißen ließ (4. Kön. 14, 13); dieselbe ward von Ozias viel stärker wieder aufgebaut (Jos. Antt. 9, 10, 3) und hieß nun „die breite Mauer“ (2. Esdr. 3, 8; 12, 37).
Die Belagerung Jerusalems durch Sennacherib führte nur zum Verlust unbedeutender Außenwerke (Schrader, Keilinschr. Und A. T. 307) und ward dann durch Gottes Dazwischenkunft aufgehoben (4. Kön. 19, 35). Dagegen endigte die zweijährige Belagerung Jerusalems durch die Babylonier mit der vollständigen Zerstörung der Stadt (4. Kön. 25, 9 u. 10) Die gewaltige Mauer konnte damals nicht zerstört, d. h. Nicht niedergerissen werden; sie ward bloß gebrochen, indem man Lücken hineinriss und sie an geeigneten Stellen demolierte.
Wenigstens geht aus 2. Esdr. 3, 13 verglichen mit Vers 27 bis 33 hervor, dass die Beschädigung der alten Mauer nicht überall gleich groß war. Während der 70-jährigen Gefangenschaft blieb Jerusalem wüst in seinen Trümmern. –
aus: Wetzer und Welte Kirchenlexikon, Bd. 6, Sp. 1309 – Sp. 1319
Es gibt eine Animation über das antike Jerusalem auf der Website von GEO.
Bildquellen
- Jerusalem2_tango7174: wikimedia | CC BY-SA 4.0 International
- De_genezing_van_de_lamme_van_Bethesda._Rijksmuseum_SK-A-4892.jpeg: wikimedia