Aufstieg und Fall von König Salomon

König Salomon’s Aufstieg und Fall

Im Gedanken an eine schrankenlose Ausdehnung seiner Macht wählte er zu seiner ersten und vornehmsten Gemahlin die Tochter des ägyptischen Pharao, um mit dieser Verbindung in die Reihe der angesehenen Souveräne seiner Zeit zu treten. Für manchen der gesetzestreuen Israeliten mag dieser Schritt den ersten Anlass zur Besorgnis gegeben haben; denn wenn die Heimgeführte sich auch dazu verstand, in die Gemeinde Israels einzutreten, so ließ sich doch voraus sehen, daß diese Konversion nicht von nachhaltigen Folgen sein werde (vgl. 3. Kön. 11, 1 u. 8). Allein das richtige Gefühl von der Kluft, welche zwischen Israeliten und Ausländern bestand, konnte man bei einem jungen König nicht erwarten, der selbst eine Hethiterin zur Mutter hatte.

Sonst ließ sich Salomon von den religiösen Gedanken leiten, welche David und Nathan ihm eingeflößt hatten, und war sich der verantwortungsvollen Stellung, welche er angetreten hatte, vollkommen bewußt. Seine erste Sorge war daher, seiner Regierung eine religiöse Weihe zu verschaffen. Nach den damaligen Zeitumständen, wodurch das Opfern auf den Berghöhen noch erlaubt schien, begab er sich mit sämtlichen Großen seines Reiches nach Gabaon zu der leeren Stiftshütte, um dort durch ein großes und feierliches Opfer seine Regierung zu inaugurieren. Als Gott der Herr darauf Nachts im Traum ihm erschien und ihm alles zu geben verhieß, worum er bitten würde, erbat Salomon sich nichts Anderes als Weisheit bei Wahrnehmung seiner königlichen Pflichten und erhielt von Gott zum Lohn für seine Bescheidenheit nicht nur diese übernatürliche Gabe im Vorzug vor allen geschaffenen Menschen, sondern auch königliche Ehre und Reichtum ohnegleichen zugesichert. Voll Dank und Freude erwachte Salomon und eilte nach Jerusalem, um dort bei der Bundeslade eine Dankfeier abhalten zu lassen…

Die Zeit des Tempelbaus zu Jerusalem

Damals ward die Gefahr, daß er über dem Geschaffenen den Schöpfer vergessen hätte, noch durch die Folgen seiner religiösen Erziehung fern gehalten. Im Gegenteil trieb ihn jetzt Alles dazu an, als Erbe von Davids Gesinnung den Tempel aufzurichten, wozu sein Vater ihm überaus reiche Mittel hinterlassen hatte…

Als dann sämtliche Arbeiten vollendet waren, versammelte der König die Vertreter des ganzen Volkes zu Jerusalem, ließ in feierlichem Zug die Bundeslade von Sion in den Tempel bringen und feierte die Einweihung desselben durch Opfer ohne Zahl und durch ein herrliches Weihegebet, das uns 3. Kön. 8, 15ff; 2. Part. 6, 4ff erhalten ist. Wie mächtig er bei dieser Gelegenheit ergriffen war, zeigt sich daraus, daß er wiederholt das Volk segnete, nicht um sich priesterliche Rechte anzumaßen, sondern um seiner überströmenden Freude und Rührung einen Ausdruck zu geben (3. Kön. 8, 14; 2. Part. 6, 3)…

Überhaupt war die Zeit des Tempelbaues derjenige Abschnitt in Salomons Leben, während dessen die ihm eingepflanzte Frömmigkeit ihre schönsten Blüten trieb. Zeugnis davon sind noch heute die wunderbaren Schriften, welche aus dieser Zeit erhalten sind: vor Allem das Hohelied, worin er mit jugendzarter Innigkeit das Liebesleben zwischen Gott und der Menschenseele geschildert hat; dann die geheimnisvolle Abhandlung über die Weisheit, welche die Einleitung zu seinem Spruchbuch bildet (Spr. 1, 8 bis 9, 18); ferner die Sammlung von Weisheitssprüchen selbst (Spr. 10, 1 bis 24, 22), welche von ihm erhalten sind; wohl auch das Buch Job, das nach inneren Kennzeichen nur auf ihn zurück geführt werden kann (Kaulen, Einl. § 296). Mit welchen Gesinnungen er den Bau des Tempels unternommen und fortgeführt hat, zeigt der von ihm verfaßte Psalm 126. In dieser glückseligen Zeit entfaltete sich sein reicher Geist unter dem Hauch der göttlichen Gnade in ungewöhnlicher Weise…

Das Prachtbedürfnis von König Salomon

Nach Vollendung des Tempelbaues war diese goldene Zeit für das Volk noch nicht abgeschlossen, denn der Anblick des herrlichen Baues war ein stets neuer Antrieb für den König, seiner Baulust weitere Befriedigung zu verschaffen. Nachdem er Gott ein Haus errichtet, wollte er nun auch für sich und seine ägyptische Gemahlin einen Palast bauen, welcher seinen Begriffen von der königlichen Würde besser als Davids Residenz auf Sion entspräche. Dreizehn Jahre baute er an diesem Schloss zu Jerusalem, ehe er die Königin dort hinüber führte, und wie die Vorstellung von seiner königlichen Erhabenheit in ihm wuchs, so glaubte er immer neuere Bauten von Palästen und Landhäusern zu seiner äußeren Stellung zu bedürfen (vgl. 3. Kön. 9, 1 u. 19; Eccl. 2, 4ff).

Dem entsprechend richtete er auch seine Hofhaltung nach dem Maßstab ein, welchen die großen Herrscher des Orients befolgten, und entfaltete hierbei eine Pracht und einen Luxus, wofür uns jedes Verständnis fehlt. Auch seinem Reich wollte er eine angesehene Stellung verschaffen und sicherte es durch einen Kranz von Festungen, unter denen Tadmor oder Palmyra noch in späterer Zeit bewundert wurde. Das Volk, welchem eine solche Überschreitung der kleinen israelitischen Verhältnisse bedenklich werden konnte, gewann er dadurch, daß er die nötigen Frondienste Anfangs nur den nicht-israelitischen Beisassen auflegte (3. Kön. 9, 20ff; 2. Part. 2, 17f); dabei wußte er, den notgedrungenen Zug gegen das abgefallene Soba abgerechnet (2. Part. 8, 3), jeden Anlass zu kriegerischen Unternehmungen zu vermeiden, und seine Untertanen waren durch keine Differenz mit auswärtigen Mächten belästigt (3. Kön. 4, 24 u. 25).

Indes hatte eine solche Friedensstellung zu den heidnischen Nationen und eine solche Entfaltung der königlichen Herrlichkeit ihre großen religiösen Gefahren, und bei einer neuen Erscheinung, deren er gewürdigt wurde, klang durch Gottes Wort schon eine warnende Hinweisung auf die möglichen Folgen, welche daraus erwachsen konnten (3. Kön. 9, 6ff). Denn in demselben Maße, in welchem Salomon der irdischen Pracht und Herrlichkeit sein Herz öffnete, erkaltete darin die Begeisterung für das Göttliche, und das Verlangen, in der heidnischen Mitwelt geehrt und bewundert zu werden, machte ihn connivent (= tolerant, wohlwollend, geneigt) gegen die heidnischen Kulte, deren Verwerflichkeit niemand besser als er einsehen konnte. Dabei ward er durch seine Bauten und seine kostspielige Hofhaltung zu immer engerem Anschluss an das Ausland genötigt…

Salomon’s Prachtwahn führte zur Unzufriedenheit im Volk

Indem er aber nicht, wie sein Vater David, für die Zukunft sparte, sondern Alles seinem Prachtbedürfnis gemäß sofort verwendete, führte er auch in seine Residenzstadt einen Reichtum und eine Üppigkeit ein, welche Salomons Regierung als die Zeit höchster wirtschaftlicher Blüte erscheinen ließ und weithin bewundert und beneidet wurde (3. Kön. 10, 27). Leider ließ sich Salomon durch diesen Glanz ins einer Nähe, der den Vorstellungen von seiner königlichen Herrlichkeit entsprach, über die wirklichen Zustände seines Landes hinweg täuschen.

Als gar die Königin Saba zu Jerusalem erschien, um sich persönlich von seiner Weisheit und seinem Reichtum zu überzeugen, und in unerhörter Bewunderung heimkehrte, um alles, was sie zu Jerusalem gesehen, im fernen Osten kund zu machen, war Salomon auf dem Gipfel der Befriedigung, welche er erstrebte, und hatte weder Auge noch Ohr für alles das, was sich außerhalb Jerusalems vorbereitete. Allenthalben im Land waren seine Untertanen schwer gedrückt durch die Anwesenheit einer zahlreichen, durch das Land verteilten Wagen- und Reiterschar, welche nicht sowohl zur Verteidigung des Landes als zur Verherrlichung der königlichen Erscheinung diente; ein zahlloses Heer von Beamten und Hofleuten, deren Spitzen aus den Verwandten des Königs genommen waren, zehrte vom Mark des Landes; die Unterhaltung der königlichen Schlösser und Lustgärten verschlang große Summen, und so hatten Naturalleistungen, Steuern, Fronarbeiten aufgelegt werden müssen, welche wegen des Abstandes gegen frühere Zeiten überaus drückend empfunden wurden. Die Erkenntnis der Unzufriedenheit, welche in weiten Kreisen sich ausgebildet hatte, würde dem sonst so verständigen König nicht verschlossen geblieben sein, wenn er nicht in seiner Selbstbefriedigung nur auf Erhaltung des größten Glanzes und die Entfaltung seiner Majestät bedacht gewesen wäre. Hiermit war von selbst auch die Abwendung von Gott mit ihren unheilvollen Folgen gegeben.

Einrichtung eines Harems und Toleranz gegenüber heidnischen Religionen

Zur Pracht eines morgenländischen Herrschers gehört auch ein zahlreicher Harem, und seitdem sein Palast in Jerusalem vollendet war, hatte Salomon auch bei Einrichtung eines Harems alle verständigen Grenzen überschritten. Die heilige Schrift erzählt uns von 700 Frauen königlichen Ranges und 300 Nebenfrauen (3. Kön. 11, 3), und wenn auch diese nicht alle gleichzeitig gedacht werden müssen, oder wenn spätere Abschreiber diese Zahlen vergrößert haben, so ist doch sicher, daß Salomon, der nicht gewohnt war, bei Entfaltung seiner Pracht sich einen Wunsch zu versagen, in dieser Hinsicht seinen Neigungen ebenso wenig eine Schranke setzte.
Auch diejenige Grenze, welche die Verschiedenheit der Religion gezogen haben würde, beachtete er nicht mehr und wählte seine Frauen auch aus allen den heidnischen Nationen, welche seinem Zepter unterworfen waren oder mit denen er im Verkehr stand (3. Kön. 11, 1). Seine blinde Leidenschaft steigerte hierbei die Connivenz, welche er seit Langem dem Heidentum bewiesen hatte, zu einer Toleranz, welche dem Geist der israelitischen Religion auf’s Äußerste zuwider lief, und es war nur ein Schritt bis zu den Folgen, welche Gott der Herr durch das Verbot einer solchen Toleranz hatte verhüten wollen.

Aus Frauenliebe nahm Salomon teil am Götzendienst

Zwar mit inniger Zustimmung konnte ein Salomon dem Heidentum nicht huldigen; aber den Frauen zuliebe brachte er auch der Astarte und dem Moloch äußere Huldigungen dar; und wenn er diese auch nur als leere Zeremonien betrachtet haben mag, so gab er doch seinen Untertanen, die immer für die Reize des Götzendienstes empfänglich waren, ein ungeheures Ärgernis. Noch weiter ging er, als er auch für die Götzen, deren Dienst in seinem Palast betrieben wurde, Tempel baute. Zwar errichte er diese nicht in Jerusalem, sondern auf dem gegenüber liegenden Berg; gleichwohl scheint ihn auch hier der Größenwahn getrieben zu haben, daß seine Residenz für alle seine Untertanen gleichmäßig den religiösen Mittelpunkt und den vollkommensten Anziehungspunkt bilden müsse. Damit hatte er, der einst durch seinen herrlichen Tempelbau Gottes Erhabenheit über alle Götter bekunden wollte, jetzt die Majestät Gottes angetastet, indem er ihn zu einem neben vielen Göttern herab setzte.

An Frauenliebe ist Salomon zugrunde gegangen

Für dieses eidbrüchige Verbrechen traf ihn die Strafe durch Gottes Ankündigung, daß das Reich, welches er zu solcher Herrlichkeit erhoben, keinen Bestand haben werde. Einzig das ward ihm gegönnt, daß er den Untergang nicht erleben solle; aber es ward ihm dabei die demütigende Gewißheit, daß nicht, was er früher getan, sondern nur Davids Verdienste den strafenden Arm Gottes aufhielten (3. Kön. 11, 11 bis 13). Bald hatte er auch im Abfall des Edomiter-Fürsten Adad, in der Usurpation des damszenischen Thrones durch Razon, in den revolutionären Umtrieben Jeroboams den Beweis, daß Gottes Vorhersagung in Erfüllung gehen werde (3. Kön. 11, 14ff). Ob diese Gnadenfrist und diese Strafmittel ihn zur Bekehrung vor seinem Tod gebracht haben, ist eine Frage, welche von jeher verschieden beantwortet worden ist. So lange noch der Ecclesiastes als Salomons Werk angesehen wurde, glaubte man aus diesem Buch auf seine endliche Besserung schließen zu können; jetzt darf man hieraus wie aus dem Buch der Weisheit nichts Anderes entnehmen, als daß bei den Juden nicht bloß das Andenken an seine Pracht (vgl. Matth. 6, 29), sondern auch an seine frühere Weisheit fortgelebt hat. Daneben zeigt aber die wehmütige Klage des Ecclesiasticus (47, 15ff), wie groß die Tiefe seines Falles bei seinem Volk bemessen wurde.

Ungewissheit über sein ewiges Leben

So läßt einzig der Ausdruck der heiligen Schrift, daß er „zu seinen Vätern entschlief“ (3. Kön. 11, 43; 2. Part. 9, 31; Eccli. 47, 26), der Hoffnung noch Raum. Dennoch bleibt als Zeugnis der menschlichen Wandelbarkeit die Tatsache, daß der begeistertste Sänger und Verherrlicher der Gottesliebe an Frauenliebe zu Grunde gegangen, und daß die höchste Weisheit durch ungemessene Selbstverherrlichung zur Torheit geworden ist. Wie töricht es auch war, über der Stellung nach Außen die Solidität der inneren Zustände als das Fundament einer äußeren Machtstellung zu vergessen, bewies sich gleich nach seinem Tod, indem die Herrlichkeit des israelitischen Reiches sofort zusammen brach. –
aus: Wetzer und Welte`s Kirchenlexikon, Bd. 10, 1897, Sp. 1569 – Sp. 1575

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