Antisemitismus nach dem Ersten Weltkrieg
von P. Aloys Mager O.S.B.
Der Nationalismus in deutschen Landen (Anm.: nach dem 1. Weltkrieg) tritt in einer seiner typischen Erscheinungsformen, als Antisemitismus auf. Er vermeint in den Angehörigen des jüdischen Volkes die zersetzenden und zerstörenden Elemente sehen zu müssen, die den Zusammenbruch unseres Volkstums und Staatswesens verursachten. Wenn auch nicht ausschließlich, so doch hauptsächlich werden sie verantwortlich gemacht für die wirtschaftlichen und politischen Folgen der Nachkriegszeit. Aus einem Selbsterhaltungsinstinkt heraus halten sich völkische Elemente für verpflichtet, die Juden mit allen Mitteln des Hasses zu verfolgen.
Der Kampf gegen alle zersetzenden Elemente in Religion, Sitte und Kultur ist Pflicht
Es lässt sich nicht leugnen, dass die führenden Kräfte der Revolution, in die der Zusammenbruch in allen Staaten der Besiegten austobte, zum großen Teil aus dem jüdischen Volk stammten. Man kann auch nicht in Abrede stellen, dass auf allen Gebieten, der Religion, der Sitten und Kultur, in Politik und Wirtschaft, in Kunst- und Theaterwesen die überall zu Tage tretende Zersetzung vielfach auf jüdischen Einfluss zurückzuführen ist. Der Kampf gegen diese Einflüsse ist sowohl vom natürlichen als vom christlichen Standpunkt aus nicht nur erlaubt, sondern Pflicht.
Der Kampf aber darf nur den einzelnen schädlichen Individuen selber, nicht aber dem ganzen Volk oder der ganzen Rasse gelten, wie es der blinde Hass des Nationalismus will. Und selbst da müssen noch verschiedene Punkte wohl beachtet werden, soll die Gerechtigkeit – ich will gar nicht sagen die Liebe – nicht verletzt werden.
Einmal sind es nicht ausschließlich Juden, sondern in größerer Anzahl Christen, die den sittlichen und kulturellen Halt der Völker untergraben. Es wäre hier Statistik gegen Statistik aufzuführen. Es ist eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, die Juden als Gesamtheit mit dem Bannfluch des sogenannten Antisemitismus zu belegen. Es ist gegen Vernunft und Gerechtigkeit und erst recht gegen die Liebe, überhaupt von Antisemitismus zu reden oder gar den Antisemitismus zur Weltanschauung und zur Religion zu erheben.
Das Berechtigte, das im Antisemitismus liegt, gehört in eine andere Bewegung, die wir alle mit allen Mitteln unterstützen und fördern müssen, nämlich in die Bewegung, die zur Losung hat: Kampf gegen alle zersetzenden Elemente in Religion, Sitte und Kultur. Die Ironie des Schicksals könnte es fügen, daß unter denjenigen, gegen die dieser Kampf mit Recht geführt wird, die meisten jener Völkischen wären, die sich heute als gehässige Antisemiten gebärden.
Warum Angehörige des Judentums einen großen Anteil an den revolutionären Bewegungen haben
Eine Krankheit kann nur dann wirksam bekämpft werden, wenn man zuvor ihre Entstehung und ihre Ursachen kennt. Es ist nicht zufällig, dass gerade Angehörige des Judentums einen verhältnismäßig großen Anteil an allen zersetzenden und revolutionären Bewegungen haben. Seit ihrer Zerstreuung unter die Völker begegneten die Juden überall Abneigung und Verachtung. Sie wurden vielfach ausgeschieden aus der staatlichen Gemeinschaft und unter eine Ausnahme-Gesetzgebung gestellt. Es konnte nicht ausbleiben, daß durch dieses Vorgehen eine seelische Haltung sich ausbildete, die ressentiment-gesättigt war. Man suche sich einmal in die seelische Lage dieses Volkes einzufühlen. Müssen sich nicht all diese zurückgedrängten und zurückgestauten Gefühle und seelischen Kräfte in revolutionsartigen Ausbrüchen von Zeit zu Zeit Bahn schaffen!
Die christlichen Völker selber also tragen im Grunde genommen die Schuld an dem zersetzenden und negativen Einfluss, der vielfach vom Judentum ausgeht.
Ein Wort in der Heiligen Schrift heißt: „Worin der Mensch sündigt, darin wird er bestraft.“ Die Jahrhunderte lange offenkundige Verletzung der Gerechtigkeit und Liebe musste sich in negativem Sinne rächen. Wir dürfen uns nicht wundern, daß wir überall da, wo gegen die bestehende Ordnung offen Sturm gelaufen oder im Verborgenen Unterminierungs-Arbeit betrieben wird, immer auf jüdischen Einfluss stoßen.
Wozu ihre geistige Kulturüberlegenheit die Juden befähigt
Die Juden sind in Folge ihrer Jahrtausende alten Kultur ein geistig hochwertiges Volk, das alle anderen jüngeren Kulturvölker durch geistige Überlegenheit überragt. Sie sind ebenso große Verstandes- wie Willensmenschen. Auf allen Kulturgebieten verdanken wir ihnen hervorragende, wenn nicht Epoche machende Leistungen. Nur ein für Gerechtigkeit unempfindlicher Hass, wie er die treibende Kraft des Antisemitismus ist, kann diese Tatsache verkennen. Ihre geistige Kulturüberlegenheit befähigt die Juden in besonderer Weise, als Führer aufzutreten. Wenn wir dieses im Auge behalten und das im Laufe der Jahrhunderte groß gezogene Ressentiment damit in Verbindung bringen, so haben wir die Lösung dafür, dass gerade Juden in den revolutionären Bewegungen der Nachkriegszeit eine führende Rolle spielten.
Wir sehen aber auch den ungeheuren psychologischen Widerspruch, der darin liegt, durch den sogenannten Antisemitismus diesen zersetzenden Einfluss unschädlich machen zu wollen. Nur geistige Ertüchtigung, die zu ähnlich großen Leistungen befähigt, könnte hier einen Ausgleich schaffen. Oft genug ist es nur das Bewusstsein eigener Ohnmacht und Unfähigkeit, die man aber weder sich selber noch anderen eingestehen will, die die Seele des Antisemitismus ist.
Solange freie Bahn für den Tüchtigen ist, kann eine tüchtige Leistung nur durch eine gleichwertige überwunden werden. Die Erfahrung zeigt, dass in den Ländern, wo den Juden uneingeschränkte Freiheit und volle Gleichberechtigung mit den anderen Staatsbürgern nicht nur gesetzlich, sondern auch gesellschaftlich gewährt wird, sie kaum einen nennenswerten Einfluss auf das öffentliche Leben ausüben. Holland bietet dafür ein klassisches Beispiel. Vom Standpunkt allgemeiner Gerechtigkeit ist der Antisemitismus in sich halt- und rechtlos.
Im Licht der christlichen Liebe ist Antisemitismus ein Verbrechen
Wir betonten bereits, dass wir nicht mehr im Zustand der reinen Naturordnung leben, die vom Gesetz der Selbsterhaltung und Selbstbehauptung durchwaltet war. Er war überhaupt nie Wirklichkeit. Wir leben jetzt im Reich der Erlösung, in dem die erbsündige Unordnung durch die Macht der Liebe in eine übernatürliche Seinssphäre umgewandelt werden soll. Im Licht der Liebe betrachtet ist der Antisemitismus nicht nur eine Häresie, sondern geradezu ein Verbrechen. Wer in katholischer Überzeugung den Dingen und Zeitereignissen gegenüber tritt, wird bald feststellen müssen, dass die Judenfrage gar nicht rein natürlich gelöst werden kann. Der Schlüssel zur Lösung liegt, wie Paulus zeigt, in der Offenbarung, die nur im lebendigen Glauben ergriffen werden kann.
Eine höhere Hand ist hier im Spiel. So wie einst die Heiden nur in das Christentum hineinwachsen konnten, weil die Juden es verschmähten, so wird einmal die Zeit kommen, wo die Juden das Christentum aufnehmen werden. Ja, sie werden das Letzte und Tiefste der christlichen Religion in einzigartiger Weise verwirklichen, weil die sogenannten christlichen Völker in ein Neuheidentum zurücksinken. (siehe den Beitrag: Die Wiederbegnadigung Israels) Dann wird die Welt umspannende Macht des Christentums durch die in der Weltdiaspora zerstreuten Juden ihren letzten Triumph feiern. –
aus: Theodor de Bussières, Alphons Maria Ratisbonne, Ein neuer Bruder im Herrn, Einleitung, S. 19 – S. 23, 1926
Siehe dazu auch: Gebr. Lémann, Die Messias-Frage und das vaticanische Concil: