Hoffnung einer letzten Phase oder Periode der Wiedererkennung
Zweite Abteilung. Erstes Kapitel.
Vom Keim der Bosheit zu seiner Entfaltung und Fülle
III.
Von dem Keim, in welchem wir das Geheimnis der Bosheit beginnen sehen und in welchem Gott es wachsen lässt, gehen wir zu seinem andern Ende über, das heißt zu seiner Entfaltung und zu seiner Fülle.
Was wird, wenn durch die vollendete Untreue der christlichen Nationen der schlechte Keim zu seiner gänzlichen und unheilvollen Entfaltung gekommen, für die Welt daraus entstehen? Kann man es voraussehen?
Die Logik, wie die heilige Schrift ermächtigen uns zu antworten: die Welt wird einer ungeheuren Hungersnot zur Beute werden.
Wirklich besteht zwischen dem Unglauben des jüdischen Volkes und dem Unglauben der christlichen Nationen dieser notwendige und äußerst merkwürdige Unterschied: das jüdische Volk konnte den Messias in Seiner Person zurückstoßen, während Ihn die christlichen Nationen nur noch in Seinem Werk zurückstoßen können. Die Juden wollten nichts von Ihm wissen bei Seiner Ankunft; in der Macht der Nationen des Heidentums steht es, von Seiner Tätigkeit nichts wissen zu wollen; und da die Tätigkeit Christi das Christentum, die Kirche ist, so steht es in der Macht des Heidentums, von Ihm in Seiner Kirche nichts wissen zu wollen.
Nun aber, was wird geschehen, wenn das Heidentum, als „Versammlung der Nationen“ sich von dieser in der Kirche vor sich gehenden Tätigkeit Christi losmachen, befreien, sich ihrer entledigen wird?
Um den ganzen Umfang des Unglücks zu ermessen, muss man sich fragen: Was tut die Kirche seit bald zwanzig Jahrhunderten im Schoß des Heidentums?
Hört denn, christliche Nationen:
Die Kirche ist eine Arbeiterin.
Als Ihr zum ersten Mal ihr übergeben wurdet, gleichsam als ihr Feld, als ihr Acker, da wart Ihr entsetzlich anzusehen:
Ihr starrtet von Schrecknissen; von Wäldern, in denen Gräuel vorgingen; über und über bedeckte Euch dorniges Gestrüpp und meistens wart Ihr ein Schlachtfeld. Und die Kirche, nachdem sie sich mit dem Kreuz bezeichnet hatte, gab sich an die Arbeit, Euch urbar zu machen. Und die rüstige Arbeiterin grub hinab bis in die Tiefen der Katakomben, indem sie aus den Eingeweiden des Bodens die Wollust, die Furcht und alle jene schändlichen Sitten herausriss, welche vierzig Jahrhunderte der Ausschweifung darin eingewurzelt und verhärtet hatten. Und das Urbachmachen ging rasch.
Und niemals verlor die Kirche den Mut. Wenn man ihre Werke zerstörte, sah sie auf das Kreuz und begann ihre Arbeit mit erneuerter Liebe wieder. Wenn man sie am Ende einer Furche, die sie soeben gezogen, überraschte und ihr Blut vergoss, so düngte ihr vergossenes Blut die Furche. Und der Furchen wurden viele; sie bedeckten Europa, welches gleichsam das auserlesene Gebiet war, und schon sah man sie im Schoß Afrikas und Asiens.
Und wir Juden in unseren Ghettos, wir sind Zeuge aller dieser Wunder gewesen, ohne daß wir sie verhindern konnten und ohne daß wir Anteil daran nahmen. Das messianische Reich verwirklichte sich unter unseren Augen. Der Monotheismus, dessen eifersüchtige Bewahrer wir gewesen sind, Ihr Christen, habt ihn auf alle Punkte des Raumes verbreitet! Wenn neue Länder entdeckt wurden, begaben sich unsere Kaufleute dahin, um Gold zu suchen, Eure Missionare begaben sich dahin, um Seelen zu suchen! Eure Hospitäler haben uns gepflegt und wohl oder übel, das Christentum, dessen Dogmen wir zurückstießen, flößte und Ehrfurcht ein durch seine Sitten. O wie schön wart Ihr, Nationen! An Euch war die Schönheit der Zelte Jakobs vorüber gegangen. „Wie schön sind Deine Zelte, o Jakob, Deine Wohnungen, o Israel!“ (Num. 24)
Ach gewiss, es fanden oft mitten unter Euch merkwürdige Rückfälle in die Vergangenheit statt; es gab Kriege, Verheerungen, Räubereien, Verrat: aber dies war nicht die Schuld der Kirche und ihrer unermüdlichen Arbeit. Wenn es nur an ihr gehangen hätte, so würde das messianische Werk längst seine Vollendung erlangt und die Erde die Verwirklichung jener angekündigten Seligkeit gesehen haben: „Die Nationen werden ihr Schwerter zu Pflugscharen schmieden…; der Wolf wird bei dem Lamme wohnen… und ein kleiner Knabe sie treiben.“ (Is. 2, 4)
Nein, noch einmal, es war nicht die Schuld Eurer Kirche; die Schuld trug das Geschlecht der Bösen, die sich mühten, das messianische Reich zurück zu drängen, es waren die Leidenschaften, welche es verzögerte… Endlich aber, trotz aller dieser Hindernisse, war die Ernte herrlich gereift: die Ideen und die Sitten, die Familien und die Königreiche, alles war groß geworden, alles war gediehen. In Wahrheit, gleich Ägypten zu jener Zeit, als es den von uns verkauften Joseph besaß, war das Heidentum sichtbar gesegnet: es waren seine Jahre des Überflusses!
Die Kirche ist eine Arbeiterin. O Völker, dies ist ihre Rolle unter Euch gewesen.
Und jetzt vernehmt die Folge!
Wenn es wirklich eines Tages geschehen sollte, daß Ihr nicht mehr der Acker Christi und Seiner Kirche sein wolltet, werdet Ihr, der Logik und der Geschichte nach, in Eure vorige Verwilderung zurückfallen und alsdann wird man auf die Jahre des Überflusses eine entsetzliche Hungersnot folgen sehen.
Wie könnte es anders sein?
„Das Christentum ist das Gesetz des Lebens selbst. Keine Gesellschaft ist zu Grunde gegangen, kein königliches Geschlecht ist erloschen, keine Macht hat ein Ende genommen, als dadurch, daß man das im Christentum enthaltene Gesetz des Lebens verletzt hat.“ (Lacordaire)
Nun, wenn die Versammlung der Nationen das Gesetz des Lebens übertritt, so wird das Feld der Welt in eine solche Not geraten, daß die Kultur von zwanzig Jahrhunderten gefährdet erscheinen wird. „Auf die Jahre des Überflusses wird eine so große Unfruchtbarkeit folgen, daß man allen Überfluss vergessen wird, der vorher gewesen ist: denn die Hungersnot wird das ganze Land verzehren, und die Größe des Mangels wird die Größe des Überflusses zunichte machen.“ (Gen. 41, 30 u. 31) –
aus: Gebr. Lémann, Die Messiasfrage und das vatikanische Konzil, 1870, S. 76 – S. 79
Fortsetzung Kapitel 5 Teil 4: Wo findet sich das Geheimnis der Bosheit