Das Zeitalter der Revolutionen für die Päpste
Die Päpste von Pius VI. bis Pius X.
Allgemeine Übersicht
Eines Tages sprach unumwunden der heiligmäßige Erzbischof von Cambray, Fenelon, zu Ludwig XIV.: „Wie Sie von oben nach unten jedes Recht mit Füßen treten, so wird einst von unten nach oben revolutioniert werden.“ Das Wort ging auf schreckliche Weise in Erfüllung. Für die Schuldigen musste der unschuldige, sittenreine Ludwig XVI. als Opferlamm auf der Guillotine sein Leben hingeben. Die Fürsten Europas hatten sich Ludwig XIV. größtenteils in der Verschwendung und Sittenlosigkeit, wie in der Knechtung der Kirche und der Untertanen zum Vorbild genommen: der aufgeklärte Absolutismus herrschte in allen Ländern Europas. Dabei hatten die geheimen Gesellschaften, die Liederlichkeit sowie der Unglaube zahlreiche Vertreter an den Höfen und in den Regierungs- wie Unterrichtskreisen. So zogen die Irreligiosität, der Unglaube und die sittliche Fäulnis immer weitere Kreise und steckten Adel, Bürgertum und Volk an. Dafür mussten die Fürsten wie die Völker die Zuchtrute fühlen. Die Revolution verschlang allerdings ihre eigenen Urheber, aber sie hielt, wie einer dieser Gewaltmenschen voraus gesagt, ihren Umzug durch Europa und hat auch jetzt noch nicht ihr Ende gefunden. Alle Anzeichen deuten darauf hin, daß wir gewaltigen Katastrophen entgegen gehen. Während dieser Periode wurden Throne nacheinander gestürzt, Fürsten vertrieben, Kaiser und Könige, Präsidenten und Minister durch Meuchelmord beseitigt. Kein Zeitalter hat so viele Attentate auf gekrönte Häupter und Vertreter der öffentlichen Gewalt zu verzeichnen wie das gegenwärtige. Und dennoch wollen die Machthaber nicht weise werden. Statt die Hilfe der Religion, der Kirche und die der Päpste, die allein die wankenden Throne stützen und die Zertrümmerung der Gesellschaft aufhalten könnte, zu benützen und mit ihnen Hand in Hand zu gehen, lassen die Regierungen nicht ab, deren Einfluß zu untergraben und an ihrem Untergang zu arbeiten. Glänzend bewahrheiten sich jedoch die Worte des Heilandes: „Und die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen.“
Wenn wir die Geschichte der acht Päpste dieses Zeitraumes uns vergegenwärtigen, so sehen wir ihr Leben mit großen Bedrängnissen, aber auch mit segensreicher Tätigkeit und mit großen Tröstungen durchwirkt.
Das Leben der Päpste mit großen Bedrängnissen
War ihnen auch nicht ein blutiges, so wahrlich ein unblutiges Martyrium beschieden. Die persönlichen Verfolgungen wurden ihnen von Katholiken angetan. Der erste Papst dieser Periode, Pius VI., wurde ein Opfer der Revolution und starb im Gefängnis. Sein Nachfolger, Pius VII., hatte gleichfalls als Gefangener die Brutalitäten des übermütigen Welteroberers, Napoleon I., jahrelang zu erdulden. Der edle Pius IX. musste sich vor der Revolution flüchten; später seiner Länder beraubt, schloß er seine Augen als moralisch Gefangener im Vatikan. Seine Nachfolger teilten das gleiche Schicksal. Nicht minder litten die Päpste durch die Bedrängnisse, die der Kirche und den Gläubigen in den verschiedenen Ländern des Erdkreises zugefügt wurden: es ist nicht möglich, all diese abzuführen. Ein furchtbarer Sturm brach gegen das Christentum in Frankreich los und überbot an Gräueln, Sakrilegien und Mordtaten die grausamsten Verfolgungen, welche die Geschichte kennt. Vorher schon hatte die Kaiserin Katharina von Russland die mit der katholischen Kirche vereinigten Ruthenen verfolgt und gegen acht Millionen Seelen durch List und Gewalt dem wahren Glauben entrissen… Scharen treuer Bekenner erlitten unter unmenschlichen Qualen den Martertod. In Deutschland brach 1871 der Kulturkampf aus. Man suchte die Katholiken gewaltsam von ihrem Oberhaupt loszureißen. Ihre unerschütterliche Glaubenstreue triumphierte aber über alle Gewalttat und zwang den siegestrunkenen Reichskanzler Bismarck, den Kampf einzustellen, sich mit dem Papst auszusöhnen und der Kirche in Deutschland den Frieden zu geben. Noch war der Kulturkampf in Deutschland nicht beendet, als in Frankreich die Angriffe auf die Kirche von neuem begannen und planmäßig bis jetzt fortgesetzt wurden. Die Vernichtung der katholischen Kirche ist das Ziel der Regierungsgewalt. Man will die Katholiken aller Rechte, ihrer Kirchen und Schulen berauben. Knechtung und Verfolgung der Kirche wird auch in anderen katholischen Ländern wie Spanien, Portugal, Italien nicht so sehr mit Gewalt als vielmehr durch Umtriebe der Loge versucht.
Während dieser ganzen Periode dauerten die Christenverfolgungen im Orient und bei den Heiden fast ununterbrochen fort; ließen sie in einem Lande etwas nach, traten sie in einem anderen wieder auf, so in Korea, China, Tonking, Annam und Chochin-China, auch einige Zeit in Japan.
Mitten in den Bedrängnissen gibt es Erfolge
Inmitten dieser Bedrängnisse entfalteten die Päpste eine ebenso unermüdliche wie erfolgreiche Tätigkeit nach innen sowohl zum Schutz des Glaubens als auch nach außen zur Verbreitung des Glaubens. Energisch warnten die Päpste vor den geheimen Gesellschaften, die ebenso den Altar wie den Thron bedrohten und belegten mit der Exkommunikation die Mitglieder derselben. In den zahlreichen Hirtenschreiben verwarfen sie die Zeitirrtümer, erklärten die Rechte wie die Grenzen der menschlichen Vernunft auf dem Gebiet des Glaubens, die Rechte der Fürsten wie ihre Pflichten, die Rechte und Pflichten der Untertanen wie der Arbeiter und traten ein für die Heiligkeit der Ehe, für die Rechte der Eltern und Kinder und die christliche Schule. Die Veröffentlichung des sogenannten Syllabus (1864), eines Verzeichnisses von 80 Irrtümern, die verworfen wurden, die Erklärung der Unbefleckten Empfängnis der Mutter Gottes als Glaubenssatz (1854), sowie das allgemeine Konzilium vom Vatikan (1869-1870) sind beredten Zeugnisse von der Hirtensorgfalt und der Lehrtätigkeit des apostolischen Stuhles.
Wie die Päpste zum Schutz der Religion nach innen tätig waren, so sorgten sie auch für die Verbreitung des Glaubens. In keiner anderen Periode der Kirchengeschichte nahmen die auswärtigen Missionen einen so großartigen Aufschwung wie in der gegenwärtigen, so daß der Kirche jährlich an vier Millionen Gläubige zukamen. Vom höchsten Norden bis hinunter in den tiefsten Süden, bei den Lappen wie bei den Patagoniern finden wir die katholischen Missionare tätig. Neue Anstalten wurden zur Heranbildung von Missionaren errichtet, neue Kongregationen traten ins Leben, die sich die auswärtigen Missionen zur Aufgabe stellten und wetteiferten mit den alten Orden. Verschiedene religiöse Vereine entstanden zur materiellen wie geistigen Unterstützung der Missionen: die Leopoldinen-Stiftung, der Ludwigsverein, der Verein zum hl. Grab, der Kindheit, Jesu-Verein, der Bonifatius-Verein, der Peter-Klaver-Verein in Österreich und Deutschland, der Lyoner Verein zur Verbreitung des Glaubens (1822 gegründet, der bedeutendste). Dazu kamen nun auch weibliche Kongregationen und unterstützten auf das wirksamste die Arbeiten der Missionare. Die Päpste sind die Hauptträger dieser herrlichen Kraftentfaltung. Sie haben die Vereine und Kongregationen gebilligt und gefördert, die Genossenschaften in ihrer Arbeit bestärkt, die Missionare gesandt, ihnen das Feld ihrer Tätigkeit überwiesen und sie in Schutz genommen und im Laufe dieser Zeit bei 400 Missionsdiözesen errichtet.
Tröstungen erfreuten die Päpste
Mit dem Psalmisten konnten die Päpste sprechen: „Nach der Menge meiner Schmerzen in meinem Herzen erfreuten deine Tröstungen meine Seele. (Psalm 93,19). Dem vielfachen Weh entsprachen die Tröstungen, mit denen Gott der Herr die Päpste beglückte.
Vorerst bereitete großen Trost der mächtige Aufschwung, den die katholische Religion unter den Heiden und in den protestantischen Ländern nahm. Millionen Heiden wurden während dieser Periode der Kirche in den verschiedenen Weltteilen einverleibt. In Nordamerika stieg die Zahl der Katholiken von ungefähr zwei Millionen auf 14 Millionen. In Deutschland gab es im 19. Jahrhundert 17 Konvertiten aus regierenden Häusern, 9 aus fürstlichen Familien. Sehr groß ist die Zahl der Gelehrten und Künstler, welche zur katholischen Kirche zurückkehrten. Am großartigsten ist die Zahl der Konversionen in England. Vor einigen Jahren veröffentlichte ein Engländer ein Buch, in welchem er die Zahl der jährlich zur Kirche zurückkehrenden Engländer auf 10000 schätzte.
Einen weiteren Trost bereitete den Päpsten die Anhänglichkeit, die sie unter den Gläubigen fanden. Je mehr die Regierungen sich gegen den Papst gleichgültig oder feindselig erwiesen, umso mehr offenbarte sich die Liebe gegen den Statthalter Christi auf Erden, so daß dieselbe in dem Maße zunahm, in welchem die irdische Macht des Papsttums schwand. Diese Anhänglichkeit äußert sich in der innigen Verbindung, in welcher die Bischöfe der ganzen Welt sowie die Priester und Ordensleute mit dem Papst stehen, in dem mächtige Zuge, den sie alle nach Rom haben, in der bereitwilligen Unterwürfigkeit unter die Entscheidungen des römischen Stuhles. Ein dritter Trost wurde den Päpsten dadurch zuteil, daß Gott die Kirche mit dem Glanz vieler heiliger Glieder zierte. Mehrere von ihnen sind bereits selig gesprochen, von anderen wird der Seligsprechungs-Prozeß gegenwärtig verhandelt, andere sind nach einem wahrhaft vollkommenen Leben im Ruf der Heiligkeit gestorben. Es sind Bischöfe, Priester, Ordensleute und Laien. Unter den Bischöfen sind drei Österreicher, deren Seligsprechungs-Prozeß im Gange ist. Bischof Tschiderer von Trient (†1860), Johann Nepomuk Neumann, Bischof von Philadelphia, geboren aus Prachatitz in Böhmen ((†1860), Bischof Franz Josef Rudigier (1884).
Seliggesprochen ist bereits Vianney, Pfarrer von Ars, Frankreich. Ohne Talente, welche die Welt schätzt und bewundert, erzielte Vianney die staunenswertesten Erfolge. Ungläubige Gelehrte überzeugte er, die hartnäckigsten Sünder bekehrte er, Tausende gewann er für Gott. Er starb 1857 und wurde (1904) selig gesprochen. Ein Seitenstück zu diesem Apostel Frankreichs war der selige Klemens Maria Hofbauer, der Apostel von Wien, der 1820 gestorben ist und 1888 selig gesprochen wurde. Er wirkte als Priester unermeßlich viel zum Heil der Seelen, bis er endlich in Wien die Augen schloß. Unter denjenigen, deren Seligsprechungs-Prozeß im Gange ist, finden wir eine Königin, Maria Christina von Neapel, die 1836 gestorben und Anna Maria Taigi, eine arme Frau und Mutter von sieben Kindern, die unter vielen Leiden und Sorgen in Armut und Dürftigkeit ihre Tage zugebracht und 1837 in Rom gestorben ist. Die Zahl jener, die bereits selig gesprochen sind oder deren Seligsprechungs-Prozeß eingeleitet ist, übersteigt 300. –
aus: Andreas Hamerle C.Ss.R., Geschichte der Päpste, III. Band, 1907, S. 599 – S. 601