Das Zeitalter der Revolutionen
Papst Pius IX. ein unblutiger Märtyrer
Am zweiten Tag nach dem Eintritt der Kardinäle ins Konklave wurde der Kardinal Johann Maria Mastai-Ferretti, Bischof von Imola, auf den Stuhl des hl. Petrus unter dem Namen Pius IX. erhoben. Geboren in Sinigaglia am 13. März 1792 aus einer gräflichen, aber armen Familie hatte der junge Mastai bereits 1809 vom Bischof von Volterra die Tonsur erhalten, aber wegen wiederholter epileptischer Anfälle schien es ihm unmöglich, einen regelrechten Studiengang einzuhalten. Nach einem heftigen Anfall dieser gefürchteten Krankheit wandte er sich an die Mutter Gottes in Loreto. (siehe den Beitrag: Übertragung des hl. Hauses von Loreto) Bald schwand die Krankheit, so daß er am 10. April 1819 die Priesterweihe empfangen konnte. Gregor XVI. machte ihn 1832 zum Bischof von Spoleto und von Imola. In beiden Diözesen arbeitete Mastai als Oberhirt an der Heranbildung würdiger Priester und an der Hebung des Klerus und des Volkes durch Abhaltung von Exerzitien und Missionen und durch Verbreitung guter Bücher. Da bei der damaligen revolutionären Gärung Mastai mehr bemüht war, die Verirrten mit Milde zu gewinnen, als sie mit Gewaltmaßnahmen nieder zu halten, wurde er selbst als ein liberaler Bischof verdächtigt. Für seine ausgezeichneten Dienste ernannte ihn Gregor XVI. 1840 zum Kardinal. Kein Papst hatte im Laufe der 1900 Jahre den Stuhl Petri so lange inne. Um in wenigen Gesichtspunkten dieses Pontifikat zu kennzeichnen, könnte man sagen: Pius IX. war ein, wenn auch unblutiger, doch nicht weniger heldenmütiger Märtyrer, ein großartiger Apostel, ein mächtiger Magnet der Seelen.
Der unblutige Märtyrer
Beim Antritt der Regierung Pius IX. schien der Kirchenstaat zwar äußerlich ruhig, aber innerlich war er von geheimen Gesellschaften durchwühlt, die nichts anderes planten, als den Papst seiner weltlichen Herrschaft zu berauben und Rom zur Hauptstadt des geeinten Italien zu machen. Zu diesem Unternehmen wollte Sardinien unter dem ehrgeizigen König Karl Albert die Hände bieten. Der gute Papst gab das strenge Regiment seines Vorgängers auf und hoffte durch Milde und Nachsicht die irre geleiteten Gemüter zu gewinnen. Er erteilte allgemeine Amnestie, indem er allen politischen Verbrechern die Kerker öffnete; zugleich versprach er zeitgemäße Reformen im Kirchenstaat und brachte auch einige sofort in Ausführung. Dafür wurde er gleichsam vergöttert; der Jubel wollte kein Ende nehmen. Diese Kundgebungen wurden aber nur zu neuen Wühlereien benützt. Als dann die Revolution in Paris und Wien 1848 ausbrach, schlugen die Flammen des Aufruhrs überall in Italien und im Kirchenstaat empor. König Albert stellte sich an die Spitze der Empörer und fiel in die Lombardei ein, um Österreich zu vertreiben. Der Papst wurde von einem Zugeständnis zum anderen gedrängt und gebieterisch aufgefordert, die Österreicher zu bekriegen. Als er aber diesem Ansinnen sich widersetzte, wurde in den Klubs der Antrag gestellt, den bisher vergötterten Papst als einen Vaterlands-Verräter zu erklären. Trotz der entschiedenen Weigerung des Papstes und seines öffentlichen Protestes gab der verräterische Minister dem General Durando den Befehl, den Po zu überschreiten, ins österreichische Gebiet einzurücken und sich mit den sardinischen Truppen zu vereinigen. Um in Rom Ruhe und Ordnung herzustellen, berief Pius den Grafen Rossi als Minister. Als dieser das Parlament eröffnen wollte, wurde er auf den Stufen vor dem Eintritt in dasselbe erdolcht. Die radikalen Elemente rissen die Gewalt immer mehr an sich, der Papst wurde im Quirinal wie ein Gefangener bewacht; einer seiner Sekretäre, Palma, durch das Fenster erschossen. Um dieser unwürdigen Lage und der drohenden Gefahr zu entgehen, entschloss sich Pius IX., zu fliehen. Mit Hilfe des französischen und bayrischen Gesandten entkam er glücklich seinen Wächtern und gelangte in das Neapolitanische, wo er vom König mit allen Ehren aufgenommen wurde und zuerst in Gaëta, hierauf in Portici seinen Aufenthalt nahm. Unterdessen wurde in Rom die weltliche Gewalt des Papstes abgeschafft und die Republik ausgerufen. Eine rücksichtslose Gewaltherrschaft begann und Sakrilegien und Gräuel aller Art wurden verübt. Von Gaëta aus bat Pius um Schutz für seine Rechte bei den katholischen Mächten. Die Österreicher, die den Sardenkönig unter Radetzky besiegt hatten, die Neapolitaner und Spanier erschienen und warfen den Aufstand nieder; der französische Marschall Oudinot nahm Rom ein und machte der Republik und ihren Gräueln ein Ende. Nach 17monatiger Abwesenheit kehrte Pius unter dem Jubel der Gutgesinnten nach Rom zurück. Eifrig bemühte er sich fortan, die Wunden, welche die Revolution seinen Statten geschlagen hatte, zu heilen, führte zeitgemäße Reformen ein und traf heilsame Verordnungen zum Wohl seiner Untertanen, so daß er die von der Republik hinterlassene Staatsschuld von 2 ½ Millionen Skudi im Jahre 1858 vollständig getilgt hatte.
Unterdessen arbeiteten aber die Verschwörer – an ihrer Spitze die Freimaurer – unablässig an der Unterwühlung des Kirchenstaates weiter und fanden hierin Förderung und Unterstützung von Seiten Sardiniens, Frankreichs und Englands. Als dann im Krieg 1859 Österreich den vereinigten Waffen Sardiniens und Frankreichs unterlegen war und die Lombardei verlor, wurden die italienischen Fürsten von Parma, Modena und Toskana wie auch der König von Neapel vertrieben und dem Papst der größte Teil des Kirchenstaates entrissen…
Viktor Emanuel konnte unter Gutheißung Napoleons das übrige Italien annektieren und seine Residenz in Florenz aufschlagen. So vergalt jetzt Napoleon III. seinem ehemaligen Beschützer und Retter vor Tod und Gefängnis! Auf alle Fälle bemühte man sich, den Papst dahin zu vermögen, daß er den Raub anerkenne; jedoch vergebens! Obschon von allen Mächten im Stich gelassen, hielt der Papst der brutalen Gewalt sein heiliges Recht entgegen und erwiderte auf jede Lockung wie Drohung das entschiedene Non possumus (Wir können nicht!). Aber auch jetzt blieb Pius nicht ungefährdet. Immer wieder unternahmen die Freischaren, namentlich unter Führung Garibaldis, mit Billigung und Unterstützung der italienischen Regierung Einfälle, um den Papst des letzten Restes seiner Länder zu berauben, wurden aber 1867 blutig zurück geschlagen. So war es dem Papst möglich, in feierlichster Weise sein Priesterjubiläum 1869 zu begehen und das vatikanische Konzil am 8. Dezember 1869 zu eröffnen.
Wie im Jahre 1870 infolge des Krieges mit Preußen Napoleon III. die Truppen, die er aus Politik zum Schutz des Papstes in Rom zurück gelassen hatte, abberief, bemächtigte sich Viktor Emanuel am 20. September 1870 der Stadt. Rom und der ganze Kirchenstaat wurden dem Königreich Italien einverleibt, dem Papst erkannte man die Würde eines Souveräns zu und wies ihm 3 ¼ Millionen Franken an. Pius lehnte aber das Anerbieten beharrlich ab, um nicht durch die Annahme das an ihm verübte Unrecht gut zu heißen. Von seinen Palästen wurde ihm der Vatikan belassen und diesen verließ Pius bis zu seinem Tode nicht mehr. So ward endlich das Ziel erreicht; der Papst sollte keinen Staat mehr haben, er sollte kein weltlicher Fürst mehr sein. Hatten sich auch verschiedene Faktoren an der Ausführung dieses verruchten Planes beteiligt, so waren doch die eigentlichen Treiber die Freimaurer. –
aus: Andreas Hamerle C.Ss.R., Geschichte der Päpste, III. Band, 1907, S. 615 – S. 617