Das Zeitalter der Revolutionen
Das Pontifikat von Papst Pius VI. (regierte von 1775-1799)
Die Wahl Pius VI.
Die neue Wahl nach dem Tode des Papstes Klemens XIV. verzögerte sich bis zum 15. Februar des Jahres 1775. An diesem Tage wurde der Kardinal-Priester Johannes Braschi zum Papst gewählt. Er war geboren am 27. Dezember des Jahres 1717 zu Cesana aus eine adeligen, aber nicht reichen Geschlecht. Unter Papst Benedikt XIV. trat er in den Dienst der römischen Kirche und wurde im Jahre 1773 von Papst Klemens XIV. zum Kardinal ernannt. Kardinal Johannes zeichnete sich durch besondere Frömmigkeit und Milde aus und vereinigte in sich alle Eigenschaften, die eine recht glückliche Regierung verhießen. Und doch sollte sie eine der dornenvollsten sein. Selten hat ein Papst so bitteren Schmerz und schweren Kummer gerade von katholischen Fürsten zu ertragen bekommen, die dieser. Im Augenblick der Wahl warf sich Pius auf die Knie nieder und betete so innig zu Gott um Beistand, daß alle Kardinäle mit ihm weinten. Endlich erhob er sich und sprach: „Geliebte Brüder! Eure Arbeit ist vollendet, aber wie unglücklich ist der Ausgang für mich.“ Der neue Papst fing seine Regierung damit an, daß er den Armen reichlich Almosen austeilte und alle jene Beamten zur Rechenschaft zog, die ihre Pflicht verletzt hatten. Leichtsinnigen Beamten entzog er die Stellung und sogar die Pensionen. Sonst war er im Verkehr mit seinen Untertanen leutselig, dabei arbeitsam und ungemein mäßig.
Papst Pius VI. ein eifriger Hirte
Papst Pius besaß im vollsten Sinne des Wortes eine edle Seele. Majestätisch trat er auf, wenn er irgend eine kirchliche Handlung vornahm, so daß selbst Protestanten ihn bewunderten. Niemand konnte ihn ohne Rührung sehen, wenn er, in heilige Andacht versunken, vor dem Tabernakel kniend, das Auge mit Tränen gefüllt zum Himmel empor blickte.
Den Römern war er ein edler und liebenswürdiger Fürst. Er wollte nur das zeitliche Glück und die Wohlfahrt seines Volkes befördern. Zu diesem Zweck suchte er die pontinischen Sümpfe südlich von Rom trocken zu legen, um das Land für den Ackerbau brauchbar zu machen. Den Handel hob er, indem er viele alte Beschränkungen entfernte und den Meereshafen von Ancona verbesserte. Ferner restaurierte er die appische Straße. Durch große Bauten verschaffte der heilige Vater den Armen Arbeit und Verdienst. Auch für die Missionen sorgte Pius in väterlicher Liebe. Dem König Gustav II. von Schweden legte er den Schutz der katholischen Untertanen ernstlich ans Herz. In Kleinasien kehrten viele Irrgläubige wieder zur katholischen Kirche zurück. Am Libanon-Gebirge wurde das Kloster St. Maria gestiftet und vom heiligen Vater im Jahre 1787 anerkannt. Ebenso bestätigte Papst Pius zwei Patriarchen des Morgenlandes und sorgte für Erbauung eines großen Klosters als Patriarchen-Sitz. Nach Kairo in Afrika schickte er im Jahre 1781 einen päpstlichen Stellvertreter. Wenn er seine guten und nützlichen Pläne nicht vollständig ausgeführt hat, so tragen die Ereignisse daran Schuld, die lange vorbereitet und eingeleitet über den Papst, über Rom, über ganz Europa hereinbrachen. Pius hielt sich als Ratgeber nur ausgezeichnete frühere Jesuiten, wie den berühmten Pater Zaccaria. Dem verstorbenen Jesuiten-General Ricci ließ er eine glänzende Totenfeier halten und ihn in der Kirche des Ordens an der Seite seiner Vorgänger ehrenvoll bestatten. Auch sonst suchte der heilige Vater die Lage der Jesuiten nach Möglichkeit zu mildern, da man ihnen alles genommen hatte.
Die Reise des Papstes nach Wien
In Österreich starb die Kaiserin Maria Theresia, ihr Sohn Joseph II. übernahm die Regierung des Reiches. Die verkehrten Anschauungen der Zeit hatten dem jungen Mann den Kopf verwirrt. Es genügte ihm nicht, Kaiser zu sein, er wollte auch die Kirche in seinem Lande regieren. Er schrieb den Bischöfen vor, wie viele Priester sie weihen, den Geistlichen, wie sie Messelesen, taufen und Beichte hören, wie viele Kerzen sie auf den Altären anzünden sollten. Sogar der protestantische König Friedrich lachte über einen so kleinlichen Kaiser und nannte ihn spottweise „seinen lieben Bruder Sakristan“. Joseph hob im ganzen dreihundert Klöster auf. Der Papst warnte mit allem Ernst; als aber dies nichts half, faßte er den Entschluss, eine Reise nach Wien zu unternehmen, um mit dem Kaiser selbst reden und ihn auf andere Wege bringen zu können. Die Kardinäle suchten den heiligen Vater von einem solchen beschwerlichen Vorhaben abzuhalten. Aber Pius sprach: „Wir gehen, wohin uns die Pflicht ruft, gerade so, wie wir zum Martertod gehen würden, wenn das Wohl der heiligen Religion es forderte. Um diese zu verteidigen, haben die Nachfolger des heiligen Petrus sich nie geweigert, ihr Leben zum Opfer zu bringen. Auch wir dürfen das Schifflein Petri im Sturm nicht im Stich lassen.“
Die Reise des heiligen Vaters im Jahre 1782 nach Deutschland und Wien war ein Ereignis, das ganz Europa in Bewegung brachte. Seit Jahrhunderten hatte kein Papst mehr Deutschland betreten. Das gläubige Volk bereitete sich überall vor, den Statthalter Jesu Christi würdig zu empfangen. Die ganze Reise war somit ein ununterbrochener Triumphzug; unzählige Volksscharen begleiteten den päpstlichenWagen von einer Stadt zur andern. Als endlich Pius am 22. März des Jahres 1782 in Wien einzog, lagen Tausende von Andächtigen auf den Knien und empfingen den apostolischen Segen. Die Wiener hatten allen Grund, dem heiligen Vater zuzujubeln; denn ohne die Päpste wäre Wien eine türkische Stadt oder längst verwüstet worden.
Der Kaiser begegnete äußerlich seinem hohen Gast mit der größten Artigkeit. Aber in Wirklichkeit hielt er ihn in seinem Palast wie einen Gefangenen, der mit niemand verkehren durfte. Der Papst erreichte beim Kaiser nichts. Dagegen wurden höchst verletzende und anstößige Flugblätter gegen den heiligen Vater in Wien verbreitet. Noch ärger trieb es Kaunitz, der erste Minister des Kaisers. Dieser niedrig denkende Mensch war Freimaurer und der böse Berater des Kaisers. –
aus: Chrysostomus Stangl, kath. Weltpriester, Die Statthalter Jesu Christi auf Erden, 1907, S. 701 – S. 703
Die Auswirkungen des Josephinismus
Traurig verließ Pius VI. nach vierwöchigem Aufenthalt Wien, der Kaiser begleitete ihn bis Mariabrunn. Der Papst nahm den Weg nach Bayern, besuchte München, hernach Augsburg und kehrte über Tirol nach Rom zurück. Unterdessen schritt die Regierung auf dem betretenen Weg unbehindert fort; sie hob die Diözesan-Preister-Seminarien auf und errichtete dafür General-Seminarien, an welchen unkirchliche Professoren ungescheut ihre verderblichen Lehren vortrugen. Nur die in diesen Instituten gebildeten Geistlichen durften auf eine Anstellung in den Staaten des Kaisers rechnen. Einen gewaltigen Widerstand rief Joseph II. durch das sogenannte Ehepatent hervor, durch welches er das katholische Eherecht völlig umstürzte. Neben diesen kirchlichen Neuerungen wurde auch in die bürgerlichen Rechte und Freiheiten einzelner Kronländer eingegriffen. Das rief gewaltige Gärungen in Ungarn, Tirol und Böhmen hervor. In Belgien, das seit 1714 zu Österreich gehörte, brach ein förmlicher Aufstand aus. Jetzt bat der Kaiser den Papst um Vermittlung, er möge die Belgier beschwichtigen. In edler Selbstverleugnung tat es Pius VI. Zu spät! Belgien ging dem Hause Österreich durch die Revolutionskriege für immer verloren. Im Jahre 1790 starb Joseph II., nachdem er sich selbst die Grabschrift bestimmt hatte: „Hier ruht ein Fürst, dessen Absicht rein war, der aber das Unglück hatte, alle seine Entwürfe scheitern zu sehen.“ Am 13. Oktober 1781 erließ Kaiser Joseph II. das Toleranz-Patent für die Protestanten, welche seit dem westfälischen Frieden 1648 in Österreich keinen öffentlichen Gottesdienst halten durften.
Synode von Pistoia und Emser Kongress
Bischof Scipio Ricci von Pistoia hielt 1786 eine Synode ab, welche glaubensfeindliche Lehren und das päpstliche Ansehen untergrabende Dekrete veröffentlichte. Pius VI. verwarf die Entscheidungen dieser Synode (1794) und Ricci musste, nachdem Leopold II (1790-1792) Kaiser geworden, auf sein Bistum verzichten und vor dem Volk, welches sich wider ihn wegen seiner Neuerungen erhoben hatte, fliehen. Die drei geistlichen Kurfürsten Deutschlands, von Mainz, Trier und Köln, welchen sich auch der Erzbischof von Salzburg, Hieronymus von Colloredo, anschloß, hielten den Emser Kongress 1786, welcher auf die Losreißung der Katholiken Deutschlands vom Papst und auf eine Nationalkirche hinsteuerte, ab. Das Unternehmen dieser unwürdigen Prälaten scheiterte an dem energischen Widerstand der übrigen Erzbischöfe und Bischöfe. Nach und nach traten die Männer von ihrem Vorhaben zurück. Bald aber verschlang die Revolution und die hernach erfolgte Säkularisation ihre weltliche Herrschaft.
Diesen Fürsten folgten die übrigen katholischen Mächte: Venedig, Neapel, Sardinien, Spanien und Portugal. Es schien, als ob sie sich alle insgesamt verschworen hätten, den Papst und die Kirche ihrer rechte zu berauben und diese zu einer einfachen Polizeianstalt zu machen. So hatte der Papst einen Dornenweg zu wandeln. All dies wurde dann überboten durch die schreckliche französische Revolution von 1789 bis 1800 …
Die revolutionären Machthaber in Rom
Pius VI. musste unter dieser Schreckens-Regierung entsetzlich leiden. In Paris wurde öffentlich unter Hohn und Lästerung sein Bild verbrannt. Es blieb ihm nichts übrig, als mit den treuen Bekennern zu trauern, sie zu ermuntern und zu trösten. Bald sollte er aber persönlich die Grausamkeit der revolutionären Machthaber erfahren. Sie waren über ihn erbost, weil er dem Klerus den Eid auf die kirchliche Verfassung verboten hatte und energisch die Rechte der Kirche zu verteidigen bemüht war. Man suchte im Kirchenstaat selbst Unruhen hervorzurufen. Der Agitator Bossaville wurde 1793 bei einem Auflauf des beleidigten römischen Volkes verwundet und starb des anderen Tages. Das bot den Republikanern Frankreichs einen willkommenen Anlass, gegen den Papst vorzugehen. Im Waffenstillstand von Bologna (1796) musste Pius VI. den französischen Truppen Ferrara und Bologna wie die Festung von Ancona überlassen, 21 Millionen Livres bezahlen und viele Kunstgegenstände und Handschriften ausliefern. Im Frieden von Tolentino (1797) musste der Papst endlich auf Avignon und Venaissin verzichten, Ferrara, Bologna und die Romagna abtreten, 15 Millionen Livres bezahlen und neuerdings Kunstgegenstände und wertvolle Handschriften ausliefern, nachdem die Franzosen vorher noch den Schatz von Loreto geplündert und das Gnadenbild als Siegestrophäe nach Paris geschickt hatten. Damit hatten aber die Leiden des Papstes nicht ihr Ende erreicht.
In Rom wurden die republikanischen Ideen verbreitet und das Volk gegen die päpstliche Herrschaft aufgewiegelt. Als bei einem Volksaufstand der französische General Duphot, der auf die wiederholte Aufforderung, stille zu stehen und die Waffen nieder zu legen, nicht achtete, vom Wachposten nieder geschossen wurde, war der französischen Regierung die erwünschte Gelegenheit geboten, sich Roms zu bemächtigen. General Berthier rückte ein und der Kirchenstaat wurde zur römischen Republik erklärt. Pius entsagte weder seines Rechtes als Regent, noch verließ er Rom, sondern harrte aus auf seinem Posten zur Bewunderung der Welt. Da man den Papst in Rom fürchtete, erging der Befehl, ihn als Gefangenen wegzuführen, obschon der 82-jährige Greis sehr leidend war. Auf die Bemerkung, er wünsche zu Rom zu sterben, wurde ihm entgegnet, sterben könne er überall. In Rom plünderten die Franzosen wie Barbaren, selbst in den Wohnzimmern des Papstes; man zog ihm sogar den Fischerring vom Finger und ließ all sein Privateigentum verkaufen. Während die Kardinäle in Rom verhaftet, nachher in Civita Vecchia eingeschifft und in verschiedene Gegenden zerstreut wurden, brachte man den greisen Dulder am 20. Februar 1798 nach Siena, von dort nach Florenz, zuletzt nach Valence.
Der letzte Leidensweg von Papst Pius VI.
Auf dem Wege dahin quälten ihn die Soldaten auf die roheste Weise, es ärgerte sie, daß die Bewohner der Gegenden, durch welche der Zug ging, von allen Seiten herbei strömten, um seinen Segen zu empfangen. Zu Valence in Frankreich durfte niemand mit Pius allein sprechen. Obwohl man sah, daß da Ende des Gefangenen ganz nahe sei, kränkte man den Sterbenden und erschwerte ihm die letzten Tage seines Lebens. Doch alle diese Misshandlungen konnten den Heiligen Vater nicht aus der Fassung bringen. Als die Stunde seines Todes heran nahte, fragte ihn sein Beichtvater, ob er seinen Verfolgern verzeihe; darauf erwiderte er: „O ja, ich verzeihe ihnen, und wer mir nachfolgt, verzeihe den Franzosen, verzeihe ihnen so herzlich, wie ich ihnen verzeihe.“ Seine letzten Worte waren: „Wir werden eingehen in die Freude des Herrn“; dann hauchte er sanft seine Seele aus am 29. August 1799. Aber auch im Tode noch verfolgte ihn der Haß der Republikaner. Der Rest seiner Habe wurde als National-Eigentum verkauft, sein Leichnam blieb unbeerdigt, bis Napoleon Bonaparte, der mittlerweile I. Konsul geworden, die Beerdigung auf dem Friedhof von Valence durch ein Dekret am 30. Dezember 1799 gestattete. Im Jahre 1802 wurden seine sterblichen Überreste in Rom in der Nähe der Apostelgräber feierlich beigesetzt. Vor der Gruft des hl. Petrus, dessen würdiger Erbe er war, sehen wir in der Peterskirche die Statue dieses Bekenners in betender Stellung. Der Totengräber in Valence rief, während er die Nägel in den Sarg des Papstes schlug: „Der letzte Papst!“; andere setzten dem Papsttum Leichensteine und hielten ihm Grabreden, man hielt eine Neuwahl für unmöglich; aber während die Revolutionäre Frankreichs derselbe Strom verschlang, der sie empor gehoben, blieb Petri Fels unzerstörbar stehen. –
aus: P. Andreas Hamerle C.Ss.R., Geschichte der Päpste III. Band, 1907, S. 603; S. 606 – S. 607