Das Kreuz und der Halbmond
Papst Leo X. (regierte von 1513 bis 1521)
Bald nach dem Leichenbegängnis des heiligen Vaters (Julius II.) traten die Kardinäle zur Neuwahl zusammen. Schon nach wenigen Tagen, am 11. März des Jahres 1513 war der Kardinaldiakon Johann von Medici, ein Mann von 37 Jahren gewählt und nannte sich Leo X.
Adel, Geistlichkeit und Volk begrüßten diese Wahl mit größter Freude. Die Kanonen der Engelsburg verkündeten der Stadt und Umgebung die erfolgte Wahl; Freudenfeuer erhellten am Abend die nahen Gebirge. Umgeben von den Kardinälen begab sich der Neugewählte zu Fuß nach St. Peter. Wenige Tage später empfing er die Priester- und Bischofsweihe. Bei den Krönungs-Feierlichkeiten entfalteten die Römer einen Reichtum und einen Glanz, der selbst in Rom, wo man an Großes gewohnt war, auffiel. Es scheint fast, das römische Volk hatte geahnt, es werde die Regierung dieses Papstes eine in der Geschichte denkwürdige bleiben.
Papst Leo hatte in der berühmten Stadt Florenz als der zweite Sohn des Grafen von Medici am 11. Dezember des Jahres 1475 das Licht der Welt erblickt. Sein Vater hatte ihn für den Priesterstand bestimmt und ließ ihn von den ausgezeichnetsten Lehrern aufs beste erziehen. Schon im Jahre 1488 wurde Leo vom Papst Innozenz VIII. zum Kardinaldiakon ernannt. Papst Julius II. wollte den tüchtigen Kardinal in seiner Nähe haben und rief ihn nach Rom. Nach dem Tode seines Gönners bestieg Leo den Thron des heiligen Petrus; er täuschte die Erwartungen, welche man an ihn gesetzt hatte, nicht. Als Fürst regierte er edel und mild, gab den Künsten und Wissenschaften neuen Aufschwung und versammelte bald die ausgezeichnetsten Gelehrten und Künstler um sich. Er errichtete gelehrte Schulen, verbesserte die bereits bestehenden und sorgte für die Anstellung tüchtiger Lehrer. Er ließ durch die größten Künstler jene Meisterwerke der Malerei, Bildhauerei und Baukunst aufführen, welche noch jetzt allgemeine Bewunderung erregen. Papst Leo war auch eifrig bedacht auf die Festigung des Kirchenstaates und der päpstlichen Gewalt. Überall trat er vermittelnd auf und hatte anfangs auch großen Erfolg.
Der Vorgänger Leos X. musste mehrere Kardinäle und andere Kirchenfürsten strafen, von denen zwei Kardinäle beim neuen Papst Verzeihung suchten und sie auch fanden, ihre Ämter und Würden wieder erhielten. Überhaupt fand jeder Reumütige bei Leo Gnade, dem die Sanftmut angeboren war. Diese ungewöhnliche Milde und Nachsicht hinderten aber den Papst nicht, mit aller Entschiedenheit an der Beseitigung der Laster und Missbräuche in der Kirche zu arbeiten.
Unter seiner Leitung gab die Kirchenversammlung im Lateran die trefflichsten Bestimmungen. Nach mehreren Sitzungen wurde diese Versammlung am 16. März des Jahres 1517, ein halbes Jahr vor dem Auftreten Martin Luthers, geschlossen. Eine besondere Aufmerksamkeit widmete sich Papst Leo der studierenden Jugend. Man vernachlässigte damals vielfach die Veredlung des Herzens und meinte, genug getan zu haben, wenn man den Geist mit Kenntnissen bereicherte. Man hielt es für wichtiger, den Studenten die Taten heidnischer Feldherren und heidnische Gebräuche vorzuerzählen, als sie anzuleiten, die Heiligen der Kirche kennen zu lernen. Das Evangelium Gottes wurde selten gelesen, dagegen wurden häufig die Schriften der Heiden studiert. Leo X. tadelte es nicht, wenn die Jugend die heidnischen Schriften kennen lernte, wußte aber zu gut, daß ein solcher rein weltlicher Unterricht seine Gefahren habe.
Den Juden das unedle Gewerbe des Wuchers zu legen, hatte schon fünfzig Jahre vor Papst Leo ein armer Klosterbruder, Barnabas von Perugia, einen Plan entworfen. Er veranstaltete eine großartige Sammlung und gründete aus den zusammen gebrachten Geldern ein Leihhaus, aus dem jeder arme Bürger für eine kurze Zeit ein Darlehen empfangen konnte. Die Wucherer erklärten natürlich die Leihhäuser für schädliche und sündhafte Anstalten. Da traten auch die unter Papst Leo versammelten Bischöfe für die Erlaubtheit dieser Anstalten ein.
Im Juli des Jahres 1517 ernannte der Papst 31 neue Kardinäle, lauter durch Wissenschaft und Verdienste ausgezeichnete Männer. Eine Hauptsorge war dem Papst die Veranstaltung eines Kreuzzuges gegen die Türken, welche unter dem Sultan Selim II. das christliche Abendland bedrohten. Zudem bemühte sich auch dieser Papst um die Verschönerung der Stadt Rom, besonders durch Vollendung der von seinem Vorgänger begonnenen St. Peterskirche. Papst Leo X. hatte 1514 einen Ablass ausgeschrieben, den jene gewinnen konnten, die nach reumütiger Beichte und Kommunion irgend eine Summe Geldes zur Erbauung der Peterskirche beitragen würden. Etwas Ähnliches hatten die früheren Päpste auch getan. Sie hatten Ablässe den Kreuzfahrern und jenen gewährt, die zu den Kreuzzügen Geld beisteuerten. Also geschah unter Leo X. nichts Neues; denn nur wer beichtete und kommunizierte und dazu ein bestimmtes Almosen gab, konnte den Ablass, d. h. die Nachlassung der zeitlichen Sündenstrafen erlangen. Nicht das Geld bewirkte die Befreiung von der Sünde, sondern der würdige Empfang der heiligen Sakramente. Es ist möglich, daß einige Priester, besonders der in Deutschland predigende Dominikaner Tetzel, in ihren Predigten zu weit gegangen sind; allein das war kein Grund, sich gegen Rom aufzulehnen. (siehe den Beitrag: Luthers Ablassstreit mit Tetzel)
Gegen diese Verkündigung des Ablasses erhob sich nun der Augustiner-Mönch in Wittenberg, Martin Luther. Er schlug am 31. Oktober des Jahres 1517 an der Klosterkirche zu Wittenberg 95 Sätze an über den Ablass, die päpstliche Gewalt usw. Die Kunde von diesen Vorgängen war bald nach Rom gekommen, wo man die Wichtigkeit der Sache sogleich erkannte. Im Mai des Jahres 1518 schrieb Luther noch einen recht demütigen Brief an den Papst und verteidigte sein verhalten. Der heilige Vater gebot Luther, selbst nach Rom zur Verantwortung zu kommen, gestattete aber dann, daß er auf dem Reichstag zu Augsburg vernommen werden sollte. Dort konnte aber der hoch gelehrte Kardinal Cajetan trotz alles Bemühens Luther nicht mehr umstimmen; der Mönch hörte nicht mehr auf die Worte des heiligen Vaters in Rom. (siehe den Beitrag: Luther legte sich Unfehlbarkeit bei) Ja, er verbrannte sogar öffentlich ein päpstliches Schreiben, worauf ihn Papst Leo feierlich von der Kirche ausschloss. Auch den Kaiser forderte der Papst zum Einschreiten gegen den Widerspenstigen auf. Zu diesen Unruhen in Deutschland kamen die Kämpfe in Italien, welche dem Papst viel Sorge machten. Im Oktober desselben Jahres erlitten aber die Franzosen in Italien eine schwere Niederlage, so daß Leo wenigstens von diesem Feind befreit war.
Leo X. war die Freigebigkeit selbst. So oft er seinen Palast verließ und durch die Stadt ging, musste ihm ein Diener mit Geld folgen. Jedem Bettler gab er reichliche Almosen. Lehrer und Schüler fanden im Papst ihren Vater. Mahnten die Kardinäle manchmal seine ungewöhnliche Freigebigkeit zu mäßigen, so war er stets mit Entschuldigungen bereit, um seine Milde gegen die Bedrängten zu rechtfertigen. Eine nicht geringe Anzahl von Priestern und Ordensleuten, von Soldaten und Verbannten lebten in Rom, im Kirchenstaat und in den italienischen Ländern auf Kosten des heiligen Vaters. Um allen Unglücklichen, die durch die beständigen Kriege ihr Vermögen verloren hatten, zu helfen, gründete Papst Leo das Spital zur Mutter Gottes. Dann bewog er fromme Katholiken, die Armen dahin zu führen, auf daß sie in ihren Krankheiten ärztlichen Beistand, Nahrung und Trost finden könnten. Ein gleichzeitiger Geschichtsschreiber beurteilt den Papst Leo X. wie folgt: „Will man unparteiisch sein, so muss man zugeben, daß Papst Leo ein Fürst war, den die besten Absichten beseelten. Sein Fehler dürfte nur eine zu große Liebe zu den Wissenschaften gewesen sein. Übrigens ist sein Charakter tadellos und sein Privatleben rein und eines Papstes vollauf würdig.“ Dies ist das Bild, welches die unparteiische Geschichte über den heiligen Vater aufbewahrt hat. –
aus: Chrysostomus Stangl, kath. Weltpriester, Die Statthalter Jesu Christi auf Erden, 1907, S. 610 – S. 614
War Leo X. (1517) auch glücklich einem Attentat auf sein Leben entronnen, so sollte er doch kein hohes Alter erreichen. Ein geringfügiges Unwohlsein, das den Papst befallen hatte, nahm bald einen gefährlichen Charakter an und raffte ihn unvermutet hinweg, während er noch nicht das 45. Jahr vollendet hatte. (1. Dezember 1521) –
aus: P. Andreas Hamerle C.Ss.R., Geschichte der Päpste III. Band, 1907, S. 537