Wie der große Papst Leo XIII. heimging
Mehrere freudige Ereignisse verklärten die letzten Regierungsjahre des Papstes. Schon im Jahre 1888 hatte Leo das seltene Glück, sein goldenes Priesterjubiläum feiern zu können. Und im Jahre 1893 beging der Papst unter dem Jubel der ganzen Christenheit sogar sein 50jähriges Bischofsjubiläum. Zu beiden Festlichkeiten trafen aus allen Ländern der Welt große Pilgerzüge in Rom ein. Am 3. Mai des Jahres 1903 erhielt Leo den Besuch des deutschen Kaisers Wilhelm II., der in höchst feierlichem Zug zu dem 93jährigen Greis in den Vatikan kam. Es muss uns Deutsche mit besonderer Freude erfüllen, daß die letzte große Ehre dem Papst durch unsern Kaiser bereitet wurde.
In den letzten Tagen des Monats Februar 1899 erkrankte Papst Leo plötzlich in bedenklicher Weise. In der linken Brustseite hat sich ein gefährliches Gewächs gebildet. Im März, am 90. Geburtstag des Papstes, wurde Leo von seinem Leibarzt operiert. In großen Mengen eilten die Katholiken Roms an diesem Tage in die Kirchen, um für die Gesundheit des Oberhauptes der Christenheit zu beten. Gott erhörte auch ihre Bitten. Nach wenigen Tagen war der Papst so hergestellt, daß er seine gewohnten Arbeiten wieder aufnehmen konnte.
Man betrachtete es als ein großes Wunder, daß Papst Leo das Jubeljahr 1900 erlebte. Er sah es, öffnete und schloß auch wieder die heilige Pforte. Seit der Zeit des Apostelfürsten war es außer Pius IX. keinem Papst gegönnt, das 25jährige Papstjubiläum zu feiern. Sein Nachfolger Leo XIII. sollte diese hohe Regierungszeit wieder erreichen; ein Jubiläum, das wiederum viele Tausende von Pilgern nach Rom zog.
Freilich erfuhr der heilige Vater noch in seinen letzten Lebenstagen einen bitteren Schmerz. Der Präsident der französischen Republik kam zum König von Italien, ohne beim Papst einen Besuch zu machen, zum Zeichen, daß der heilige Vater in Rom nichts mehr bedeute. Leo protestierte laut gegen die so aufgefaßte Romfahrt des französischen Präsidenten. Sache des katholischen Frankreich wäre es gewesen, eine solche Beleidigung des Papstes zu verhindern, allein es tat nichts. Der Kulturkampf ist nunmehr in diesemLande entbrannt, sein Ende liegt vielleicht in weiter Ferne. –
Der Juli des Jahres 1903 hatte begonnen. Die Glühhitze Italiens und die Anstrengungen des Jubeljahres hatten Papst Leo so sehr angegriffen, daß sein Leibarzt Lapponi wiederholt Empfänge von Pilgerscharen untersagen musste. Öfter wurde der heilige Vater von Ohnmachts-Anfällen betroffen, denen gleichwohl bei der außerordentlichen Widerstandsfähigkeit des Papstes keine so große Bedeutung beigelegt wurde, daß man ernstere Befürchtungen hegte.
Leo XIII. bei einer Ausfahrt im vatikanischen Garten
Da wurde plötzlich am Samstag den 4. Juli die katholische Welt mit der Nachricht von der schweren Erkrankung des heiligen Vaters überrascht. Sein Leibarzt Lapponi nahm an, daß durch einen Wechsel in der Behandlungsweise eine Besserung bewirkt werden würde, und riet zu öfteren Spazierfahrten in den Gärten des Vatikans.
Nachdem sich das Befinden des heiligen Vaters gegen Mittag verschlimmert hatte, empfing der hohe Kranke abends halb neun Uhr durch den päpstlichen Sakristan die heilige Wegzehrung. Der Geistliche holte, gefolgt von den Kardinälen, in feierlicher Weise das Allerheiligste aus der Paulinischen Kapelle und begab sich dann nach dem Zimmer des Papstes. Nachdem der Zeremonienmeister das Glaubensbekenntnis gebetet hatte, sprach der heilige Vater mit lauter Stimme: „O Herr, ich bin nicht würdig“, und empfing die heilige Kommunion unter tiefer Bewegung der Anwesenden mit innigster Hingebung. Die in Rom anwesenden Kardinäle, welche sich sämtlich im päpstlichen Palast eingefunden hatten, traten nacheinander heran und küßten die Hand des Papstes. Als Kardinal Macchi dem Papst Mut zuzusprechen suchte, erwiderte dieser: „Ich fühle, daß das Ende naht; die Vorsehung hat meinem langen Leben ein Ziel gesetzt.“ Ein Kardinal pries Leos Regierung als eine der ruhmvollsten der Kirchengeschichte, worauf der Papst mit schwacher Stimme erwiderte: „Ich weiß nicht, ob alles gut war, was ich tat. Jedenfalls ließ ich mich in allem nur von meinem Gewissen und Glauben leiten.“
Am Montag den 6. Juli verlangte der heilige Vater die letzte Ölung, welche ihm am Abend gespendet wurde. Der Papst empfing das heilige Sakrament mit vollständig klarem Geist; dann richtete er sich einige Augenblicke vom Kissen auf und segnete die anwesenden mit den Worten: „Dies ist mein letzter Segen.“
Am Abend des 17. Juli wurde der hohe Kranke von Krämpfen erfaßt, klagte und stöhnte. Die Kräfte sanken unaufhaltsam dahin. Die Bemühungen des Ärzte, den Verfall weiter aufzuhalten, erwiesen sich als erfolglos. Der heilige Vater konnte sich nicht mehr rühren und kaum ein paar Worte in Zusammenhang sprechen. Wenn ihm Stärkung gereicht wurde, so musste man ihm das Glas an den Mund führen wie einem Kind. Die innige Teilnahme des Volkes war geradezu rührend. Von allen Seiten her strömten die Gläubigen zum Petersplatz.
Während der Nacht zum 20. Juli dauerte der schlafähnliche Zustand beim Papst mit wenigen Unterbrechungen. Die Abnahme der Kräfte schritt unaufhaltsam fort. Vormittags elf Uhr wurde die Meldung verbreitet: „Papst Leo liegt im Sterben.“
Der Todeskampf des heiligen Vaters begann aber erst nachmittags gegen zwei Uhr. Kardinal Vannutelli betrat das Zimmer des Papstes, um ihm die letzte Absolution zu erteilen. Um ¾ 4 Uhr kündigte der Leibarzt des heiligen Vaters weinend den bevorstehenden Tod an. Kardinal Vannutelli kniete am Bett nieder und begann die Sterbegebete, Kardinal Rampolla und die Neffen des Papstes knieten ebenfalls nieder und weinten unaufhörlich. Leo war bereits bewußtlos, das Gesicht bleich und die Atmungsbewegungen hörten allmählich auf. So entschlief Papst Leo XIII. in Frieden. Um vier Uhr verkündigte sein Leibarzt den eingetretenen Tod.
Dreihundert Millionen Katholiken beweinten den Tod des dahin geschiedenen Vaters der Christenheit. Sie hatten in ihm einen der erleuchtetsten Geister, einen der bedeutendsten Männer, einen der größten Päpste aller Zeiten verloren. Weinend und betend beklagten auch wir den Vater, der uns alle so sehr geliebt, der so viel für uns gesorgt, so manches um uns gelitten hatte.
In einem Alter von 93 Jahren, 3 Monaten und 18 Tagen wurde Leo XIII. der katholischen Welt entrissen, nachdem er 25 Jahre und 5 Monate das Schifflein Petri durch die stürmischen Wogen der Zeit gelenkt hatte. So oft wir aber wieder lesen von seinem heiligen Sterben, wird in uns der heiße Wunsch erwachen: „Möchte doch einmal auch unser Sterben dem seinigen ähnlich sein!“
Der protestantische deutsche Kaiser drückte sein Beileid bei der Kunde vom Tode Papst Leo XIII. in folgendem Telegramm aus: „Schmerzlich bewegt durch die soeben erhaltene Trauernachricht, übermittle ich den Kardinälen den Ausdruck aufrichtiger Teilnahme an dem schweren Verlust, den die römisch-katholische Kirche erlitten hat. Ich werde dem erhabenen Greis, der mir stets ein persönlicher Freund war, und dessen außerordentliche Gaben des Herzens und Geistes ich noch bei meiner letzten Anwesenheit in Rom erst vor wenigen Wochen abermals bewunderte, ein treues Andenken bewahren.“ –
aus: Chrysostomus Stangl, kath. Weltpriester, Die Statthalter Jesu Christi auf Erden, 1907, S. 759 – S. 762
Die Nachricht von dem am 20. Juli 1903 erfolgten Tode Leos XIII. traf die gesamte katholische Welt mit niederschmetternder Wucht. Der 94jährige Greis, dessen herrliche Geisteskraft bis zum Ende seines Lebens ungeschwächt geblieben war, hatte während der 25 Jahre seines Pontifikates das Schifflein Petri mit sicherer, niemals schwankender Hand geleitet. Sein fleckenloses Leben, sein hoher, idealer Sinn und sein unbezwinglicher Starkmut wurden auch von solchen Männern anerkannt, die der katholischen Kirche selten gerecht werden. Eine protestantische Zeitschrift beurteilte ihn also:
„Die eigentümliche Stellung, die Leo XIII. gegenüber den neuen sozialen Strömungen einnahm, macht sein Pontifikat zu einer merkwürdigen Epoche nicht nur in der Geschichte der römischen Kirche, sondern in der aller christlichen Länder. Seine persönliche Auffassung von den Pflichten der Kirche gegenüber der arbeitenden Klasse war katholisch im weitesten und besten Sinne des Wortes. Es war dies eine des Oberhirten der Christenheit würdige Auffassung.“ Doch war dies nur eine Seite der Wirksamkeit des verstorbenen großen Staatsmannes und Papstes. –
aus: F. A. Forbes, Papst Pius X. Ein Lebensbild, 1923, S. 51