Demut und vollkommene Liebe

Demut und vollkommene Liebe – Was die vollkommene Liebe Gottes ist

… Die Liebe Gottes! Wenn wir wissen wollen, was „die vollkommene Liebe Gottes“ ist, müssen wir in Gott selber hineinschauen, in Sein inneres, dreifaltiges Leben, dorthin, wo „das Wort auf den Vater hingewendet ist“, wo Vater und Sohn „vollkommen eins sind“ in unsagbarer Innigkeit. So unendlich ist diese Liebe, mit der Vater und Sohn sich lieben, dass diese Liebe selber eine göttliche Person ist, der Heilige Geist, und so vollkommen eins sind die drei göttlichen Personen in dieser Liebe, dass der hl. Johannes das Wesen Gottes selber darin zusammengefasst sieht: „Gott ist die Liebe“ (1. Joh. 4, 16).

Aus dem Schoß der heiligsten Dreifaltigkeit strömt diese Liebe über auf die Menschen, um auch sie zu umfangen und hineinzuziehen in die Liebesgemeinschaft des dreieinigen Gottes, sie „teilnehmen zu lassen an der göttlichen Natur“ (2. Petr. 1, 4), an der wesenhaften Liebe Gottes. Es ist wirklich die gleiche Liebe Gottes, die die göttlichen Personen miteinander verbindet und die den Menschen gnadenvoll geschenkt wird. Ausdrücklich sagt der Herr in Seinem letzten Gebet zum Vater: „Die Liebe, mit der Du Mich geliebt hast, soll in ihnen sein und Ich in ihnen“ (Joh. 17, 23 u. 26).

Der Weg aber, auf dem diese vollkommene Liebe Gottes zu den Menschen kam, war der Weg der Demut, den der Apostel im 2. Kapitel des Philipperbriefes beschreibt. Dieser Weg führte den Sohn Gottes, der „sich selbst entäußerte und Knechtsgestalt annahm“, nicht nur herab in die Nichtigkeit einer geschöpflichen Natur. Er führte ihn bis zum Gehorsamstod am Kreuz, bis zur Erfüllung der Prophetie: „Ich bin ein Wurm und kein Mensch, der Spott der Menschen und die Verachtung des Volkes.“

Es war ein Weg unfassbarer Demut und Erniedrigung. In dieser Demut und Erniedrigung aber hat sich die Liebe Gottes wunderbarer kundgetan als in allen Werken der Schöpfung, als in allen Offenbarungen göttlicher Herrlichkeit. Bei der Betrachtung dieses Demutsweges ahnen wir, dass die Demut selber im tiefsten Grunde Liebe ist, freilich eine Art der Liebe, so unbegreiflich groß, dass sie „alle Erkenntnis übersteigt“ (Eph. 3, 19).

„Gott ist der Demütig-Liebende … Die Demut beginnt nicht beim Menschen, sondern bei Gott“. Aus einer unfassbaren Liebe heraus, wie sie nur der unendliche Gott haben kann, aus einer „Liebe bis ans Ende“, kam der geheimnisvolle Entschluss zu jener „Kenosis“, zu jener „Entleerung“ oder „Entäußerung“, von der Paulus spricht. In dieser bis zur „Vernichtung“ sich hingebenden Liebe gipfelt das erlösende Opfer des Herrn.

Das in aller Klarheit kundzutun, ist der Sinn des erschütternden Aktes der Demut, mit dem der Herr „die Stunde“ eröffnete, „da Er aus dieser Welt zum Vater gehen wollte“ (Joh. 13, 1ff.). „Obgleich Jesus wusste, dass der Vater alles in Seine Hand gegeben hatte, daß Er von Gott ausgegangen sei und zu Gott zurückkehre“ (wie Paulus in Phil. 2, 6) hebt Johannes die göttliche Würde des Herrn hervor, um das Unerhörte des Vorganges uns bewusst zu machen, „stand Er vom Mahle auf, legte Sein Oberkleid ab und umgürtete sich mit einem Linnentuch. Darauf goss Er Wasser in ein Becken und fing an, die Füße der Jünger zu waschen und mit einem Tuch, womit Er umgürtet war, abzutrocknen.“

„Wenn die Jünger ratlos sind, so haben sie recht. Hier wird wahrlich alles umgestürzt… Wie ernst es aber Jesus meint, zeigt Sein Wort an Petrus: „Was Ich tue, verstehst du jetzt noch nicht… Wenn Ich dich nicht wasche, hast du keine Gemeinschaft zu Mir.“ In dieses Geheimnis der göttlichen Selbsthingabe muss Petrus eintreten, wenn er Anteil an Christus haben will. Es steht im Herzpunkt des Christentums.

Darum sagt der Herr: „Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr tuet, wie Ich an euch getan habe.“ Sie sollen nicht nur Bescheidenheit lernen und zum Dienst brüderlicher Liebe bereit sein, sondern in den Mitvollzug des Geheimnisses eintreten. Jeder christlich Lebende kommt an den Punkt, wo ihn diese Forderung trifft, wo er bereit sein muss, in die Vernichtung mitzugehen: in das, was vor der Welt töricht, für das Gefühl unerträglich, für den Verstand sinnlos ist. Was es auch sei: Leid, Unehre, dass geliebte Menschen weggehen oder das Werk zerbricht, dann entscheidet sich sein christliches Dasein: ob er in jene letzte Tiefe mitgeht und so an Christus Anteil gewinnt.“

Jetzt verstehen wir erst ganz, warum dem hl. Benedikt die Humilitas, die Demut, die Erniedrigung der „Herzpunkt“ des geistlichen Lebens ist, auch warum er den ehrwürdigen Brauch der Fußwaschung aus dem christlichen Altertum als heiliges Vermächtnis in seine klösterliche Ordnung übernahm: Wenn der Wochendienst in der Küche am Ende der Woche wechselte, „sollen der, der den Dienst beendet, und der, der ihn beginnt, allen die Füße waschen“. „An allen Gästen sollen der Abt und die ganze Gemeinde die Fußwaschung vornehmen. Ist das geschehen, sollen sie den Vers beten: „Wir haben die Barmherzigkeit, o Gott, aufgenommen, inmitten Deines Tempels“.

Stolze Menschen können diese Demut freilich nicht begreifen. „Wahrlich, dieser Gott wirft alles um, was der Mensch im Hochmut seiner Empörung von sich aus aufbaut. Vor Ihm erwacht die letzte Versuchung, zu erklären: einem solchen Gott beuge ich mich nicht!“ Stolze Menschen können aber auch nicht wahrhaft lieben. Demut ist nicht nur Wahrheit. Sie ist Liebe: Liebe Gottes, wie sie sich geoffenbart hat in Jesus Christus, und Liebe zu Gott, „als Antwort auf den Gottmenschen Jesus Christus“.

Das Geheimnis dieser liebenden Demut und demütigen Liebe erschließt sich nur unter dem Kreuz, unter das uns St. Benedikt immer wieder geführt hat – auf der 3., 4., 7. Stufe der Demut – und in der Übung der Demut, in der praktischen Verwirklichung der Nachfolge Christi, im „Mitvollzug der Gesinnung Christi“ (Phil. 2, 5), wie sie die Demutsstufen lehren.

Indem der Mensch „aus Liebe zu Gott den Herrn nachahmt, von dem der Apostel sagt: Er ist gehorsam geworden bis zum Tod“, indem er mit Ihm alle Stufen des „Zunichtewerdens“ hinabsteigt, „gebeugt und gedemütigt immerdar“, wird er zugleich mit Ihm „erhöht“, steigt er empor oder wird vielmehr emporgehoben zu immer tieferer Anteilnahme am Geheimnis der Liebe Gottes, die sich in Christus geoffenbart hat.

Ohne diese Demut bleibt uns der Zugang zu den Höhen der Gottesliebe und Gottvereinigung verschlossen. „Wer sein Leben liebt, wird es verlieren. Wer es verliert um Meinetwillen, wird es finden.“ Nur wenn wir sprechen können: „Nicht mehr ich lebe“ – vielleicht ist das die kürzeste Formel, unter der sich Inhalt und Sinn der Demutslehre St. Benedikts zusammenfassen lässt – dürfen wir auch sagen: „Christus lebt in mir“ (Gal. 2, 20). –
aus: P. Emanuel Heufelder OSB, Der Weg zu Gott nach der Regel des hl. Benedikt, 1948, S. 125 – S. 129

siehe auch die Beiträge:

Die Leiter Benedikts Die zwölf Stufen der Demut

Beiträge von Bonifaz Wöhrmüller OSB

 

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