Der Stern von Bethlehem kein irdisches Zeichen
Die Belehrung der Magier
Erklärung des Geheimnisses
2. Die Menschen hatten das Bedürfnis einer leicht zugänglichen Offenbarung. Der Stern von Bethlehem war kein irdisches, sondern ein himmlisches Zeichen, von Gott eben deshalb gewählt, um den Weisen die Offenbarung zu erleichtern. Die göttliche Güte wählt immer die leichtesten Mittel, um von den Menschen erkannt und geliebt zu werden.
Die Wahrheit ist nach einer dem Evangelium so geläufigen Idee für die Seele das, was die Speise für den Leib ist. Gleichwie der Leib ohne Speise schwach wird und stirbt, so geht die Seele ohne die Wahrheit in die Irre, wird verschlechtert und verdorben, verfällt der Herrschaft der Sinne und dem geistigen Tode. Wenn daher Gott nicht gleich Anfangs dem ersten Menschen die Speise der Seele, die Wahrheit, mitgeteilt, sondern gewartet hätte, bis er selbst durch Nachdenken und Nachforschen selbe fand, wer weiß, wann oder ob er je Gott erkannt und verehrt haben würde! Wer weiß, ob er nicht früher durch seine Laster bis zum vernunftlosen Tiere herabgesunken wäre, bevor er sich durch seinen Glauben zu Gott erhoben hätte!
Gleichwie der Mensch, wenn Gott ihm nicht die materielle Speise zur notwendigen Nahrung des Körpers angewiesen, sondern gewartet hätte, bis er selber den Genuss der Speise mit der Zeit fand, durch Schwäche und Hunger zu Grunde gegangen wäre, bevor er das Mittel der Erhaltung seines Lebens fand, gerade so wäre es ihm auch der Seele nach gegangen.
Daher offenbarte ihm der Herr in seiner Liebe vom ersten Augenblick an die Wahrheit, die er glauben und wodurch er das Leben des Geistes erhalten sollte, gleichwie er ihm die Speise, die er essen und wodurch er das Leben des Leibes erhalten sollte, angewiesen hatte: Er gebot ihnen und sprach:
„Esset von jedem Baume des Gartens.“ 1. Mos. 2.
Dieselbe liebevolle Vorsicht nun, die Gott der Schöpfer unsern natürlichen Eltern, den ersten Menschen, erwiesen hat, wiederholte Gott der Erlöser an den Erstlingen des christlichen Volkes, an den Weisen, unsern Vätern im Glauben.
Der Stern erschien auf höheren Befehl
Deshalb ging plötzlich am hohen Himmel ein Stern auf; aber, sagt der so beredte heilige Petrus Chrysologus, dieser Stern erschien nicht freiwillig, sondern auf höheren Befehl; nicht in Kraft eines bereits erkannten Naturgesetzes sondern in Kraft des noch unbekannten Gesetzes der Wunder; nicht als ein Phänomen des Himmels, sondern als eine Kraftäußerung des Neugeborenen; nicht als die künstliche Wirkung einer geschaffenen Naturkraft, sondern auf das unmittelbare Geheiß Gottes. Und die Magier entdecken und erkennen diesen Stern nicht mittelst der Wissenschaft der Astronomie, sondern mittelst des ihnen von Gott mitgeteilten Glaubens; nicht durch mathematische Berechnungen, sondern durch göttliche Eingebung; nicht in Folge der den Chaldäern eigenen Wissbegierde, sondern in Folge der Gnade, welche den Demütigen von Oben gegeben wird; nicht durch die Künste der Magie, sondern durch die Kenntnis einer alten, dem Judenvolk gegebenen Weissagung.
Und dieser Stern führt derselbe heilige Vater fort, um die ketzerischen Priscillianisten zu widerlegen, dieser Stern wird „der Stern Jesu Christi“ genannt, nicht so fast, weil er die Zeit seiner Geburt bestimmt, sondern weil Christus sein Urheber ist; nicht weil er Geschehenes verkündet, sondern weil er seine Befehle vollzieht; nicht weil er Ihm Gesetze vorschreibt, sondern weil er Ihm zum Ruhme und zur Verherrlichung dient; nicht weil er die Reihe Seiner Tage verherrlicht, sondern weil er dazu dient, Sein göttliches Licht über die Nacht der Menschen auszugießen; nicht weil er Ihm den Weg zum Leben bahnt, sondern weil er den Weisen den Weg zeigt, zu Ihm zu gelangen; nicht weil er dem Herrn der Welt gebietet, sondern weil er ein demütiger Diener jener ist, die Ihm dienen.
Warum bedient sich Gott eines Sternes?
Aber weshalb wollte sich denn Jesus Christus zur Offenbarung an die Magier eines Sternes bedienen? Fürs Erste, antwortet der eben genannte Heilige, weil die Magier die Astrologie betrieben, eine eitle, abergläubische, unvernünftige Wissenschaft, die aus dem Laufe der Gestirne die menschlichen Schicksale und Ereignisse erkennen und bestimmen will. Indem nun der Herr sich ihnen mittelst eines Sternes offenbarte, verwandelte er dieselbe Wissenschaft, durch die sie ehedem dem Irrtum, der Gottlosigkeit, dem geistigen Tode verfallen waren, für sie in ein Mittel, um zum Glauben und zum Heile zu gelangen, gleichwie später auch das Verbrechen, wodurch die Juden den Heiland töteten, dazu dienen musste, um den Menschen das Leben zu geben. Denn es ist immer das Zeichen großer Macht, wenn man den Feind mit dessen eigenen Waffen überwindet.
Fürs Zweite wählte Jesus Christus zur Offenbarung an die Magier den Stern deshalb, um ihnen dadurch diese göttliche Offenbarung zu erleichtern. Denn da sie Astrologen, d. i. Sterndeuter waren, welches Mittel konnte für sie zur Belehrung geeigneter sein, als ein Wunder in der Sphäre der ihnen wohl bekannten Dinge, als das Wunder eines Sternes? „Er bediente sich also des Sternes, sagt Theophylakt, zur Bekehrung der Magier aus derselben Ursache, aus welcher er später den Fischer Petrus durch das Wunder der Vermehrung der Fische in Verwunderung setzte und zu seiner Nachfolge bewog.
Dieselbe Bemerkung macht auch der heilige Chrysostomus:
Hätte Gott den Magiern anstatt des Sternes einen Propheten geschickt, so würden ihn diese über ihre eigene Wissenschaft aufgeblasenen Menschen nicht angehört haben. Hätte er zu ihnen mittelst einer Stimme vom Himmel gesprochen, so hätten sie sich darum nicht viel gekümmert. Hätte er ihnen endlich, wie den Hirten, einen Engel gesandt, so würden sie wahrscheinlich auch dieser Vermittlung kein Gehör geschenkt haben. Darum wählte Gott mit Umgehung aller andern Mittel gerade das Wunder des Sternes, um dadurch jene, die den Himmel zu betrachten gewohnt waren, zu erleuchten, und gab durch diese Wahl jenen wundervollen Plan seiner Barmherzigkeit, gemäß dem er selbst zuerst zu dem Menschen sich herabläßt, um den Menschen zu retten, zu erkennen.
Die Gnade ist mannigfaltig
O wie liebevoll sind doch die Bemühungen des guten Gottes, um die Menschen zu seiner Erkenntnis und zu seiner Liebe zu führen! Den Hirten von Bethlehem offenbart er sich durch einen Engel, weil sie als ungelehrte, ungebildete Leute nur mittelst des gesprochenen Wortes belehrt werden konnten. Den Gelehrten Jerusalems, die an die Lesung der heiligen Bücher gewohnt waren, offenbart er sich, wie wir später noch genauer erklären werden, durch die Weissagung des Propheten Michäas, oder mittelst des geschriebenen Wortes. Den Magiern endlich, welche dem Studium der Sternbilder oblagen, offenbarte er sich durch das Zeichen eines Sternes, oder mittelst der Bildersprache.
So wählt die göttliche Güte immer die leichtesten, natürlichsten, zugänglichsten Mittel, um sich zu offenbaren, und läßt sich zu den Armseligkeiten, ja zu den Neigungen eines Jeden herab, um uns zu belehren. Darum nennt, wie der heilige Augustin bemerkt, der Apostel Petrus die Gnade mannigfaltig, wie er selbst sie an sich erfahren hatte: Multiformis gratia Dei (1. Petr. 4.); das heißt, die Gnade zieht die Menschen auf verschiedene Weise an, je nach den verschiedenen Neigungen der Menschen; dringt in das Herz ein da, wo es am zugänglichsten ist; sie spricht zum Herzen in der Sprache des Herzens; erscheint ihm in jener Gestalt und Form, wodurch sie den stärksten Eindruck hervorbringt; zeigt sich Anfangs nachgiebig, bis sie endlich das Herz beherrscht und darüber triumphiert. –
aus: Joachim Ventura, Exgeneral der Theatiner, Die Schönheiten des Glaubens oder: Das Glück, an Jesum Christum zu glauben und der wahren Kirche anzugehören, Fünfter Band, Zweiter Teil, 1855, S. 7 – S. 13