Die Schwierigkeit das wahre Christentum durch eigenes Studium zu finden
Die Belehrung der Magier
Das Verständnis über die Heilige Schrift
11. Fortsetzung desselben Gegenstandes in Betreff der Notwendigkeit des kirchlichen Lehramtes zum leichten und sicheren Verständnis der heiligen Schrift. Die schöne Lehre des heiligen Basilius und des heiligen Petrus Chrysologus, bestätigt durch die Geschichte der Häresien. Das Beispiel Luthers und das interessante Geständnis Calvins über diesen Punkt. Des heiligen Paulus gründliche Lehre über den Zweck der heiligen Schrift. Der Glaube an die Lehre der Kirche verbreitet über die Schrift ein helles Licht und erleichtert ihr Verständnis. Wie die heiligen Väter und die Kirche die heiligen Schrift gebrauchen; wie die frommen Seelen sie gebrauchen, und welch’ köstliche Früchte sie daraus ziehen. In welch’ verschiedener Weise die Katholiken und die Häretiker die Schrift lesen, und welch’ verschiedene Wirkungen ihre Lesung bei ihnen hervorbringt.
Die hl. Väter über die Heilige Schrift
Der heilige Gregor war indes nicht der Erste, der über das Lehramt der Kirche solche Betrachtungen anstellte; sondern vor ihm hatten schon andere Väter mit gleicher Kraft und Beredsamkeit die Notwendigkeit des kirchlichen Lehramtes zum leichten und sicheren Verständnisse der heiligen Schrift nachgewiesen.
So vergleicht der heilige Basilius diese göttlichen Bücher mit einer Apotheke, die mit allen Heilmitteln reichlich versehen ist. Denn in der heiligen Schrift sind alle Wahrheiten niedergelegt, alle Arzneien, um von den Krankheiten der Seele zu genesen, verordnet; alle Mittel zur Stärkung und Kräftigung des Seelenlebens vorhanden. Auch der heilige Chrysostomus wiederholt dieselbe Idee und ermahnt uns, in der Lesung der heiligen Schrift, wie in einer Apotheke, alle Heilmittel wider die Krankheiten des Geistes zu suchen. Diese Idee ist ohne Zweifel deshalb so schön, weil sie wahr ist; denn alles Wahre ist schön, gleichwie alles Schöne wahr ist. Aber nicht minder schön und wahr ist die Betrachtung, welche über dieselbe Idee der heilige Petrus Chrysologus anstellt. Bemerket wohl, sagt er, daß es für einen Kranken zur Genesung nicht hinreicht, eine nach allen Vorschriften der Heilkunst eingerichtete, mit allen Arzneimitteln reichlich versehene Apotheke zu seiner Verfügung zu haben; sondern es muss ihm vor Allem auch ein Arzt zur Seite stehen, der ihm die geeigneten Heilmittel, die Zeit und die Art und Weise ihres Gebrauches angibt. Fehlt ihm diese Hilfe, so kann ihm die mit allem möglichen Vorrat auf’s Beste eingerichtete Apotheke nicht nur keinen Ruhm, sondern im Gegenteil großen Schaden bringen. Denn wenn der Kranke, welcher die Heilkunst nicht versteht, sich gezwungen sieht, die Heilmittel, die ihm geeignet scheinen, selbst auszuwählen, so ist nichts leichter, als daß er anstatt eines Heilmittels ein Gift wählt; daß er, anstatt seine Gesundheit wieder herzustellen, dieselbe zu Grunde richtet, und so aus der Offizin, welche die Mittel zur Verlängerung des Lebens enthält, sich den Tod holt.
Die Häretiker und die Heilige Schrift
Gerade so verhält es sich mit dem in der heiligen Schrift enthaltenen Wort Gottes. Wenn der Mensch so verwegen ist, dieselbe zu lesen, um aus ihr die Wissenschaft des ewigen Heiles zu lernen, bevor er sich dem Lehramt der Kirche unterworfen, bevor er auf diesem Wege die Dogmen des wahren Glaubens kennen gelernt hat; so verwandeln sich die in diesem kostbaren Buch enthaltenen Heilmittel des Lebens für ihn in zerstörendes, tötendes Gift. Man muss also, schließt dieser Kirchenlehrer, zuerst das Wort des Glaubens hören, bevor man es liest; denn wenn Jemand, ohne vorher die Kirche gehört zu haben, den Glauben durch das Lesen der heiligen Schrift schon fertig und wohl zubereitet finden zu können meint, so wird dieses Buch, welches Gott selber zum Wohle und zum Heil der Seelen eingegeben hat, leider sein Verderben und seinen Tod herbei führen. Wenn diese so gründlichen und trefflichen Reflexionen noch eines weiteren Beweises bedürftig wären, so würde ein Blick auf die Geschichte aller Häresien schon genügen, um uns vollends von der Notwendigkeit des kirchlichen Lehramtes zum Verständnis der heiligen Schrift zu überzeugen. Denn diese Geschichte zeigt uns, daß alle Sekten der Häretiker, die vom Beginn der Kirche bis auf unsere Tage eine nach der anderen wie Giftpflanzen aufgeschossen sind, um die gesunde Luft und die Schönheit des Gartens der Kirche zu verderben; daß alle diese Sekten ihre Irrtümer, ihre Torheiten, ihre Ausschweifungen, ihre Lästerungen wider das Dogma, wider die Moral, wider die Gottesverehrung des wahren Glaubens, wider die heiligste Dreieinigkeit, wider Jesus Christus, wider Gott selbst auf die heil. Schrift gegründet haben.
Damit wollen wir übrigens nicht in Abrede stellen, daß die Häretiker oft absichtlich lügen, wenn sie behaupten, sie hätten ihre der heiligen Schrift selbst widersprechenden Irrlehren in der heiligen Schrift gefunden. Denn die Häresien haben ihren Ursprung nicht immer durch die falsche Auslegung einer Schriftstelle, sondern häufig durch eine Anfangs nicht genug unterdrückte Leidenschaft des Herzens genommen. Zuerst wurde der Irrtum erfunden, und dann erst suchte man, demselben durch die heilige Schrift ein Ansehen zu verschaffen und die Mißgeburt der Unwissenheit, des Stolzes oder der Fleischeslust als göttliche Offenbarung geltend zu machen. Findet diese Behauptung nicht ihre volle Bestätigung in dem Beispiel Luthers und in dem Geständnis Calvins? Luther empörte sich zuerst wider das Ansehen der Kirche, und dann erst suchte er, durch die heilige Schrift zu beweisen, daß die Kirche kein göttliches Ansehen besitze. Zuerst erlaubte er dem Kurfürsten von Brandenburg, bei Lebzeiten seiner ersten Frau eine zweite zu ehelichen, um sich durch diese Indulgenz seine Gunst zu verschaffen; dann erst verkündete er, die Bibel in der Hand, die Erlaubtheit der Ehescheidung vom Band. Zuerst ehelichte er selbst, obwohl Mönch und Priester, eine gottgeweihte Jungfrau; dann erst suchte er in beiden Testamenten nach Stellen, die sein Sakrilegium rechtfertigen sollten.
Was dann Calvin, der, wie ich glaube, den wahren Geist der Häretiker wohl durchschaute, anbelangt, so hat er selbst folgendes merkwürdige Bekenntnis abgelegt: „Die Hauptursache des Übels liegt darin: Hat man irgend eine Lehre einmal unbesonnener Weise aufgestellt, dann will man sie hartnäckig und mit allen möglichen Mitteln behaupten und verteidigen. Alsdann nimmt man seine Zuflucht zum Buch der göttlichen Aussprüche, um darin die Rechtfertigung seiner Irrtümer zu finden. Man spannt alle Stellen auf die Tortur; zerrt sie gewalttätig hin und her; verdreht den Geist der heil. Schrift und läßt sie in seinem eigenen falschen Sinne sprechen. So, guter Gott, kann man in der heil. Schrift Alles finden; kann aus ihr Alles machen.
Will man heut zu Tage gelehrt werden, so braucht man es nur so zu machen: Man liest die Schrift, und liest sie wieder; aber nur, um sie dem eigenen Urteil zu unterwerfen; um sie seinen eigenen Ausschweifungen dienstbar zu machen. Kann man sich noch etwas Unsinnigeres (er hätte ohne Skrupel beifügen können „etwas Gottloseres und Sakrilegischeres“) denken, als dieses Verfahren?“
Welche Sprache! Welches Geständnis! O törichter, unglücklicher Calvin! Wie kannst du nicht einsehen, daß du mit diesen Worten deine eigene Schande, deine eigene Verurteilung unterschrieben hast?
Die Kirche lehrt über die Heilige Schrift
Ohne also leugnen zu wollen, daß die Häretiker sich auf die heil. Schrift gewöhnlich mehr im Interesse ihrer Irrtümer und ihrer Leidenschaften, als im Interesse der Wahrheit berufen haben, so finden wir doch die Bemerkung des heil. Irenäus, der gegen alle Häresien so trefflich geschrieben und gekämpft hat, und deshalb den Geist der Häretiker wohl kannte, eben so wahr und gewiß; die Bemerkung nämlich, daß der Teufel, um die Unvorsichtigen zu täuschen, seine Lügen stets mit dem Schleier der Wahrheit der heil. Schrift zu verhüllen sucht, und daß die Ketzer aller Zeiten, der Inspiration des Teufels folgend, dasselbe tun; daß somit das göttliche Buch in ihren sakrilegischen Händen aus einem Heilmittel des Lebens in tödliches Gift zum Verderben ihrer eigenen und fremder Seelen, die sie durch solches Blendwerk verführen, verwandelt wird.
Die heil. Schrift, wie die Tradition, wurde von Gott der Kirche als Depositum hinterlassen, um mit ihrer Hilfe alle Streitfragen zu entscheiden und die Lehre des wahren Glaubens in ihrer Reinheit zu erhalten. Sie hat den heil. Vätern die vortrefflichsten und kostbarsten Materialien an die Hand gegeben, um diese Wahrheiten des Glaubens zu erklären; den Theologen, um sie zu lehren; den Apologeten, um sie zu verteidigen; den Predigern und den religiösen Schriftstellern, um aus ihr Beispiele und Belehrungen zu ziehen, die geeignet sind, religiöse Gesinnung zu erwecken, Laster auszurotten, Tugenden einzuschärfen, die Gläubigen auf den Wegen des innerlichen und vollkommenen Lebens zu führen. Darin besteht nach der Lehre des heil. Paulus der wichtige Nutzen der heil. Schrift: »Jede von Gott eingegebene Schrift ist nützlich zur Belehrung, zur Zurechtweisung, zur Besserung, zur Unterweisung in der Gerechtigkeit« (2. Tim. 3).
Die heil. Schrift bietet, wie derselbe Apostel lehrt, der Seele, welche bereits glaubt und hofft, eine eben so heilsame, als angenehme Lektüre dar; denn die Seele findet in ihr die herrlichsten Beispiele der Geduld, die kräftigsten Beweggründe des Trostes, um ihren Glauben immer mehr zu befestigen, ihre Hoffnungen immer mehr zu beleben: »Was immer geschrieben ist, ist zu unserer Belehrung geschrieben, damit wir durch die Geduld und den Trost aus der Schrift die Hoffnung haben« (Röm. 15)
Aber dieses göttliche Buch wurde uns nicht dazu hinterlassen, damit Jeder, unabhängig von dem Lehramt und der Predigt der Kirche aus ihm die Richtschnur des Glaubens und des Lebens sich heraussuche und die Religion nach seinem Sinne modle.
Diese Methode, welche dem größten Teil der Menschen die Erkenntnis der wahren Religion schwierig, ja fast unmöglich machen würde, ist gewiß nicht vom Geist Gottes ausgegangen; denn Er wollte in seiner Barmherzigkeit diese Erkenntnis Allen leicht machen.
Zwar unterscheidet sich, wie der heil. Augustin bemerkt, die Sprache des göttlichen Buches von jener, wie sie in den Erzeugnissen des menschlichen Geistes weht, dadurch, daß sie ganz einfach und Allen zugänglich ist; aber ihr Sinn ist dessen ungeachtet tief und verborgen, und nur sehr Wenige sind im Stande, in diese Tiefen einzudringen. Wie also ist es möglich, daß, ich will nicht sagen, der ungebildete und ungelehrte, sondern auch der gebildete und gelehrte Mensch mit dem bloßen Licht seines eigenen Geistes in einem so umfangreichen, geheimnisvolle, an so vielen Stellen dunkeln Buch den klaren, bestimmten Sinn der wesentlichen Glaubenswahrheiten und der notwendig zu erfüllenden Pflichten finden könne?
Der notwendige Glaube an die Lehre der Kirche
Die heil. Schrift allein reicht also nicht hin, damit ein Jeder mit Leichtigkeit den wahren Glauben finden könne; sondern es muss das Bekenntnis des wahren Glaubens vorausgehen, um die heil. Schrift zu verstehen, um in ihr eine heilsame Seelenspeise zu finden. Das Licht, das aus der heil. Schrift leuchtet, ist zwar göttlich; aber nicht minder göttlich ist das Licht, welches aus der Lehre der Kirche strahlt, weil die Kirche Gottes Werk ist und seines Beistandes sich erfreut. Der Glaube an die Lehre der Kirche ist das wahre Licht, welches uns als Führer dienen muss, um jenes Licht, das in der heil. Schrift enthalten ist, zu finden. So geht die Prophetie Davids in Erfüllung, welcher weissagt: Es werden eines Tages die Gläubigen mit Hilfe eines göttlichen Lichtes das göttliche Licht schauen: „In deinem Licht werden wir das Licht schauen“ In lumine tuo videbimus lumen. (Psalm. 35)
Das ist also das einzige sichere, hell leuchtende und beständige Licht, um bei der Lesung der heil. Bücher nicht zu irren. Wenn die gläubige Seele zuerst die Lehre der Kirche kennt und an ihre Unfehlbarkeit glaubt, dann verwirft sie jede Erklärung, jede Idee, die ihr bei der Lesung der heil. Schrift in den Sinn kommen kann, sobald sie dieser göttlichen Lehre widerspricht, als irrig und falsch. Gleichwie demnach derjenige, der in einem Labyrinth wandelt, wenn er mit der Hand den Faden, der ihm zum Führer dient, beständig festhält, ohne Gefahr, sich zu verirren, nach Lust dahinwandeln kann, so kann auch die christliche Seele, wenn sie die Leuchte der kirchlichen Lehre in ihrem Geiste festhält, nach Herzenslust das große Buch der göttlichen Aussprüche und der ewigen Wahrheiten durchwandeln; kann seine Schönheit bewundern, seine Kraft fühlen, sein Licht, das den Geist erweitert und erleuchtet, in sich aufnehmen; kann seine Lieblichkeit, die das Herz erhebt und gleichsam trunken macht, kosten; und das Alles ohne Gefahr, sich in jene Irrgänge der Häresie zu verlieren, in welchen die sich selbst überlassene und zuletzt an sich selbst verzweifelnde Vernunft zu Grunde geht.
So sind alle heil. Väter, alle Kirchenlehrer, alle Einsiedler der Wüste, alle großen Theologen, alle religiösen Schriftsteller, alle Heiligen, alle frommen und vollkommenen Seelen, die seit achtzehn Jahrhunderten wie hell leuchtende Sterne erschienen sind, um den geheimnisvollen Himmel der Kirche durch die Erhabenheit ihrer Lehre oder durch das Heldentum ihrer Tugenden zu verherrlichen, bei Lesung der heil. Schrift zu Werke gegangen. Viele von ihnen sind bloß durch die anhaltende Lesung und durch die beständige Betrachtung dieses göttlichen Buches Wunder der christlichen Wissenschaft geworden; haben in der Bibel Hilfsmittel in hinreichender Menge gefunden, um alle Wahrheiten zu erklären, um alle Irrtümer zu widerlegen, um alle Tugenden zu predigen, um alle Laster zu bekämpfen. Dieses göttliche Buch war in ihren Händen eine unerschöpfliche Fundgrube, eine lebendige, nie versiegende Quelle von Licht, Lehre, Wahrheit, von heiligen Gefühlen, womit sie zuerst sich selbst gesättigt und bereichert und dann von ihrem Reichtum auch Anderen mitgeteilt haben.
Weil sie sich zuerst tief gedemütigt und in Demut Alles geglaubt haben, deshalb gelangten sie zu einer fast englischen Erkenntnis, zu einer apostolischen Beredsamkeit. Der demütige Glaube verlieh ihnen eine himmlische Einsicht, eine göttliche Kraft der Rede, wie der königliche Prophet es geweissagt hat: »Ich glaubte; darum redete ich. Aber ich war sehr gedemütigt«: Credidi, propter quod loquutus sum; ego autem humiliatus sum nimis. (Psalm. 115)
Lesen der Heiligen Schrift im Licht der kirchlichen Lehre
So findet auch jede wahrhaft, christliche Seele, welche mit vollem Glauben an die Geheimnisse und an die Lehre Jesu Christi, mit jenem Glauben, den sie so klar, so deutlich, so bestimmt durch das Lehramt der Kirche empfangen hat, an die Lesung der heil. Schrift geht, auf jeder Seite des alten, wie des neuen Testamentes mit Leichtigkeit Jesum Christum, seine Lehre und seine Geheimnisse. Sie findet Ihn in allen geschichtlichen Tatsachen, in allen Prophetien, erkennt Ihn unter dem Schleier aller Vorbilder, weil der wahre Glaube, der sie führt, Liebe, und weil die Liebe erfinderisch ist. Die Liebe erkennt auch in weiter Entfernung, auch in dem Gewirr vieler Gegenstände das ersehnte Antlitz, die bekannte Stimme der geliebten Person; und wenn auch die Sinne sich täuschen, so täuscht das Herz sich nicht. Das Herz fühlt mit leisem Pochen die Gegenwart des Geliebten. Darum findet die gläubige Seele beim Lesen der heil. Schrift immer neue Beweggründe, um sich im Glauben, der sie führt, zu befestigen; immer neue Motive, um in der Liebe Gottes, die ihr das Verständnis gibt, und im Vertrauen auf die göttlichen Verheißungen, auf welche sie sich stützt, zu wachsen. Je mehr sie in diesem göttlichen Buch liest, desto mehr Gefallen findet sie daran; je mehr es ihr gefällt, desto mehr liebt sie es; je mehr sie es liebt, desto mehr bewundert sie es; je mehr sie es bewundert, desto besser versteht sie es. Sie findet dann auf jeder Seite glückliche Auslegungen, schöne Erklärungen, treffende Anwendungen, wichtige Wahrheiten, heilsame Lehren, fromme Übungen, wirksame Beispiele. Auf solche Weise erwirbt sie sich mehr und mehr ein richtiges Urteil, eine klare Einsicht, erhabene Ideen, edle Gefühle, einen feinen Geschmack, eine reine und glühende Liebe zum Göttlichen. Sie dringt immer tiefer ein in das innere Mark der heil. Schrift und findet darin jenes geheimnisvolle Manna, welches die göttliche Güte in diesem himmlischen Buche, wie in einer neuen Bundeslade niedergelegt hat; jenes Himmelsbrot, das alle Wunden der Seele heilt, alle Wissenschaft enthält, alle irdische Lust übersteigt, allen Trost gewährt und so die Wahrheit jener Davidischen Weissagung bestätigt, welche vom Wort Gottes rühmt, daß es im geistigen Gaumen der wahrhaft in Demut glaubenden und liebenden Seele eine Lieblichkeit und eine Süßigkeit hervorbringt, die jene des Honigs weit übertrifft:
Quam dulcia faucibus meis eloquia tua: super melori meo. (Psalm. 118)
Der Katholik glaubt um zu verstehen
Hierin liegt also eine jener großen Verschiedenheiten zwischen dem Katholiken und zwischen dem Häretiker. Beide lesen die Schrift; aber der Katholik sucht darin die Nahrung, der Häretiker das Prinzip seines Glaubens. Der Katholik glaubt, um zu verstehen; der Häretiker will zuerst verstehen, um dann zu glauben.
Und da geschrieben steht: Wenn ihr verstehen wollt, fangt mit dem Glauben an: Fide intelligimus (Hebr. 11); wer nicht zuerst glaubt, wird nie verstehen: Nisi credideritis, non intelligetis (Isai.), was geschieht? Der Katholik, welcher mit dem Glauben beginnt, und das Verständnis sucht, kommt zum Verständnis, ohne den Glauben zu verlieren. Der Häretiker aber, der zuerst verstehen will, um nachher zu glauben, findet nie eine klare und bestimmte Glaubensnorm, und versteht am Ende Nichts. Wer die Demut des Glaubens besitzt, empfängt zum Lohn auch das Verstehen, insoweit es auf dieser Erde möglich ist. Wer aber das Verständnis, das er nicht hat, zu haben vermeint, ist dem Glauben fern, und wird noch dazu auch seiner eingebildeten Erkenntnis beraubt, bis er zuletzt der armselige Spielball aller Irrtümer, aller Zweifel, aller Torheiten wird. Es geht an ihm der schreckliche Ausspruch Jesu Christi in Erfüllung: »Wer hat, dem wird gegeben werden, und er wird Überfluss haben. Wer aber nicht hat, der wird auch Nichts finden; und wenn er noch etwas von dem Seinen hat, so wird ihm auch dies noch genommen werden (Matth. 13). O glückselige Unwissenheit des Glaubens! O armselige Wissenschaft des Stolzes! –
aus: Joachim Ventura, Exgeneral der Theatiner, Die Schönheiten des Glaubens oder: Das Glück, an Jesum Christum zu glauben und der wahren Kirche anzugehören, Fünfter Band, Zweiter Teil, 1855, S. 79 – S. 88