Jesus Christus von den Magiern gefunden
oder Die Hilfsmittel und die Tröstungen des Glaubens
Die Magier fanden das Kind Jesus in Bethlehem
6. Andere wichtige Erklärungen der Worte: „Sie fanden das Kind.“ Bedeutung des Wortes „finden“ nach der Grammatik und nach der Schrift. Die Magier besaßen, als sie Jesum Christum fanden, in ihm alle geistlichen Güter. Jesus, der wahre Schatz, der wahre Edelstein, und das wahre Brot des Lebens. Die Magier fanden in ihm die Nahrung ihrer Seelen. Dies wird dadurch bestätigt, daß sie ihn in Bethlehem fanden, ein Wort, welches das Haus des Brotes bedeutet. Bethlehem, ein schönes Vorbild der Kirche.
Nach dem, was wir über die Stelle des Evangelisten: „Sie fanden das Kind mit Maria, seiner Mutter“ gesagt haben, möchte es scheinen, daß nichts mehr darüber zu sagen übrig bliebe. Und dennoch ist es nicht so. –
In den zwei vorher gehenden Paragraphen haben wir jene Stelle kaum im buchstäblichen und theologischen Sinne erklärt. Wir haben sie nun noch insbesondere im allegorischen und moralischen Sinne zu erklären. Und erstens, was will es denn sagen, daß die Magier Jesum Christum fanden? Um dies recht zu verstehen, ist zu bemerken, daß das lateinische Wort inveni (nicht minder als das hebräische matsa, und das griechische eureca), das in unserer gewöhnlichen Sprache übersetzt wird: Ich habe gefunden, manchmal bedeutet: Ich habe gesehen; ich habe angetroffen; es ist mir vorgekommen; am öftesten aber, wie Donatus bemerkt, will es sagen: Ich habe erworben; ich habe erlangt; ich habe erreicht; ich habe besessen. Daher kommen die Ausdrücke: Den Tod, die Gesundheit, das Leben, Lob, Ruhm, Ruf, Reichtümer Schutz finden.
Was das Wort „Gott finden“ bedeutet
Bemerken wir auch, daß, wenn das Wort finden sich auf Gott bezieht, es immer diese zweite Bedeutung hat, und gar keine andere haben kann. Denn nur, wenn von dem Menschen die Rede ist, ist: den Vater finden, nicht so viel als ihn gütig finden, den Richter finden, nicht so viel als ihn günstig haben, einen Reichen finden, nicht so viel als ihn freigebig erfahren, den Fürsten finden, nicht so viel als seine Gnade und seinen Schutz erworben haben; aber Gott finden bedeutet in der Schrift immer: Ihn gnädig, barmherzig, gütig, geneigt uns zu vergeben, uns beizustehen, uns aufzunehmen, haben; bedeutet ferner, ihn kennen, ihn lieben, ihn besitzen: indem die Fleisch gewordene Weisheit von sich selbst gesagt hat: Wer mich findet, der findet das Leben, und schöpft aus der Quelle der Barmherzigkeit des Herrn das ewige Heil: Qui me invenerit, inveniet vitam, et hauriet salutem a Domino. (Prov. 8)
Daher verlangt die gläubige Seele, die in der Braut des Hohenliedes vorgebildet ist, nun ihren göttlichen Geliebten, den Gott ihres Herzens zu finden, der sie manchmal verlassen zu haben scheint; und wenn sie ihn gefunden hat, so wünscht sie nichts mehr; denn sie weiß gewiß, daß gefunden zu haben und von ihm geliebt zu werden, eins und dasselbe ist: Inveni quem diligit anima mea: tenui eum, nec dimittam. (Cant. 3) Dagegen aber ist: Gott nicht finden, so viel als ihn zornig und feindlich haben; zu spät und vergeblich um seinen Beistand bitten; nur seine Strafe und Züchtigung zu erwarten haben; und deshalb kündigte der Erlöser den Juden als den größten von allen Unglücksfällen denjenigen an, daß sie ihn einst suchen, ihn aber nicht finden werden; denn ihn nicht finden sei so viel als in der Sünde sterben: Quaeritis me et non invenietis; peccato vestro moriemini. (Joh. 8)
Nach dieser vorgänglichen Erklärung wird es klar, daß die Worte: „Sie fanden das Kind“, bedeuten, daß die Magier Jesum Christum fanden, nicht als einen Gegenstand unfruchtbarer Bewunderung und leerer Neugierde, sondern, sagt der heilige Augustin, als die heilsame Arznei der Wunden ihres Herzens, und als den liebevollen Arzt, der sie anwendet. Als Arzt, weil als Wort Gottes und Gott selbst: als Arznei, weil als Mensch gewordenen Gott. Sie fanden ihn als ihren Hohenpriester, der ihre religiösen Handlungen aufnahm, sich selbst darbrachte und weihte. Sie fanden ihn endlich als Licht ihres Verstandes, welcher der Leitung und Führung bedurfte, das ihnen den Weg anzeigte, den sie bei ihrer Rückkehr einzuhalten hatten und der gänzlich verschieden von dem war, auf dem sie sie gekommen waren: gleichwie er auch jetzt noch durch seine Gnade bewirkt, daß die Sünder den Weg des Lebens ändern.
O selige Magier, die, indem sie den Ausspruch des heiligen Propheten verstanden: „Suchet den Herrn, so lange er zu finden ist: Quaerite Dominum dum inveniri potest“ (Isa. 55), kaum den göttlichen Ruf bekamen, kaum aus dem wunderbaren Stern die Geburt Jesu Christi erkannten, keinen Augenblick zögerten, um ihn zu suchen, indem sie überall, worin sie kamen, rechts und links nach ihm fragten: Venerunt dicentes: Ubi est? Denn sie hatten wirklich das Glück, den Erlöser zu finden, den zu suchen sie so weit hergekommen waren: Invenerunt Puerum, und zum voraus die Wahrheit des Ausspruches zu erfahren, den später derselbe Jesus Christus tat: „Suchet, und ihr werdet finden, denn wer mich sucht, der findet mich: Quaerite et invenietis… qui quaerit invenit.“ (Matth. 7)
Jesus, der Schatz im Acker und der Edelstein
Ferner, derselbe Erlöser hat auch gesagt: „Das Himmelreich ist gleich einem Schatz, der mitten in einem Acker verborgen ist, und der in dem, welcher ihn kennt, den Wunsch erweckt, das Feld, worin der Schatz sich befindet, zu kaufen und sollte er auch Alles verkaufen müssen, was er besitzt: …(Matth. 13)
Das Himmelreich ist gleich einem Edelstein von großem Wert, der, sobald ihn der Juwelen-Händler entdeckt, ihn antreibt, all das Seinige zu verkaufen, um ihn zu erwerben: … (ebd.) Nun, auch diese herrlichen Worte sind zum voraus an den Magiern in Erfüllung gegangen. Denn was ist der im Feld verborgenen Schatz sonst, als das ewige Wort, in welchem alle Schätze der Weisheit und der Wissenschaft Gottes und alle Reichtümer seiner Güte enthalten sind, das im Elend unserer Menschheit verborgen und als der letzte der Menschen und mitten auf dem offenen Felde von Bethlehem geboren war?
Ein Schatz, der wahrhaft der Treulosigkeit des Herodes, dem Stolz der Juden verborgen war, die ihn nicht kannten, ihn nicht entdeckten und den Ort, wo er sich befand, verachteten, und der bloß der Einfalt der Hirten, der Demut der Magier, ihrem aufrichtigen Verlangen, ihrer reinen Liebe bekannt war. Was ist der Edelstein sonst als Jesus Christus, den Isaias den kostbaren Stein genannt hat, der geprüft und als echt und rein erfunden worden ist: Lapidem probatum pretiosum (Isa. 28), den die Magier allen ihren Reichtümern, allen ihren Herrlichkeiten verzogen?
O ja, sie kauften mit den Beschwerden ihrer langen Reise, mit der Freimütigkeit ihrs Bekenntnisses, damit, daß sie ihre Reiche verließen und endlich ihr Leben der Gefahr aussetzten, das Feld, worin der Schatz verborgen war, das Land, worin der Edelstein lag, und sie erwarben den Schatz und den Edelstein, d. h. Jesum Christum wahrhaftig ihrem Glauben, ihrer Liebe, und sie erfuhren ihn so, wie ihn nach seiner eigenen Verheißung und nach seiner eigenen Weissagung immer diejenigen finden, erfahren, welche ihn mit dem Opfer ihrer selbst finden, nämlich als Nahrung ihres geistigen Lebens und als Urheber und Vollender ihres ewigen Heils: Qui me invenerit, inveniet vitam; et hauriet salutem a Domino.
Jesus, das wahre Brot des Lebens – geboren im Haus des Brotes
Was sagen wir? Selbst der Ort, wo die heiligen Magier das Kind fanden, zeigt deutlich die Güter und die Gnaden an, die man in ihm und mit ihm bekommt. Denn das Haus, in welchem der Herr geboren ward, und in welches die Magier gingen, war in dem Lande Bethlehem. Diese Stadt, im Stamm Juda gelegen, hieß einst Effrata, oder Frucht bringend. Als aber der Patriarch Jakob auf seiner Rückkehr aus Mesopotamien in ihrer Nähe sich niederließ, um die Herde zu weiden, änderte er den Namen eben dieser Stadt und nannte sie Bethlehem, ein Wort, das Haus des Brotes bedeutet.
Und er tat das nicht ohne Bedacht oder nur zufällig, oder aus Laune, sondern weil nach der einstimmigen Meinung der Väter und der Ausleger bei Haimon Jakob in der glücklichen Nacht, wo er auf den Ebenen von Effrata verweilte, von Gott die Offenbarung bekam, daß an eben dem Ort, wo er sich befand, einst der Erlöser der Welt geboren werde, welcher sich selbst das lebendige Brot nennen werde, das vom Himmel herab kam.
Jakob tat also, indem er Effrata den Namen Bethlehem gab, eine glänzende Weissagung; er sagte voraus, daß der Messias, der dort geboren wurde, die speise sein sollte, und er verkündigte der Welt ein großes Geheimnis. Und auch der Emissener Eusebius fügt hinzu: Jesus Christus hat von sich selbst und seinem Evangelium gesagt: „Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herab kam.“ Es war also nichts gebührender, als daß das lebendige Brot an dem Ort geboren würde, der das Haus des Brotes genannt wurde. Aber man bemerke wohl, daß nicht etwa deshalb, weil jener Ort das Haus des Brotes genannt worden war, Jesus Christus daselbst geboren wurde, sondern gerade umgekehrt, deshalb, weil Jesus Christus dort geboren werden sollte, wurde jener Ort das Haus des Brotes genannt.
Aus dieser Auslegung geht deutlich hervor, daß der Evangelist mit den Worten: „Und sie gingen in das Haus und fanden das Kind“, sagen wollte, daß die Magier in das schon von Jakob voraus gesagte Haus gingen, in das Haus des Brotes, in das Haus der Fülle und des Friedens, und dort Jesum Christum im Schoß der Jungfrau, seiner Mutter, fanden, nicht als ein Schauspiel, das nur geeignet war, ihre Blicke zu beseligen, sondern auch als ein kostbares Brot, eine speise und Erquickung für ihre Seelen und für ihre Herzen, und daß in ihnen die glänzende Weissagung und die liebreiche Verheißung in Erfüllung ging, welche Gott einst durch den Ecclesiasticus gegeben, nämlich „daß er einst den gerechten mit den wunderbaren Brot des Lebens und des Verstandes speisen und ihn mit dem heilsamen Wasser der ewigen Weisheit tränken werde. Cibabit illum pane vitae et intellectus: et aqua sapientiae salutaris potabis illum. (Eccl. 15)
Und die Magier entgingen in der Tat deshalb, weil sie mit diesem göttlichen Brot des Verstandes genährt worden waren, den Nachstellungen und dem Ärgernis des Herodes; sie kehrten, weil sie mit diesem Brot des Lebens gespeist worden waren, wie wir in der folgenden Lesung sehen werden, voll Kraft und Mut in ihr Land zurück, von Liebe und Eifer entbrannt, dort Jesum Christum zu predigen und ihr Leben für ihn hinzugeben.
Das Haus des Brotes bedeutet die Kirche
Aber in dem, was Jesus Christus in Bethlehem mit den Magiern tat, bildete er schon damals vor, was er später in der Kirche mit den Heiden, ihren Nachkommen und Erben ihres Glaubens, tun sollte. Denn, wie Haimon sagt, Bethlehem, oder das Haus des Brotes, bedeutet die heilige Kirche, in welcher täglich der Herr das Geheimnis seiner Geburt erneuert, indem er in der Seele der Auserwählten wieder geboren wird, oder sich ihrem Herzen durch seine Gnade und ihrer Seele durch das Licht seiner Kenntnis und seiner Wahrheit mitteilt. Täglich wird daher die heilige Kirche in den Gliedern, welche sie bilden, durch den Leib und das Blut Jesu Christi gestärkt und erquickt.
Und auch der Emissener sagt: Die zwei Namen, mit welchen diese glückliche Stadt genannt wird, Effrata, oder Frucht bringend und Überfluss habend, und Bethlehem, oder Haus des Brotes, passen vollkommen auf die Kirche. Und mit vielem Recht ist das Haus, in welchem Jesus Christus geboren wurde, so lange Zeit zuvor mit diesen zwei Namen bezeichnet worden, weil es die Kirche bedeutete, in welcher alle diejenigen, die es mit Aufrichtigkeit des Herzens suchen, das wahre Brot, den Überfluss und die ewige Sättigung finden.
O Weisheit, o Reichtum, o Herrlichkeit der Liebe Jesu Christi zu uns! Daß er bei uns in dem wahren Bethlehem, in seiner Kirche als Licht unsers Verstandes und als Gnade und Stärkung unserer Herzen geblieben ist, so daß wir, wie der heilige Paulus gesagt hat, in ihm jede Hilfe, jeden Beistand, jede Erquickung, Alles finden, was wir nötig haben, Alles, was wir je verlangen können: In omnibus divites facti estis. (1. Kor. 1) Doch dieses Geheimnis der Liebe Jesu Christi zu uns, das eben so köstlich als wichtig ist, verlangt eine ausführlichere Erklärung. –
aus: Joachim Ventura, Exgeneral der Theatiner, die Schönheiten des Glaubens oder: Das Glück, an Jesum Christum zu glauben und der wahren Kirche anzugehören. Eine Erklärung des Geheimnisses der Epiphanie des Herrn. Bd. 6, Dritter Teil, 1858, S. 223 – S. 230