Warum der Stern den Weisen entschwindet

Die heiligen drei Könige, auch Weisen oder Magier genannt, bringen dem Christuskind Geschenke, Weihrauch und Myrrhe; Maria sitzt, das Jesuskind im Arm, vor ihnen, der heilige Joseph steht seitlich hinter Mutter und Kind

Die Schwierigkeit das wahre Christentum durch eigenes Studium zu finden

Die Belehrung der Magier

Gott ließ den Stern entschwinden

9. Eine weitere Betrachtung über die Offenbarung, die den Magiern geworden. Sie verlieren den Stern aus dem Gesichte. Im ganzen Morgenlande war es Gebrauch, nach Jerusalem sich zu wenden, um die Erklärung großer Wunderzeichen zu erhalten. Dadurch, daß Gott den Stern verschwinden ließ, veranlaßte er die Magier die Synagoge zu befragen; und diese Anfrage diente dazu, ihren Glauben zu befestigen. Hierdurch wird ein wichtiges Geheimnis enthüllt, die Notwendigkeit eines göttlichen Tribunals, durch welches das Wort Gottes erklärt wird, damit die Lehre des Glaubens noch leichter und allgemeiner werde. Beweis, daß dieser Richterstuhl der Wahrheit in Rom seinen Sitz habe, und daß das Privilegium, die heilige Schrift unfehlbar auszulegen, wie es sich einst bei den Hebräern im Besitze des Hohenpriesters befand, nunmehr in der Person des obersten Bischofs der Kirche konzentriert sei.

Die Art und Weise, wie die Magier in der christlichen Wahrheit unterwiesen wurden, bietet uns noch einige andere eben so wichtige, als trostvolle Lichtpunkte dar, um den Geist der Lehrweise des wahren Glaubens noch besser kennen zu lernen. Denn es wird uns durch die Magier nicht allein gezeigt, wie diese göttliche Lehrmethode des Glaubens jene zwei großen Vorzüge habe, daß sie leicht und schnell, Allen zugänglich und universell sei, sondern auch, daß sie diese für die Menschen so wichtigen Vorzüge nur in der Weise besitzt, wie die Kirche sie ausübt. Diesen Satz wollen wir nunmehr besprechen. Es ist dies ein hochwichtiger Gegenstand, weil es sich um die Grundlagen der Religion, handelt; es ist zugleich ein für uns Katholiken höchst trostreicher Gegenstand, weil uns dadurch gezeigt wird, daß wir, und nur wir allein die Wahrheit besitzen.

Jerusalem, ehemals Kathedra der Wahrheit

Kehren wir also zu den Weisen zurück, so sehen wir, wie ihnen plötzlich ein eben so unerwartetes, als schmerzliches Ereignis entgegentritt, das sie noch am nahen Ziele ihrer Reise aufhalten und ihre schönsten Hoffnungen zerstören kann. Der Stern, der sie aus dem fernen Orient so treulich geführt hatte, verschwand plötzlich ihren Blicken, da sie die Grenzen des Judenlandes überschritten; und so aufmerksam sie ihn auch am ganzen Himmel mit dem Auge und noch mehr mit dem Herzen suchten, sie fanden keine Spur mehr von ihm. Was sollten sie nun tun? Wieder nach Hause zurückkehren? Das erlaubte ihnen ihr Glaube und das brennende Verlangen, Jesum Christum zu finden und zu sehen, nicht. Sollten sie die Reise fortsetzen? Aber wohin und wie? Sie hatten ja nicht den geringsten Anhaltspunkt über den Ort seiner Geburt. O ihr unglücklichen Magier! wie peinigend ist eure Lage! wie schmerzlich eure Ungewißheit! Doch folgen wir nur diesen Dienern Gottes, die Er bereits unter seinen Schutz genommen hat; die Er mit seiner Weisheit leitet und führt; die Er mit seiner Güte trösten und erfreuen will. Gerade dieses Ereignis, das der bereits erhaltenen Offenbarung hindernd in den Weg zu treten scheint, dient dazu, dieselbe noch mehr zu erleichtern, zu bekräftigen, zu vollenden.

Jerusalem, die königliche Stadt der Religion, wie des jüdischen Reiches, galt nicht bloß bei den Juden, sondern auch bei den Heiden im ganzen Orient als die Stadt der Orakel Gottes, als der Sitz, als die Kathedra der Wahrheit, weil sich dort die Erkenntnis des wahren Gottes fand: Vocabitur Jerusalem civitas veritatis. (Zachar. 8) Deshalb pflegten, wie Haimo bemerkt, selbst die Heiden, wenn sich irgend ein außerordentliches Phänomen am Himmel zeigte, sich nach Jerusalem zu wenden, um von dort die Erklärung desselben zu holen. So hat, wie im vierten Buche der Könige erzählt wird, zur Zeit des Königs Ezechias, da sich das große Wunder ereignete, daß dieSonne um einige Linien sich zurückzog, Merodach, der Sohn Baladans und König von Babylon, obwohl Heide, an den König Ezechias Briefe und Geschenke gesandt mit der Bitte, ihm die Ursache jener seltsamen Erscheinung zu erklären. Da nun die Magier als gelehrte Männer des Morgenlandes gewiß auch von diesem besonderen und ausgezeichneten Privilegium Jerusalems, die Aussprüche Gottes zu kennen und zu erklären, wußten, so setzten sie ihre Reise fort und kamen in diese Stadt. Nach langem, unablässigen Fragen erhielten sie endlich von den Priestern der jüdischen Synagoge den Bescheid, daß der Messias, den sie suchten, in Bethlehem Juda geboren werden sollte: In Bethlehem Juda; sic enim scriptum est per prophetam.

Warum der Stern den Umweg über Jerusalem nahm

Aber wie? Konnte denn der Gott, der, wie wir bereits sahen, die Weisen über so große und erhabene Wahrheiten ohne menschliche Vermittlung belehrt hatte, ihnen nicht auch den Ort der Geburt des Messias, dessen Geheimnisse ihnen bereits geoffenbart waren, angeben? Oder konnte er es nicht so anordnen, daß der Stern, der sie vom Anfang ihrer Reise bis hierher so treulich geführt hatte und aber sie auch später wieder geleitete, ihnen diesen Dienst auch im Judenland leistete, ohne daß sie nötig hatten, den Umweg nach Jerusalem zu machen? Ohne Zweifel stand dieses in der Macht Gottes; aber er wollte es nicht tun; und zwar gerade deswegen, um die Magier zu zwingen, die Synagoge um Rat zu fragen. Das war ein neuer Zug der göttlichen Güte gegen diese auserwählten Seelen, bemerkt der heil. Leo. Dieses Verschwinden des Sternes, wodurch das erste Zeugnis zweifelhaft zu werden schien, diente dazu, um den Magiern einen neuen Beweis von der Wahrheit der ihnen erteilten Offenbarung zu geben. Zu dem göttlichen Lichte, welches durch das Wunder des Sternes über ihren Geist ausgegossen war, kam noch das Ansehen des prophetischen Wortes der heil. Schrift, erklärt durch die Synagoge. Ihr im Werden begriffener Glaube wurde gerade durch diesen Umstand, der, wie es schien, ihn auslöschen oder schwächen konnte, kräftiger und lebendiger. Gerade damals, als es den Anschein hatte, als ob sie den rechten Weg ganz verloren hätten, kamen sie auf einem noch leichteren und gewisseren Wege zu Jesus Christus.

Dieser neue Zug der göttlichen Güte gegen die Magier enthüllt uns, sagt Cornelius a Lap., ein großes und wichtiges Geheimnis. Dadurch nämlich, daß Gott die Weisen, nachdem sie bereits unmittelbar von ihm belehrt waren, auch noch nach Jerusalem gehen hieß, um dort von seinen Dienern, den jüdischen Priestern, zur vollkommenen Erkenntnis Jesu Christi unterrichtet zu werden; dadurch, daß Gott ihnen befahl, sein eigenes göttliches Zeugnis auch noch dem Urteil der Synagoge zu unterwerfen; dadurch, daß er eine lebende und sprechende Autorität auf Erden über die mittelst eines stummen und leblosen Zeichens am Himmel erteilte Offenbarung unfehlbar urteilen und entscheiden ließ, wollte Gott schon damals den Ratschluss seiner Weisheit, die Menschen durch Vermittlung von Menschen, das ist, mittelst der Lehrer und Diener der Kirche, die er selbst einsetzen würde, zu belehren und auf den Wegen des ewigen Heiles zu führen, kund machen.

Wie ist doch dieser Ratschluss voll der Weisheit, Sorgfalt und Liebe! Gerade dieses Mittel war notwendig, um die Lehre des Glaubens wahrhaft leicht und universell zu machen.

Aber wie denn das? entgegnen die Irrlehrer. Ist denn die heil. Schrift nicht von Gott eingegeben? Enthält sie nicht Gottes Wort? Ist sie nicht ein vollkommener Lehrkurs, eine reiche Fundgrube aller von Gott geoffenbarten Wahrheiten? Genügt sie sich selbst nicht? Können nicht Alle sie lesen, Alle sie hören? Können nicht Alle aus ihr leicht und ohne Mühe lernen, was sie glauben und tun müssen, um Gott zu dienen und selig zu werden? Wozu ist noch das menschliche Lehramt der Kirche notwendig, da die göttliche Lehre in der heil. Schrift Allen zugänglich und verständlich ist? Ist die Aufstellung des kirchlichen Lehramtes also nicht eine von den Erfindungen der Kirche, eine von ihr selbst zu ihren Gunsten ersonnene und ins Werk gesetzte Anmaßung ?

O Torheit! Wie konnte die Kirche dieses Lehramt erfinden, da es schon vor der Kirche existiert hat? da die Kirche erst mit demselben und durch dasselbe geboren, gewachsen und über die ganze Welt verbreitet worden ist? Wie konnte Rom es erfinden, da es, bevor Rom noch davon eine Kenntnis hatte, bereits in Bethlehem geoffenbart, angeordnet und in Wirksamkeit gesetzt war? da die Weisen des Morgenlandes die Erstlinge der Kirche, nur mittelst der Synagoge zu Jesus Christus gelangten?

Ohne Zweifel war die den Magiern unmittelbar gewordene Offenbarung göttlich; denn nur ein göttliches Licht konnte diese heidnischen Männer in so kurzer Zeit in den großen Geheimnissen des Messias unterweisen. Aber nicht minder göttlich war das Ansehen der Synagoge; denn ihr war von Gott die Bewahrung und die unfehlbare Auslegung seines Wortes übertragen worden. Deshalb enthob Gott auch die Magier, die er selbst in seiner eigenen Schule unterrichtet hatte, keineswegs der Verpflichtung, zu den Juden in die Schule zu gehen, und wollte, wie der heil. Augustinus bemerkt, daß sie, um zur vollkommenen Erkenntnis der erhabenen Würde Jesu Christi und des Ortes seiner Geburt zu gelangen, die größten Feinde Jesu Christi zu Lehrmeistern nehmen sollten.

Die Belehrungen der Kirche sind Aussprüche Gottes

So ist auch die heil. Schrift göttlich und kann nicht anders als göttlich sein; denn nur der Geist Gottes konnte alles das, was in ihr geschrieben ist, eingeben. Aber nicht minder göttlich ist das Ansehen der wahren Kirche, welche Gott an die Stelle der Synagoge gesetzt hat, um das erhabene und schwierige Amt der treuen Bewahrung und der unfehlbaren Auslegung der heil. Schrift zu erfüllen. Deshalb enthebt uns die Lesung der heil. Schrift, in der Gott selbst zu uns spricht und uns belehrt, keineswegs der Pflicht, auch die Kirche zu hören und von ihr uns belehren zu lassen; wir müssen die Belehrungen derjenigen, welche die Kirche sendet, als Aussprüche Gottes selbst annehmen, wenn gleich der Mund, der sie verkündet, nicht immer ganz rein und heilig ist.

Die geschriebene Offenbarung Gottes reicht also nicht hin, um Jesum Christum zu finden. Es muss noch die durch Überlieferung auf uns gekommene Offenbarung Gottes, deren Inhaberin die Kirche ist, dazu kommen. Die Eine dient, um die Andere zu erklären und zu erleichtern. Erst die durch eine von Gott gesetzte Autorität gegebene Erklärung der heil. Schrift gibt nach dem schönen Ausdruck der Psalmen ein reines und sicheres Licht und gewährt auch den Kleinsten, den Unwissendsten, den Ungebildetsten das wahre Verständnis des Wortes Gottes: Declaratio sermonum tuorum illuminat et intellectum dat parvulis. (Psalm. 16)

Darum heißt es in der heil. Schrift selbst: „Von Sion wird das Gesetz ausgehen und das Wort des Herrn von Jerusalem“: Ex Sion exibit lex et verbum Domini de Jerusalem. (Is. 2) Unter „Gesetz“ ist aber die geschriebene Offenbarung zu verstehen, wie dies aus hundert Stellen der heil. Schrift hervorgeht; und „das Wort Gottes“ bedeutet die überlieferte Offenbarung, durch welche die geschriebene erklärt wird. Dabei ist wohl zu beachten, daß die geschriebene Offenbarung einfach „Gesetz“, die Überlieferung aber „Wort Gottes“ heißt. Denn daß das Gesetz des Evangeliums von Gott sei, darüber kann kein Zweifel sein, und deshalb genügt es, dasselbe einfach „das Gesetz von Sion“ zu nennen, um es als göttlich zu bezeichnen. Aber weil es solche verwegene Menschen geben kann, welche sich weigern, die überlieferte Offenbarung als göttlich anzunehmen, so wird diese deutlich und bestimmt ,,das Wort Gottes“ genannt: Verbum Domini.

Zugleich heißt es: „Das Gesetz des Evangeliums werde von Sion ausgehen“ und nicht von Kalvaria (ebenfalls eine Höhe desselben Berges Moria, auf welchem Sion lag), um dadurch anzuzeigen, daß durch das neue Gesetz die alte, aus Sion niedergelegte Offenbarung nicht umgestoßen, sondern durch das von Kalvaria ausstrahlende Licht verklärt und vollendet werden sollte, und daß die geschriebene Offenbarung aus zwei Testamenten zusammengesetzt sei, deren Hauptziel und Eckstein, wodurch beide verbunden werden, Jesus Christus ist: Finis legis Christus est. (Röm. 10)

Was dann die Tradition, welche „Wort Gottes“ genannt wird, betrifft, so heißt es, daß sie von Jerusalem ausgehen werde: Et verbum Domini de Jerusalem, weil in der Tat alle religiösen Fragen in Jerusalem, dem Sitze der Synagoge, entschieden wurden. So war also das Gesetz von Sion oder die geschriebene Offenbarung überall, wo immer die heil. Schrift sich befand, und diese hatte sich bis Ägypten verbreitet, wo sie durch Ptolemäus, der sie durch die Siebenzig (Septuaginta) aus dem Hebräischen ins Griechische hatte übersetzen lassen, bekannt geworden war. Aber die traditionelle Offenbarung, die Autorität, welche dieses göttliche Buch unfehlbar erklärte, befand sich nur in Jerusalem, wo die Synagoge die Repräsentantin der wahren Judenkirche ihren Sitz hatte.

Da nun Gott zur unfehlbaren Erklärung der geschriebenen Offenbarung des alten Testamentes ein oberstes Tribunal auf Erden eingesetzt hatte, so konnte er auch das neue Testament dieses Privilegiums nicht berauben; denn notwendiger Weise muss das Gesetz Gottes und seine Religion einen sicheren und unfehlbaren Erklärer haben, damit Alle, die wollen, ihn leicht kennen und um Rat fragen können.

Wenn demnach ein solches oberstes und permanentes Tribunal in Glaubenssachen irgendwo auf Erden sich finden muss, so ist Rom mit solcher Gewissheit und mit solchem Recht als der Sitz desselben anzuerkennen, daß selbst die Irrlehrer lieber die Notwendigkeit und die Existenz eines solchen Tribunals leugneten, als daß sie seinen Sitz anders wohin, als nach Rom verlegten.

Rom als das wahre Jerusalem

Wir erinnern hierbei an das freimütige Wort, welches der heil. Paulus zu den Juden sprach: „Weil ihr das Wort Gottes verachtet, so wenden wir uns zu den Heiden“, wodurch er klar und deutlich erklärte, daß die Heiden von nun an an die Stelle der Juden treten sollten. Nach dieser feierlichen Erklärung verließen derselbe heil. Paulus und das Haupt aller Apostel, der heil. Petrus, Jerusalem und ließen sich in Rom nieder. Hierdurch gaben sie öffentlich zu verstehen, daß von nun an die Privilegien der Stadt, welche bisher der Sitz des Judentums gewesen, nach jener Stadt, welche damals der Sitz des Heidentums war, übergetragen wurden; daß anstatt Jerusalem nunmehr Rom die vorzüglichste Inhaberin der christlichen Tradition und der Sitz des obersten Tribunals in Sachen des wahren Glaubens geworden sei. Von nun an sollten von Rom als von dem wahren Jerusalem aus die unfehlbaren Erklärungen des Wortes Gottes ausgehen: De Sion exibit lex, et verbum Domini de Jerusalem. Und, bemerkt Cornelius a Lap. bei Erklärung dieser Stelle des Propheten Isaias, lehrt uns nicht die Kirchengeschichte, daß von dem Augenblick an, da die Apostel Sion mit Rom vertauschten und die letztere Stadt zum Hauptsitz und zum Mittelpunkte der Religion Jesu Christi machten, die Glaubensboten zur Bekehrung aller Völker von den Bischöfen zu Rom ausgesandt worden sind? daß Rom das wahre, das christliche Sion geworden ist, von wo aus auch nach der apostolischen Zeit das Wort Gottes über die ganze Welt sich verbreitet hat?

Bemerken wir auch noch dieses, daß das Privilegium der Synagoge, zu prophezeien, das heißt, das göttliche Gesetz unfehlbar zu erklären (das Wort prophezeien prophetare bedeutet nämlich in der heil. Schrift nicht bloß zukünftige Dinge vorhersagen oder Verborgenes entdecken, sondern auch religiöse Wahrheiten erklären); bemerken wir, daß dieses Privilegium der Synagoge vorzüglich in der Person des hohen Priesters der Juden konzentriert war, wie wir deutlich aus den Worten des Evangelisten Johannes ersehen: „Weil er (Kaiphas) in diesem Jahre Hoherpriester war, weissagte er, daß Jesus für das Volk sterben würde“ Cum esset pontifex anni illius prophetavit, quia Jesus moriturus esset pro gente. (Joh. 11) Mit weit mehr Recht nun ist eben dasselbe Privilegium, welches die Kirche besitzt, das Gesetz des Evangeliums unfehlbar zu erklären, vorzüglich in der Person ihres sichtbaren Oberhauptes, im Hohenpriester der Christen konzentriert. Er ist jener erhabene Oberpriester, jener Priester mit Auszeichnung, an welchem die herrliche Weissagung des Propheten Malachias in Erfüllung geht: „Die Lippen werden die treuen Wächter der Wissenschaft (der heiligen Bücher) sein; und die Menschen werden kommen, um aus seinem Munde die Erklärung des Gesetzes zu holen; denn er ist der Engel, gesandt vom Gott der Heerscharen“: Labia sacerdotis custodient scientiam, et legem requirent ex ore ejus, quia angelus Domini exercituum est. (Malach. 2)

Kaiphas und Petrus – ein Vergleich

Der Letzte, welcher bei den Juden das große Privilegium der prophetischen Unfehlbarkeit genoß, war Kaiphas; und der heil. Petrus war der Erste, der bei den Christen damit beehrt wurde. Kaiphas verlor nach der Bemerkung des heil. Leo sein Privilegium damals, als er, vom Teufel inspiriert und gegen die Offenbarung, die ihm Jesus Christus über seine Gottheit öffentlich und feierlich gab, sich auflehnend, Ihn nicht nur nicht als den Sohn Gottes anerkennen wollte, sondern Ihn als gottlosen Lästerer behandelte und zum Tode verurteilte. Kaiphas selbst erfüllte durch die sakrilegische Zeremonie, da er sich die Kleider vom Leibe riß, ein schreckliches Geheimnis. Dadurch, daß er mit eigener Hand die Insignien seines Hohenpriestertums ablegte, beraubte er sich selbst dieser hohen Würde; nahm sich selbst die Weihe; war der Schuldige und der Vollstrecker der schmählichen Strafe in Einer Person. Auf der andern Seite erwarb, wie der heil. Hilarius bemerkt, der heil. Petrus sein großes Privilegium damals, als er, inspiriert vom himmlischen Vater und der Stimme, die sich im Innern seines Herzens vernehmen ließ, in Bezug auf die Gottheit Jesu Christi gläubig folgend, das öffentliche Bekenntnis ablegte, daß Jesus Christus der Sohn des lebendigen Gottes sei, gekommen, um die Welt selig zu machen. Denn unmittelbar nach diesem schönen Bekenntnis wurde er selig gepriesen und als das Haupt und als der Grundstein der Kirche eingesetzt. Dieser Glaube erwarb ihm die göttliche Versicherung, daß die Kirche in ihm unfehlbar und von ewiger Dauer sein werde; erwarb ihm mit den Schlüsseln des Himmelreiches das ausgezeichnete Privilegium, daß die Urteile, welche er auf Erden sprechen werde, jeder Zeit auch von Gott im Himmel die Bestätigung und die Bekräftigung erhalten sollten.

Gleichwie endlich Kaiphas das Privilegium der Unfehlbarkeit mit den Hohenpriestern die ihm im Amt vorangingen, gemeinsam hatte, so hat es auch der heilige Petrus gemeinsam mit jenen Hohenpriestern, welche ihm bis ans Ende der Welt im Amt nachfolgen sollten. Denn gleichwie Kaiphas nach den oben angeführten Worten des heil. Johannes die Gabe der Weissagung nicht deswegen, weil er Kaiphas, sondern weil er Hoherpriester war, besaß: cum esset pontifex anni illius, prophetavit, indem das Privilegium, welches mit ihm endete, lange vor ihm schon begonnen hatte; so erhielt Petrus dasselbe Privilegium in ausgedehnterem Maße und in vollkommener Weise nicht deshalb, weil er Petrus, sondern weil er unter den Aposteln dem Range nach der Erste war: Primus Simon; weil er der oberste Bischof und der Grundstein der Kirche war: ,,Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen“; so daß das Privilegium, welches in neuer Weise mit ihm begann, mit ihm nicht geendet hat. Das große Wort Jesu Christi, welches er zu Petrus sprach, daß sein Glaube nie abnehmen werde; daß er den erhabenen Beruf habe, sowohl die Schafe, als auch die Lämmer, das ist, die Bischöfe und die Priester und deren geistige Kinder mit der himmlischen Lehre zu weiden und mit der Fülle der Gewalt zu leiten und zu führen, hat nicht bloß dem Simon Petrus als dem Bruder des Andreas, sondern auch dem Petrus als dem obersten Bischof der Kirche, und nicht bloß ihm, sondern auch allen seinen rechtmäßigen Nachfolgern gehalten.
Da nun der heil. Petrus nach Rom übersiedelte und dort seinen Sitz aufschlug, so brachte er mit dem Verdienste seines erhabenen Bekenntnisses, wovon oben die Rede war, auch die Privilegien, die ihm zum Lohne geworden, dahin: nämlich das Verständnis der heil. Schrift, welches die Apostel zusammen unmittelbar von Jesus Christus empfangen hatten: Aperuit illis sensus, ut intelligerent scripturas. (Luk. 24); die Festigkeit des Glaubens, die Reinheit der Lehre, die Unfehlbarkeit des Urteils, sowie den Ehrenprimat und die Fülle der Jurisdiktion. Alle diese Privilegien sind durch göttliche Anordnung das kostbare und herrliche Erbgut aller seiner Nachfolger geworden.

Das Bekenntnis des Papstes

Gleichwie demnach der Papst seit beinahe zweitausend Jahren über dem Grabe des heil. Petrus dessen Bekenntnis erneuert, so genießt er auch seit zweitausend Jahren den Lohn dieses Bekenntnisses. Vom Altar des Bekenntnisses (So heißt der über dem Apostelgrab in St. Peter erbaute Hochaltar. Anm. des Übers.) aus spricht der oberste Bischof noch immer zu Jesus Christus im Angesicht der ganzen Welt das große Wort: „Du bist der Sohn des lebendigen Gottes“, jenes Wort, welches den Hauptinhalt der christlichen Religion in sich faßt. Mit diesem Bekenntnis erhebt er sich bis zu den Höhen des Himmels vor den Thron Gottes, und von dort tönt eine geheimnisvolle Stimme über die ganze Erde hin, welche ohne Unterlaß antwortet: ,,Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen.“ Um dieses wechselseitige Verhältnis des Bekenntnisses und des Lohnes zwischen Himmel und Erde, zwischen Jesus Christus und seinem Stellvertreter und Statthalter anzuzeigen, stehen in der großen Kuppel, welche sich über dem Altar der Confessio in St. Peter erhebt, die geheimnisvollen Worte: Tu es Petrus, et super hanc petram aedificabo ecclesiam meam. Diese Worte sind gleichsam das Echo einer himmlischen Stimme, welches unter jener wunderbaren Wölbung für die Stadt und für die Welt (Urbi et Orbi) ununterbrochen wiederhallt. Welch` ein herrliches Schauspiel ist es, zu sehen, wie das größte Meisterwerk des menschlichen Geistes durch diese Inschrift die wichtigste und herrlichste Verheißung Gottes der Welt verkündet! –
aus: Joachim Ventura, Exgeneral der Theatiner, Die Schönheiten des Glaubens oder: Das Glück, an Jesum Christum zu glauben und der wahren Kirche anzugehören, Fünfter Band, Zweiter Teil, 1855, S. 61 – S. 72

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