Heiligenkalender
15. Januar
Der heilige Abt Maurus, Benediktiner
Der gelehrte Abt Guéranger schreibt: „Wer vermöchte die Apostel, die Märtyrer, die Bischöfe, die Kirchenlehrer, die Geistesmänner und die Jungfrauen zu zählen, welche im Laufe von zwölf Jahrhunderten aus den Tausenden der Benediktinerklöster Frankreichs hervor gingen? Wer könnte die Dienste schätzen, welche diese Mönche ihrem Vaterland nicht nur für dessen zeitliches Wohlergehen, sondern noch mehr für das ewige Heil so vieler Angehörigen geleistet haben? Wenn man dies zu Stande brächte, dann erst hätte man einen Begriff von den Missions-Erfolgen des heiligen Maurus, Erfolge, deren Ruhm ausschließlich dem Erlöser der Menschen und den Geheimnissen seiner Erniedrigung – denn darauf beruht die Einrichtung der Mönchsorden – zukommt.“
Maurus, aus Rom gebürtig, wurde von seinem Vater Eutychius, der dem Rang der Senatoren angehörte, schon als Knabe von zwölf Jahren dem berühmten Patriarchen der Mönche des Abendlandes, Benedikt auf Monte Cassino, zur wissenschaftlichen und religiösen Ausbildung übergeben. Der sehr lebhafte und talentvolle Knabe wurde bald der Liebling seines großen Meisters, weil er nicht nur im Wissen, sondern auch in der Tugend, im Gebetseifer, im Fasten, Stillschweigen, Gehorsam und in der Bescheidenheit seinen Mitschülern weit voran eilte. Eines Tages sollte Placidus, sein Mitschüler, Wasser holen; dabei fiel er in den See und wurde von einer Welle weg geschwemmt. Benedikt ersah die drohende Gefahr und befahl dem Maurus, schnell zu Hilfe zu eilen. Dieser bittet um den Segen, eilt zum See, schreitet – nur an den Auftrag des Meisters denkend – über das Wasser hin, als hätte er festen Boden unter den Füßen, und zieht den Sinkenden aus dem Wasser glücklich ans Land. Als er mit dem geretteten Placidus zurück kam, wurde dieses Wunder des Gehorsams durch ein neues Wunder der Demut verherrlicht. Es entstand nämlich ein frommer Streit zwischen dem Lehrer und dem Schüler, wem von Beiden die Ehre dieses Wunder gebühre. Benedikt schrieb es dem vollkommenen Gehorsam des Maurus zu, dieser dem heiligen Segen des Benedikt.
Beide hatten Recht; denn, sagt Bossuet: „Der Gehorsam bewirkt die Gnade, das Befohlene treu zu erfüllen; der Befehl wirkt die Gnade, den Gehorsam erfolgreich zu machen.“ Der Ruf von der Weisheit und Frömmigkeit des hl. Benedikt und seines Ordens erscholl bald weit über die Grenzen Italiens; den mächtigsten Wiederhall fand er in Frankreich. Von dort kam das Bittgesuch des Bischofs Innozenz zu Mans um einige Mönche zur Gründung eines Klosters. Benedikt betraute mit dieser so wichtigen Aufgabe den geliebten Maurus und gab ihm vier Begleiter mit. Als diese Missionare im Januar 543 zu Mans ankamen, lag Bischof Innozenz schon im Grabe, und sein Nachfolger wollte von der Gründung eines Klosters nichts wissen. In dieser traurigen Lage tröstete Maurus seine Gefährten, daß Gott dieses Opfer des Gehorsams lohnen und gewiß helfen werde, das zu vollbringen, wozu Er sie gesendet. So geschah es auch.
Florus, ein angesehener Hofherr und Freund des Königs Theodebert, fühlte so innige Zuneigung zu diesen Mönchen, daß er ihnen auf seinem Landgut in der Diözese Angers das Kloster Glanfeuil baute, seinen einzigen Sohn Bertulf zur Erziehung übergab und für sich selbst um das Ordenskleid bat. Der König entließ den geliebten Freund sehr ungern aus seinem Dienst und wohnte selbst in fürstlicher Pracht der Feier bei, als Florus im rauhen Mönchsgewand die heiligen Gelübde ablegte. Tief gerührt von dem, was sein Auge sah, und deutlich erkennend den großen Unterschied zwischen weltlicher Herrlichkeit und Gott geweihter Heiligkeit, kniete der König auch vor Maurus hin, bat unter Tränen, daß er für ihn bete und seinen Namen in das Verzeichnis seiner Söhne einschreibe, und machte dem Kloster bedeutende Geschenke an Land und Leuten.
Die Weisheit und der Tugendglanz des Abtes Maurus begeisterte viele Jünglinge, selbst aus dem höchsten Adel, so daß sie dem Beispiel des Florus und seines Sohnes folgten, den Eitelkeiten der Welt und den Erdensorgen entsagten und das süße Joch Jesu auf sich nahmen. Nach wenigen Jahren widerhallte diese neue Stiftung Tag und Nacht vom Lobe Gottes aus dem Mund von hundertvierzig Brüdern und wurde die ruhmreiche Mutter vieler anderer, großer und kleiner Ordenshäuser.
Der Name Maurus wurde der gefeiertste im ganzen Land; von nahe und ferne strömten Menschen zu ihm, um ihm ihre Ehrfurcht zu bezeugen, seine Trostworte zu hören, in ihren Leiden seine wundertätige Fürbitte bei Gott zu erflehen. Großes wirkte er an Hunderten von Kranken durch sein Gebet, Größeres an Tausenden von Unwissenden, Ratlosen und Sündern durch seine Lehre und Liebe. So regierte er achtunddreißig Jahre lang die von ihm gestifteten Klöster und belebte sie durch die Strahlen seiner Heiligkeit zu herrlicher Blüte.
Am späten Lebensabend legte er die Abtwürde nieder, baute sich an der Kirche des hl. Martin eine kleine Zelle und zog sich mit zwei Brüdern dahin zurück; denn obschon er von Kindheit an heilig gelebt, für die Ehre Gottes geeifert und einen reichen Schatz ewiger Verdienste gesammelt hatte, so fürchtete er sich dennoch, beladen mit der Verantwortlichkeit für so viele Seelen, die sich seiner Leitung anvertraut hatten, vor dem Richterstuhl Christi zu erscheinen, und weihte die letzten Jahre ausschließlich der Vorbereitung auf den Tod, der ihn am 15. Januar 584 hinüber führte in die unvergänglichen Freuden seines Herrn. –
aus: Otto Bitschnau OSB, Das Leben der Heiligen Gottes, 1881, S. 34 – S. 35