Die Schwierigkeit das wahre Christentum durch eigenes Studium zu finden
Die Belehrung der Magier
Nur in der wahren Kirche die Wahrheiten lernen
5. Wie lang und schwierig der Weg der menschlichen Forschung ist, um die Wahrheit zu erkennen. Dies wird durch das Beispiel der alten Philosophen und der neuen Häretiker bestätigt. Schwierigkeit, das wahre Christentum durch eigenes Studium in der heiligen Schrift zu finden. Wie dankbar wir gegen Gott sein müssen, dafür, daß er uns in der wahren Kirche geboren werden ließ, in der wir ohne Mühe und Anstrengung von Kindheit an die erhabensten und wichtigsten Wahrheiten gelernt haben.
Wir haben indes keine Ursache, diesen glücklichen Äthiopier zu beneiden. Denn auch wir haben dieselbe Gnade erhalten; ja wir wurden noch leichter und schneller durch Jesus Christus wieder geboren und in seinen heiligen Geheimnissen unterrichtet, als er. Bei unserer Geburt als Menschen wurden wir schon Christen. Das heilige Glaubenslicht ist der Entwicklung unserer Vernunft zuvor gekommen. Wir haben die süßesten Namen Jesus und Maria ausgesprochen, bevor wir ihre Bedeutung kannten, und haben den wahren Gott angerufen, bevor wir ihn kennen lernten.
Wir wollen nun, um Gott für diese große Wohltat recht innig und herzlich danken zu können, zuerst erwägen, was aus uns geworden wäre, wenn die göttliche Belehrung dem Alter der Vernunft-Entwicklung bei uns nicht zuvorgekommen wäre, und wenn wir mittelst der Vernunft jene großen und wichtigen Wahrheiten, die wir glücklicher Weise kennen, glauben und lieben, und die unsern Reichtum, unsern wahren Ruhm und den Grund unserer Hoffnungen für eine glückselige Ewigkeit bilden, hätten suchen müssen.
Schwierigkeit durch Vernunftforschung zur Wahrheit zu gelangen
Der englische Lehrer, der heil. Thomas von Aquin, hat gezeigt, welch ein langwieriges und mühsames Unternehmen es wäre, wenn man durch bloße Vernunftforschung zur Erkenntnis der ersten Grundwahrheit, des Daseins Gottes, gelangen wollte. Was wäre nun aus uns geworden, wenn wir auf diesem mühsamen Wege das weite Meer menschlicher Irrtümer durchstreifen müssten, um auch die übrigen Wahrheiten zu erkennen, wie die Geistigkeit und die Unsterblichkeit der Seele, die Ewigkeit der Belohnungen und der Strafen im Jenseits, die Gesetze der Moral und die daraus hervor gehenden Pflichten, Wahrheiten, welche das Fundament der ganzen Religion bilden, und die der heilige Thomas deshalb die Präliminarien des Glaubens nennt? Um diese Wahrheiten ohne Irrtum und ohne Verhüllung zu erkennen, dazu gehörte große Geistesschärfe, große Gelehrsamkeit und ein reicher Schatz von Vorkenntnissen. Wir hätten zu diesem Zwecke vor Allem mehr, als eine Sprache erlernen; die Logik und die Dialektik, sowie die Metaphysik und die Naturlehre gründlich studieren; über die verschiedenen Wesen und ihre Beziehungen tiefgehende Betrachtungen anstellen müssen. Wie viele Jahre hätten wir auf diese Studien, Forschungen und Disputationen verwenden; wie viel Geld hätten wir ausgeben, wie viele Bücher lesen, welche Reisen unternehmen, wie viele Gelehrte um Rat fragen, wie viele Schulen besuchen müssen!
In der Tat mussten die alten Philosophen Griechenlands und Roms, welche die uralten und allgemein verbreiteten Überlieferungen des Menschen-Geschlechtes bei Seite setzten und dadurch in die schwierige Lage kamen, lediglich durch eigene Vernunftforschung die Wahrheit suchen zu müssen, auf diese Studien ihr ganzes Leben, ihre ganze Geisteskraft, all ihre Güter verwenden; und erst nach langen Jahren, voll von Studien, Reisen, Beweisführungen und Disputen, kamen sie dahin, daß sie über Gott, über die Seele, über die Sittengesetze ein wenig stammeln konnten.
Wer kann ohne Mitleid zu fühlen, jene Klagen lesen, womit ein Theophrast bei Cicero gegen die Natur auftritt, indem er spricht: O ungerechte und grausame Natur! Warum hast du den Hirschen und den Krähen, die doch keinen Gewinn davon haben, ein vier- oder siebenmal längeres Leben beschert, als dem Menschen, dessen Leben so kurz ist, und der doch allein es gut verwenden kann; den nur ein langes Leben und lange Studien in den Künsten vervollkommnen und zur Erkenntnis; der Wahrheit führen können? Wir Menschen sind die unglücklichsten aller lebenden Wesen; denn unser ganzes Leben reicht kaum hin, etwas Wahres zu erkennen, und dann bleibt uns nicht einmal der Genuss und die Frucht dieses Fundes. Kaum, daß unsere Augen dem Lichte der Wahrheit geöffnet sind, müssen wir sie wieder in den Finsternissen des Todes schließen.
In dieser traurigen Lage befänden auch wir uns, wenn wir, des heiligen Glaubenslichtes beraubt, kein anderes Mittel, die Grundwahrheiten zu erkennen, gehabt hätten, als das unserer eigenen Studien. Und wie stünde es erst mit uns in Bezug auf jene Wahrheiten, die man „geoffenbarte“ nennt; zu deren Erkenntnis die menschliche Vernunft für sich allein in keiner Weise gelangen, die sie nur mittelst der göttlichen Offenbarung erkennen kann?
Schwierigkeit durch eigene Forschung die Hl. Schrift zu verstehen
Dagegen kann man nicht einwenden, daß der Schatz dieser Offenbarung bereits in der heiligen Schrift, die heut zu Tage in der ganzen Welt verbreitet und in aller Händen sei, vorliege. Denn es ist ebenso schwer, durch eigenes Nachdenken und Forschen in der heiligen Schrift die christlichen Wahrheiten herauszufinden und zu bestimmen, als es schwer ist, mit denselben Mitteln durch Naturbetrachtung die Grundwahrheiten zu finden und zu bestimmen. Denn für’s Erste muss man sich darüber Gewissheit verschaffen, daß diese Schriften wahrhaft göttlich sind. Um nur diese einzige Nachforschung anzustellen, wäre es nötig, die orientalischen Sprachen, die Geschichte, die Kritik, das heilige und das profane Altertum zu kennen; und hierzu müsste man vorher beinahe alle Wissenschaften studieren, lange und beharrliche Studien machen.
Dieselben Studien und Kenntnisse wären auch nötig, um den wahren Sinn aller Schriftstellen zu bestimmen, nachdem die Echtheit der heiligen Schrift bereits erwiesen wäre. Das wehmütige Bekenntnis, welches der Kämmerer der Königin Kandace dem heiligen Philippus in Betreff des Verständnisses der heiligen Bücher ablegte: „Wie kann ich verstehen, was ich lese, da mir Niemand den Sinn erklärt?“ Et quomodo possum, nisi quis ostenderit mihi? dieses klägliche Bekenntnis drückt lebendig den Zustand aus, in welchem jeder Mensch der heiligen Schrift gegenüber sich befindet: Niemand kann dieses göttliche Buch recht verstehen ohne Hilfe eines göttlichen Lehramtes, wodurch der Sinn erklärt wird. Oder begegnen uns nicht auf jeder Seite der beiden Testamente Stellen, wie jene war, bei der sich der arme Äthiopier nicht mehr zu helfen wußte? Stellen, bei denen es nicht recht klar ist, ob der heilige Verfasser von sich selbst oder von Anderen spricht? ob er als Geschichtsschreiber oder als Prophet schreibt? Stellen, in denen man nicht recht unterscheiden kann, ob sie ein Gebot oder nur einen Rat enthalten? ob man sie dem Geiste oder dem Buchstaben nach verstehen soll? Wenn nun jeder Leser der heiligen Schrift bei so vielen Dunkelheiten, welche in diesem göttlichen Buche vorkommen, selbst das Verständnis suchen müsste, so wäre er in Gefahr, sein ganzes Leben darauf zu verwenden, ohne mit Gewissheit die Dreifaltigkeit der göttlichen Personen bei der Einheit im Wesen; die Menschwerdung des Sohnes Gottes, die Gottheit und die Menschheit Jesu Christi in Einheit der Person; seine Geheimnisse und seine Sakramente, seine Gebote und Räte, seine Verheißungen und Belohnungen zu erkennen.
Die Schule des Irrtums
In der Tat, seitdem nach dem Vorgang der Platonischen Schule, welche den Grundsatz aufstellte: „Jeder Mensch muss das, was ihm durch die Betrachtung der Natur als wahr erscheint, für wahr halten“, die Schule Luthers, welche diesen Platonischen Lehrsatz von der Philosophie auf die Religion übertrug, gelehrt hat: das sei christliche Wahrheit, was jedem Christen, der die heilige Schrift studiert, als wahr erscheint; seitdem diese Schule des Irrtums mit Verschmähung der kirchlichen Autorität und des kirchlichen Lehramtes dem Christen kein anderes Mittel ließ, um die geoffenbarten Wahrheiten zu erkennen, als das eigene Forschen und das eigene Urteil; eben jenes Mittel, auf welches auch die heidnische Philosophie den Menschen angewiesen hatte, um die natürlichen Wahrheiten zu erkennen, was ist geschehen? Wir wollen es für Jetzt nur kurz bemerken und erst später ausführlich davon handeln: Alle jene, welche dieses zerstörende Prinzip Luthers buchstäblich annehmen und befolgen, und durch Lesen, durch Betrachtung und Studium der heiligen Schrift das Glaubenssymbol, das ist, die Richtschnur des Glaubens, und den Dekalog oder die Richtschnur des Handelns suchen und finden wollen, wie viele Sprachen lernen sie? wie viele Wissenschaften betreiben sie? Wie viele Bücher durchforschen sie? wie viele Professoren hören sie? wie viele Gelehrte fragen sie um Rat? wie viele Dispute führen sie? wie viele Reisen unternehmen sie? Die Unglücklichen! Sie verwenden ihr ganzes Leben auf diese Forschungen, und gar oft überrascht sie der Tod in Mitte ihrer eitlen Studien und führt sie aus diesem Leben hinaus, bevor sie noch mit Gewissheit erkannt haben, welches die wahre Religion ist, die Gott in der Welt angeordnet hat. Und weil man das, was man sucht, noch nicht besitzt, so ist es klar, daß sie in Bezug auf Gott und seine Offenbarung, in Bezug auf Jesus Christus und sein Evangelium weder bestimmte Glaubenswahrheiten, noch bestimmte Sittengesetze besitzen. Kann es ein Elend geben, das diesem zu vergleichen wäre: Sein ganzes Leben ohne Gott, ohne Jesus Christus, ohne Religion, ohne Gesetz, somit ohne Glauben, ohne Hoffnung, ohne Liebe hinbringen müssen!
Der Unterricht in der wahren Kirche Christi
O wie glücklich sind dagegen wir, die wir das Glück haben, in der wahren Kirche geboren zu sein, die allein die wahre Lehrweise des Glaubens besitzt und mit einer wahrhaft mütterlichen Sorgfalt und Liebe an ihren Kindern ausübt! O wie unschätzbar ist der Vorzug dieses göttlichen, so heiligen, so edlen, so kostbaren, so erhabenen und zu gleicher Zeit so leichten, so einfachen, so kurzen Unterrichtes. Die Erkenntnis der wahren Religion ist ja das Geschäft aller Geschäfte, das dem Menschen einzig notwendige Geschäft; denn davon hängt sein Glück oder Unglück in der Ewigkeit ab. Wenn du nun, o Herr, die Erwerbung dieser für mich so notwendigen Erkenntnis an die Bedingung geknüpft hättest, daß ich mein ganzes Leben auf dieses Studium verwenden müsste, dann hätte ich freilich mich in diese so harte Bedingung fügen, hätte mich diesen Studien, diesen so langwierigen und schweren Bemühungen unterziehen müssen. Jede Mühe, jede Anstrengung, jedes Opfer an Zeit verschwindet, wenn es sich darum handelt, sich einer glückseligen Ewigkeit zu versichern. Wie sehr bin ich dir, o Herr, demnach zum Danke verpflichtet dafür, daß du mir solche Sorgen, solche Studien und Nachforschungen erspart und mich von christlichen Eltern im Schoße der wahren Kirche hast geboren werden lassen! Der kleine Katechismus und wenige in der Kindheit empfangene Unterweisungen waren hinreichend, um mich zur Erkenntnis der großen und erhabenen Wahrheiten zu führen, die ich notwendiger Weise kennen muss, von denen aber der Philosoph, welcher der Lehre der wahren Kirche fremd ist, nach langem, mühsamem Studium nicht eine einzige zu erkennen im Stande ist! O wie tief sind die Ratschlüsse Deiner Weisheit und Deiner unendlichen Güte! –
aus: Joachim Ventura, Exgeneral der Theatiner, Die Schönheiten des Glaubens oder: Das Glück, an Jesum Christum zu glauben und der wahren Kirche anzugehören, Fünfter Band, Zweiter Teil, 1855, S. 35 – S. 40