Der religiöse Irrtum und seine Folgen

Die heiligen drei Könige (Magier) mit ihren Begleitern sehen den Stern am Himmel, in dem sie das Jesuskind sehen

Die Schwierigkeit das wahre Christentum durch eigenes Studium zu finden

Die Belehrung der Magier

Der religiöse Irrtum ungerecht und grausam

7. Bei den heidnischen Völkern ist die Wahrheit so selten, wie die bürgerliche Freiheit. Die heidnische Philosophie hält geflissentlich die Unwissenheit des Volkes gerade so aufrecht, wie die Sklaverei. Die protestantische Irrlehre ist durch dieselben Grundsätze zu denselben Konsequenzen gelangt. Der Irrtum ist ungerecht und grausam. Unterdrückung und Elend bei jenen Völkern, die dem Irrtum verfallen sind.

O herrlicher Vorzug, o unschätzbares Privilegium des wahren Glaubens! Gerade deswegen, weil der Glaube keine Studien fordert, sondern nur ein aufrichtiges Verlangen und Gebet; weil er nicht hohe Geistesbildung, sondern tiefe Demut und ein gutes Herz verlangt, ist die religiöse Erkenntnis durch denselben nicht allein leicht und schnell, sondern auch universell, jedem Alter, jedem Geschlechte, jedem Stande, jedem Berufe zugänglich; ist nicht das Privilegium der Gelehrten, sondern das Erbe Aller.

Dieser Vorzug allein würde schon hinreichend beweisen, daß die Lehrmethode des Glaubens göttlich ist. Denn die bloß menschliche Belehrung hat von jeher einen ganz anderen Weg eingeschlagen.

Der Irrtum bei den heidnischen Völkern

Bei den heidnischen Völkern, bei denen das Prinzip der Nützlichkeit immer den Vorzug behauptete vor dem der Gerechtigkeit, war die Menge des Volkes in geistiger Beziehung der Unwissenheit, in bürgerlicher Hinsicht aber der Sklaverei Preis gegeben. Selbst Athen und Rom, jene Städte, welche mit Unrecht als die aufgeklärtesten und freiesten des Altertums gepriesen werden, sind in Wahrheit nur großartige Niederlassungen der Unwissenheit und des Sklaventums gewesen. Unter den Millionen von Einwohnern, die dort zusammen wohnten, war die Zahl derjenigen, welche eine sittliche Bildung besaßen, oder die Freiheit genossen, zu alten Zeiten sehr klein. Nirgends in der Welt war der Götzendienst des Volkes so ausschweifend und maßlos, und die Sklaverei so allgemein und so drückend, als gerade in jenen Städten. Zwar gab es dort Philosophen-Schulen; aber es ist merkwürdig und doch gewiß: niemals erhob auch nur ein Philosoph seine Stimme gegen diese doppelte Herabwürdigung des Menschen. Nicht Einer von jenen hochgepriesenen Weltweisen hat auch nur eine leise Ahnung gehabt von jener wunderbaren Ordnung der Dinge, welche nur das Christentum einführen und vollenden kann. Denn nur in christlichen Ländern ist die Wahrheit oder die Erkenntnis des wahren Gottes, sowie die bürgerliche Freiheit das Gemeingut Aller. Die heidnische Philosophie aber betrachtete von jeher jene zwei schrecklichen Wunden der Menschheit, die Unwissenheit und die Sklaverei, als Naturgesetze, als wesentliche Zustände der bürgerlichen Gesellschaft. Auch die Sekte der Stoiker, die im Übrigen unter allen philosophischen Sekten des Altertums noch die meiste Sittlichkeit in sich bewahrte, auch sie stellte mit einer entsetzlichen Kaltblütigkeit den Satz auf, daß die Wahrheit nicht für das Volk sei; und mit derselben grausamen Kälte behauptete sie, daß das Menschengeschlecht nur zum Dienst und zum Vergnügen Weniger da sei.

Daher kam es, daß diese Philosophie des Stolzes und der Selbstvergötterung, weit entfernt, auch nur den geringsten Versuch zur Zerstörung des Irrtums und der Sklaverei zu machen, vielmehr auch jene Wahrheit, in deren Besitz sie sich wähnte, unter dem Dunkel des Geheimnisses verbarg. Sie verwendete ihre Beredsamkeit und ihre Sophistik nur dazu, um die Ketten des schmählichsten Sklaventums noch unauflösbarer zu machen. In ihrer unmenschlichen Gefühllosigkeit, womit sie mit verächtlichem Blick auf die Menge herabschaute, konnte sie ohne alles Mitleiden, ja selbst mit einem den Tieren eigenen Wohlbehagen das Volk als den armseligen Spielball aller Irrtümer der Abgötterei, und als das unglückliche Opfer despotischer Wollust und grausamer Brutalität erblicken.

Der Irrtum bei den Protestanten

Dasselbe Prinzip hat in den neuesten Zeiten beinahe dieselben Wirkungen hervorgebracht, und bringt sie auch heut zu Tage vor unseren Augen noch immer hervor. Betrachten wir nur die Zustände bei den Irrgläubigen, die sich »Protestanten« nennen. Schon dieser Titel, dessen sie sich rühmen, verrät ihr Vergehen und enthält ihre Verurteilung. Denn er bedeutet, daß sie protestiert, das heißt, sich empört haben gegen die katholische, allgemeine Glaubens-Überlieferung; gegen die Autorität der Kirche in der Lehre; gegen ihre Unfehlbarkeit, womit sie in Bezug auf die wahre christliche Offenbarung Entscheidungen gibt; daß sie zur Erkenntnis der christlichen Wahrheiten dasselbe unheilvolle Prinzip der freien Forschung und des eigenen Urteiles, welches von den heidnischen Philosophen zur Erkenntnis der natürlichen Wahrheiten angenommen worden, wieder zur Geltung gebracht haben.

Und in der Tat hören die protestantischen Lehrmeister nicht auf, in ihren Büchern immer und immer zu wiederholen, daß der Protestantismus nicht in dem Augsburgischen Bekenntnis und nicht in den neununddreißig Artikeln der anglikanischen Kirche, sondern in der Gewissensfreiheit und in dem Recht eigener Forschung bestehe. Ja Einer aus ihnen, der zwar weniger ängstlich, aber konsequenter und aufrichtiger ist, als die Andern, hat behauptet: Der Protestantismus bestehe darin, daß man glaube, was man wolle; und handle, wie man glaube.

Mit diesem Grundsatz, welcher das Fundament der protestantischen Lehre bildet, sollte man glauben, daß die Häupter des Protestantismus Jedem das freie Urteil in Glaubens- und Sittenlehren gelassen hätten. Und doch ist es nicht so. Der freie Gebrauch der eigenen Urteilskraft in Sachen des Glaubens ist nur das Privilegium Weniger. Die Menge des Volkes hält man nicht für fähig, zu untersuchen und zu urteilen, sondern nur, ihren Führern sich zu unterwerfen und blind zu gehorchen.

Die Widersprüche zwischen den protestantischen Sekten

Darum haben die Prediger der verschiedenen Sekten, in welche der Protestantismus geteilt ist, und jene, welche an der Spitze des religiösen Lehramtes stehen, häufig zwei verschiedene Lehren:

die eine nach ihrer Willkür, die andere nach ihrem Amt; die eine für das Haus, die andere für die Kirche; die eine zu ihren Gunsten, die andere, um das Volk unter dem Druck der schmählichsten Sklaverei, der Sklaverei des Irrtums, zu erhalten. Nach dem Vorgang der ersten Reformatoren, welche zuerst mit einer ebenso gottlosen als lächerlichen Kühnheit verkündet hatten: »Die heiligen Väter, die Konzilien, die allgemeine Kirche haben geirrt und sind keine sicheren Führer in Glaubenssachen«, dann aber sich selbst als unfehlbar erklärten, sich selbst an die Stelle der allgemeinen Kirche setzten, die Stimme der Kirche durch ihr eigenes Machwerk ersetzten, um es zur Basis der christlichen Gesetzgebung zu machen; nach solchem Vorgang verwerfen auch die heutigen Lehrmeister des Protestantismus für sich selbst jede Autorität, legen aber dem Volk ihre eigene Autorität als Gesetz aus, indem sie für sich selbst den Grundsatz festhalten, daß man in Sachen der Religion nicht dem Wort Anderer, sondern nur der heiligen Schrift nach eigener Auslegung Glauben schenken darf.

Der Despotismus der Protestanten bezüglich ihrer Lehren

Sie geben ihre eigenen Urteile, Meinungen und Worte Anderen als unverletzliche Gesetze, und während sie für sich den Grundsatz der freien Forschung in Anspruch nehmen, verlangen sie vom Volk, daß es ihre Lehren ohne Forschung und ohne Urteil respektiere und gläubig annehme. Sie gleichen hierin den neueren Revolutionären, welche nach dem Umsturz der öffentlichen Autorität ihre eigene mit der größten Eifersucht bewahren; die stets das Wort Freiheit im Munde führen; sobald sie aber an das Ruder eines Staates gekommen sind, alle Übrigen unter dem Druck ihres Despotismus zu erhalten suchen. Wehe dem, der in einem Land, das von der Revolution beherrscht ist, die Verheißung und die Proklamation der politischen Freiheit im Ernst nehmen und diese Freiheit zu Gunsten des Rechtes gebrauchen wollte! Ebenso Wehe auch dem, der in einem Lande, das von der Häresie beherrscht ist, die Gewissensfreiheit im Ernst nehmen und davon Gebrauch machen will, um zur wahren Religion zurück zu kehren! Er wird verachtet, unterdrückt, verfolgt. So sind die Männer, die in dem Missbrauch der heiligen Schrift zum Umsturz der Autorität der wahren Kirche nichts Unrechtes fanden, dann doch wieder diejenigen, welche den Gebrauch der heiligen Schrift zur Erkenntnis der wahren Religion als Verbrechen betrachten und bestrafen. Ihnen war es erlaubt, in der heiligen Schrift den Irrtum zu finden; Anderen ist es verboten, eben daselbst die Wahrheit zu finden. Ihnen war es erlaubt, die Bibel in der Hand, Lutheraner, Zwinglianer, Calvinisten, Anglikaner, Presbyterianer zu werden; Anderen aber ist es verboten, aus die Autorität derselben Bibel sich stützend, Katholiken zu werden. Ihnen war es erlaubt, die religiöse Suprematie auch in der Hand eines Weibes, welches die politische Herrschaft inne hat, anzuerkennen; Anderen ist es nicht erlaubt, dieselbe in der Hand des Papstes, der doch die Fülle.religiöser Gewalt besitzt, anzuerkennen. Ihnen war es erlaubt, sich von der allgemeinen Kirche zu trennen; Anderen ist es nicht erlaubt, von einer Partikular-Kirche sich zu trennen. Darum finden wir bei ihnen Intoleranz, Haß, Verfolgung gegen alle andern Sekten der sogenannten Dissidenten, insbesondere gegen die Anhänger der katholischen Kirche. Das unglückliche Volk aber, das von der Häresie beherrscht wird, empfängt zum Vergelt für die törichte Gläubigkeit, womit sie ihre falschen Lehren annimmt und bewahrt, Druck und Verachtung. Denn der Irrtum ist seinem Wesen nach grausam; Liebe und Barmherzigkeit ist nur der Wahrheit wesentlich eigen. Wo das Gewissen unter dem Druck des Irrtums seufzt, dort wird auch die ganze bürgerliche Gesellschaft unter dem Druck der Ungerechtigkeit schmachten. Denn der politische Despotismus ist eine notwendige Wirkung und ein sicheres Kennzeichen des religiösen Druckes.

Auswirkungen des Irrtums auf die soziale Lage

Fürwahr! wir Katholiken erkennen viel zu wenig, welchen Dank wir der katholischen Kirche auch in Bezug auf unser irdisches Wohl schuldig sind. Wir sollten mit eigenen Augen den traurigen und armseligen Zustand so vieler vom Protestantismus beherrschten Völker schauen können, um zu verstehen, wie glücklich dagegen im Allgemeinen die katholischen Völker sind. Der Taglohn eines englischen Arbeiters beträgt nur zehn bis zwölf Kreuzer, bei uns aber vierzig Kreuzer. Bei uns dauert das Tagewerk nur zehn, in England achtzehn Stunden. Mit wenigen Ausnahmen genießen unsere Arbeiter eine gesunde und solide Nahrung in hinreichender Fülle, während den englischen Arbeitern nur eine spärliche, ungesunde, nicht ergiebige Nahrung gereicht wird, so daß diese Unglücklichen gezwungen sind, durch den verderblichen Genuß spirituöser Getränke ihre Kräfte von Tag zu Tag zu stärken, um eine Arbeit, wie man sie im Altertum nicht einmal von den Sklaven verlangte, und wie man sie in der neueren Zeit nicht einmal dem Maulesel oder dem Pferde auflegt, leisten zu können. Durch dasselbe Mittel, wodurch man das Leben aufzufrischen sucht, schwächt man es immer mehr. Daher kommen jene häßlichen Gestalten, die bald dahin siechen, jene Scharen, die mehr menschlichen Gespenstern, als Menschen gleichen, die man in allen Manufakturstädten Englands antrifft; die das Tageslicht nur erblicken, um zu arbeiten, um in Elend und Mühsal sich aufzuzehren und die Gräber zu bevölkern. Bei uns ist der Wohlstand viel allgemeiner, während in den von der Häresie beherrschten Ländern der Pauperismus allgemeiner ist. Alle von der Politik ersonnenen Mittel sind nicht im Stande, den herrschenden Pauperismus aufzuheben, und werden nicht verhindern können, daß er eines Tages die Fundamente dieser Staaten, die nur auf den Irrtum und auf die materiellen Interessen gegründet sind, aufwühlen und einreißen wird. Bei uns gibt es wohl arme Leute, arme Individuen; bei jenen aber bilden die Armen ganze Stände und Populationen Wer kennt nicht die Arbeiter-Aufstände in Manchester vor wenigen Jahren? Kein katholisches Land hat je gesehen oder wird je das schreckliche Schauspiel sehen, das England damals gesehen hat, daß zweimal hunderttausend Einwohner einer einzigen Stadt, bleich und siech, trostlos, mit schlechten Lumpen bekleidet, sich wie ein Mann erhoben, die öffentlichen Straßen mit dem Geschrei nach Brot durchzogen, denen die herrschende Häresie im Übermaß ihres Mitleidens dann mit Kupfermünzen antwortete. Ihr unglücklichen Leute! laßt euch denn die Häresie nicht doch die Freiheit, auszuwandern, euch zu betrinken, in allen Lastern euch zu wälzen, euch zu töten? Was wollet ihr mehr?

Seid ihr damit nicht zufrieden? Hah! ihr verlangt zu viel. Könnt ihr denn mit Recht verlangen, daß sie euch das gibt, was ihren eigenen Nutzen befördert?

So hat der Irrtum zuerst ganzen Völkern die Nahrung der Seele, den wahren Glauben, geraubt, und dann auch noch die Nahrung des Leibes, das tägliche Brot, streitig gemacht. Ja, so ist es! Der Mensch, der gegen die Wahrheit sich empört, wird auch gegen den Menschen grausam und unmenschlich; beneidet ihn um die kleinsten Brosamen des Glückes; bemüht sich, selbst aus dem Wohle Anderer ein dem Eigennutz dienendes Monopol zu bilden und durch fremdes Unglück glücklich zu werden. Das tut der Mensch dem Menschen! –
aus: Joachim Ventura, Exgeneral der Theatiner, Die Schönheiten des Glaubens oder: Das Glück, an Jesum Christum zu glauben und der wahren Kirche anzugehören, Fünfter Band, Zweiter Teil, 1855, S. 48 – S. 54

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