Die Universalität der Lehrweise des Glaubens
Die Belehrung der Magier
oder
Die Leichtigkeit und die Universalität der Lehrweise des Glaubens
„Sie kamen nach Jerusalem und sprachen: Wo ist der neugeborne König der Juden? Denn wir haben seinen Stern gesehen und sind gekommen, ihn anzubeten… Sie aber sprachen: Zu Bethlehem Juda“ (Matth. 2).
Eingang.
1. Was ist Wahrheit? Der heilige Thomas weist nach, daß zur Erkenntnis der wahren Religion die Methode menschlicher Forschung nicht genüge, sondern eine göttliche Offenbarung notwendig sei. Vier Charakteristische Merkmale der religiösen Erkenntnis durch den wahren Glauben: Leichtigkeit, Universalität, Wahrheit und Gewissheit. Die ersten zwei bilden den Gegenstand dieser Lesung. Wichtigkeit der abzuhandelnden Materien. Einteilung.
Was ist Wahrheit?
Die Wahrheit wird von den modernen Philosophen gewöhnlich definiert als die Erkenntnis; der Dinge und ihrer Beziehungen. Uns scheint indes die alte Definition, welche uns der heilige Thomas hinterlassen hat: Wahrheit ist die Gleichheit der Erkenntnis mit der Sache: Aequatio rei et intellectus, viel gründlicher und lichtvoller zu sein. Denn wenn eine Sache so erkannt wird, wie sie wirklich ist, dann steht die Erkenntnis in Übereinstimmung und in Harmonie mit der erkannten Sache. Wenn also der Mensch Gott und seine Vollkommenheiten, die Seele und ihre Kräfte, wenn er sich selbst, seinen Ursprung, seine Beschaffenheit, sein Endziel, seine Pflichten gegen Gott und gegen die übrigen Menschen recht erkennt, dann herrscht Harmonie, Übereinstimmung, Gleichheit zwischen seiner Erkenntnis; und den angeführten Dingen; mit Einem Worte, dann ist er im Besitze der Wahrheit.
Nun gibt es aber zwei Mittel, um zum Besitze übersinnlicher Wahrheiten zu gelangen: die menschliche Forschung und die göttliche Offenbarung. Denn der Mensch kann zur Erkenntnis der übersinnlichen Dinge und ihrer Beziehungen nur dadurch gelangen, daß er dieselbe entweder durch Anwendung seines Verstandes, also mittelst eigener Forschung sich erwirbt, oder dadurch, daß er sie unmittelbar oder mittelbar von Gott erhält. Nun fragt es sich: Ist der Weg eigener Forschung den Bedürfnissen und den Verhältnissen des menschlichen Geschlechtes angemessen? ist dieser Weg sicher und praktikabel, um zur Erkenntnis jener Wahrheiten zu gelangen, die den Menschen zum höchsten Ziele führen sollen?
Der heilige Thomas antwortet mit Nein, und beweist diese Behauptung durch unwiderlegbare Gründe. Er faßt zuerst jene Wahrheit, welche das Fundament der ganzen Religion ist, Gott, ins Auge und unterscheidet in dieser Beziehung solche Wahrheiten, welche die menschliche Vernunft übersteigen und deshalb durch die Vernunft nie gefunden werden können, wie die Dreipersönlichkeit Gottes, und solche, welche die bloße Vernunft erkennen kann, wie das Dasein und die Einheit Gottes. Von den einen, wie von den anderen Wahrheiten behauptet nun Thomas. es sei der Weisheit und der Güte Gottes angemessen gewesen, sie dem Menschen zu offenbaren und ihn darüber mittelst des Glaubens zu belehren.
Hätte es Gott jedem einzelnen Menschen überlassen, mittelst seiner eigenen Vernunft jene Erkenntnis von Gott, zu der die menschliche Vernunft durch sich selbst gelangen kann, zu erforschen, so würden sich drei große Übelstände herausstellen.
Die drei großen Übelstände bei eigener Erkenntnisforschung
Der erste Übelstand
Der erste Übelstand wäre dieser, daß nur wenige Menschen zur Erkenntnis Gottes gelangen würden. Denn drei Ursachen verhindern den größten Teil der Menschen, durch eigenes Nachdenken und Forschen die Wahrheit zu finden. Für`s Erste fehlt es den meisten Menschen an jener Klarheit und Schärfe des Geistes, welche nötig ist, um wissenschaftliche Forschungen zu machen. Wie sehr sie sich auch abmühten, so würden sie doch nie durch eigene Forschung zur Erkenntnis Gottes, welche die höchste und erhabenste Stufe der Wissenschaft ist, gelangen können.
Für`s Zweite ist die menschliche Gesellschaft so eingerichtet, daß der größte Teil der Menschen gezwungen ist, seinen Lebensunterhalt durch Landbau, durch Künste und Gewerbe zu suchen. Die Wenigsten sind frei von Nahrungssorgen und haben Zeit und Mittel, um mit Muße der Erforschung übersinnlicher Wahrheiten sich hinzugeben und den Gipfel menschlicher Wissenschaft, nämlich die Erkenntnis der Gottheit, zu erreichen.
Das dritte Hindernis ist die Trägheit, welche selbst jene Wenigen, die durch Adel, Reichtum, Ehelosigkeit durch Geistesschärfe und Lebensbildung die Möglichkeit besitzen, abhält, langwierige und ernste Studien zu betreiben. Um nur Gott, den Einen, den Körperlosen, Heiligen, Vorsehenden, Weisen, Unsterblichen, Allmächtigen, Unermeßlichen und Ewigen zu erkennen, müsste man beinahe die gesamte Wissenschaft erfaßt haben; denn alles Studium der Philosophie zielt nur auf die Erkenntnis Gottes. Es wären also langwierige, ernste, mühevolle Studien erforderlich, um nur die Erkenntnis der wichtigsten Wahrheiten einzuleiten, geschweige denn sie vollständig zu erwerben. Würden sich unter Jenen, die alle Mittel zu wissenschaftlichen Bestrebungen besitzen, wohl Viele finden, die Lust hätten, so großen Mühen und Anstrengungen sich zu unterziehen?
Der zweite Übelstand
Der zweite Missstand, den die Methode der eigenen Forschung zur Erkenntnis Gottes mit sich führt und der aus dem ersten notwendig hervorgeht, ist dieser, daß selbst die Wenigen, welche alle Mittel und Bequemlichkeiten zur Erforschung der Wahrheit besitzen, erst in vorgerücktem Alter und nach langer Zeit zum Besitze derselben gelangen könnten. Denn die Erkenntnis Gottes ist eine so tiefe Wahrheit, daß der menschliche Verstand mittelst eigener Forschung sie erst nach einer langen und beharrlichen Übung in wissenschaftlichen Studien erfassen kann. Schon die unerläßlichen Vorkenntnisse, von denen oben die Rede war, erheischen langwieriges Studium. Dazu kommt noch, daß der jugendliche Geist, durch Leidenschaften stets aufgeregt, viel zu zerstreut und zu leichtsinnig ist, um sich ernsthaft anzustrengen und zur Erkenntnis erhabener Wahrheiten aufzusteigen.
Überdies muss noch in Anschlag gebracht werden, daß die Erkenntnis Gottes für den Menschen nicht, wie andere Wissenschaften, eine bloß zufällige, gleichgültige, nur zur Zierde des Geistes dienende, sondern eine wesentliche, notwendige, Herz und Willen bestimmende Erkenntnis; ist. Aus ihr schöpft der Mensch vorzüglich seine moralische Tüchtigkeit und Vollkommenheit. Er wäre also die langen Jahre hindurch, die er darauf verwenden müsste, um zur Erkenntnis Gottes zu gelangen, ohne allen Glauben an Gott, ohne Religion, ohne Gesetz; wäre der armselige Spielball aller Irrtümer und aller Leidenschaften. Wenn es demnach, führt der englische Lehrer fort, zur Erkenntnis Gottes kein anderes Mittel gäbe, als nur die eigene Vernunftforschung, so würde mit Ausnahme sehr Weniger, die nach langen Bemühungen zu einiger Erkenntnis Gottes gelangten, das ganze Menschengeschlecht in Bezug auf diese erste und wichtigste Wahrheit in den tiefsten Finsternissen begraben bleiben.
Der dritte Übelstand
Der dritte Übelstand wäre die Leichtigkeit, in Irrtümer zu fallen, und die Ungewissheit, ob man im Besitze der Wahrheit sei. Denn der menschliche Verstand ist so schwach, die Kraft der Phantasie aber so stark, daß sich die Bilder der sichtbaren Dinge leicht mit den übersinnlichen Vorstellungen vermengen, und daß die Vernunft des Menschen gar oft, wenn sie die Wahrheit zu erforschen sich bemüht, dennoch nur dem Irrtum anheim fällt.
Und in der That, machen wir nicht täglich diese Erfahrung, so oft wir den Unterredungen und den Disputationen der Menschen zuhören? Wir sehen, daß gerade jene, die sich für Weise ausgeben, sich gegenseitig bekämpfen und mit gleichem Eifer und mit gleicher Hitze Lehren verfechten, die sich offenbar widersprechen. Wir sehen, wie die größten Geister in die abscheulichsten Irrtümer fallen. Neben vielen wahren Prinzipien nehmen sie auch manche falsche an, die sie irrig für wahr halten, und auf diese falschen Prinzipien bauen sie nun eine Beweisführung, die ihnen ganz richtig zu sein scheint, während sie doch falsch ist, weil sie selbe auf bloße Meinungen oder Sophismen basiert haben.
Daher kommt es, daß die Vernunft selbst auf die Vernunft kein Vertrauen setzt; daß die richtigsten Beweisführungen immer noch die geheime Befürchtung, sie könnten doch falsch sein, zurück lassen; daß man eben deswegen auch die auf solche Weise richtig erkannten Wahrheiten für zweifelhaft und ungewiß hält und sie nicht als Dogmen, sondern nur als Meinungen annimmt. Damit also die Menschen Gott mit einer vollkommenen, unwandelbaren Gewissheit erkennen konnten, war es durchaus notwendig, daß ihnen diese große und hochwichtige Wahrheit auf dem Wege der Offenbarung und des Glaubens kund gemacht wurde.
Die wahre Methode der religiösen Erkenntnis
Nun verstehen wir die liebevolle Absicht des gütigen Gottes, der uns nicht bloß jene göttlichen Wahrheiten, welche die Vernunft nie erforschen könnte, sondern auch jene, die der menschlichen Vernunft zugänglich sind, auf dem Wege des Glaubens offenbaren wollte. Dieses geschah deshalb, weil nur auf solche Weise alle Menschen, wenn sie wollen, in kürzester Zeit, ohne alle Mühe und Anstrengung, ohne Gefahr des Irrtums, mit voller Sicherheit zur Erkenntnis Gottes und aller übrigen Wahrheiten, mit einem Worte zur wahren Religion gelangen können.
Nach dieser gründlichen und schönen Beweisführung des heiligen Thomas genügt also die Methode eigener Vernunftforschung nicht, um die Menschen zur Erkenntnis der übersinnlichen Wahrheiten, sowohl jener, welche die menschliche Vernunft übersteigen, als auch jener, welche erkennbar sind, das ist zur wahren Religion zu führen.
Denn diese Methode ist 1) langwierig und mühsam; 2) nur für Wenige anwendbar, 3) gefährlich und dem Irrtum unterworfen, und 4) wandelbar und streitig, und darum zweifelhaft und ungewiß.
Im Gegensatz nun zu dieser Methode muss nach der Lehre des heiligen Thomas die religiöse Erkenntnis mittelst des wahren Glaubens 1) kurz und leicht; 2) universal und Allen zugänglich; 3) wahr und unverfälscht, und 4) sicher und gewiß, und darum beständig und einstimmig sein.
Das ist nun der wichtige Gegenstand, den wir zur Erbauung und zur Bestärkung der Kinder der katholischen Kirche, sowie zur Beschämung und Widerlegung ihrer Feinde entwickeln wollen. Wir werden zeigen, daß die vier eben angedeuteten Merkmale, welche der wahren Religionslehre wesentlich sind, nur in der Lehrmethode der katholischen Kirche auf wunderbare Weise vereinigt sind; daß demnach sie allein die wahre Lehrweise im Glauben besitzt.
Wir haben zwar schon in den vorausgehenden Lesungen aus diese göttliche Lehrweise öfter hingewiesen, aber jetzt wollen wir uns damit ausschließlich befassen. Denn als Katholiken sind wir es uns selbst schuldig, daß wir den Geist des wahren Glaubens oft in uns auffrischen, und zugleich sind wir es Gott schuldig, daß wir die große und unschätzbare Wohltat, in der wahren Kirche geboren zu sein, oft mit frommem, dankbaren Herzen betrachten.
Der Gegenstand ist also von der Art, daß seine Abhandlung auch in katholischen Ländern nicht nur nützlich, sondern auch notwendig ist; denn auch in vielen Gegenden Italiens bemüht sich die irrgläubige Propaganda, durch Verbreitung ihrer Grundsätze und ihrer Bibeln die Gläubigen vom Gehorsam und von der Anhänglichkeit an die wahre Kirche zu entfernen und sie entweder auf den Weg der schrankenlosesten Freiheit im Denken und im Leben, oder zur völligen religiösen Gleichgültigkeit zu verführen; und bei manchen Unwissenden oder leichtsinnigen Menschen geschieht es nicht ohne Erfolg.
Die göttliche Lehrweise des Glaubens
Weil jedoch die Abhandlung über die göttliche Lehrweise des Glaubens für den Inhalt einer einzigen Lesung zu umfangreich wäre, so wollen wir jetzt nur von zwei Merkmalen handeln, nämlich von ihrer Leichtigkeit und von ihrer Universalität, und versparen uns die zwei anderen Merkmale, ihre Wahrheit und ihre Gewissheit auf die nächstfolgende Lesung. Dabei werden wir uns immer an die Geschichte der heiligen Könige halten, weil sie, die Erstlinge und die Vorbilder des christlichen Volkes, durch die Art und Weise, wie sie von Jesus Christus im Glauben unterwiesen wurden, zugleich auch die Art und Weise, wie wir unterwiesen werden sollten, vorgebildet haben.
Indem wir also die Worte des Evangelisten: „Die Weisen kamen nach Jerusalem und sprachen: Wo ist der neugeborene König der Juden? Denn wir haben seinen Stern gesehen und sind gekommen, ihn anzubeten… Sie aber sprachen: In Bethlehem Juda“, erklären, wird uns durch die gegenwärtige Lesung klar werden:
1) daß die Belehrung der Weisen nicht bloß schnell vor sich ging, sondern auch den Juden angeboten wurde; denn sie war nicht die Frucht eigener Forschung, sondern göttlicher Offenbarung;
2) daß aus derselben Ursache die Lehrweise der katholischen Kirche leicht und Allen zugänglich ist; und daß somit die katholische Kirche die allein richtige Lehrmethode besitzt;
3) daß, gleichwie die Weisen die Autorität der Synagoge nötig hatten, so auch jeder Christ das Ansehen der Kirche nötig hat, um die in der heiligen Schrift enthaltene göttliche Offenbarung richtig zu verstehen; und
4) daß nur durch die Missionen der katholischen Kirche auch den Ungläubigen jeder Art die Erkenntnis der wahren Religion leicht und zugänglich wird.
Es wird uns bei dieser Abhandlung übrigens nicht an Gelegenheit fehlen, in den tieferen Geist der katholischen Lehrweise einzudringen und die Pflichten, die sie auferlegt, und die herrlichen Wirkungen, die sie hervorbringt, auseinander zu setzen. Wir hoffen, daß wir durch die Mannigfaltigkeit und Wichtigkeit unserer Bemerkungen dem frommen Leser neue Motive christlicher Erbauung und heiliger Freude in hinreichender Fülle darbieten werden. –
aus: Joachim Ventura, Exgeneral der Theatiner, Die Schönheiten des Glaubens oder: Das Glück, an Jesum Christum zu glauben und der wahren Kirche anzugehören, Fünfter Band, Zweiter Teil, 1855, S. 7 – S. 13