Der erste Sieg Jesu über Satan
Von dem Glaubenssatz der Unbefleckten Empfängnis
Gott ist nur Gott, weil er heilig ist; der Gesang: Heilig! Heilig! Heilig ist der Gott der Heerscharen, dieser Gesang, wovon die Hallen des himmlischen Jerusalem unaufhörlich widerhallen, ist nur das Bekenntnis der ersten Eigenschaft der Gottheit. Daraus folgt, daß, wie die Schrift sagt, der eigentümliche Schmuck des Hauses Gottes nicht Gold und Marmor, sondern die Heiligkeit ist: Heiligkeit geziemt deinem Haus. (PS. 92) Dies heißt, Gott kann sich auf eine seiner Würde angemessene Weise nur da finden, wo Heiligkeit herrscht, und sich mit dem Geschöpf nicht vereinigen, wenn es nicht mit dem geistlichen Schmuck der Heiligkeit angetan ist.
Der erste Sieg Jesu Christi über Satan
Aus diesem Grund ist Maria im Augenblick ihrer Empfängnis von dem allgemeinen Gesetz der Erbsünde befreit geblieben. Wohl konnte Gott zugeben, daß sie, die ihn gebären sollte, so arm war, daß Israel es als eine Schande zu trachten schien, sie zu seinen Töchtern zu zählen. Die Entblößung von allen Gütern der Erde kann das Geschöpf in den Augen der Menschen herabwürdigen, nicht aber vor Gott. Allein, daß das Weib, das seine Mutter werden sollte, oder das Fleisch, von dem er seine Menschheit entlehnen wollte, um mit der Fülle seiner Gottheit darin zu wohnen, mit einem Wort, daß Maria auch nur einen Augenblick im Besitz Satans und in der Knechtschaft der Sünde sei, durfte und konnte Gott nicht zugeben, ohne seine eigene Größe und Würde zu schmälern: In eine böswillige Seele geht die Weisheit nicht ein, und nimmt nicht Wohnung in einem Leib, der verfallen ist der Sünde. (Weish. 1) Und dies hat, nach der Überlieferung und dem allgemeinen und allzeitigen Glauben der Kirche in Übereinstimmung mit den Aussprüchen der heiligen Schriften, Gott nicht zugegeben, sondern mittelst einer einmaligen Außerkraftsetzung des Sündengesetzes, dem jeder Mensch unterworfen ist, der nach menschlicher Weise geboren wird, es gefügt, daß der zarte Leib Mariä ohne die Sünde gebildet, und die Mutter des Wortes mit allen Vorzügen der Heiligkeit geschmückt wurde, nicht erst von der Stunde ihrer Geburt an, sondern schon im Augenblick ihrer Empfängnis.
Der Gott, der dieses Wunder wirkt, ist also, und zwar wieder laut der heiligen Schrift, der Allerhöchste, der den lebendigen Tempel, in dem er wohnen sollte, auf eine seiner Majestät würdige Weise ausstatten wollte, indem er ihn mit allen Reichtümern und Herrlichkeiten der Heiligkeit schmückte: Sein Zelt hat geheiligt der Höchste; und laut der Sprache der Kirche ist es nur der Gott der unter Mitwirkung des heiligen Geistes die Seele und den Leib der glorreichen Jungfrau und Mutter Maria zu einer würdigen Wohnung des Gottessohnes bereitete, der darin Fleisch annehmen sollte.
Bedenken wir nun, daß das ewige Wort, das aus Liebe zum Menschen Mensch werden wollte, um ihn zu retten, nicht verbunden war, Maria vor einem andern Weibe zu seiner Mutter zu erwählen, und daß es, indem seine Wahl für diese hohe Würde auf Maria fiel, sie vor jedem andern Weibe bevorzugte, so daß sie gebenedeit unter den Weibern war, und ihr das glänzendste Vorrecht verlieh, das ein bloßes Geschöpf von der Freigebigkeit des Schöpfers erlangen kann; daß es sich aber nicht ebenso mit der Unbefleckten Empfängnis dieser erhabenen Jungfrau verhält. Wenn das göttliche Wort zu seiner Mutter ein anderes Weib als Maria erwählt hätte, so wäre dieses, und nicht Maria, von der Erbsünde befreit geblieben. Demnach ist die göttliche Mutterschaft ein wahres Vorrecht der Güte Gottes für Maria, während ihre Unbefleckte Empfängnis nur ein Wunder war, das Gott, um seine Würde zu wahren, vollbrachte. Der Gott, der auf die Niedrigkeit seiner Magd Maria herab sieht, und dadurch alle Geschlechter auffordert, sie selig zu preisen, ist derselbe Gott, der Maria jedem andern Weibe vorzieht, der seine Vorliebe für Maria betätigt, und gewisser Maßen um der Größe und Herrlichkeit Mariä willen wirkt. Der Gott aber, der Maria vor dem allgemeinen Fluch der Sünde bewahrt, weil sie seine Mutter werden soll, und der dasselbe an jedem andern Weibe tun würde, das er zur göttlichen Mutterschaft erhoben hätte, ist derselbe Gott, der ausschließlich um seiner eigenen Ehre und Herrlichkeit willen wirkt, derselbe Gott, der vor allem auf die hohen Rücksichten bedacht ist, die er sich selber schuldet.
Nicht weil Maria der Sünde fremd geblieben, ist sie die Mutter Gottes geworden; sondern weil sie von Ewigkeit her bestimmt war, die Mutter Gottes zu werden, ist sie der Sünde immerwährend fremd geblieben, und hat sie, schon in der Stunde ihrer Empfängnis, der Schlange den Kopf zertreten, anstatt unter ihre Botmäßigkeit zu fallen. Der einfachste, deutlichste und glänzendste Beweis dafür, daß Maria wahrhaft ohne Sünde empfangen worden, liegt also darin, daß sie die Mutter Gottes war, und daß es durchaus geziemend, man möchte beinahe sagen, durchaus notwendig war, daß die Mutter Gottes in die Lage gesetzt wurde, nicht erröten zu müssen, daß sie, wenn auch nur einen Augenblick, Gottes Feindin gewesen.
Auf diese Weise beleuchten, erklären, beweisen und erhärten sich diese beiden Geheimnisse wechselseitig.
Dies ist das Geheimnis, vermöge dessen, laut der großen Prophezeiung, die Gott selbst schon im Anfang der Welt verkündet hatte, Maria, das Weib ohne Eigennamen, das Weib überhaupt, das Weib der Weiber, das vollkommene Weib der Schlange den Kopf zertrat, und sie von ihrem Unvermögen überzeugte, etwas Anderes zu tun, als vergebens ihrer Ferse nachzustellen: Feindschaft will ich setzen zwischen dir und dem Weibe… und du wirst ihrer Ferse nachstellen. (Gen. 3) Da aber Maria einen solchen Sieg über den Geist des Bösen nur mit dem Beistand Jesu Christi errungen, der ihr die ersten Segnungen seines Erlösungs-Werkes voraus zu Teil werden ließ, ist dieser Sieg der Mutter im Grunde nichts Anderes, als der Sieg des Sohnes; nichts Anderes, als die erste Waffentat, wodurch dieser göttliche Sohn (nach dem treffenden Ausdruck des heiligen Paulus) Mächte und Gewalten entwaffnete, und öffentlich über sie triumphierte durch sich selbst. (Kol. 2) Es ist nichts Anderes, als die erste Wirkung der Kraft des Kreuzes, wodurch er das erste menschliche Geschöpf der Herrschaft Satans entriß, und es zur ersten Eroberung seines Befreiungskampfes machte. Er ist nichts Anderes, als die erste Frucht, die aus seinem göttlichen Blute entsprossen, und somit der erste Beweis dafür, daß er Gott war.
Ein göttlicher Sohn konnte und durfte zur Mutter nur ein Weib haben, die ohne Sünde empfangen worden, und ein Weib, die ohne Sünde empfangen worden, konnte nur Gott zum Sohne haben. So ist denn, wie die Gottheit Jesu Christi die Begründung und der Beweis für die Unbefleckte Empfängnis Mariä ist, eben so die Unbefleckte Empfängnis Mariä ein neues Zeugnis für die Gottheit Jesu Christi.
Wie man mit dem Gruß: Heilige Maria! Mutter Gottes! anerkennt, daß sie ohne Sünde empfangen worden, eben so bekennt man mit dem Gruß: Königin ohne Erbsünde empfangen! daß sie Mutter Gottes, und daß Jesus Christus Gott ist. Denn wie nur die Mutter Gottes ohne Sünde empfangen werden konnte, eben so kann nur der Sohn eines Weibes, die ohne Sünde empfangen worden, Gott sein. Wenn man zugibt, daß Maria immer heilig gewesen, und immer nur heilig gewesen, muss man auch einräumen, daß der Sohn, den sie gebären wird, nur heilig, der Heilige unter den Heiligen, die Heiligkeit selbst sein wird; der Heilige unter den Heiligen, die Heiligkeit selbst aber ist nur Gott. So ist das Geheimnis der Unbefleckten Empfängnis, oder das Geheimnis der Heiligung des ersten Augenblicks Mariä zugleich das Geheimnis der Majestät Jesu Christi, dies heißt das Bekenntnis und das Zeugnis für seine Gottheit: Heiligkeit und Majestät in seinem Heiligtum. (Ps. 95)
Papst Pius IX. hat also nur vermöge einer himmlischen Eingebung und einer besonderen Fügung der göttlichen Vorsehung die Unbefleckte Empfängnis Mariä als Glaubens-Wahrheit der Kirche erklärt. Durch diesen großen Akt, der seinen unsterblichen Namen mit einem besonders lieblichen Glanz gekrönt der Nachwelt überliefern wird, hat er die halb protestantische Lehre, welche dem Oberhaupt der Kirche das hohe Vorrecht der Unfehlbarkeit in Glaubenssachen streitig macht, für immer entkräftet; und indem er dieses sein Vorrecht in solchem Maße ausübte, hat er dessen Hoheit und Gewalt geltend gemacht und befestigt. Wie aber der Lehrer der Gelehrten (wie bereits dargetan worden) zu diesem feierlichen Akt, der in den kommenden Jahrhunderten mächtig nachwirken wird, nicht eher geschritten, bevor er die Kirche zu Rate gezogen, bevor er sich durch die Aussage der natürlichen Wächter des religiösen Bewusstseins der christlichen Völker überzeugt hatte, daß es der allzeitige und allgemeine Glaube der Kirche sei, so hat er nur nachträglich bestätigt, was die Kirche glaubt; er hat nur einen Wunsch der Kirche erfüllt; er hat nur die gesamte Kirche zum Gesang des neuen Lobliedes vereinigt, welches die Kirche zur Verherrlichung ihres himmlischen Bräutigams angestimmt, indem sie die erste unter den Herrlichkeiten seiner göttlichen Mutter den Wahrheiten ihres Glaubens beizählte.
Endlich hat der Statthalter Jesu Christi bei dieser Gelegenheit einen eben so erleuchteten als glühenden Eifer für die Verherrlichung seines göttlichen Gebieters an den Tag gelegt. Er hat erkannt, daß in diesen unseligen Tagen, wo die Hölle eine neue Verschwörung gegen den Glauben an die Gottheit des Erlösers angestiftet zu haben scheint, und wo Alles, was nicht christlich ist, sich zu dem Feldgeschrei bekennt: „Offenen und unversöhnlichen Krieg gegen diese Grundlehre der Religion“, nichts Besseres zu tun ist, als die Beweise und Zeugnisse derselben zu vermehren, und Alles, was katholisch ist, zu dem lauten Bekenntnis aufzufordern, daß Maria nur, weil sie die Mutter Gottes ist, ohne Sünde empfangen worden; damit durch dieses neue Bekenntnis, daß Jesus Christus Gott ist, alle Kinder der Kirche den aus der Hölle entstammten Lästerruf: daß Jesus Christus Gott nicht sei, zu ersticken und zu bewältigen vermögen. –
aus: Joachim Ventura, Die Wonnen der Frömmigkeit oder von der Verehrung der seligsten Jungfrau, 1861, S. 47 – S. 52