Der dreifache Tag des Herrn und unsere Bewährung
20. April
Uniuscujusque opus manifestum erit: dies enim Domini declarabit, quia in igne revelabitur; et uniuscujusque opus quale sit, ignis probabit.
„So wird eines Jeden Werk offenbar; denn der Tag des Herrn wird es ans Licht bringen: im Feuer wird es offenbar werden; das Feuer wird es erproben, wie das Werk eines Jeden sei.“ (1. Kor. 3,13)
1. Erwäge, daß eines Jeden Tag, um genau zu sprechen, der genannt werden muss, an welchem ihm freie Gewalt gegeben ist, zu zeigen, wie viel er vermag: „Dies ist eure Stunde“ (Luk. 22,53).
Fragt man daher nach dem eigenen Tage eines jeden Menschen, insofern er Mensch ist; so ist dies jener böse Tag, an welchem er seines freien Wahlvermögens sich bedienen will, so viel er kann, sei es auch wider jenen Gott, der ihm dasselbe gnädig geschenkt hat: „Nach dem Tage des Menschen habe ich nicht verlangt, Du weißt es“ (Jer. 17,16).
Wie nun der Mensch seinen bösen Tag in Bezug auf Gott hat, so hat auch Gott seinen gerechten Tag in Bezug auf den Menschen: „Wehe denen, welche den Tag des Herrn begehren“ (Am. 5,18); und dies ist jener Tag, an welchem er auf ganz besondere Weise seine volle Gewalt über die Menschen übt, indem er über Jeden sein Gericht hält, die verdiente Strafe verhängt, und nach seinem Wohlgefallen vollzieht.
Drei Tage des Herrn gibt es aber, von welchen die heilige Schrift uns spricht, nicht bloß einen einzigen.
Der erste ist der Tag des allgemeinen Gerichtes, der, weil er auch der vorzüglichste ist, der große Tag heißt, und am Ende der Welt sein wird: „Nahe ist der große Tag des Herrn, der Tag des Zornes, jener Tag“ usw. (Soph. 1, 14-15).
Der zweite Tag ist der Tag des besonderen Gerichtes, das dem allgemeinen vorher geht, und beim Tode eines jeden Menschen stattfindet: „Der Tag des Herrn wird kommen, wie der Dieb in der Nacht“ (1. Thess. 5,2).
Der dritte Tag ist der Tag der Trübsal, die gleichzeitig ein Gericht ist, das dem besonderen voraus geht, und bei welchem Gott den Menschen auf die Probe stellt, und so zu sagen prüft, um zu sehen, ob er wirklich stark und treu ist; eine Prüfung, die so weit geht, daß er ihn sogar durch Leiden aller Art auf die Folter spannt. Und dieser Tag hat seinen Platz in der Lebenszeit eines jeden Menschen: „Bitter ist die Stimme des Tages des Herrn; es wird da der Starke mit Trübsal heimgesucht“ (Soph. 1,14).
Alle diese drei Tage nun, welche Gott sich als die seinen auserkoren hat, sind von ihm ganz besonders dazu bestimmt, um offenbar und kund zu machen, wie der Mensch beschaffen ist. Und darum sagt auch der Apostel in Bezug auf alle diese drei Tage, daß eines Jeden Werk offenbar werden wird; denn der Tag des Herrn wird es ans Licht bringen.
Deine Aufgabe ist es nun, dich selbst wohl zu erforschen und zu beurteilen, wie du glaubst, daß du an jedem dieser drei Tage erscheinen wirst; denn alle drei sind Tage des Gerichtes.
Der erste Tag
2. Betrachte, wie am ersten der drei Tage, am Tage des allgemeinen Gerichtes nämlich, eines Jeden Werk offenbar werden wird.
Denn an diesem Tage müssen alle, auch die verborgensten Taten ans Licht kommen: „An jenem Tage, da Gott das Verborgene der Menschen richten wird“ (Röm. 2,16). Jetzt gibt Gott den Sündern, wie einst den ersten zwei Stammeltern, ihre Felle, um sich damit nach der Sünde ehrbar zu bedecken; aber an jenem Tage wird er ganz erzürnt ihnen dieselben vom Leibe reißen.
Stelle dir daher vor, in wie schmählicher Blöße so viele Ehebrecher dastehen werden, welche sich jetzt als züchtig und enthaltsam gebärden, in welcher Blöße so viele Ehrgeizige, so viele Habsüchtige, so viele Übeltäter! „Siehe ich werde über dich kommen, spricht der Herr der Heerscharen, und werde deine Schande vor deinem Angesicht enthüllen, und den Völkern deine Blöße zeigen.“ (Nah. 3,5)
Du brauchst also nicht so viele schlaue Mittel und Kunstgriffe anzuwenden, um deine Bosheit vor jenem Hause, vor jener Gemeinde, worin du lebst, zu verbergen: denn am Ende wird doch der Tag des Herrn sie ans Licht bringen.
Der zweite Tag
3. Betrachte, wie am zweiten Tage, dem Tage des besonderen Gerichtes, eines Jeden Werk offenbar werden wird.
Denn jener Arme, der ganz mit Schmutz bedeckt, keine Seele fand, die ihn auch nur eines Blickes gewürdigt hätte, wird in Abrahams Schoß ruhen; der Reiche aber, welcher von Verehrern umlagert, geschmeichelt und angebetet, fortwährend an einer königlichen Tafel schwelgend saß, wird von den bösen Geistern in die Hölle geschleppt werden, wo er, wütend vor Qual, nach einem einzigen Tropfen Wasser vergebens seufzen muss: „Es geschah, daß der Bettler starb, und von den Engeln in Abrahams Schoß getragen wurde; es starb aber auch der Reiche, und ward in die Hölle begraben“ (Luk. 16,22).
O welch eine erstaunliche Veränderung des Schauspieles wird dies sein; namentlich wenn sie so unerwartet, so ungeahnt eben jene Menschen trifft, welche die handelnden Personen dabei sind. Und doch ist dies der letzte Auftritt, und es bleibt keine Hoffnung, daß ein Wechsel der Bühne durch die ganze Ewigkeit mehr stattfinde: „Ist der Gottlose gestorben, so bleibt keine Hoffnung weiter“ (Prov. 11,7).
Weißt du indessen, was für eine Rolle du bei diesem entscheidenden Auftritt zu spielen haben wirst: ob die Rolle des Armen, der zum Königsthron erhoben, oder die Rolle eines Königs, der zum ewigen Kerker verdammt wird? Schmeichle dir nicht in eitler Weise, weil bloß der Tag des Herrn dies sicher ans Licht bringen wird.
Der dritte Tag
4. Betrachte, wie auch der dritte Tag, der Tag der Trübsal, gewissermaßen und in seiner Art ein Tag des Gerichtes ist: „Gib mir kund, warum du mich so richtest“ (Job 10,2); das heißt, warum du mich so mit Trübsal heimsuchest. An diesem Tage werden ebenfalls eines Jeden Werke offenbar werden, wenn auch nicht so fast vor den Menschen, so doch vor Gott.
Denn zu diesem Zweck sendet er ja namentlich seine Heimsuchungen, um den Menschen zu prüfen und zu bewähren: „Es prüft euch der Herr, euer Gott, damit es offenbar werde, ob ihr ihn liebet oder nicht, aus ganzem Herzen und aus ganzer eurer Seele“ (Deut. 13,13); nicht als ob ihm dies nicht ohnehin schon bekannt wäre, sondern weil er, da es sich um den Menschen handelt, auch ganz nach menschlicher Art zu Werke gehen will.
Wer könnte aber Aufschluss geben, wie oft so mancher Mensch in Leiden und Trübsal sich ganz anders zeigt, als er vordem im Glück sich zu erkennen gab?
Hierin besteht also das Gericht, das Gott über die Menschen noch bei ihren Lebzeiten verhängt: es besteht darin, daß er mit Leiden und Trübsal sie heimsucht: „Werden wir vom Herrn gerichtet, so werden wir gezüchtigt“ (1. Kor. 11,32) Bis du dich hierin bewährt hast, schmeichle dir ja nicht, und glaube von dir nichts Gutes, weil du dich täuschest.
Was den wahren Beweis zu liefern hat, wer und wie du beschaffen bist, – ist jene Verfolgung, welche ungerechter Weise gegen dich erhoben wird, ist jene Beschimpfung, jene Krankheit, jene innere Trostlosigkeit, welche du leiden musst. Wenn du alsdann fest stehst, und treu dich bewährst, wirst auch du unter die Zahl derer gereiht werden, von welchen im Buch der Weisheit (Sap. 3,5) geschrieben ist: „Gott hat sie geprüft, und hat sie seiner wert gefunden.“ Wenn du aber dich besiegen läßt, und murrend, klagend oder gar fluchend wider Gott dich erhebst, oder doch wenigstens deine gewöhnlichen geistlichen Übungen hintan setzest; so wirst du als unwürdig von Gott verstoßen werden: „Wer sein Kreuz nicht auf sich nimmt und mit nachfolgt, ist meiner nicht wert.“ (Matth. 10,38)
So lange du also solche Proben noch nicht bestanden hast, traue keinem von allen deinen guten Vorsätzen, wenn du sie auch noch so fest in deinem Herzen gemacht zu haben glaubst. Denn ob sie wirklich kräftig seien oder nicht, wird der Tag des Herrn ans Licht bringen.
Jedes Gericht hat sein eigenes Feuer
5. Erwäge, daß es von einem jeden dieser drei Gerichte heißt, dasselbe werde mittelst des Feuers vollzogen werden: „Das Feuer wird erproben, wie eines Jeden Werk beschaffen ist.“ Denn wie dem Feuer die Eigenschaft inne wohnt, daß man mittelst desselben das wahre Gold von dem falschen zu unterscheiden vermag; so hat es auch die Wirkung, daß man kraft seiner die wahren Gläubigen von denen, welche es nicht sind, zu unterscheiden im Stande ist: „Im Feuer hast du mich geprüft, und es ist keine Schuld an mir gefunden worden.“ (Ps. 16,3)
Der Tag des allgemeinen Gerichtes wird sein eigenes Feuer haben: „Im Feuer wird es offenbar werden“; er wird das Feuer erglühen sehen, welches das Weltall verzehren muss. Und so wird durch dasselbe der Unterschied zwischen dem wahren und dem falschen Gold offenbar werden: „Das Feuer wird erproben, wie eines Jeden Werk beschaffen ist.“ Denn die Auserwählten werden mitten in diesem Brand, obgleich er gewaltig zum Himmel lodert, nicht die Spur seiner Wirkung erfahren, während die Gottlosen das Feuer auf die furchtbarste Weise fühlen werden: „Feuer sprüht vor ihm her, und versengt seine Feinde ringsum“ (Ps. 96,3)
Eben so wird auch der Tag des besonderen Gerichtes sein eigenes Feuer haben; denn „im Feuer wird es offenbar werden“. Er wird das Feuer des Reinigungsortes für die Auserwählten, und das Feuer der Hölle für die Verworfenen haben. Und so wird auch mittelst dieses Feuers das falsche Gold von dem wahren gesondert werden: „Das Feuer wird erproben, wie eines Jeden Werk beschaffen ist.“ Denn die Verdammten werden alle so ganz von dem Feuer erfaßt werden, daß sie durch alle Ewigkeit nicht mehr daraus zu entrinnen vermögen; die Auserwählten hingegen werden alle wieder daraus befreit werden, obwohl die einen früher, die anderen später, je nach der größeren oder geringeren Beimischung von Schlacken, welche sie bei dem Austritt aus diesem Leben an sich tragen: „Er hat mich erprobt wie das Gold, welches durch das Feuer geht“ (Job 23,10).
Die Trübsal selbst ist ein Feuer
Der Tag jenes Gerichtes endlich, welches in der Trübsal besteht, wird auch sein eigenes Feuer haben; denn „im Feuer wird es offenbar werden“. Dieses Feuer ist die Trübsal selbst, die an tausend Stellen der heiligen Schrift „Feuer“ genannt wird, weil sie in der Seele eine höchst schmerzliche Empfindung verursacht, ähnlich jener, welche das Feuer am Körper hervor zu bringen pflegt: „Ich werde sie brennen, wie das Silber gebrannt wird“ (Zach. 13,9).
Und so wird denn auch durch dieses Feuer der Trübsal am besagten Tag das falsche Gold von dem wahren geschieden werden: „Das Feuer wird erproben, wie eines Jeden Werk beschaffen sei.“ Denn bei dem Leiden, das die Trübsal mit sich bringt, werden die Bösen unterliegen, die Guten aber werden mannhaft widerstehen.
Bemerke indessen: wenn die Trübsal ein Feuer ist, so muss es natürlicher Weise geschehen, daß man es fühlt, daß es brennt, daß es wehe tut, daß es sogar sehr stechenden Schmerz verursacht; aber dieses schadet der Tugend nicht. „Im Feuer hast du mich geprüft, und es ist kein Unrecht an mir gefunden worden.“ Es heißt nicht: kein Schmerz; es heißt nicht: kein widriges Gefühl; es heißt nicht: keine Betrübnis; es heißt nicht: kein Seufzer; sondern es heißt: kein Unrecht. Denn dieses allein ist die Schlacke, welche dem Gold, von dem hier die Rede ist, seinen Wert nimmt.
Fühlten etwa die heiligen Märtyrer in ihren brennenden Öfen das Feuer nicht, welches mit so gewaltiger Glut ihr Fleisch verzehrte? Und doch waren sie ein so auserlesenes Gold! Es genügt also, daß du aus dem Feuer nicht entspringen willst, daß du dich stark und standhaft hältst, daß du treu verbleibst, daß du über Gott nicht klagst, dich nicht erzürnst, daß du nicht böser Laune dich hingibst, daß du auch in der äußeren Miene, so gut als möglich, die gewohnte Heiterkeit bewahrst.
Wohl ist es wahr, daß die Verschiedenheit der Gnade, mit welcher der stärkende Geist uns unterstützt, auch die Wirkung nach sich zieht, daß man jenes Feuer bisweilen mehr, und bisweilen weniger fühlt, wie dies auch bei den Märtyrern der Fall war. Aber daß man das Feuer mehr oder minder fühlt, ist kein sicheres Zeichen des kleineren oder größeren Verdienstes. Das sicherste Zeichen hierfür ist die mehr oder minder gute und rechte Weise, in der du dich dabei benimmst.
Der Apostel Paulus lag manchmal in diesem Feuer, wie die drei Jünglinge im Ofen von Babylon, – voll der Freude, jubelnd und singend, als wäre er in einem Blumengarten: „Ich bin überschwänglich reich an Freude bei all unserer Trübsal“ (2. Kor. 7,4). ein anderes Mal aber lag er in diesem Feuer, wie jene Märtyrer, welche dasselbe bis ins tiefste Gebein fühlten, so daß er, seinen Schmerz offen gestehend, seufzte: „Wir wollen euch nicht bergen, Brüder! Was wir in Asien für Trübsale ausgestanden haben; indem wir über die Maßen beschwert worden, über unsere Kräfte, so daß uns sogar das Leben zum Überdruss wurde. (ebd. 1,8).
Und doch war es stets der nämliche Apostel Paulus, der immer gleich groß in seiner Haltung blieb, und niemals, ob er die Trübsal mehr oder weniger empfand, von seinem gewöhnlichen Eifer abließ, mit dem er von Ort zu Ort zog, das Wort des Herrn verkündete, und in Allem, wo er nur konnte, die Ehre Jesu Christi beförderte. Und dies muss auch deine Aufgabe sein.
Übrigens, wenn du sehr die Beschwerde fühlst, welche Gott dir sendet, werde deshalb nicht verzagt und nicht betrübt. Denn dies tut der Heiligkeit nicht den geringsten Abbruch: es reicht hin, daß du stark und standhaft bleibst. Denn ist auch die Trübsal über die Kraft der Natur, was der Apostel ausdrücken wollte, da er sagte: „über unsere Kräfte“; so übersteigt sie doch nie die Kraft der Gnade: „Gott ist getreu; er wird euch nicht über eure Kräfte versuchen lassen“ (1. Kor. 10,13). –
aus: Paul Segneri S.J., Manna oder Himmelsbrod der Seele, 1853, Bd. II, S. 139 – S. 146