Die Leiter Benedikts Die zwölf Stufen der Demut

Der sterbende heilige Benedikt empfängt im Arm seiner Ordensbrüder die heilige Wegzehrung

 Die Leiter Benedikts: Die zwölf Stufen der Demut

Der hl. Benedikt, den die Geschichte nach Verdienst „den geistigen Vater Europas, den Meister des vollkommenen Lebens“ nennt, hat eine Leiter gebaut, auf welcher seit 1500 Jahren ungezählte Legionen seiner Schüler sicheren Schrittes empor gestiegen sind in die ewige Wohnung im Hause des himmlischen Vaters zur unbeschreiblich süßen Anschauung Gottes, zum Genuss der ewigen Seligkeit. Diese so gut bewährte und um ihres Dienstes willen so kostbare Leiter zählt nur zwölf Sprossen, welche der hl. Benedikt „die zwölf Stufen der Demut heißt, entsprechend der Lehre Jesu: „Nur wer sich selbst erniedrigt (verdemütigt), wird erhöht werden.“ (Luk. 14,11) Diese Leiter wird hier dir vorgestellt mit der Bitte des hl. Bernard, daß du nicht etwa bloß ihre Stufen zählst und betrachtest, sondern mutig über sie hinauf steigst:

Auf die erste Stufe der Demut trittst du, wenn du – die Furcht Gottes stets vor Augen haltend – Ihn nie vergissest und alles dessen, was Gott geboten hat, stets eingedenk bist: wenn du dabei im Geist wohl erwägst, wie diejenigen, welche Gott verachten, wegen ihrer Sünden in die Hölle gestürzt werden: denjenigen aber, welche Ihn fürchten, das ewige Leben bereitet ist; wenn du dich also jederzeit hütest vor Sünden und Fehlern der Gedanken, der Zunge, der Augen, der Hände, der Füße und des eigenen Willens, und dich mit Eifer anstrengst, die Begierden des Fleisches in dir gänzlich zu ertöten.

Die zweite Stufe der Demut ersteigst du, wenn du deinen eigenen Willen nicht liebst und dich nicht erfreuest an der Befriedigung deiner Wünsche, sondern in der Tat dem Ruf des Herrn nachlebst: „Ich bin nicht gekommen, meinen Willen zu tun, sondern den Willen Dessen, der Mich gesandt hat.“ (Joh. 6,38)

Auf die dritte Stufe der Demut erschwingst du dich, wenn du aus Liebe zu Gott deinen Vorgesetzten in unbedingtem Gehorsam dich unterwirfst und dadurch deinen Herrn nachahmst, von dem der hl. Paulus sagt: „Er ist gehorsam geworden bis zum Tode.“ (Phil. 2,8)

Auf der vierten Stufe der Demut stehst du, wenn du im Gehorchen auch das Harte und Widerwärtige, ja selbst zugefügte Unbilden jeder Art – schweigend und geduldig hinnimmst: wenn du im Dulden nicht ermüdest oder nachlässest, sondern aushältst, nach den Worten der Schrift: „Wer ausharrt bis ans Ende, der wird selig.“ (Matth. 10,22)

Die fünfte Stufe der Demut besteigst du, wenn du alle bösen Gedanken, welche im Herzen aufsteigen, und das heimlich begangene Böse deinem geistlichen Vater durch demütiges Bekenntnis offenbarst, wozu die Schrift uns ermahnt mit den Worten: „Bekennet (beichtet) dem Herrn, weil Er gütig ist, weil ewig währet seine Barmherzigkeit.“ (Ps. 103,1)

Auf die sechste Stufe der Demut erhebst du dich, wenn du mit dem Geringsten und Notdürftigsten zufrieden bist, dich selbst bei allem, was dir aufgetragen wird, als einen unnützen, unwürdigen Knecht betrachtest und mit dem Propheten sprichst: „Ich ward tief gedemütigt und erkannte es nicht; einem Lasttier gleich ward ich vor Dir, doch war ich immerdar in deiner Hand.“ (Ps. 72,22)

Die siebente Stufe der Demut hast du erstiegen, wenn du dich als den Geringsten und Niedrigsten von allen nicht bloß mit dem Mund bekennst, sondern auch im innersten Herzensgrund als solchen anerkennst und mit dem Psalmisten sagst: „Es ist mir gut, o Herr, daß du mich gedemütigst hast, damit ich lerne deine Gebote.“ (Ps. 87,16)

Auf der achten Stufe der Demut stehst du, wenn du dich an die Allen gemeinsame Regel hältst und jede Ausnahme und Sonderlichkeit vermeidest.

Die neunte Stufe der Demut hast du erreicht, wenn du deine Zunge bezähmst und ohne zu reden still schweigst, bis du gefragt wirst, da die heilige Schrift warnt: „Bei vielem Reden, entgeht man der Sünde nicht.“ (Sprichw. 10,9)

Die zehnte Stufe der Demut ist dein, wenn du nicht leichtfertig und schnell bereit bist zum Lachen, weil geschrieben steht: „Der Tor erhebt im Lachen seine Stimme.“ (Ekkli. 21,23)

Die elfte Stufe der Demut hast du unter dir, wenn du im Reden sanft, bescheiden und ernst, nur wenige und wohl überlegte Worte sprichst und nicht lärmst mit deiner Stimme, wie die heilige Schrift sagt: „An gedrängter Rede erkennt man den Weisen.“ (Ekkli. 10)

Auf der zwölften Stufe der Demut bist du angekommen, wenn du deine Demut des Herzens überall, auch im äußeren Benehmen kund gibst, den Blick zur Erde senkst, dich stets deiner vielen Sünden wegen als einen Schuldbeladenen betrachtest und dich im Geiste vor dem furchtbaren Richterstuhl Gottes siehst: wenn du beständig im Herzen jene Worte wiederholst, welche der reumütige Zöllner im heiligen Evangelium mit zur Erde gesenktem Haupt sprach: „O Herr, ich armer Sünder bin nicht wert, meine Augen zum Himmel zu erheben!“ (Luk. 18,13) –
aus: Otto Bitschnau OSB, Das Leben der Heiligen Gottes, 1881, S. 216 – S. 217

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