Judentum und Christentum

Zwei Figuren symbolisieren den Alten und den Neuen Bund: links ist das Christentum, rechts das Judentum

Judentum und Christentum – Das religiös-sittliche Verhalten der Kirche zum Judentum

Das Judentum bildet Vorbereitung, Mutterschoß und dauerndes Zeugnis für das Christentum. Die Vorbereitung lag in dem Bund, den Gott mit diesem Volk schloss, damit es Empfänger und Hüter der übernatürlichen Offenbarung unter den Ungläubigen sei und den Kult des wahren Gottes erhalte; ferner in der Prophetie, die den Messias verkündete, in der Schaffung religiöser Begriffe (Gottes- oder Himmelreich, Menschensohn, Gericht usw.), die Christus übernahm, und in der Formung fester Gebetsriten (Sabbat-Morgengebet, Tischgebet, Passahmahlritus usw.), die von der jungen Kirche als Vorbild für ihre Gebetsformen verwendet wurden.

Mutterboden ist das Judentum für das Christentum, sofern Jesus „dem Fleische nach aus dem Judentum ist“ (Röm. 9, 5), sofern das Alte Testament heilige Schrift auch der Kirche blieb, sofern endlich das Judentum mit seinen Bräuchen und Sitten erst das volle Verständnis der Reden und Taten Christi erschließt.

Zeuge wurde das Judentum für das Christentum durch das Evangelium aus der Prophetie oder den alttestamentlichen Schriftbeweis, auf den Jesus selbst sich berief und dessen Verkündigung den Aposteln seit Petri Pfingstpredigt ebenso wichtig blieb wie die des Evangeliums der Augenzeugenschaft, sodann durch die immer fortdauernde Existenz des Judentums ohne den altbundlichen Tempel und Opferdienst, der nach Malachias (1, 1of.), nach den Worten Jesu (Joh. 4, 21 u. 23) und des Hebräer-Briefes (Kap. 7-10) endgültig weichen musste dem „an allen Orten dargebrachten reinen Opfer“ und der „Anbetung im Geist und in der Wahrheit“. Erschütternden Ausdruck findet dieses fortdauerndes Zeugnis in den Freitags-Abendversammlungen an der Klagemauer unter dem den Juden seit 70 immer verschlossenen Tempelberg zu Jerusalem.

Aus diesem Verhältnis ergibt sich das religiös-sittliche Verhalten der Kirche zum Judentum. Die Urkirche wollte keine Trennung, sondern Gewinnung des Judentums für das Christentum. Sie hielt fest an Beschneidung (Apg. 16, 3), Tempel (Apg. 22, 17), Nasirärer-Gelübde (Apg. 21, 24) und Beobachtung des Gesetzes (ebd.), ohne allerdings die Heidenchristen darauf zu verpflichten. Sie wandte sich auch in den heidnischen Städten stets zuerst an die Juden; aber diese wollten die Trennung, steinigten Stephanus, verfolgten die Christen, stießen den missionierenden Paulus aus den Synagogen (vgl. Apg. Kap. 18 u. 19) und zeigten sich in jener Gesinnung verhärtet, über die Jesus geweint (Lk. 19, 41) und sein Wehe gerufen hatte (Mt. 11, 21; 23, 14; 24, 10 u. Parall.).

Paulus jedoch begegnet dem bei den Heidenchristen beginnenden Antisemitismus mit der strengen Forderung, die Juden nicht zu verachten, und mit dem Beispiel unablässigen Gebetes für sie (Röm. Kap. 9-11). Der antijudaistische Barnabasbrief fand kein kanonisches Ansehen. Der 1. Klemensbrief, an Heidenchristen gerichtet, strömt über von alttestamentlichen Texten. Nach Christi, Petri und Pauli Vorbild entschuldigt die Kirche die Juden mit ihrer Unwissenheit, betet für sie, missioniert und schützt sie. Abneigung gegen ihre Rasse hegt sie schon deshalb nicht, weil der Erlöser und seine heiligste Mutter ihr angehören.

Doch widersteht sie dem modern-jüdischen Liberalismus und seinen zersetzenden Wirkungen und weist, bei aller Gemeinsamkeit in Gottesglauben, Gebet (Psalmen und Cantica) und Sittenlehre, die jüdische Anklage zurück, dass der Trinitätsglaube Abfall vom Monotheismus sei, und daß die christliche Gnadenlehre Erweichung der Gesetzes-Gerechtigkeit und des sittlichen Aktivismus sei. Der Gegensatz zwischen dem Christentum als Erfüllung und dem Judentum, das an der stets unerfüllten Vorbereitung festhält, ist unüberbrückbar als Gegensatz der Überzeugung, darf aber nicht ein Gegensatz der Liebe werden. –
aus: Michael Buchberger, Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. V, 1933, Sp. 678 – Sp. 679

siehe auch: Das Judentum des Alten Bundes hatte die wahre Religion (Hl. Alphons v. Liguori)

Bildquellen

Verwandte Beiträge

Geschichte der Juden nach 70 n. Chr.
Von der Pein der Verdammten