Lexikon für Theologie und Kirche
Stichwort: Geißler
Geißler oder Flagellanten, auch Kreuzbrüder (Flagellarii, Flagellatores, Cruciferi), anfangs von ernstem Pathos durchdrungene schwärmerische Laien aller Stände und jeden Alters, welche die „disciplina flagelli“ (Geißelung) von den Klöstern auf die Straße trugen und vom 13. bis 15 Jahrhundert oft in Scharen unter Gebet und Gesang (Geißlerlieder) im Bußkleid, worauf das Kreuz Christi leuchtete, durch die Länder Mitteleuropas zogen. Durch Selbstpeinigung mit der Geißel, die mit eisernen Stacheln besetzt war, suchten sie zur Teilnahme am Leiden Christi zu gelangen und öffentliche Buße zu tun. Die Geißelung erfolgte täglich des Morgens und Abends unter dem Gesang von Psalmen oder Spruchweisen, deren Satzteile den Takt für die einzelnen Geißelhiebe gaben. Die Bewegung auf die Bußpredigten des hl. Antonius von Padua zurück u führen (…) ist unrichtig. Sie begann vielmehr als Massenbewegung, „bis dorthin unerhört“, im Herbst 1260 in Perugia, wandte sich zunächst südwärts durch das spoletanische Tal nach Rom, überschritt aber bereits 1261 die Alpen. Von Anfang an war sie religiöser Wildwuchs aus der politischen und sozialen Anarchie und der ihr entquellenden Verelendung, die in Toskana um die Zeit der Kämpfe zwischen Guelfen und Ghibellinen herrschte. Sie wurde durch die apokalyptische Einstimmung der Zeit eines Joachim von Fiore genährt und durch die Schrecken der Pestjahre 1348-49 gesteigert, erhielt aber auch Antrieb aus dem Aberglauben, z.B. durch den Himmelsbrief, der 25.12.1348 auf den Altar des hl. Petrus in Jerusalem gefallen sein soll. Bußprediger wie Nikolaus v. Tolentino, Frau Venturino v. Bergamo und Vinzenz Ferrer bemächtigten sich der Bewegung und leiteten selbst Geißlerzüge, vermochten aber ihre Ausartung in leichtsinniges Vagantentum, das sich priesterliche Befugnisse anmaßte, in Albernheiten und Wahnwitz sich verlor, an Fudenverfolgungen teilnahm usw., nicht aufzuhalten. Die Päpste hatten, wie die Annales S. Justinae Patavini (…) und Hermann von Niederaltaich (…) bekunden, von Anfang an mit den Geißlern nichts zu schaffen. Die Geistlichkeit in Deutschland lehnte sie meist ab; in Italien führten selbst Bischöfe Geißlerfahrten. Das Konzil von Konstanz verurteilte sie. Indes erhielten sie sich in einzelnen Gemeinschaften häretischen Chrakters bis ins 16. Jahrhundert, als Volksbrauch bis ins 18. Jahrhundert.
aus: Michael Buchberger, Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. IV, 1932, S. 345-346