Die katholische Lehre von der Prädestination – § 12 Das Geheimnis der Prädestination
1. Begriff und Wirklichkeit der Prädestination
a) Begriff
Im weitesten Sinn versteht man unter Prädestination jeden ewigen göttlichen Willens-Ratschluss. Im engeren Sinn versteht man darunter jenen ewigen göttlichen Willens-Ratschluss, der sich auf das übernatürliche Endziel der vernünftigen Geschöpfe bezieht, mag er die Aufnahme in die ewige Seligkeit oder den Ausschluss von derselben zum Gegenstand haben. Im engsten Sinn versteht man darunter den ewigen göttlichen Willens-Ratschluss, bestimmte vernünftige Geschöpfe in die Seligkeit des Himmels aufzunehmen: Praedestinatio est quaedam ratio ordinis aliquorum in salutem aeternam in mente divina existens (S. th. I 23,2).
Der göttliche Prädestinations-Akt umfasst einen Akt des Verstandes und des Willens, das Vorherwissen und das Vorherbestimmen. Nach seiner Wirkung in der Zeit unterscheidet man die praedestinatio incompleta oder inadaequata, die sich entweder nur auf die Gnade (praedestinatio ad gratiam tantum) oder nur auf die Glorie (praedestinatio ad gloriam tantum) bezieht, und die praedestinatio completa oder adaequata, welche die Gnade und die Glorie zusammen (praedestinatio ad gratiam et gloriam simul) zum Gegenstand hat. Letztere bestimmt der hl. Thomas als praeparatio gratiae in praesenti et gloriae in futuro (S. th. I 23, 2 ob. 4).
b) Wirklichkeit
Gott hat durch seinen ewigen Willens-Ratschluss bestimmte Menschen zur ewigen Seligkeit vorherbestimmt. De fide.
Das ordentlich und allgemeine Lehramt der Kirche verkündet diese Lehre als Offenbarungs-Wahrheit. Die Lehr-Bestimmungen des Konzils von Trient setzen sie voraus. D 805, 825, 827. Vgl. D 316ff, 329ff.
Die Wirklichkeit der Prädestination bezeugt am klarsten Röm. 8,29f: „Die er vorher erkannt hat, hat er auch vorher bestimmt, dem Bild seines Sohnes gleichförmig zu werden, so dass er der Erstgeborene unter vielen Brüdern ist. Die er aber vorher bestimmt hat, hat er auch berufen, und die er berufen hat, hat er auch gerecht gemacht; die er aber gerecht gemacht hat, hat er auch verherrlicht.“ Dieser Text hebt alle zur kompleten Prädestination gehörigen Momente hervor, die Verstandes- und Willens-Tätigkeit im göttlichen Prädestinations-Ratschluss (praescire, praedestinare) und die Hauptstufen seiner zeitlichen Verwirklichung (vocare, iustificare, glorificare). Vgl. Mt. 25,34; Joh. 10,27f; Apg. 13, 48; Eph. 1,4ff.
Der hl. Augustin und seine Schüler verteidigen die Wirklichkeit der Prädestination gegen die Pelagianer und Semipelagianer als eine überlieferte Glaubenslehre. Augustin bemerkt: „Den Glauben an diese Vorherbestimmung, der jetzt gegen die neue Irrlehre mit neuem Eifer verteidigt wird, hat die Kirche zu allen Zeiten gehabt“ (De dono persev. 23,65).
Die Prädestination ist ein Ausschnitt aus dem ewigen göttlichen Vorsehungsplan.
2. Grund der Prädestination
a) Fragepunkt
Die Hauptschwierigkeit der Prädestinationslehre liegt in der Frage, ob der Prädestinierte selbst in einem ursächlichen Verhältnis (causa moralis) zu seiner Prädestination steht, von Gott aus gesehen, ob der ewige Prädestinations-Ratschluss mit Rücksicht oder ohne Rücksicht auf die Verdienste des Menschen gefasst worden ist (post bzw. ante praevisa merita).
Die inkomplete Prädestination zur Gnade allein ist von jedem Verdienst unabhängig (ante praevisa merita), da die erste Gnade unverdienbar ist. In gleicher Weise ist die komplete Prädestination zur Gnade und Glorie zusammen von jedem Verdienst unabhängig, da die erste Gnade unverdienbar ist, die folgenden Gnaden aber sowie die mit der Gnade erworbenen Verdienste und deren Lohn wie die Glieder einer Kette von der ersten Gnade abhängen.
Fasst man die Prädestination als Prädestination zur Glorie allein, so ergibt sich die Frage, ob die Vorherbestimmung zur ewigen Seligkeit auf Grund der vorausgesehenen übernatürlichen Verdienste des Menschen (post praevisa merita) oder ohne Rücksicht auf sie (ante praevisa merita) erfolgt. Nach der ersteren Annahme ist der Prädestinations- Ratschluss bedingt (hypothetisch), nach der letzteren ist er unbedingt (absolut).
b) Lösungsversuche
Die Thomisten, die Augustinianer, die meisten Skotisten und auch einzelne ältere Molinisten (Suarez, Bellarmin) lehren eine absolute Prädestination (ad gloriam tantum), also ante praevisa merita. Danach beschließt Gott von Ewigkeit her, ohne Rücksicht auf die Gnadenverdienste des Menschen, nach seinem freien Wohlgefallen die Beseligung bestimmter Menschen und dann die Erteilung wirksamer Gnaden zur Ausführung seines göttlichen Willens-Dekretes (ordo intentionis). In der Zeit erteilt Gott zuerst die vorher bestimmten wirksamen Gnaden und gibt dann zum Lohn für die Verdienste, die aus der Mitwirkung des freien Willens mit der Gnade hervorgehen, die ewige Seligkeit (ordo exsecutionis). Der ordo intentionis und der ordo exsecutionis stehen im umgekehrten Verhältnis zueinander (Glorie-Gnade; Gnade-Glorie).
Die Molinisten, auch der hl. Franz von Sales († 1622), lehren eine bedingte Prädestination (ad gloriam tantum), also post und propter praevisa merita. Nach ihnen sieht Gott durch die scientia media voraus, wie sich der freie Wille des Menschen in den verschiedensten Gnaden-Ordnungen verhalten würde. Im Lichte dieser Erkenntnis wählt er nach seinem freien Wohlgefallen eine ganz bestimmte Gnaden-Ordnung aus.
Nun weiß er mit der scientia visionis unfehlbar voraus, welchen Gebrauch der einzelne Mensch der von ihm verliehenen Gnade machen wird. Diejenigen, die mit der Gnade beharrlich mitwirken, wählt er auf Grund ihrer vorausgesehenen Verdienste zur ewigen Seligkeit aus, während er diejenigen, die ihre Mitwirkung versagen, wegen ihrer vorausgesehenen Missverdienste zur ewigen Höllenstrafe bestimmt. Der ordo intentionis und der ordo exsecutionis stimmen überein (Gnade-Glorie).
Beide Erklärungsversuche sind kirchlich zulässig (vgl. D 1090). Die beiderseitigen Schriftbeweise sind nicht entscheidend. Die Thomisten führen vor allem Stellen aus dem Römerbrief an, in denen der göttliche Heilsfaktor stark in den Vordergrund gerückt ist (Röm. 8,29; 9,11-13; 9,20f). Der Apostel spricht jedoch nicht von der Prädestination zur Glorie allein, sondern von der Prädestination zur Gnade und Glorie zusammen, die von jedem Verdienst unabhängig ist. –
Die Molinisten berufen sich auf Stellen, welche die Allgemeinheit des göttlichen Heilswillens bezeugen, besonders 1. Tim. 2,4, sowie auf den Urteilsspruch des Weltrichters Mt. 25,34-36, in dem die Werke der Barmherzigkeit als Grund für die Aufnahme in das himmlische Reich angegeben werden. Dass sie auch der Grund für die „Zubereitung“ des Reiches, d. h. für den ewigen Prädestination-Ratschluss sind, lässt sich daraus jedoch nicht sicher beweisen.
Die Berufungen auf die Väter und die scholastischen Theologen ist unsicher, weil die Fragestellung erst der nach-tridentinischen Theologie angehört. Während die voraugustinische Tradition zugunsten der molinistischen Erklärung spricht, tritt Augustin, wenigstens in seinen späteren Schriften, mehr für die thomistische Erklärung ein. Die letztere hebt die universale Kausalität Gottes wirksam hervor, während die erstere die Universalität des göttlichen Heilswillens, die geschöpfliche Freiheit und die persönliche Heilstätigkeit des Menschen mehr zur Geltung bringt. Die beiderseits zurückbleibenden Schwierigkeiten beweisen, dass die Prädestination auch für die durch den Glauben erleuchtete Vernunft ein undurchdringliches Geheimnis ist (Röm. 11, 33ff).
3. Eigenschaften der Prädestination
a) Unabänderlichkeit
Der Prädestinations-Ratschluss ist als ein Akt des göttlichen Erkennens und Wollens unabänderlich wie das göttliche Wesen selbst. Die Zahl derer, die in „das Buch des Lebens“ (Phil. 4,3; Apk. 17,8; vgl. Lk. 10,20) eingeschrieben sind, steht formell und materiell fest, d. h. Gott weiß und bestimmt mit unfehlbarer Sicherheit voraus, wie viele und welche Menschen selig werden. Wie groß die Zahl der Prädestinierten ist, weiß Gott allein: Deus, cui soli cognitus est numerus electorum in superna felicitate locandus (Secreta pro vivis et defunctis).
Im Gegensatz zu der auch von Thomas (S. th. I 23,7) im Hinblick auf Mt. 7,13f (vgl. Mt. 22,14) vertretenen rigoristischen Anschauung, die Zahl der Prädestinierten sei geringer als die Zahl der Reprobierten, wird man in Hinblick auf den universalen Heilswillen Gottes und die universale Heilstat Christi wohl annehmen dürfen, dass das Reich Christi nicht kleiner ist als das Reich des Satans.
b) Ungewissheit
Das Konzil von Trient erklärte gegen Calvin, dass man nur auf Grund einer besonderen Offenbarung Gewissheit über die Tatsache der Prädestination erlangen kann: Nisi ex speciali revelatione sciri non potest, quos Deus sibi elegerit. D 805; vgl. 825f.
Die Hl. Schrift mahnt, das Heil mit Furcht und zittern zu wirken (Phil. 2,12). „Wer glaubt zu stehen, der sehe zu, dass er nicht falle“ (1. Kor. 10,12). Trotz dieser Unsicherheit gibt es Zeichen der Vorherbestimmung (signa praedestinationis), die wenigstens mit großer Wahrscheinlichkeit auf die tatsächliche Prädestination schließen lassen (beharrliche Übung der in den acht Seligkeiten empfohlenen Tugenden, häufiger Empfang der hl. Kommunion, werktätige Nächstenliebe, Liebe zu Christus und zur Kirche, Verehrung der Gottesmutter).
§ 13 Das Geheimnis der Reprobation
1. Begriff und Wirklichkeit der Reprobation
Unter Reprobation versteht man den ewigen Willens-Ratschluss, bestimmte vernünftige Geschöpfe von der ewigen Seligkeit auszuschließen. Während Gott an den übernatürlichen Verdiensten, die der Grund der Beseligung sind, durch seine Gnade positiv mitwirkt, lässt er die Sünde, die der Grund der Verdammnis ist, lediglich zu.
Nach dem Inhalt des Reprobations-Ratschlusses unterscheidet man eine positive und eine negative Reprobation, je nachdem der göttliche Reprobations-Ratschluss die Verdammung zur ewigen Höllenstrafe oder die Nichterwählung für die himmlische Seligkeit (non-electio) zum Gegenstand hat. Nach dem Grunde der Reprobation unterscheidet man eine bedingte und eine unbedingte (absolute) Reprobation, je nachdem der göttliche Reprobations-Ratschluss von der Voraussicht zukünftiger Missverdienste abhängig ist oder nicht.
Gott hat durch seinen ewigen Willens-Ratschluss bestimmte Menschen wegen ihrer vorher gesehenen Sünden zur ewigen Verwerfung vorherbestimmt. De fide.
Die Wirklichkeit der Reprobation ist nicht formell definiert, ist aber allgemeine Lehre der Kirche. Die Synode von Valence (855) lehrt: fatemur praedestinationem impiorum ad mortem (D 322). Biblisch bezeugt wird sie durch Mt. 25,41: „Hinweg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das dem Teufel und seinen Engeln bereitet ist“, und Röm. 9,22: „Gefäße des Zornes, hergerichtet zum Verderben“.
2. Positive Reprobation
a) der häretische Prädestinatianismus in seinen verschiedenen Formen (der südgallische Priester Lucidus im 5. Jh.; der Mönch Gottschalk im 9. Jh. nach Berichten seiner Gegner, die aber in seinen wieder aufgefundenen Schriften keine Bestätigung erhalten; Wiclif, Hus und besonders Calvin) lehrt eine positive Vorherbestimmung zur Sünde und eine unbedingte Vorherbestimmung zur ewigen Höllenstrafe, also ohne Rücksicht auf künftige Missverdienste. Er wurde als Irrlehre verworfen auf den Partikularsynoden von Orange (D 200), Quiercy und Valence (D 316, 322) und auf dem allgemeinen Konzil von Trient (D 827). Die unbedingte positive Reprobation führt zur Leugnung der Universalität des göttlichen Heilswillens und der Erlösung und steht in Widerspruch zur Gerechtigkeit und Heiligkeit Gottes und zur Freiheit des Menschen.
b) Nach der Lehre der Kirche gibt es eine bedingte positive Reprobation, d. h. sie erfolgt mit Rücksicht auf vorausgesehene zukünftige Missverdienste (post et propter praevisa demerita). Die Bedingtheit der positiven Reprobation ist gefordert durch die Allgemeinheit des göttlichen Heilswillens. Diese schließt aus, dass Gott von vornherein die Verdammung bestimmter Menschen will. Vgl. 1. Tim. 2,4; Ez. 33,11; 2. Petr. 3,9.
Der hl. Augustin lehrt: „Gott ist gut, Gott ist gerecht. Er kann jemand ohne gute Verdienste retten, weil er gut ist; aber er kann niemand ohne schlechte Verdienste verdammen, weil er gerecht ist“ (Contra Jul. III 18,35).
3. Negative Reprobation
Die Thomisten lehren entsprechend der absoluten Prädestination zur ewigen Seligkeit eine absolute, jedoch nur negative Reprobation. Sie wird von den meisten Theologen als Nichterwählung zur ewigen Seligkeit (non-electio) aufgefasst, verbunden mit dem göttlichen Willens-Ratschluss, zuzulassen, dass ein Teil der vernünftigen Geschöpfe in Sünde fällt und so durch eigene Schuld das ewige Heil verliert.
Im Gegensatz zur absoluten positiven Reprobation der Prädestinatianer halten die Thomisten an der Universalität des göttlichen Heilswillens und der Erlösung, an der Austeilung hinreichender Gnaden an die Reprobierten und an der Willensfreiheit fest. Es ist jedoch schwierig, einen inneren Ausgleich zwischen der unbedingten Nichterwählung und der Allgemeinheit des göttlichen Heilswillens zu finden. In der Wirkung kommt die unbedingte negative Reprobation der Thomisten auf dasselbe hinaus wie die unbedingte positive Reprobation der häretischen Prädestinatianer, da es außer Himmel und Hölle keinen dritten Endzustand gibt.
4. Eigenschaften der Reprobation
Der göttliche Reprobations-Ratschluss ist ebenso wie der Prädestinations-Ratschluss unabänderlich und für die Menschen ohne besondere Offenbarung ungewiss. –
aus: Ludwig Ott, Grundriss der katholischen Dogmatik, 1954, S. 278 – S. 282