Unsittlichkeit und gottlose Philosophie

Frankreich – Zeit der modernen Politik und der kirchlichen Revolution

Unsittlichkeit und gottlose Philosophie im vorrevolutionären Frankreich

Hatte Gallikanismus und Jansenismus die Kraft der katholischen Kirche in Frankreich bedeutend geschwächt, so machten sich noch andere Einflüsse zur Vernichtung der Religiosität geltend, welche in kurzer zeit so schnell alles Leben zerstörten. Die Regentschaft des sittenlosen Herzogs von Orleans war ein Unglück für die Religion des Landes. An seinem Hofe herrschte die gemeinste Sinnlichkeit, wobei alle religiösen Übungen als leere Zeremonien und Formen mitgemacht wurden. So kam der Geist der Unlauterkeit und Geringschätzung alles Religiösen in weitere Kreise und allmählich ins ganze Land. Aus diesem frivolen Leben und Denken entwickelte sich bald auch eine frivole Wissenschaft, welche von England aus noch Nahrung erhielt. Diese Philosophie trat bald offen mit der Bekämpfung alles Offenbarungs-Glaubens hervor und wurde noch gehässiger, als die Geistlichkeit sich ihrer Gegner durch gesetzliche Mittel zu entledigen suchte. Anfangs wählte man die unschuldige Form von Reisebeschreibungen, in welcher man dem Publikum die neue Philosophie bot. Solches taten Vairesse in seiner Histoire de Severambes (Paris 1677, deutsch Sulzbach 1869), Simon Tyssot in den Abenteuern des Jacob Massé, Fontenelle in seiner Beschreibung Borneo`s, Montesquieu in seinen Persischen Briefen, Villars in seinem Leben Mohammeds. Alle diese Schriften verhöhnten die kirchlichen Institutionen.

Der Historiker Bayle aber dehnte diese Verspottung auch auf die heilige Schrift aus und behauptete, die menschliche Gesellschaft könne auch ohne Religion leben. Hierdurch wurde für weitere Unternehmungen gegen die Kirche der Weg geebnet. Der Verein der Enzyklopädisten mit Voltaire an der Spitze, war vom tiefsten Haß gegen das Christentum erfüllt und machte die Vernichtung desselben unter dem Losungswort Écrasez l`infâme zu seiner Aufgabe. Während Voltaire mit beißendem Spott das Thema variierte, daß die christliche Religion eine Erfindung und ein Betrug der Priester sei, predigten und verbreiteten Andere, wie Diderot, Condillac, Helvetius, Julien Offroy de la Mettrie, den nackten Atheismus und Naturalismus. So wurden alle gebildeten Kreise mit dem Gift des Unglaubens und der Religionsverachtung infiziert, und um die Wirkung desselben desto sicherer zu machen, musste noch Rousseau (gest. 1778) die atheistischen Grundsätze in die Pädagogik einführen. Eine Katastrophe ließ sich fast unfehlbar voraus sehen; einsichtsvolle Männer, wie der Mauriner Labat (gest. 1803) und der Prediger Neuville, warnten vor dem Augenblick, welcher Thron und Altar umstürzen würde.

Im Jahre 1765 und 1770 versammelte sich der Klerus und machte den König in einer Denkschrift (Avertissement du clergé de France sur les dangers de l`incrédulité) auf die Gefahr aufmerksam; zugleich schlug er Mittel zur Abwendung derselben vor. Als Ludwig XV. sich durch den Advokaten Seguier über die Vorschläge des Klerus Bericht hatte erstatten lassen, begnügte sich das Parlament mit der kleinlichen Maßnahme, sieben anstößige Werke verbrennen zu lassen. Die Philosophen dagegen wußten jetzt ihren Einfluss um so weiter im Lande zu verbreiten, die Minister Choiseul und Malesherbs in ihr Interesse zu ziehen und selbst auf die Erziehungs-Anstalten ihre Wirksamkeit auszudehnen. (Vgl. Stark, Der Triumph der Philosophie im 18. Jahrhundert, Frankfurt 1803, bearbeitet von Buchfelner, Landshut 1834; Binder, Geschichte des philosophischen und revolutionären Jahrhunderts mit Rücksicht auf die kirchlichen Zustände, Schaffhausen 1844; Cantu XI.)

Die gemeinsamen Feinde der Kirche, Gallikanismus, Jansenismus, Philosophie und Unsittlichkeit, richteten ihre Angriffe mit besonderer Ausdauer gegen die ersten Vertreter der katholischen Idee, gegen die Jesuiten. Nachdem schon im 17. Jahrhundert Pascal in den Provinzial-Briefen (1636) die Gesellschaft Jesu des Pelagianismus und einer laxen Moral angeklagt hatte, erneuerten sich die Beschuldigungen gegen den ganzen Orden in der Folgezeit, namentlich als der päpstliche Stuhl manche Ansichten einzelner Ordensmitglieder zensuriert hatte. Mit den alten jansenistischen Feinden verband sich die Hofpartei unter Leitung der berüchtigten Pompadour und des Ministers Choiseul, dann die Enzyklopädisten. Voltaire schrieb an Helvetius: „Haben wir einmal die Jesuiten vernichtet, dann haben wir mit der Infamen leichtes Spiel.“ Choiseul gab den Jansenisten große Geldsummen und errichtete eine „Heilandskasse“ unter Leitung des Jansenisten Nicole, aus welcher Pamphletisten gegen die Jesuiten besoldet wurden. Es erschienen die sogenannten Auszüge aus Jesuitenschriften (Extraits des assertions dangereuses et pernicieuses, que les Jésuits ont enseignées avec l`approbation, Paris 1762), in welchen sie unmoralischer und staatsgefährlicher Doktrinen beschuldigt wurden. Unglücklicher Weise bot die Insolvenz-Erklärung von La Valette, Generalprokurator auf Martinique, auch dem Parlament Anlass, in gehässiger Weise gegen die Jesuiten vorzugehen. Die Bischöfe traten zwar für sie auf einer Versammlung ein, das Parlament aber erklärte (6. August 1762) die Gesellschaft Jesu als staatsgefährlich und hob sie für Frankreich auf. Der schwache Ludwig XV. genehmigte endlich 1764 den Beschluss, gestattete jedoch den einzelnen Mitgliedern, als Privatpersonen unter den Augen der Bischöfe im Land zu leben (Crétineau-Joly, Geschichte des Jesuitenordens V). Mit der Vertreibung der Jesuiten hatten die Philosophen wirklich gesiegt. D´Alembert schrieb triumphierend das Pamphlet Sur la destruction des Jésuites en France (Paris 1767).

Bald hatte sich die Gottlosigkeit mehr als verdoppelt; ein neues Geschlecht ohne Sinn für Religion und Frömmigkeit war heran gewachsen. Wer seine religiösen Pflichten noch erfüllte, setzte sich der Spötterei aus; an die Stelle der Offenbarungs-Wahrheit war die Vernunft und die Philosophie getreten.

Mitten in diesen traurigen Zuständen zeigte die Kirche Frankreichs noch viel Gutes und gab manches Zeichen eines frischen Lebens. Noch immer wurden neue Bistümer errichtet, so Dijon (1731), St. Claude (1742), Nancy (1777) und St. Dié (1777), Seminare zur Bildung des Klerus entstanden, Diözesansynoden werden gefeiert, Schulen errichtet usw., aber die Katholiken entbehrten vor allen Dingen die geschlossene Einheit, um den Unglauben siegreich entgegen treten zu können.

Zur Beschleunigung des Umsturzes von Thron und Altar halfen die politischen Zustände des Landes wesentlich mit. Die französischen Herrscher hatten bislang nach Erweiterung ihrer äußeren und inneren Macht mit großem Erfolg gestrebt. Bei der Thronbesteigung Ludwigs XV. war ganz Frankreich beinahe eine einzige Monarchie, und Ludwig selbst gewann noch das Herzogtum Lothringen (1764) dazu. Zur Stärkung der französischen Macht hatten die Könige seit Ludwig XI. ihre Politik stets auf die Schwächung Österreichs gerichtet. Mit der Frau von Pompadour kam in diese traditionelle Politik eine Wendung; sie ließ sich durch Kaunitz zu einer Verbindung mit dem Wiener Hof bereden. Dadurch wurde Frankreich in den kostspieligen und fruchtlosen siebenjährigen Krieg verwickelt und hatte außerdem noch einen siebenjährigen Seekrieg mit England zu bestehen, dessen höchst verderbliche Folgen die Zerstörung der französischen Flotte, Verlust von Kanada, Louisiana und der Besitzungen am Senegal, sowie die fernere Unmöglichkeit der Gründung einer französischen Herrschaft in Ostindien waren. Frankreich geriet in kolossale Schulden, und die Steuerlast des Volkes wurde eine fast unerträgliche.

Ludwig XV. hatte für diese Notlage kein Verständnis, ihn fesselten nur die Buhlerinnen. Als er sich schließlich ganz der Leitung einer gewöhnlichen Person überließ, welche er zur Gräfin Dubarry erhob, erschöpfte diese die Finanzen vollständig; in fünf Jahren kostete sie dem Land die Summe von 180 Millionen Franken. Als der elende Weichling endlich starb (1774), wurde sein Enkel und Nachfolger Ludwig XVI. (1774 bis 1792) als le désiré begrüßt. Allein Alles wurde enttäuscht. Der sehnsüchtig Erwartete hatte nicht Klugheit und Kraft genug, um Heilung zu bringen. Dazu kam die Teilnahme am nordamerikanischen Freiheitskrieg und der große Aufwand der Königin. Ein unheilbares Defizit von 140 Millionen Livres jährlich stellte sich heraus, welches im Verein mit den von den Philosophen angeregten und durch den nordamerikanischen Freiheitskrieg genährten Revolutions-Ideen den Ausbruch der Revolution herbei führte. –
aus: Wetzer und Welte`s Kirchenlexikon, Bd. 4, 1886, Sp. 1782 – Sp. 1785

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