Die Offenbarungslehre von den Engeln
§ 31. Die Wirksamkeit der bösen Engel
1. Herrschaft des Teufels über die Menschen
Der Teufel besitzt auf Grund der Sünde Adams eine gewisse Herrschaft über die Menschen. De fide.
Das Konzil von Trient nennt als Folge der Sünde Adams die Gefangenschaft unter der Gewalt des Teufels. D 788, 793. Liturgischen Ausdruck findet der Glaube der Kirche in den Taufzeremonien.
Christus bezeichnet den Teufel als den Fürsten dieser Welt (Joh. 12, 31; 14, 30). Paulus nennt ihn den Gott dieser Welt (2. Kor. 4,4). Durch die Erlösungstat Christi wurde die Herrschaft des Teufels prinzipiell überwunden. Joh. 12, 31: „Jetzt wird der Fürst dieser Welt hinaus gestoßen werden.“ Hebr. 2, 14: Er nahm Fleisch und Blut an, „um durch den Tod den zu vernichten, der die Herrschaft über den Tod innehat, d.i. den Teufel.“ Vgl. Kol. 1, 13; 2, 15; 1. Joh. 3, 8. Beim Weltgericht wird die Herrschaft des Teufels vollständig und endgültig gebrochen werden. Vgl. 2. Petr. 2, 4; Judas 6.
2. Formen der Betätigung der Teufelsherrschaft
a) Die bösen Geister suchen den Menschen moralisch zu schaden durch Verführung zur Sünde (tentatio seductionis). 1. Petr. 5, 8: „Seid nüchtern und wachet! Denn euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge.“ Vgl. Mt. 13, 25. 39 (Unkraut im Weizen); Eph. 6, 12. Biblische Beispiele sind der Sündenfall der Stammeltern (Gn. 3, 1ff; Weish. 2, 24; Joh. 8, 44), der Brudermord Kains (Gn. 4, 1ff; Joh. 3, 12), der Verrat des Judas (Joh. 13, 2. 27), die Verleugnung des Petrus (Lk. 22, 31), die Lüge des Ananias (Apg. 5, 3). Der Wille des Menschen wird durch die Versuchung des Teufels nicht zur Sünde genötigt, sondern behält seine natürliche Freiheit. Der böse Feind kann den Menschen nur insoweit versuchen, als Gott es in seiner Weisheit zuläßt. Vgl. 1. Kor. 10, 13: „Gott wird euch nicht über eure Kräfte versuchen lassen.“
b) Die bösen Geister suchen den Menschen auch physisch zu schaden durch Verursachung physischer Übel (infestatio). Vgl. Tob. 3, 8; Job. 1, 12; 2, 6; 1. Kor. 5,5.
c) Eine besondere Art der teuflischen Infestation ist die Besessenheit (obsessio, possessio), bei der der böse Geist gewaltsam vom menschlichen Leib Besitz ergreift, so daß die körperlichen Organe und die niederen Seelenkräfte, nicht aber die höheren Seelenkräfte, von ihm beherrscht werden. Die Möglichkeit und Wirklichkeit der Besessenheit steht durch das ausdrückliche Zeugnis Christi fest, der selbst böse Geister austrieb (Mk. 1, 23ff; Mt. 8, 16; 8, 28ff; 9, 32; 12, 22; 17, 18) und seinen Jüngern Gewalt über die bösen Geister verlieh (Mt. 10, 1. 8; Mk. 16, 17; Lk. 10, 17ff). Vgl. die kirchlichen Exorzismen.
Die rationalistische Auffassung, daß die Besessenen, von denen die Hl. Schrift berichtet, nur körperlich und seelisch Kranke gewesen seien und daß sich Jesus dem Teufelsglauben des jüdischen Volkes angepaßt habe, ist mit der Würde des Gotteswortes und mit der Wahrhaftigkeit und Heiligkeit des Gottessohnes unvereinbar.
Bei der Feststellung dämonischer Einflüsse muss man sich ebenso sehr vor kritikloser Leichtgläubigkeit wie vor rationalistischem Unglauben hüten. Da die Zufügung physischer Übel eine außerordentliche Form der diabolischen Einwirkung ist, so ist zuerst zu prüfen, ob sich eine Wirkung aus natürlichen Ursachen erklären läßt. Die übertriebene Neigung, alle irgendwie auffälligen Erscheinungen als Wirkungen des Teufels auszugeben, führte gegen Ende des Mittelalters zu der traurigen Verirrung des Hexenwahns.
Die von mehreren altchristlichen Schriftstellern (Pastor, Hermae, Origenes, Gregor von Nyssa, Johannes Kassian), von der Scholastik (Petrus Lombardus, Sent. II 11, 1) und von einzelnen Theologen der Neuzeit (Suarez, Scheeben) befürwortete Meinung, daß jedem einzelnen Menschen von Geburt an vom Teufel ein böser Engel an die Seite gegeben sei, um ihn beständig zum Bösen zu reizen (Gegenstück zum Schutzengel), entbehrt einer hinreichenden Grundlage in den Glaubensquellen und ist auch mit der Güte und Barmherzigkeit Gottes schwer vereinbar. Die gewöhnlich angeführten Schriftstellen (Joh. 13, 2M Ps. 108, 6; Zach. 3, 1M Job 1-2; 2. Kor. 12, 7) sind nicht beweiskräftig. –
aus: Ludwig Ott, Grundriss der Dogmatik, 1954, S. 140 – S. 141