Eigenschaften der Lehrautorität

Foto des katholischen Theologen und Neuscholastiker Johann Baptist Heinrich

Notwendige Eigenschaften der Lehrautorität  (§. 86)
aus der Dogmatik von J. B. Heinrich

Die Autorität, welche die von Gott geoffenbarte Wahrheit allen zu glauben vorstellt und Glaubens-Streitigkeiten bindend für alle entscheidet, ist und muss notwendig sein:

1) einheitlich und allgemein, 2) sichtbar, d. h. leicht und sicher erkennbar und zugänglich für alle; 3) lebendig; 4) von Gott bevollmächtigt und beglaubigt; 5) unfehlbar in ihrer Lehre und in ihren Glaubens-Entscheidungen; 6) unwandelbar und unvergänglich.

Diese wesentlichen Attribute ergeben sich sowohl aus der positiven Anordnung Gottes, als aus der Natur der Sache. Was letztere betrifft, so muss offenbar die Lehr- und Richter-Autorität in Glaubenssachen, wenn sie ihren Zweck erreichen soll,

1. das Attribut der Einheit und Allgemeinheit besitzen: denn nur wenn sie eine ist und überall sich erstreckt, kann sie die Einheit des Glaubens unter allen bewirken.

2. Sie muss sichtbar und in ihrer Sichtbarkeit leicht und sicher erkennbar und zugänglich für Alle sein:

denn nur so kann sie allen als nächste Glaubensregel dienen, nur so kann sie alle Menschen ohne Unterschied leicht, sicher und in einer der Natur des Menschen entsprechenden Weise zum Glauben führen. Eine unsichtbare, nicht mit Evidenz erkennbare, oder eine nur mit Schwierigkeit zu unterscheidende nächste Glaubensregel, welche selbst wieder Untersuchungen erheischt und dem, der sie benutzen will, die Notwendigkeit auferlegt, schwierige theologische oder historische Fragen zu entscheiden, kann nie und nimmer ihren Zweck erfüllen, nämlich den Gegenstand des Glaubens einem jeden mit Sicherheit und Klarheit vorzulegen und durch Entscheidung eines jeden Streites und Zweifels die Glaubenseinheit für alle zu bewirken. Daher muss die Lehrautorität auch

3. eine lebendige und stets gegenwärtige sein, welche sprechen und handeln, welche einem jeden, der sie fragt, antworten, Zweifel lösen, Unklares erklären und menschlich mit den Menschen verkehren, welche, auch nicht befragt, zur Bewahrung der Reinheit und Einheit des Glaubens Widersprechende von der Kirche ausschließen kann.

Dass nur eine solche lebendige Autorität den Zweck der nächsten Glaubensregel verwirklichen kann, ist eben so offenbar, als dass eine tote Autorität, sei es die heilige Schrift, seien es Urkunden der Tradition, sei es die Geschichte, diesen Zweck nicht zu erreichen vermag, weil eine solche tote Regel, wie wir im Einzelnen (§. 70-72. §. 83.) gesehen haben, von ihren inneren Schwierigkeiten abgesehen, weder lehren, noch richten kann, sondern selbst der Kritik und dem Urteil des Einzelnen unterworfen bleibt.

Das setzt aber für den Einzelnen an die Stelle der Glaubens-Gewissheit die Unsicherheit menschlicher Meinung oder, was eben so schlimm, den Wahn unfehlbarer Privatinspiration; für die Kirche aber macht sie jede Glaubenseinheit unmöglich und führt mit Notwendigkeit zum dogmatischen Indifferentismus, sei es in der Form rationalistischer Skepsis, sei es in der Form pietistischer Glaubens-Verschwommenheit.

Damit aber diese lebendige Autorität rechtmäßig lehren und Glauben gebieten, Glaubens-Streitigkeit aber endgültig entscheiden und dadurch die Einheit des Glaubens und der Kirche aufrecht halten könne, muss sie

4. eben Autorität, und zwar göttlich bevollmächtigte und göttlich beglaubigte Autorität sein.

Denn wenn schon überhaupt kein Mensch über den anderen irgend eine Autorität und Gewalt haben kann, wenn sie ihm nicht von Gott gegeben ist, so können am allerwenigsten in Sachen des Glaubens und des Seelenheils Menschen Autorität und Gewalt über andere, ja über alle Menschen beanspruchen, sie sei ihnen denn von Gott übertragen; und zwar, da es sich um eine übernatürliche Gewalt handelt, in übernatürlicher Weise. Nur Gott, Christus, der Urheber unseres Glaubens, konnte Menschen die Gewalt verleihen, in seinem Namen Glauben zu fordern und Glaubensfragen zu entscheiden.

Aber weil von Gott verliehen, muss die Lehrautorität auch von Gott beglaubigt sein. Sie ist es, wie wir später näher sehen, durch die göttliche Stiftung und rechtmäßige Sukzession, welche der Glaube lehrt und evidente Tatsachen dartun (1), und weiterhin auch durch alle jene Glaubwürdigkeits-Beweise und Merkmale, welche für die Wahrheit des Christentums überhaupt und der Kirche insbesondere sprechen. (Darüber Bd. 1, §. 51. Vgl. §. 46.)

5. Allein um den Glauben gebieten und Glaubens-Streitigkeiten definitiv und mit verbindlicher Kraft für das Gewissen entscheiden zu können, genügt bloße Bevollmächtigung und Beglaubigung durch Gott nicht.

Wenn Gott die Gewalt und die Sendung in seinem Namen überträgt, Glauben zu fordern und Glaubensfragen zu entschieden, so muss er auch das von ihm bevollmächtigte und gesendete Lehramt durch seinen Beistand gegen jeglichen glaubenswidrigen Irrtum sicher stellen, d. h. durch seinen Beistand in Glaubenssachen unfehlbar machen. Denn obwohl Gott der höchste Herr über jegliche Kreatur ist und jegliche Vernunft zum Gehorsam des Glaubens verpflichten kann, so kann er dennoch vermöge seiner Wahrhaftigkeit und Heiligkeit nie und nimmer gebieten, etwas gläubig für wahr zu halten, was nicht wahr ist. Daher liegt in dem göttlichen Gebot zu glauben, auch die göttliche Bürgschaft der Wahrheit des zu Glaubenden.

Wenn daher Christus ein Lehramt einsetzte und ihm den Auftrag gab, alles zu lehren, was er geoffenbart hat, und wenn er jedermann verpflichtete, das Wort dieses Lehramtes als Wort Gottes gläubig aufzunehmen, so ist damit auch absolut gewiss und kann ohne Gotteslästerung nicht bezweifelt werden, dass er diesem Lehramt auch die dazu notwendige Unfehlbarkeit verliehen hat. Ohne die Zusicherung dieser Unfehlbarkeit konnte er weder dem Lehramt die Pflicht auflegen, in seinem Namen Glauben zu fordern, noch konnte er den Menschen gläubigen Gehorsam gegen das Lehramt gebieten. (Vgl. Bd. 1, §. 57, III. C. Und in der spez. Dogm. die Lehre von der Wahrhaftigkeit Gottes, S. 603ff.)

Auch macht nur eine unfehlbare Proposition des Glaubens-Gegenstandes den göttlichen Glauben möglich. Denn, wie wir gesehen haben (Bd. 1, §. 57, III., B. S. 599 sq.), muss dieselbe göttliche Autorität und Wahrhaftigkeit, welche in der Offenbarung wirksam und der Grund unseres Glaubens an die geoffenbarte Wahrheit ist, auch in der Proposition dieser Wahrheit durch das kirchliche Lehramt sich wirksam erweisen und deren Unfehlbarkeit verbürgen.

In unversöhnlichem Widerspruch mit der christlichen und natürlichen Wahrheit stehen daher alle jene häretischen und pseudo-katholischen Theorien, welche zwar der äußeren Ordnung und Einheit wegen irgend eine kirchliche Autorität in Glaubenssachen anerkennen wollen, aber deren Unfehlbarkeit leugnen, indem sie behaupten, dass man zwar um des kirchlichen Friedens willen und aus Pietät ihren Entscheidungen gegenüber zu einem „ehrfurchtsvollen Stillschweigen“, nicht aber zu innerlichem Glauben verpflichtet sei.

6. Diese menschlich sichtbare und göttlich unfehlbare Lehrautorität muss aber auch eine unwandelbare sein und ununterbrochen fortbestehen bis an das Ende der Zeit, so gewiss der Glaube, die kirchliche Glaubenseinheit und die Kirche selbst allezeit und unwandelbar fortdauern müssen.

Es kann daher die Autorität und Unfehlbarkeit des Lehramtes niemals aufhören, niemals, weder auf lange noch auf eine kurze Zeit, unterbrochen werden. Ein solches Aufhören oder Unterbrechen hätte sofort die Zerstörung der Kirche und die Unmöglichkeit des göttlichen Glaubens zur Folge: denn keine wahre Kirche ohne den wahren Glauben, kein wahrer göttlicher Glaube aber ohne unfehlbare Proposition seines Gegenstandes.

Wenn die Kirche in irgend einer Zeit einen Irrtum uns zu glauben vorstellen könnte, so wäre jede Glaubens-Gewissheit für alle Zeiten verloren: denn konnte die Kirche einmal in irgendetwas irren, dann konnte sie immer und in allem irren; hat die Reinheit ihrer Lehre und ihre Unfehlbarkeit irgend einmal und in irgend einem Lehrpunkt difiziert, dann haben wir keine sichere Bürgschaft, dass sie überhaupt je einmal vorhanden gewesen. Und wo sind die sicheren Merkmale, woran man zu erkennen vermag, wie lange die Kirche irrtumsfrei war und wann der Irrtum begann; wie lange die Unterbrechungen ihrer unfehlbaren Glaubensreinheit dauern; wann sie wieder aufhören?

II, Bevor wir nun auf das kirchliche Lehr- und Richter-Amt und seine Unfehlbarkeit im einzelnen eingehen, ist es nützlich, noch hervorzuheben, dass dasselbe weder rein menschlich (1), noch rein göttlich (2), sondern göttlich und menschlich zugleich ist, und dass dasselbe zwar ununterbrochen bis zum Ende der Zeiten, aber nur für diese Erde und unseren Prüfungsstand, nicht aber in der Glorie, fortbesteht.

Das kirchliche Lehr- und Richter-Amt ist etwas Menschliches, insofern Menschen seine Träger sind und insofern es durch menschliche Tätigkeiten und in menschlicher Weise wirkt. Dadurch eben ist es sichtbar und im Stande, die Menschen in einer der menschlichen Natur entsprechenden Weise zu belehren und die sichtbare Einheit und Allgemeinheit der Kirche zu verwirklichen. Göttlich aber ist die Autorität, kraft welcher es Glauben gebietet, und göttlich die Unfehlbarkeit, welche Gott durchs einen Beistand ihm verleiht. Wie vollkommen dieser göttlich-menschliche Charakter der kirchlichen Lehrautorität dem Wesen der Kirche, als des vom heiligen Geist belebten und regierten Leibes des Gottmenschen entspricht, leuchtet von selbst ein und werden wir später in der Lehre von der Kirche eingehend betrachten.

Aber auch das ist klar, dass das Geheimnis des Glaubens prinzipaliter in dem Göttlichen an dem kirchlichen Lehramt und in dessen übernatürlicher Verbindung mit dem menschlichen Element, also vor allem in der Unfehlbarkeit besteht, daher wir auch diese vorzugsweise in dem Nachfolgenden ins Auge zu fassen haben.

Ebenso leuchtet ein, dass das kirchliche Lehramt, so wie die ganze dermalige Verfassung und Gestalt der Kirche, nur für dieses irdische Leben, den Status viae, besteht: denn wenn der Glaube zum Schauen wird, hört auch die menschliche Vermittlung des Glaubens auf und bedürfen die Seligen keiner menschlichen Belehrung mehr, da sie enthüllten Angesichtes Gott, die erste Wahrheit selbst, unmittelbar erkennen.

Anmerkungen:

(1) Als solches es aufzufassen wäre Naturalismus und Rationalismus; bei solcher Auffassung kann selbstverständlich von keiner Unfehlbarkeit die Rede sein.

(2) Das ist falscher pseudo-mystischer Supernaturalismus und Theosophie und läuft auf unmittelbare Offenbarung Gottes an jeden Einzelnen hinaus. In der Verachtung der kirchlichen Autorität stimmt dieser falsche Supernaturalismus mit dem Naturalismus überein. –
aus: J.B. Heinrich, Dogmatische Theologie, Bd. 2, 1876, S. 171 – S. 176

sieh auch den Beitrag: Das Lehransehen des Papstes als Oberhaupt der Kirche

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