Der Jansenismus als Fluch für Pascals Leben
Blaise Pascal
gleich gefeiert als Mathematiker, Physiker, christlicher Philosoph, jansenistischer Polemiker und französischer Stilist, wurde am 19. Juni 1623 als Sohn des Parlamentsmitgliedes und zweiten Präsidenten des Steuerhofes, Stephan Pascal, zu Clermont in der Auvergne geboren… In Rouen machte die Familie Pascal, zu der bald auch der Gatte Gilbert`s, Florin Périer, gehörte, die erste Bekanntschaft mit der jansenistischen Bewegung durch zwei Ärzte, welche Stephan eine Zeit lang behandelten. Diese gewannen durch Unterredungen und Schriften zuerst den Sohn, dann durch diesen den Vater und die Périers, zuletzt auch die jüngere Schwester Jacqueline für die Sekte, der auch alle bis zu ihrem Tode mit wachsendem Eifer treu blieben…
Schon kurz nach seiner Ankunft in Paris hatte er den Plan gefaßt, den immer anwachsenden Atheismus seiner Zeitgenossen wo möglich mit dessen eigenen Waffen zu bekämpfen; er forschte daher fleißig in philosophischen Schriften, besonders denen Epiktets und Montaigne`s. Die Beschäftigung mit diesen Schriftstellern und der Gebrauch, den er von ihnen machte, waren es, die ihn später in den unverdienten Ruf eines Skeptikers brachten. Aus diesen stillen Studien ward er endlich im Januar 1656 auf den großen Kriegsschauplatz gedrängt, indem er erst anonym, dann pseudonym als Louis de Montalte in den Kampf eingriff, der sich seit 1653 zwischen dem Vorkämpfer der Sekte, Arnauld, und zwischen der Sorbonne entsponnen hatte. Um durch den Zwang der öffentlichen Meinung die Verurteilung Arnaulds durch die Sorbonne zu hintertreiben, veröffentlichte Pascal einen Brief an einen Bewohner der Provinz, datiert vom 23. Januar 1656, in welchem er diesem vom Laienstandpunkt aus die ganze Sachlage, Streitfrage wie Richter, zu beschreiben vorgibt. Der geistreich satirische Ton fand bei den Pariser Schöngeistern und bei den Freunden der Sekte ungemein reichen Anklang. Dem ersten folgten bald noch zwei andere Briefe mit demselben ausgesprochenen Zweck, Arnauld durch Verächtlichmachung seiner Gegner, besonders der Mönche und unter diesen wieder vorzüglich die Dominikaner, zu verteidigen. Als das Urteil der Sorbonne nun doch ungünstig ausfiel, ging Pascal in seinen immer mehr beliebten und verbreiteten Briefen aus der Defensive zur Offensive über und wählte sich als Hauptgegner die eifrigsten Vorkämpfer der römisch-katholischen Lehre, die Jesuiten.
Kampf gegen die Jesuiten
Diese suchte er in den Augen Aller gehässig und verächtlich zu machen. Da es unklug gewesen wäre, den dogmatischen Streit fortzusetzen, spielte er den Kampf geschickt auf das Gebiet der Moral hinüber, und zwar so, daß einmal die Jesuiten fälschlich in Gegensatz zu der allgemeinen Lehre der Kirche gesetzt, dann richtige Theorien und Entscheidungen durch Übertreibung, Mißverständnisse und Entstellungen zu haarsträubender Unsittlichkeit umgebildet, endlich wirkliche Irrtümer Einzelner dem ganzen Orden zur Last gelegt werden. Inwieweit Pascal der Vorwurf ursprünglich bewußter Fälschung zu machen ist, kann nicht entschieden werden.
Die Quellen, aus welchen er seine Anklagen schöpfte, waren unmittelbar die Auszüge seiner jansenistischen Auftraggeber und Handlanger, mittelbar eine calvinistische Sammlung (Catalogue et dénombrement des traditions romains, Genève 1632). Was der heterodoxe Sammler gegen die Kirche überhaupt vorbringt, brauchte Pascal ausschließlich gegen die Jesuiten. Als endlich von jesuitischer Seite sowohl die Quellenbenutzung als auch die Ehrlichkeit der Schlußfolgerungen Pascals in Gegenbriefen beleuchtet und der unbekannte Schreiber der Provinzialbriefe als Verleumder hingestellt, im Übrigen aber das Hauptgewicht auf die Bekämpfung der jansenistischen Irrlehre gelegt wurde, sah Pascal sich wider Willen gezwungen, zur Defensive zurück zu kehren, so daß die Briefe 16-18 nur wieder eine Verteidigung des jansenistischen Standpunktes in der Gnadenfrage sind. Pascal behauptet,
1. die jansenistische Lehre sei keine Irrlehre, und 2. es handle sich in dem ganzen Streit nur um eine quaestio facti, in welcher auch der Papst irren könne. Die Jesuiten drängten den Gegner aber so weit, daß er am Schluß des 18. Briefes verschämt um Frieden bat und den Kampf für diesmal aufgab. –
Die Provinzialbriefe
Die Provinzialbriefe sind bis heute nicht bloß als ein Denkmal klassischer Sprache und geistreicher Polemik hochberühmt, obwohl in letzterer Beziehung die späteren ganz bedeutend gegen die ersten zurück stehen, sondern sie gelten auch als das reichhaltigste und am leichtesten zugängliche Waffenarsenal gegen die sog. Jesuitenmoral. Daran haben weder die gründlichen Widerlegungen aller Pascal`schen Anklagen noch auch die viel gepriesene objektive Quellenforschung akatholischer Wissenschaft viel geändert.
Von Seiten der Kirche wie des Staates wurden die Provinzialbriefe bald nach ihrem Abschluß mit den strengsten Zensuren und Strafen belegt. Im Verlauf des Kampfes der „kleinen Briefe“ war ein Ereignis eingetreten, das Pascal in der einmal eingeschlagenen Richtung gegen Rom und der Feindschaft gegen die Jesuiten bis zum Äußersten bestärkte, indem an seiner Nichte das sog. Wunder mit dem heiligen Dorn geschah. Durch dieses Zeichen vom Himmel, dessen Echtheit keineswegs zweifellos ist, war für Pascal nicht bloß die jansenistische Gnadenlehre erwiesen, sondern auch sein persönliches Eintreten für dieselbe gutgeheißen, und so trug er denn auch später kein Bedenken, sich gegen die heuchlerischen Häupter Port Royal`s offen und ehrlich dahin auszusprechen, daß es sich wirklich bei der Verurteilung des „Augustinus“ um eine quaestio juris handle, daß aber der Papst auch in diesen Fragen nicht unfehlbar sei; daß mithin keiner, der seinen Glauben nicht verleugnen wolle, die Unterschrift unter das Formular setzen dürfe. Derselben Ansicht war seine Schwester Jacqueline, die denn auch kurz nach ihrer mit größter Gewissensunruhe gegebene Unterschrift (wie man glaubt, an gebrochenem Herzen) starb. Da seine Freunde aus Gründen der Klugheit für die Unterschrift waren, redete und schrieb sich Pascal in eine immer wachsende Empörung und Entrüstung gegen den Papst hinein, besonders nachdem Rom seine Provinzialbriefe verurteilt hatte; er appellierte sogar vom Papst an Christus.
Die letzten Lebensjahre
Die letzten Lebensjahre brachte Pascal (…) in seiner Privatwohnung in Paris zu, teils mit Abfassung von Flugschriften für den Streit der Pfarrer von Rouen, Paris, Amiens usw. gegen die Jesuiten, teils mit mathematischen Arbeiten, teils endlich mit fragmentarischen Aufzeichnungen von „Gedanken“ zu dem großen apologetischen Werk gegen die Gottesleugner beschäftigt….
Nach den Aufzeichnungen seiner Schwester Gilberte waren die letzten Lebensjahre Pascals eine stete Übung christlicher Tugend und Frömmigkeit, besonders einer ständigen körperlichen Abtötung und großer Nächstenliebe. Er starb am 19. August 1662 im Alter von 39 Jahren und 2 Monaten, nachdem er wiederholt seinem zuständigen Pfarrer gebeichtet und von ihm kurz vor seinem Ende auch die heiligen Sterbesakramente empfangen hatte. Von einem Widerruf auch der zugestandenen Verleumdungen gegen die Jesuiten oder einer Aussöhnung mit dem Papst war keine Rede. Ohne daher dem vielen Guten und Frommen, das die Freunde Pascals von ihm erzählen, im Mindesten zu nahe zu treten, und ohne dem Urteil des höchsten Richters vorzugreifen, darf man doch mit dem hl. Hieronymus sagen: Nihil aliud dico, quam Ecclesiae hominem non fuisse. Der Jansenismus war der Fluch des Pascal`schen Lebens, der seinen reichen Geist in falsche Bahnen und seinen Charakter in eine bedauernswerte Richtung getrieben hat. –
aus: Wetzer und Welte`s Kirchenlexikon, Bd. 9, 1895, Sp. 1540 – Sp. 1544