Lexikon für Theologie und Kirche
Stichwort: Arnauld
Arnauld (Arnaud, arnaut, Arnault), Familie, die in der Geschichte der Mystik und des Jansenismus in Frankreich im 17. Jahrhundert eine führende Rolle spielte. Aus der Auvergne stammend, war sie mit Antoine Arnauld, Herrn von de la Mothe und Villneuve, dem späteren Großprokurator unter Katharina Medici, um 1547 nach Paris gekommen und 1577 geadelt worden. Antoine, ursprünglich Hugenotte, wandte sich nach der Bartholomäusnacht 1572 mit seiner Familie (mit Ausnahme von Isaak Arnauld) dem katholischen Bekenntnis zu († 1585). Sein Sohn Antoine (* 6.8.1560; † 29.12.1619) trat 1594 als Vertreter der Pariser Universität gegen die Jesuiten im Parlament auf (Plaidoyer pour l`université de Paris )Paris 1594/95)) Aus seiner Ehe mit Katharina Marion entsprossen 20 Kinder, von denen mehrere, wie auch Enkelkinder, in der Geschichte der beginnenden jansenistischen Bewegung hervor traten. Es eigneten ihnen große Geistesgaben und umfassende, namentlich in der Tradition der Familie liegende juristische Bildung, die zuweilen in Ehrgeiz und Spitzfindigkeit ausarteten, ausgeprägte Willenskraft, die Starrsinn werden konnte, tiefe religiöse Anlage, die sich in die Herbe des Jansenismus verlor. Zu nennen sind:
1) Angelika (Jacqueline-M.-Angélique), Äbtissin v. Port Royal, * 8.9.1591 zu Paris, † 6.8.1661; im Alter von 8 Jahren auf Veranlassung ihres Großvaters Marion zur Koadjutorin der Äbtissin des Zisterzienserinnen-Klosters Port Royal bestimmt, kam in keineswegs günstige Erzeihung in das Zisterzienserinnen-Kloster Maubuisson, legte 29.10.1600 Profeß ab und wurde 5.7.1602 als Äbtissin von Port Royal (mit der zur Erlangung der päpstlichen Bestätigung vorgenommenen Änderung des Mädchennamens Jacqueline in Angelika) eingesegnet. Ursprünglich weltlich gesinnt und mit dem Gedanken vertraut, in die Welt zurückzukehren, wurde sie durch die Predigt eines Kapuziners umgewandelt, erfaßte mit groß angelegter Seele den Ordensberuf, legte 7.5.1610 nochmals Profeß ab, übte strenge Aszese und führte seit 1609 eine vollständige Reform der darnieder liegenden Ordenszucht ihres Klosters durch. Zum gleichen Zweck nach Maubuisson berufen, lernte sie dort 1619 Franz von Sales kennen und wählte ihn, von ihm und Frau von Chantal hoch geschätzt, zum Seelenführer. Nach dessen Tod von Bischof Zamet v. Langres beraten, verlegte sie 1626 das Kloster in die Vorstadt St. Jacques in Paris (daher Port Royal des Champs und Port Royal de Paris). 1633 nahm sie die Oberleitung eines zur beständigen Anbetung des hl. Sakramentes gegründeten Klosters an, das bald wieder mit Port Royal vereinigt wurde. Die Verteidigung einer in den Kreisen von Port Royal (wahrscheinlich von Agnes, der Schwester von Angelika) verfaßten unklaren Schrift, des „Geheimen Rosenkranzes des hl. Sakraments“, brachte den Abt von St. Cyran in Beziehungen zu dem Kloster, der nunmehr sowohl Angelika als auch durch sie deren Schwester Agnes (1593-1671), die seit 1635 Oberin war, wie ganz Port Royal für den Jansenismus gewann. Wie die übrigen „Kirchenmütter“, so lehnte auch „Mère Angélique“ die Unterwerfung unter die Entscheidung Innozenz` X. von 1653 ab.
2) Antoine, von seinen Anhängern der „Große“ genannt, der jüngste Bruder Angelikas, wurde nach dem Tode von Jansenius und St. Cyran der Führer des Jansenismus. * 5.2.1612 zu Paris, kam er nach dem Tod des Vaters durch seine Mutter und seine Schwester Angelika unter den Einfluß des Abtes von St. Cyran, wandte sich nach anfänglichem juristischen Studium der Theologie zu, wurde 1641 Priester und Doktor und 1643 in die Sorbonne aufgenommen. Im Sinne von St. Cyran, des Gegners der öfteren Kommunion, ließ Antoine wieder die gegenteilige, von den Jesuiten (damals besonders von P. de Sesmaisons) empfohlene Praxis eine Schrift erscheinen: De la fréquente communion (Paris 1643), die bei der praktischen Bedeutung der Frage, bei der gewandten und für weitere Kreise lesbaren Sprache, bei den hohen sittlichen Forderungen, die für den Empfang aufgestellt wurden, bei der Berufung auf die strenge Bußpraxis der alten Kirche größtes Aufsehen erregte. Sie fand die Empfehlung von 15 Bischöfen und 21 Doktoren der Theologie, auch die Zustimmung des Kardinals Bentivoglio u.a. Gegen die Widerlegungen, namentlich von dem Jesuiten Petau, wandte sich Antoine in einer neuen Schrift: La tradition de l`Eglise sur le sujet de la pénitance et de la fréquente communion (Paris 1644). Eine Verurteilung des Buches erfolgte von Rom aus nicht; erst am 7.12.1690 wurden 3 Sätze verworfen, die Gedanken des Buches wiedergeben.
Um die gleiche Zeit ließ Antoine 2 Apologien des Augustinus des Jansenius erscheinen (Paris 1643/44). Als 1649 der Syndikus Cornet 5 Thesen aus dem Augustinus des Jansenius und 2 aus Antoine`s Kommunionsschrift zur Begutachtung der Sorbonne vorlegte, veröffentlichte Antoine seine Considérations (Paris 1649), denen er 1651 seine Apologie pour les saints Pères… défendseurs de la grâce folgen ließ. Als Innozenz X. 1653 die 5 Sätze verurteilt hatte, unterstützte Antoine die von jansenistischer Seite gemachte Unterscheidung zwischen der quaestio juris und der quaestio facti durch seine Lettres à un duc et pair (Paris 1656). Antoine`s Weigerung, die Verurteilung zweier daraus ausgezogenen Sätze durch die Sorbonne zu unterschreiben, zog ihm den Ausschluß aus der Sorbonne zu; mit dieser Angelegenheit beschäftigten sich die ersten Stücke der Lettres provinciales von Pascal. Als Einsiedler in Port Royal des Champs lebend, war er auch an dem weiteren Verlauf der jansenistischen Bewegung beteiligt: er bestärkte die Nonnen von Port Royal in ihrem Widerstand. Anderseits verteidigte er die kirchliche Eucharistielehre mit Pierre Nicole gegen den Calvinisten J. Claude in dem kleinen Werk Traité sur l`Eucharistie (Paris 1664, la petite perpétuité genannt) und in dem großen Werk La perpétuité de la foi de l`Eglise touchant l`Eucharistie (3 Bände, Paris 1669/74). Die Stellung, die er im Regalienstreit für die Bischöfe gegen die Unumschränktheit der Krone einnahm, wie auch seine Gegnerschaft gegen den Jesuitenorden erschwerten seinen Aufenthalt in Frankreich: er übersiedelte 1679 in die spanische Niederlande und setzte seine literarische vielseitige Tätigkeit fort in der Schrift Fantôme du jansénisme (1686), nahm darin nochmals den Jansenismus gegen den Vorwurf der Lehre der 5 verurteilten Sätze in Schutz, griff im übrigen heftig den Jesuitenorden an, gegen dessen moraltheologischen Sätze er schon früher (Namentlich 1677 mit Pierre Nicole durch Zusammenstellung von angeblich laxen Sätzen für eine Verurteilung in Rom) gekämpft hatte. In den letzten Jahren stand er besonders in Beziehungen zu Paschasius Quesnel. Nach Aufenthalt an verschiedenen Orten starb er 8.8.1694 zu Brüssel.
3) Henry, * Oktober 1597 zu Paris, widmete sich nach anfänglichem Studium der Rechtswissenschaft der Theologie, wurde 1622 Abt von St-Nicolas in Angers und 1633 Dekan des Kapitels in Toulouse. Nach glücklicher Erledigung einer Sendung des französischen Hofes in Sachen der Kardinäle Barberini am päpstlichen Hofe wurde er 1649 zum Bischof von Angers ernannt. Fromm, mild und gütig, führte er in seiner Diözese die Reformbestimmungen des Konzils von Trient durch. In seinen theologischen Anschauungen gehörte er wie seine Familie dem Jansenismus an: er suchte die Verurteilung der 5 Sätze zu verhindern, unterschied nach ihrer Verurteilung zwischen quaestio juris und quaestio facti, gab gegenüber dem Formular von 1664 nur die Erklärung ehrfurchtsvollen Stillschweigens ab bei kirchlichen Entscheidungen über Tatfragen, unterzeichnete das Formular des klementinischen Friedens nur mit Vorbehalt und wollte auch Universität und Klerus seiner Diözese auf diesen Vorbehalt verpflichten. Trotzdem billigte er den Rigorismus von Port Royal nicht und arbeitete in einer Mittelstellung für den Frieden. Von den Jansenisten als Heiliger verehrt, war er auch in kirchlichen Kreisen in Rom und andern Ländern geschätzt. Er starb 8.6.1692.
4) Robert, nach einem Gut, das seine Mutter Katharina Marion mit in die Ehe gebracht, gewöhnlich d`Andilly genannt, ältester Sohn von Antoine Arnauld (siehe oben), * 1588 zu Paris, kam nach juristischen Studien früh als Finanzbeamter an den Hof und führte dort um 1620 den Abt von St-Cyran ein; er trug bei seinem Einfluß viel zur Stärkung des Jansenismus bei. Nach dem Tode seiner Gattin, die ihm 15 Kinder, darunter den späteren Gesandten in Schweden und Holland und Staatssekretär für das Äußere, Simon Arnauld Marquis de Pomponne, geschenkt hatte (6 Töchter traten in Port Royal ein), zog er sich 1646 selbst dorthin als solitaire zurück. Dort beschäftigte er sich bis zum Tod 17.9.1674 mit poetischen Versuchen (Gedicht vom Leben Jesu) und hauptsächlich mit z.T. Wertvollen Übersetzungen der Leiter des Johannes Klimakus, der Vitae patrum, der Werke des Flavius Josephus, der Bekenntnisse des hl. Augustin, von Predigten des Jansenius, der Werke der hl. Theresia u.a. – Werke gesammelt, 8 Bde, Paris 1675/81
aus: Michael Buchberger, Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. I, 1930, S. 684-687