Lexikon für Theologie und Kirche
Stichwort: Regalienstreit
Regalienstreit heißt der leider fruchtlose Kampf, den einige französische Bischöfe in Verbindung mit dem heiligen Stuhl gegen die maßlose Ausdehnung des Regalienrechtes zur Zeit Ludwig XIV. unternahmen. Das Regalienrecht, welches die französischen Könige in Anspruch nahmen, begriff die Befugnis, die Einkünfte der erledigten Bistümer zu beziehen und alle kirchlichen Stellen und Benefizien, mit Ausnahme der Pfarreien, pleno jure, d. h. mit derselben Wirkung, als ob der Bischof sie vergeben hätte, zu besetzen. Dieses Recht erlosch nach der Behauptung der königlichen Anwälte nicht mit der Ernennung oder Einsetzung des neuen Bischofs, sondern es bestand noch so lange fort, bis der Bischof seinen Eid der Treue in der Rechnungs-Kammer zu Paris hatte einregistrieren lassen und von dieser gegen Erlegung einer Geldsumme die Freigebung seiner Einkünfte erlangt hatte. Dieses Regalienrecht hing also zwar mit dem alten Gebrauch der Investitur zusammen und war wohl eine davon abgeleitete Prätension, aber es war doch auch etwas wesentlich Verschiedenes…
… seit dem Anfang des 17. Jahrhunderts erklärte das Pariser Parlament, welchem die Entscheidung über die einschlägigen Fälle übertragen war, dieses Recht für ein Kronrecht, welches, wo nicht an sich schon in der königlichenGewalt überhaupt, doch jedenfalls in der konkreten Stellung des französischen Königtums zu der Kirche seinen Grund habe und also gleichmäßig für alle Teile des Landes und sämtliche Diözesen bestehe, ohne daß es erst der Nachweisung eines speziellenErwerbstitels bedürfte. Ein in diesem Sinn erlassenes Edikt des Parlaments vom Jahre 1608 veranlaßte den französischen Klerus, Gegenvorstellungen an den König zu richten, die später öfter erneuert wurden; am Hofe aber wählte man den Mittelweg, einerseits das Prinzip, daß die Regale ein allgemeines Kronrecht sei, theoretisch festzuhalten, andererseits aber die Frage, ob auch die Provinzen Dauphiné, Languedoc, Provence, Guienne und Bretagne dem Regalienrecht unterworfen werden sollten, noch schwebend zu lassen. Sonst aber mussten die Bischöfe, welche von dem Recht frei zu sein behaupteten, eine besondere Exemtion nachweisen; ihre Unterwerfung unter dasselbe ward präsumiert (= vorausgesetzt).
Endlich erschien im Februar 1673 ein Edikt Ludwigs XIV., welches die Regale über die bisher exemten zwei Drittteile der Diözesen des Königreiches ausdehnte und sie als ein unveräußerliches und unverjährbares Kronrecht bezeichnete. Zugleich wurde den Prälaten eine Frist von zwei Monaten gesetzt, binnen welcher sie von der Pariser Rechnungs-Kammer die Bescheinigung, daß ihre Einkünfte freigegeben seien, sich verschaffen müssten; nach Ablauf dieser Zeit sollten die von ihrer Verleihung abhängigen, dem Regalienrecht unterliegenden Benefizien für vakant erklärt werden. Man gab also der neuen Prätension eine rückwirkende Kraft, und Geistliche, welche sich schon seit Jahren ein rechtmäßigen Besitz ihrer Benefizien befanden, sollten, wenn der Bischof eine seinem Gewissen widerstrebende Formalität zu erfüllen, unterließ, als rechtlose Eindringlinge behandelt werden. Der schreienden Ungerechtigkeit eines solchen Verfahrens gegenüber hätten nun die französischen Bischöfe, mindestens die davon betroffenen, gemeinschaftlich handeln müssen, aber daran dachten die wenigsten; die Mehrzahl unterwarf sich ohne Widerstand; andere begnügten sich mit geheimen, in ihren Archiven hinterlegten Protestationen, oder schalteten in den Eid, den sie wirklich leisteten, protestierende Klauseln ein. Nur der Bischof Pavillon von Alet widerstand und brachte die Sache auf der Generalversammlung des Klerus 1675 zur Sprache; hier jedoch verhinderte der dem Hofe ganz ergebene Erzbischof von Paris, de Harlay, als Präsident jede weitere Verhandlung. Indes machte auch der Bischof Caulet von Pamiers mit seinem Kollegen von Alet gemeinsame Sache, und nun begann ein trauriger, für kirchliche Ordnung und Autorität höchst nachteiliger Kampf.
Der Hof ernannte Benefiziaten für die Pfründen, welche längst von den beiden Bischöfen vergeben waren, während diese den neu Ernannten, die sich durch den weltlichen Arm in den Besitz der Pfründen setzen ließen, mit kirchlichen Zensuren, mit der Exkommunikation begegneten. Die Getroffenen appellierten an die Metropoliten beider Bischöfe, den Erzbischof von Toulouse und den von Narbonne, welche, auf der Seite des Hofes sich stellend, die Verfügungen ihrer Suffragane kassierten. Da brachten die beide Bischöfe die Sache durch Appellation im Jahre 1677 an den päpstlichen Stuhl; aber kurz darauf starb der Bischof von Alet, und nun lastete das ganze Gewicht des ungleichen Kampfes auf dem Bischof von Pamiers; ihm wurden die Temporalien gesperrt, so daß er von Almosen leben musste, die ihm indes reichlich zuflossen. Inzwischen bat und ermahnte Papst Innozenz XI. den König in drei nacheinander erlassenen Breven, er möge doch den Kirchen von Alet und Pamiers sowohl als den übrigen ihre alten Immunitäten zurück geben; die königliche Behauptung, daß das Regalienrecht ein Kronrecht sei, wies er als unstatthaft zurück, da es sich um eine rein kirchliche Sache (Vergebung von Benefizien) handle. Da sein zweites Breve ohne Antwort blieb, führte er endlich in dem dritten eine drohendere Sprache; der König werde sich die Strafe des Himmels zuziehen, und der Papst werde diejenigen Mittel, zu deren Anwendung er vermöge seines Amtes berechtigt und verpflichtet sei, zu gebrauchen wissen. Zugleich bezeichnete Innozenz den Erzbischof Harlay und den königlichen Beichtvater P. Lachaise deutlich genug als die schlimmen Ratgeber, die den König in diese gehässige Sache verwickelt hätten; er nannte sie „glaubenslose Menschen, welche nur irdische Neigungen und Absichten hätten und durch ihre Eingebungen die Fundamente der Monarchie, die auf der Ehrfurcht vor den heiligen Dingen gegründet sei, erschütterten.“ Jetzt verschlang sich der Zwist immer mehr zu einem unentwirrbaren Knäuel: auf der einen Seite standen und handelten der König, das Parlament, die Erzbischöfe von Paris und von Toulouse, auf der andern der Papst, der Bischof von Pamiers und sein eng mit ihm verbundenes Kapitel. Die Regalisten wurden in Pamiers aus der Kirche weggewiesen und, wenn sie dennoch blieben, öffentlich mit dem Bann belegt; der Erzbischof von Toulouse kassierte die Maßnahmen des Bischofs und des Kapitels; der Papst aber kassierte die Verfügungen des Erzbischofs.
Der tiefere Grund dieser wachsenden Ausdehnung des Streites lag eigentlich in den jansenistischen Bewegungen. Durch den sogenannten Frieden von 1669 hatten die jansenistisch gesinnten Prälaten, unter denen die Bischöfe von Alet und Pamiers hervorragten, freie Hand, die meisten und bedeutendsten Stellen ihrer Diözesen mit gleich gesinnten Männern zu besetzen; der Erfolg lag vor Augen, die Partei hatte sich in diesen Jahren beträchtlich verstärkt und konsolidiert; diesem Übel sollte nun durch die Ausdehnung der Regale, wodurch die Besetzung sehr vieler Kirchenstellen in die Hände des P. Lachaise kam, einigermaßen abgeholfen werden. Aber das Verfahren, welches man hierbei einschlug, besonders die Brutalität, mit der man Priester, die seit Jahren in unangefochtenem Besitz ihrer Pfründen sich befanden, aus denselben verdrängte und endlich bis zu Verhaftungen und Einkerkerungen fortschritt, war gehässig und gab ein schlimmes Beispiel. Nach dem Tode des Bischofs von Pamiers kam es so weit, daß der vom Kapitel aufgestellte Vikar Cerle, dem der Erzbischof von Toulouse einen andern von ihm ernannten entgegen gestellt hatte, zum Tode verurteilt wurde, ein Urteil, das freilich nur an seinem Bild vollstreckt werden konnte. Innozenz XI. fuhr indes beharrlich fort, das Kapitel und die Antiregalisten durch Breven aufzumuntern und zu unterstützen; er exkommunizierte zum Voraus den Generalvikar, den der Erzbischof oder irgend eine andere Macht für Pamiers ernennen würde.
Aber die Anstrengungen dieses Papstes hatten keine dauernden Erfolge, da nach dem Tode der Bischöfe von Alet und Pamiers in ganz Frankreich kein Prälat mehr zu finden war, der sich im Anschluss an den Papst der Regale widersetzt hätte. Vielmehr erklärten sich die 40 Erzbischöfe und Bischöfe, welche im März 1681 zu einer außerordentlichen Versammlung nach Paris berufen wurden, auf den Vortrag des Erzbischofs Letellier von Reims zu Gunsten der königlichen Ansprüche, nicht als ob diese gerecht seien, sondern weil eben dem Klerus nach der Kundgebung des königlichen Willens nichts als Unterwerfung übrig bleibe. Weiter aber ging noch die wenige Monate nachher berufene größere Versammlung, welche die Bemühungen des Papstes für die wirkliche Freiheit der französischen Kirche durch die berühmte Deklaration der Gallikanischen Freiheiten (siehe: Gallikanismus) beantwortete und vergalt. So endete der Regalienstreit mit einem vollständigen Sieg der weltlichen Gewalt, und seit 1682 wagte kein Bischof mehr, sich der königlichen Handhabung des Regalienrechtes zu widersetzen. Die Päpste aber mussten nun diese Frage um so mehr fallen lassen, als ihnen in der Deklaration von 1682 ein viel gewichtigerer Gegenstand des Zwistes und der Verhandlungen mit dem französischen Hof und den Bischöfen geboten war. –
Quelle: Wetzer und Welte`s Kirchenlexikon, Bd. 10, 1897, Sp. 894 – Sp. 898