Der Endzweck der Schöpfung ist die Verherrlichung Gottes
Endzweck der Schöpfung ist die Verherrlichung Gottes; in demselben ist die Beseligung der Kreaturen als sekundärer Zweck eingeschlossen. Da das göttliche Wollen mit dem Wesen Gottes identisch ist, so trägt es als Akt seine Begründung in sich selbst, ist nicht auf einen Zweck gerichtet; aber die endlichen Wesen, die Objekt jenes Wollens sind, empfangen von dem, der ihr Sein verursacht, auch ihre Zweckbestimmung. Der oberste Zweck aller Geschöpfe kann kein anderer sein als Gott selbst; sowohl die Absolutheit und Majestät als die Wahrheit und Heiligkeit Gottes fordern, daß das Niedere des Höhern wegen bestehe und wirke, daß das innerlich Wertvollste, das absolute, unendliche Gut seiner selbst wegen, das abgeleitete, beschränkte Gut um des höchsten willen geliebt werde. Allerdings kann Gott nicht in der Weise Zweck der Weltschöpfung sein, daß er durch dieselbe einen Zuwachs seiner Vollkommenheit und Seligkeit erlangt, sondern nur so, daß er den Geschöpfen von seiner Vollkommenheit und Seligkeit mitteilt, in ihrer mannigfaltigen Güte und Schönheit seine unendliche Güte offenbart und verherrlicht. Das selige und vollkommene Sein, das die Geschöpfe als partikulares Ziel anstreben, dient auch dem absoluten Ziel, der Verherrlichung Gottes; der primäre und der sekundäre Schöpfungszweck fallen sachlich zusammen. Aber doch nicht für jedes Einzelwesen ist in dem absoluten Ziel die individuelle Vollkommenheit mit garantiert – das niedere Geschöpf muss oft durch seinen Untergang den Zweck des großen Ganzen fördern; nur diejenigen Geschöpfe, welche unmittelbar auf das höchste Ziel hingeordnet sind, sind ausnahmslos berufen, durch den vollkommenen und seligen Bestand ihres geschöpflichen Seins die Herrlichkeit des Schöpfers zu verkünden. Beim Universum als solchem und beim vernünftigen Geschöpf trifft dieses zu, aber mit einem wichtigen Unterschied: das Weltganze erreicht seine Vollkommenheit unfehlbar, wie es seine Bestimmung, Gott zu verherrlichen, objektiv und notwendig erfüllt; der geschaffene Geist aber erreicht sie nur bedingt, weil er durch seine Vernunft und Freiheit zur formellen Verherrlichung Gottes berufen, durch dieselben Eigenschaften aber auch zur Widersetzlichkeit gegen Gott befähigt ist. Darum kann durch Missbrauch der Freiheit der sekundäre (oder partikuläre) Schöpfungszweck beim Engel und beim Menschen vereitelt werden. Doch muss auch diese Vereitelung sich in die absolute Zweckordnung fügen: auch der Sünder dient wider Willen der Verherrlichung Gottes (S. Thom. De pot. q. 5, a. 4; S. c. Gent. 3, 18-22). – Die heilige Schrift kennt als letzten Zweck der natürlichen Schöpfung wie der Heilsordnung, des irdischen wie des himmlischen Gottesreiches nur die Ehre Gottes (Ps. 18, 1ff; 96, 1ff; Spr. 16, 4; Is. 43, 25; Luc. 2, 14; Joh. 17, 4; Eph 1, 5ff). Damit steht nicht im Widerspruch, daß ebenso oft die uneigennützige Liebe Gottes zu den Geschöpfen als Motiv seiner Taten gepriesen wird; die Ehre, welche Gott sucht, ist die Bereicherung der Geschöpfe, nicht seine eigene Förderung, und die Seligkeit, welche seine Diener erhoffen, ist nicht so sehr individuelle Befriedigung als vollkommenes Aufgehen im Lobe des Allerhöchsten. Auch die Väter heben zwar mit Vorliebe die mitteilende Güte im Schöpfungsplane hervor, die Zubereitung der Welt als Wohnung für den Menschen oder als Schauplatz der Kirche (Herm. Vis. 1, 1, 6); doch lehren sie zugleich, daß der Mensch in diesem Tempel Priester Gottes sei (Lact. De ira Dei c. 14), daß Alles zur Verherrlichung der göttlichen Majestät geschaffen sei (Athenag. De resurr. Mort. c. 12; Tertull. Apol. c. 17). In dem eucharistischen Gebet der Doctrina Apostolorum (c. 10) heißt es, Gott habe Alles „wegen seines Namens“ gemacht und seine Güter ausgeteilt, damit die Menschen ihm danken. Die Scholastik hat sich demnach nicht von der biblischen und altchristlichen Grundlage entfernt und die Bedeutung des geschöpflichen Seins verflüchtigt, wenn sie lehrt, daß der Zweck der Kreaturen vollständig „vom Selbstzweck Gottes umschlossen sei“; wohl aber deutet die Kritik, welche moderne protestantische Theologen an dieser Lehre üben, auf eine unhaltbare Mittelstellung zwischen der christlichen Anschauung und der modernen Kultur-Vergötterung. Das Geschöpf, auch das vernünftige, hat in der Tat keinen „eigenen“ Zweck, der nicht dem göttlichen diente, ebenso wenig wie es Handlungen im irdischen Lebenskreise begehen kann, welche dem göttlichen Sittengesetz entzogen wären. Auch die Ansicht von Hermes und Günther, als Endabsicht des Schöpfers müsse deshalb die geschöpfliche Seligkeit angesehen werden, weil der ins eigene Wesen versenkte Wille eine unheilige Ehr- und Selbstsucht einschließe, stand mit der traditionellen Lehre in schroffem Widerspruch; aus Anlass dieser Irrtümer definierte das Vaticanum (Const. De fide cath. Cap. 1; Denz. 1632; vgl. 1652), daß Gott die Welt erschaffen habe, um durch die Güter, die er den Kreaturen mitteilt, seine Vollkommenheit zu offenbaren“. –
aus: Wetzer und Welte`s Kirchenlexikon, Bd. 10, 1897, S. 1862-1864