Maria, die makellose von keiner Schuld befleckte Jungfrau
III. Betrachtung
Im sinnvollsten Wort, das den Namen Marias vom Himmel verkündigte und in prachtvollster Übereinstimmung mit den Gebeten der Kirche auf Erden war jetzt alles bekannt, was man über die wunderbare Erscheinung noch erfahren wollte. Am Fest der Verkündigung, 1858, wurde es der Christenheit offenbar: es war Maria, die makellose, von keiner Schuld befleckte Jungfrau.
„Ich bin die unbefleckte Empfängnis.“ Das waren also die hohen Namensworte, welche das Hirtenkind auf sein vieles Bitten endlich erlangt hatte. Welch merkwürdige und erhabene Antwort! Niemand hat dieselbe erwartet und das unwissende Mädchen, welches sie erhielt, hatte noch nicht einmal Kenntnis von diesem Ausdruck. Als persönliche Bezeichnung Mariens war dieser Name überhaupt vorher ebenso unbekannt, wie unerwartet. Doch sowie er einmal ausgesprochen war, stellte er sich alsbald auch als der schönste und höchste, sinnvollste und vollkommenste dar, den es für Maria die Makellose, die Erstgeburt einer neuen Menschheit, überhaupt geben konnte. Es war eine neue Offenbarung Gottes, als er diesen Namen der Welt bekannt machte.
Die Erscheinung hatte nicht in gewöhnlicher Weise etwa gesagt: „Ich bin die unbefleckt empfangene Jungfrau Maria“, sie hatte sich nicht so bezeichnet, als ob der Name nur eine Eigenschaft ausdrückte, wodurch eine Person bezeichnet wird, wie dies bei Adams unvollkommener Nachkommenschaft sonst der Fall ist, sondern sie hatte Person und Namen als Eins ausgesprochen; also nicht etwa: ich bin jenes menschliche Wesen, welches sünden- und fleckenlos und vollkommen ins Leben trat, sondern: ich bin die Sündenlosigkeit, die vollkommene Schönheit selbst, ich bin das reine Bild der ursprünglichen Menschennatur, welches als göttliches Ebenbild in mir sich verkörpert hat.
Dieser Name der Jungfrau enthält zugleich die ewige Wesenheit von dem, was sie ist. Ein Wesen, das eine besondere Eigenschaft an sich hat, was z. B. schön ist, kann diese Eigenschaft auch verlieren, kann aufhören schön zu sein; aber die Schönheit selbst ist ewig, wie schon der weise Plato im heidnischen Altertum lehrte.
Es ist auch die ursprüngliche Bedeutung der Namen und überhaupt der Worte, daß sie nicht bloß eine Bezeichnung von etwas enthalten und nur einen äußerlichen Laut ohne innere Bedeutung aussprechen, sondern daß sie zugleich mit dem Laut auch das ganze Wesen von etwa ausdrücken. Dieser vollkommene Ausdruck, welcher ursprünglich in der menschlichen Sprache lag, ist bis auf zerstreute Trümmer und Spuren durch die Erbsünde freilich verloren gegangen, woher auch die Sprachen-Verwirrung und Sprachen-Vielfalt sich erklärt; allein die Namen bleiben deshalb doch immer etwas hoch Bedeutsames, und nicht umsonst ist es, daß die Religion und hl. Schrift ein so volles Gewicht darauf legen, wie dies besonders in Betreff des Namens Gottes, welcher geheiligt sein soll, gleich in der ersten bitte des Vaterunsers und im zweiten Gebot ausgesprochen ist. Im Hinblick auf dieses besonders Gewicht der Namen begreift es sich auch, warum die Juden, welche die Wundertaten des Herrn nicht leugnen konnten, zu der scheinbar lächerlichen Behauptung ihre Zuflucht genommen haben sollen, er habe durch einen glücklichen Zufall die wahre Aussprache des Namen Jehovah entdeckt und dadurch die Macht in die Hand bekommen, um so unerhörte Wunder zu vollbringen; denn wer den Namen des Allerhöchsten richtig nennen kann, so mochten sie urteilen, der spricht auch sein Wesen und seine Allmacht aus, und er vermag daher alles in diesem Namen. Es war jedenfalls ein Selbstbetrug und eine Torheit der Juden, daß sie diese göttliche Wundermacht nur einem glücklichen Zufall zuschreiben wollten; doch geht daraus hervor, welche entscheidende Bedeutung auch die Juden noch zu Christi Zeiten dem Namen zuschrieben.
Aus solchen philosophischen Gründen, worauf wir nur in aller Kürze hinweisen konnten, ist genugsam zu ersehen, welch ganz besondere, heilige und feierliche Bewandtnis es mit dem Namen Marias hatte. Die Nennung des Namens, worin sich das Wesen der himmlischen Erscheinung ausdrückte, war der Mittelpunkt der Begebenheit von Lourdes, gleichsam der Grundstein des göttlichen Wunderwerks.
Noch bei keiner ihrer zahlreichen Erscheinungen hatte sich die sündenlose Jungfrau als die „Unbefleckte Empfängnis“ bezeichnet und nirgends an allen den Wallfahrtsstätten, die ihr gewidmet sind, war sie noch jemals unter diesem Namen geehrt worden. Lourdes ist das einzige vom Himmel bestimmte Heiligtum dieser Art.
Der hl. Vater, Papst Pius IX., hatte im Jahre 1854, vier Jahre vorher, die alte Lehre von der „unbefleckten Empfängnis Mariens“ als Gemeingut der Christenheit erklärt. (siehe Beitrag: Definition des Dogmas Unbefleckte Empfängnis) Nun aber kam die „Unbefleckte Empfängnis“ selbst vom Himmel herab und erschien dem frommen Hirtenkind in sichtbarer Wirklichkeit, in der Grotte der „alten Felsen“ im Pyrenäen-Gebirge. Wer hätte das gedacht! Es war die lebendige und persönliche Erscheinung vom Himmel, wodurch der päpstliche Ausspruch bestätigt und der Fels Petri, auch ein alter Felsen, als untrüglicher Prüfstein der christlichen Wahrheit bestätigt wurde.
In früheren Zeiten wurde über die unbefleckte Empfängnis unter den Theologen noch viel gestritten. (siehe Beitrag: Die Lehre von der Immaculata ab Pius IV.) Es schien noch vielfach eine dunkle und ungewisse Lehre. Seitdem jedoch die Entscheidung vom hl. Stuhl erfolgt war, verbreitete sich in merkwürdiger Weise auch Helle und Klarheit darüber, so daß man es nachher gar nicht mehr recht begreifen konnte, wie man über eine so einleuchtende Sache jemals im Ungewissen sein mochte. Besonders hellten sich die Worte des englischen Grußes „voll der Gnade etc.“ in ihrer ganzen Bedeutung auf: denn wenn Maria in vollkommener Wahrheit, wie man himmlische Worte verstehen muss, „voll der Gnade“ war, wenn sie vollkommen war an Gnade, so ergibt sich mit klarster Notwendigkeit, daß sie nicht zugleich einen Mangel daran haben und mit Sünden behaftet sein konnte, besonders nicht mit der großen Erbsünde, es wäre ein häßlicher Widerspruch gegen die Worte des Engels, den man mit einer solchen Verkleinerung und Herabziehung seines hohen Grußes förmlich Lügen strafen wollte. Schon aus diesem Grunde, wie aus noch vielen andern, war also die Lehre von der unbefleckten Empfängnis der heiligen Jungfrau, d. h. von ihrer vollkommenen Makellosigkeit seit dem ersten Augenblick ihres Daseins, in den vier Jahren, nachdem der Papst gesprochen, der ganzen Kirche bereits zum allgemeinen Verständnis und Bewusstsein gekommen. Besonders auch in Hinsicht auf die Schriftsteller, welche darauf Bezug haben, war ein deutliches und übereinstimmendes Verständnis schon überall verbreitet.
Kaum aber, daß diese vollkommenere Lehre des christlichen Glaubens in der ganzen katholischen Welt angenommen war, so wurde sie durch die Erscheinung von Lourdes auf eine überraschende Weise vom Himmel selbst bestätigt und noch heller beleuchtet, sowie durch die Wunderquelle, welche dem „alten Felsen“ entströmte, mit einem stets lebendigen und für alle Zeiten redenden Zeugnis ausgestattet…
Es kam an diesem Tag ein Licht vom Himmel, welches hell bezeugte, was der englische Gruß, den die christliche Welt so oft wiederholt, in seinem vollen Sinne bedeutete.
… nach der päpstlichen Entscheidung, als die ganze Kirche nun auch im vollen Sinn und Verstand diesen Gruß aussprach, erfolgte darauf eine Antwort von oben; erst als die Christenheit es auch vollständig so meinte und glaubte, wie die Worte des Grußes es sagten, wurde ihr eine himmlische Bestätigung zu teil. Der vollkommenere Glaube musste zuerst kirchlich festgestellt und allgemein sein, dann erst bestätigte ihn der Himmel.
So versteht es sich dann auch von selbst, warum die hl. Jungfrau ihren großen Namen nicht früher am Festtag der Verkündigung, 1858, sie als die „heilige und unbefleckte Jungfräulichkeit“, als die „voll der Gnaden“, als die Makellose und ohne Sünd` Empfangene begrüßten. Die Nennung des Namens, dies war überhaupt die feierliche Verkündigung vom Himmel, worauf alle die Erscheinungen und Wunder-Begebenheiten von Lourdes Bezug hatten. Es war das höhere Licht, welches auf die päpstliche Erklärung herab fiel und all das Schöne und Große, was sich sonst damit verband, war, wie es uns scheint, nur die wunderbare und wohltätige Folge und Begleitung davon, oder gleichsam nur die Strahlenwirkung dieser himmlischen Offenbarung.
Wenn der Name in seiner wahren Bedeutung zugleich das Wesen ausmacht, wenn daher Name und Person Eins sind, dann konnte es folgerichtig und selbstverständlich auch nicht anders sein, als daß die „Unbefleckte Empfängnis“, welche die allerseligste Jungfrau selbst war, den Mittelpunkt der Erscheinungen und Wunder von Lourdes bildete. –
aus: Anselm Schott, Die Wunder von Lourdes, 1899, S. 172- S. 176
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