Das Fest Mariä Opferung im Tempel
(21. November)
Im Morgenlande wurde dieses Fest unter dem Titel: „Die Einführung der Jungfrau Maria in den Tempel“ schon im vierten Jahrhundert gefeiert und unter dem Kaiser Emanuel Commenus, der 1143 den Thron bestieg, als allgemeiner Feiertag für das ganze Reich eingeführt. Im Abendland hat 1372 Papst Gregor XI., der damals seine Residenz zu Avignon in Frankreich hatte, angeordnet, daß dieses Fest zu Avignon am 21. November, also an dem Tage begangen werde, an welchem es schon seit Jahrhunderten im Orient gefeiert worden war. In ganz Frankreich wurde es eingeführt auf den Wunsch seines Königs Karl V. im Jahre 1374; in Deutschland sprach zuerst das Verlangen danach aus der Herzog Wilhelm von Sachsen und erhielt die Gewährung seiner Bitte von Papst Paul II. 1464. Für die ganze abendländische Kirche hat erst Papst Sixtus V. 1585 die Feier dieses Festes zur Pflicht gemacht.
Der Gegenstand dieses Festes umfaßt ein dreifaches Geheimnis aus den ersten Jugendjahren der allerseligsten Jungfrau Maria:
1. Die Darstellung oder Opferung Mariä im Tempel zu Jerusalem; 2. die Erziehung Mariä in der Tempelschule; 3. ihr Gelöbnis der ewigen Jungfrauschaft. Da durch spricht die Kirche klar ihre Absicht aus, daß sie heute jenen Teil des Lebens der makellosen Jungfrau den Gläubigen zur Verehrung vorstellt, welcher zwischen ihrer Geburt und ihrer Zustimmung zur Botschaft des Engels und zur Menschwerdung des Welterlösers verflossen ist.
Das erste Geheimnis dieses Festes vergegenwärtigt die Opferung Mariä im Tempel durch ihre Eltern, welche sich durch ein Gelübde dazu verpflichtet hatten. Denn al sie im Schmerze über ihre Kinderlosigkeit lange Jahre mit Gebet und Almosen den Allmächtigen bestürmten, daß Er ihnen einen Nachkommen schenke, gelobten sie zugleich, wenn Gott sie mit einem Kinde segne, so wollten sie dasselbe Ihm im Tempel aufopfern und dort in einsamer Lebensweise bis zur Vermählung erziehen lassen. Das christliche Altertum hat uns hierüber folgenden Bericht hinterlassen:
Als Maria sechs Monate alt war, stellte die Mutter sie auf den Boden, um zu sehen, ob sie sich aufrecht halten könne. Und das Kind machte sieben Schritte vorwärts, kam zurück und warf sich in die Arme seiner Mutter. Und Anna sprach: „Es lebe der Herr, mein Gott, du wirst nicht auf der Erde wandeln, bis ich dich im Tempel des Herrn dargebracht habe.“ Und sie heiligte es in seinem Bettlein und Alles, was befleckt war, entfernte sie von ihrer Person um seinetwillen; und sie berief jüdische Mägde ohne Makel, um das Kind zu besorgen. Kann wohl der Glaube an die makellose Empfängnis Mariä lieblicher ausgedrückt werden, als durch diese Heiligkeit und Ehrfurcht ihrer Eltern, die sich nur als die Wächter dieser Blume der Reinigkeit ansehen, bis sie Gott dargebracht wird?
Als Maria zwei Jahre alt war, wollte Joachim, von heiliger Gottesfurcht getrieben, das mit Anna gemachte Gelübde erfüllen und sie in den Tempel führen.Anna, von der Furcht zurück gehalten, das noch so junge Töchterlein möchte wieder zu Vater und Mutter zurück verlangen und sich nicht edelmütig genug dem Herrn hingeben, schlug vor, noch das dritte Jahr abzuwarten. Joachim sprach: „Laß uns warten!“ Nachdem Maria das dritte Jahr erfüllt, sagte Joachim: „Rufet die makellosen Jungfrauen der Hebräer herbeI! Sie sollen Lampen nehmen und sie anzuzünden, und das Kind soll nicht mehr zurückkommen, noch sein Geist von dem Hause Gottes sich entfernen!“ Die Jungfrauen taten, wie er es vorschrieb. Und der Oberste der Priester empfing das Kind, umarmte es und sprach: „Maria, der Herr hat Größe gegeben deinem Namen in allen Geschlechtern, und am Ende der Tage wird der Herr i dir den Preis der Erlösung Israel`s offenbaren.“ Maria stieg eilends die fünfzehn Stufen hinauf in den Tempel, ohne hinter sich zu schauen und ohne nach ihren Eltern zu verlangen. Und Alle staunten bei diesem Anblick, und die Priester des Tempels waren voll Verwunderung. Während das weiße Opferlämmlein auf dem Altare verbrannte, kniete das kleine Töchterlein gar andächtig nieder und weihte sich Gott dem Herrn auf immer. Der Herr ergoß seine Gnade über Maria, und sie hüpfte auf vor Freude, und das ganze Haus Israel hatte sie lieb. Und die Eltern stiegen die Tempelstufen hinab, in heiliger Rührung Gott lobend, daß das Kind sich nicht nach ihnen umgewendet hatte.
Wie wunderschön ist doch diese feierliche Opferweihe, diese vollkommene Selbstentäußerung, diese hochherzige Hingebung des erst drei Jahre alten Töchterleins! Man kann sich nicht satt sehen an dieser Fülle christlicher Hoheit, Maria vergißt die Welt, sie vergißt sich selbst, sie gibt sich ganz an den guten Gott hin mit einer Liebe und einem Eifer, die man nicht begreifen, nur bewundern kann; sie schaut nicht hinter sich, sie denkt nicht, ob sie zum Dienste Gottes etwas nötig haben werde, sie denkt nicht an ihre Eltern, sie überläßt sich ganz Gott.
Das zweite Geheimnis dieses Festes bezieht sich auf die Erziehung Mariä während der folgenden zehn Jahr, in der Tempelschule, in welcher Jungfrauen von Stand und ansehen von Lehrerinnen im Gesetze Gottes und im Gebet unterrichtet, in den weiblichen Arbeiten, Nähen, Spinnen, Sticken, Anfertigung der priesterlichen Kleidung und des gottesdienstlichen Schmuckes geübt und in Allem gebildet wurden, was zu Zucht und Ehre und Frauentugend gehört. Maria hatte zur Lehrerin die fromme Witwe Anna, von welcher der hl. Lukas, berichtet, daß sie eine Prophetin war und Gott diente mit fasten und Beten Tag und Nacht. Von ihr lernte die „Gnadenquelle“ das Lesen und schreiben, den Psalmengesang, die jüdischen Andachtsweisen und die verschiedenen Handarbeiten. Mit ihrem reichen Talent und ihrem emsigen Fleiß machte sie darin solche Fortschritte, daß die Vorgesetzten und die Mitschülerinnen sich sehr verwunderten, wie sie sich auch die Zartheit ihrer Gesinnung, den Adel ihres Charakters und die Hoheit ihres ganzen Benehmens nicht zu erklären vermochten.
Ihre Tagesordnung war, wie der hl. Hieronymus berichtet, folgende: Die ersten drei Morgenstunden widmete sie der Betrachtung göttlicher Wahrheiten: dann beschäftigte sie sich mit Lernen, mit verschiedenen Arbeiten, mit Sticken in Gold und Seide für die Verherrlichung des Gottesdienstes und mit Lesung der heiligen Schrift bis zum Abendopfer, welches täglich im Tempel dargebracht wurde. Um Mitternacht stand sie immer auf, um eine Stunde für sich und alle Menschen zu beten. Keine Zunge vermag es auszusprechen, versicherte ein Engel die heilige Birgitta, mit welcher Sammlung des Geistes und mit welcher Innigkeit des Herzens Maria sich befliß, jeden Augenblick nur Gott zu lieben und zu ehren. Alles, wovon sie erkannte, daß Gott ein Wohlgefallen daran habe, tat sie mit sichtbarer Freude und mied mit der empfindlichsten Aufmerksamkeit das Geringste, was durch das göttliche Gesetz oder die häusliche Ordnung verboten war. Ihre füfn Sinne bewachte sie in strenger Zucht. Bei aller Dienstfertigkeit gegen die Mitschülerinnen entschlüpfte ihrem Munde kein unnützes Wort, nie erhob sie ihr züchtiges Auge, um etwas Eitles anzuschauen, und ihr Ohr hörte nur auf das, was die Erkenntnis und Liebe Gottes förderte und seine Ehre lobte. Nie klagte sie über Leiden, nie lachte sie laut, nie zeigte sich ihr Gemüt aufgeregt, immer leuchtete aus ihrem Angesicht eine wohltuende Fröhlichkeit und sie verstand es, mit sinniger Klugheit jedes Lob von sich abzuweisen. Nur eine Art von Schmerz und Betrübnis drang ihr durch die Seele: wenn in ihrer Gegenwart Gott beleidigt, eine Sünde begangen wurde.
Gegen Sünder hatte sie ein tief inniges Mitleid, für sie verrichtete sie schwere Bußwerke und Gebet unter Tränen, um ihnen Gnade und Verzeihung von der Barmherzigkeit Gottes zu erflehen. Die heiligen Väter heben es ausdrücklich hervor, daß Maria schon als Kind sich in außerordentlichem Grade durch die Tugend des Erbarmens auszeichnete, um derentwillen sie zu allen Zeiten als die sicherste Zuflucht der Sünder gepriesen wird.
Der hl. Franz von Sales, Maria in der Tempelschule bewundernd, sagt: „Es gibt zweierlei Blumen, nämlich Rosen und Nelken, welche ihren anmutigen Geruch verschieden ausduften. Die Rosen riechen lieblicher am Morgen und ehe die Sonne zur Mittagshöhe steigt; die Nelken duften angenehmer am Abend, und ihr Geruch ist dann viel süßer. Die glorreiche Jungfrau Maria war gleichsam eine schöne Rose unter den Dornen; und wiewohl sie immer, ihre ganze Lebenszeit hindurch, den aller lieblichsten Wohlgeruch der Tugenden verbreitete, so hauchte sie doch schon am Morgen ihrer heiligsten Kindheit einen wunderbar lieblichen Duft der Opferwilligkeit vor Gottes Majestät aus.“
Das dritte Geheimnis dieses Festes ehrt das erhabene Gelübde der immerwährenden Jungfrauschaft, welches Maria, die Erste unter allen vom Weibe Geborenen, abgelegt hat: ein Gelübde, welches ihrem Herzen so teuer war, daß es ihr mehr galt als sogar das höchste Glück und die größte Ehre: Mutter Gottes zu werden, – sie dem Engel bestimmt antwortete: „Wie soll das geschehen, da ich ja keinen Mann erkenne?“ Dieses Gelübde hat Maria im Tempel zu Jerusalem Gott aufgeopfert, als ihr gnadenvolles Herz verzehrt wurde von der Sehnsucht nach dem verheißenen Erlöser, durch den Gott in der Höhe die Ihm gebührende Ehre und Anbetung erlangen, und die im tiefsten Elend begrabene Menschheit erlöst und geheiligt werden sollte. In Folge dieses heiligen Verlangens sprach sie mit ihrer Lehrerin Anna am liebsten von dem kommendenErlöser, von den Gnaden und Segnungen, die von Ihm über alle Leidenden sich ergießen und himmlischen Frieden ausbreiten würden; deshalb lag sie so viele Stunden der Nacht auf ihren Knien, die Hände zum Himmel erhebend und aus der Tiefe der Seele flehend, daß doch der Allerbarmer die Zeit der Trübsal abkürze und das Lamm sende, welches hinweg nimmt die Sünden der Welt.
Eine alte Überlieferung meldet, Maria habe vorzüglich auch darum das Gelübde der ewigen Keuschheit Gott dargebracht, damit sie, wenn der Erlöser geboren wäre, vielleicht desto eher gewürdigt werde, als reine Jungfrau die Magd seiner Mutter sein und dem Messias sich nahen zu dürfen. O wie entzückend und rührend zugleich ist dieser Beweggrund, warum Maria ihre jungfräuliche Reinigkeit des Leibes und der Seele Gott angelobte und aufopferte! Ihre unbegreifliche Liebe zu Gott und den sündigen Menschen steigerte zwar mehr und mehr das Verlangen nach der Ankunft des verheißenen Messias; aber die ebenso große Demut ihres Herzens wagte nur den sehr bescheidenen Wunsch, als Magd seiner Mutter die niedrigsten Dienste leisten zu dürfen. Und für die Gewährung dieser einzigen Ehre bot sie freudig als Preis das Kostbarste an, was sie einsetzen konnte, das Gelübde immer währender Keuschheit. Wunderbar strahlt aus der Gesinnung, welche der allerseligsten Jungfrau dieses Gelübde eingab, ihre unvergleichliche Heiligkeit und Gottseligkeit hervor.
Hast, du, oder weißt du nichts am heutigen Festtage, womit du in treuer Nachfolge deiner geliebten Mutter Maria deine Sehnsucht nach dem gekommenen Erlöser, nach dem in der heiligen Hostie verborgenen Jesus, zeigen und bezeugen möchtest? … wie steht es mit deiner Sehnsucht nach Ihm, mit deiner Opferwilligkeit für Ihn? Besinne dich und bitte Maria um ihre Fürbitte. –
aus: Otto Bitschnau OSB, Das Leben der Heiligen Gottes, 1881, S. 869 – S. 871