Die Abgründe: Es war ein Geist und zwar der böse
Was wahr ist, ist wahr, und was man selber erlebt hat, läßt man sich nicht abstreiten. Und darum ist es wahr: es gibt Geister – und was ich jetzt nach meiner Weise erzähle, ist Wahrheit.
Bei uns zu Lande ist ein vornehmer reicher Herr gewesen; er hatte ein einziges Liebes Kind. Und ihm Freude zu machen, nahm der Vater zwei fremde Kinder an, ein Mädchen und einen Knaben, und brachte sie auf sein Landgut in ein schönes Schloß mit einem weiten prächtigen Garten. Da gehen eines Tages die zwei angenommenen Kinder in den Garten hinaus; da kommt ihnen ein unheimliches, schleichendes Wesen entgegen und redet sie an, was sie denn immer so im Garten blieben; draußen sei die Welt weit und groß; sie könnten viel, viel mehr sehen und erfahren als da. Die Kinder sagen darauf: der hohe Herr habe ihnen erzählt, es sei draußen nicht so schön, und es seien Abgründe und lebensgefährliche Wege und Stege herum; sie sollten bei ihm bleiben, sonst könnte es ihnen schlecht gehen. Aber die Gestalt weiß ihnen so zu schmeicheln, daß die armen Kinder Vorwitz halber sich hinaus schleichen, dem verlockenden Wesen nach. – Aber kaum sind sie außer dem Tore, packt sie die Gestalt und reißt sie mit sich hinunter in schauerlicher Tiefe und jetzt, wie sie unten liegen und sich umschauen, hat der Verführer feurige Augen und feurigen Atem, und lacht in höllischer Freude über sein Bubenstück.
Es war ein Geist; und zwar der böse, – und die Kinder hießen Eva und Adam, und der Garten war das Paradies, und der Abgrund ist die Sünde, und die Geschichte ist hier bei uns auf der Welt geschehen.
Das Weitere ist nur zu bekannt. Die zwei Unglücklichen haben dann geheiratet und Gott hat ihnen Kinder gegeben, und der Leser und der Schreiber sind leider auch aus dieser armen Familie. Wir sind mitsamt auf der Reise zu Gott, zur Heimat falsch gegangen; Adam und Eva, oder besser gesagt, die Schlange mit der Fahne der lüge voraus, wir hinterdrein nach. So leben und gehen wir weit, weit von Gott fort in dem tiefen Abgrund, in der Erbschuld und Erbstrafe. Und die schöne Heimat und der prächtige Palast, wozu Gott die Welt anfangs erschaffen, ist vom Menschen umgekehrt worden in ein Haus des Jammers, des Elendes und der Not. Ist es nicht so?
… Man spürt es eben, daß man nicht mehr daheim ist, wo uns der gute Gott hingesetzt hat, im Paradiese, sondern man erlebt es vom Morgen des Lebens bis zum späten Abend, daß wir auf Abwege geraten und in die Fremde gekommen und in ein Land verwiesen sind, das Disteln und Dornen trägt. – so hat uns die Sünde Alle miteinander gnadenlos und darum verdienstlos und somit brotlos, freudelos, heimatlos, vaterlos, Gott – los, – und fast hoffnungslos gemacht.
Das ist freilich kein Geigenstrich und Klarinettenton zu Walzer und Polka für Fasching; aber du, Mensch, bist auch nicht alleweil auf dem Kirchtag und bei lustigen Brüdern und Krügen im Wirtshaus „zur schönen Aussicht“ oder „zum ewigen Leben“ in Wien. Darum zeig jetzt, ob du auch noch Verstand hast für den furchtbaren Ernst des Lebens, und für das, was hinten nachkommt; schlag dir also diesen Gedanken nicht leichtfertig aus dem Sinn, sondern bleib noch eine Weile dabei stehen und laß dein Herz davon durchsäuern; es wird ihm ganz gesund sein. Es ist ja nicht gesagt und geschrieben, um dich verzagt zu machen; im Gegenteil ich wollte, es käme dir dabei der Wunsch und die Frage, ob es denn aus dem Abgrund heraus keinen Ausweg gebe, und ob dem kranken Menschenherzen in keiner Weise zuzukommen und zu helfen sei! – Dann wärst du in der rechten Stimmung und Verfassung, ein Wort zu vernehmen, welches dir – aber halt! Ich will es nicht übereilen; sondern dir erst noch mehr zusetzen, und die Seiten noch mehr und genauer spannen, auf daß sie recht rein klingen.
So lange man euch Leuten nur so im allgemeinen erzählt, wohin die Sünde führt, macht ihr es just, wie der sündige König David dem Propheten es gemacht. So lange Nathan im Gleichnis vom reichen Mann, der dem armen das einzige Schäflein stiehlt, von großer Sünde spricht, tut David entsetzlich entrüstet und droht dem Dieb mit königlicher Ungnade; aber selber bekehrt er sich nicht. Erst wie Nathan deutlich sagt: „Du – König bist derselbe Mann! Hast den Urias erschlagen und sein Weib gestohlen, und darum soll auch das Schwert nicht weichen von deinem Hause“, – da kommt David zur Besinnung, da sinkt er nieder vor Gott und dem Propheten, und bereut und tut Buße.
So ist es auch mit euch; erst wenn ihr seht, der Schütze ziele auf euch und immer näher auf das Zentrum, auf das Herz, erst dann fangt ihr an aufzumerken. Und auf dein Herz ziele ich gerade los mit einer Frage, vielleicht werden es auch zwei oder drei. Schau dich also selber ein wenig an, und dann schau ein kleines um dich herum und sag mir: wie steht es denn eigentlich mit dir? – wenn die ganze Menschenfamilie auf Abwegen in die Tiefe geraten ist, ist denn du etwa in der Luft hängen geblieben, oder bist du auch mit hinab gestürzt ins Elend und ins Grab der Sünde? – schau hinter dich zurück auf den Weg, auf dem du daher in den heutigen Tag gekommen bist, schau zurück ins Leben deiner Vergangenheit. Wo warst du bis anher?“ – Kannst du sagen, die Wege und Stege, auf denen du seit dem sechsten, siebenten Jahre deines Alters einher gewandelt, seien die rechten und geraden gewesen, und dein Schutzengel sei freudig mit dir gegangen?
Was geschehen, ist geschehen; und Schminke und Firnis hilft da nichts, aber ein einfältiges Geständnis, eine Beichte, wie David sie dem Propheten Nathan getan, ist das erste Zeichen, daß du es gut meinst mit dir…
Eine große, ernste, entscheidende Frage
… o steh still einen Augenblick und laß dich fragen – eine große, ernste, entscheidende Frage: „Wenn du so fortwandelst in deinem Leben wie bisher, liebe Seele! Wo gehst und wo kommst du denn hin! – Gäbe es nur Einen Weg, und ginge dieser Eine gerade oder krumm, steil oder eben, aber doch gewiß nur in die selige Heimat, und wärst du bereits darauf, so läge an der Frage nicht viel; ich sagte dann bloß: „Geh nur weiter, kannst nicht fehlen.“ Aber so gibt es der Wege hinauf und hinab gar viele, es liegen dunkle Schluchten, schreckliche Abgründe, lebensgefährliche Stellen allum, und nur Ein falscher Tritt, und es kann aus sein mit dir für immer! – Darum bitte ich bei deiner Seele, – schau doch, – wohin, ja wohin gehst du, wenn du so fortwandelst wie bisher?
… denn du kannst den Weg, auf dem du jetzt wandelst, sei er gut oder schlecht, verlassen, und einen andern einschlagen. Ich kann daher natürlich auch nicht wissen, wie es schließlich mit dir sein wird; da mußt du selber zuschauen, ich kann nur soviel sagen, wenn du jetzt so weiter gehst, kommst du dorthin; gehst du aber jetzt so weiter – so kommst du dahin. – Dazu aber braucht es keine besondere Eingebung Gottes…; es reicht die allgemeine christkatholische Weisheit hin. Sie aber lehrt wie folgt:
Der enge und der breite Weg
1. Es gibt nur zwei Wege in die Ewigkeit und nicht mehr.
2. Diese Wege sind schnurstracks einander entgegen gesetzt.
3. Der eine führt zu Gott, der andere zum Teufel.
4. Auf einem der zwei Wege geht jeder Mensch, gehst auch du, Leser.
5. Um zu wissen, auf welchem Wege der Mensch gehe, und wohin er folglich komme, hat Christus zwei ganz genaue Wegweiser aufgestellt. Das ist die Beschaffenheit des Weges – und die Zahl der Wanderer.
6. Der Weg zu Gott, zum seligen Leben ist erstens eng und steil, hat Christus gesagt; der Weg zum Teufel, zum Verderben, ist weit und eben.
Eng ist der Weg, der zu Gott führt, weil die 10 Gebote Gottes und die 5 Gebote der Kirche sein Zaun und seine Schranken sind; so diese nieder gerissen sind, da ist überall weit um Weg, wie auf einer ungarischen Pusta.
Nur an Einen Gott, und an eine einzige wahre Religion glauben, – das ist eng. Glauben, was man will, und meinen, jede Religion sei gut, sieh! Das ist bequem und weit. – Was ist dein Glaube, du Leser? Und folglich wohin gehst du?
… Maß halten im Essen und Trinken, und die von Gott gesetzte Ordnung beobachten in standesmäßiger Reinheit des Leibes und der Seele, – das ist eng, sehr eng. – Aber sich hierin Alles erlauben, oder auch nur in Einem Punkt schwer versündigen, – das ist lustig, ist bequem, ist ebenaus.
Jetzt kommen wir auf die Zahl der Wanderer
7. Der Weg zu Gott ist zweitens derjenige, auf dem die Wenigen gehen: wo aber die Vielen gehen, das ist der Weg zum verderben, und wer mit ihnen geht, geht zum Teufel.
Wer sind die wenigen? Das sind die Armen im Geiste, das sind die Sanftmütigen, die Friedfertigen, die reinen Herzens sind, die geduldig leiden, die aufrichtig über ihre Sünden trauern und Buße tun; die demütig Christo dem Herrn und seiner einzigen katholischen Kirche glauben, die sich selbst nach Gottes Geboten einschränken und so sich selbst verleugnen und Christo das Kreuz nachtragen. Diese Alle hat Christus selber selig gesprochen.
Wer sind die Vielen? – St. Paulus sagt darauf: Offenkundig sind die Werke des Fleisches als da sind: Buhlschaft, Unlauterkeit, Frechheit, Üppigkeit, Götzendienst, Zauberei, Feindschaft, Zwist, Eifersüchtelei, Zorn, Gezänk, Zerwürfnisse, Spaltungen, Neid, Mordtaten, Trunkenheit, Schwelgerei, und dem Ähnliches; ich sage es euch voraus, wer solches tut, wird Gottes Reich nicht erben.“ (Galaterbrief) Und St. Johannes erzählt: „Der auf dem Throne saß, sprach: Die Feigen (das heißt, die mutlos von Christo abfallen), die Ungläubigen, die Verruchten, die Mörder, die Buhler und Zauberer und Götzendiener und Lügner, alle werden ihren Teil haben im Pfuhl, welcher von Feuer und Schwefel brennt.“ – eine saubere Gesellschaft das, – und genau gekennzeichnet, die Wanderer auf breiter Straße.
Hier halte nun still mit Lesen. – Es ist jetzt für dich eine ernste, feierliche Stunde gekommen, o Mensch!
Eine Stunde der Entscheidung!
Es handelt sich darum, ob du vorwärts gehen sollst, wie bisher, oder nicht? – Bist du auf dem engen Wege, und bei den Wenigen? Dann Wanderer! Ziehe ruhig weiter in Gottes Namen, der Herr segne dich; und harre mutig aus, bis dir das Zügenglöcklein läutet.
Bist du aber jetzt mit der Menge, mir der Majorität auf lustigem, breitem Wege außerhalb der Schranken des göttlichen Gebotes gegangen, o dann halte still mit deinem Leben; stürme nicht so blindlings weiter; der Weg, auf dem du schreitest, ist der weg in Tod und verderben. Wer weiß, vielleicht ist dies der letzte Ruf der Gnade an dein Herz. O daß du es doch erkenntest, was dir zum Heile ist an diesem Tage!
Wer weiß denn, ob du dies Buch auslesen wirst, oder nicht früher schon an der Scheidegrenze stehst? – Und wärest du irre gegangen, was dann mit dir, – wenn sich plötzlich hinter dir das Tor der zeit zuschlägt, und nunmehr hinter dem Tor des Grabes sich vor dir die weite Pforte auftut – und vor dir ausgebreitet da liegt – die Hölle! O! Dann kannst du nicht mehr zurück; und jammern und bitten und leiden und Zähne klappern hilft dir nichts; – es ist zu spät! –
Aber das Heute und jetzt gehört noch dir! – Was willst du damit machen? – Willst du still stehen und umkehren? Ach! Du brächtest dem Himmel Jubel und deiner SeeleFrieden, und deinem Sterben frohe Aussicht in die andere Welt. –
Es kommt dir schwer an? Ja, Gewalt leidet das Himmelreich, es ist wahr; aber verzage nicht, und wärst du auch weit, so weit von Gott abgeirrt, als die Erde von der Sonne absteht, das sind 40 Millionen Stunden, so kannst du heute noch und in einer Stunde schon bei ihm sein; und wenn du als Kind von 7, 8 Jahren Gott den Rücken gekehrt hättest und von ihm gelaufen wärest ohne Unterbrechung, und heute 70 oder 80 Jahre alt bist, so brauchst du keine 70 Jahre, um Gott wieder zu finden. Der Rückweg ist kurz; …
… frage dich selber deutsch ab und gib nicht nach, bis du ganz deutlich und bestimmt Antwort hast auf die Frage:
„Wenn ich so fortfahre, wie bisher – wohin? Wohin komme ich dann? –
Damit du besser sehest, stelle ich dir noch ein helles Lichtlein vom Himmel daher.
„Wenn ihr zu dem, welcher ohne Rücksicht auf die Person nach eines jeglichen Werke richtet, Vater sagt, so wandelt die Zeit eurer Wanderschaft in Furcht, da ihr wisset, daß ihr nicht um vergängliches Gold oder Silber aus eurem eitlen Wandel – – – erkauft seid.“ (1. Petr. 1, 17) –
aus: Franz Ser. Hattler SJ, Wanderbuch für die Reise in die Ewigkeit, I. Band, Erster Teil. Wo gehst du hin?, 1883, S. 45 – S. 59