Kaiser Karl V. und die Protestanten

Kaiser Karl V. und die deutschen Protestanten

Das Verhältnis Karls V. zu den deutschen Protestanten ist von jeher sehr verschieden aufgefaßt worden, zum großen Teil deswegen, weil die Stellung dieses Kaisers zu den Neugläubigen verschieden Phasen durchgemacht hat. Dies Phasen sind daher, wenn ein gerechtes Urteil gefällt werden soll, wohl zu unterscheiden. –

Kaiser Karl V. ein treuer Sohn der Kirche

In ernster, verhängnisvoller Zeit war Karl zum Kaiser des heiligen römischen Reiches deutscher Nation gewählt worden. Die durch den Augustinermönch Martin Luther eifrigst geschürte politisch-religiöse Bewegung, welche man die „Reformation“ genannt hat, wühlte die deutsche Nation bis in ihre tiefsten Tiefen auf. Die Negation dieses Mönches gegenüber der Lehre der katholischen Kirche war, was wohl zu beachten ist, ihrem Beginn eine rein theoretische; erst im Jahr 1521 wurde dies anders: damals zeigten sich die ersten praktischen Konsequenzen der neuen Lehren. Karl V., der bei seiner Krönung in Aachen (23. Oktober 1520) feierlich geschworen, die Kirche und deren Diener zu schützen, war entschlossen, gemäß diesem Schwur zu handeln. Der Papst hatte Luther in den Bann getan; Karl V. wollte deshalb sofort von Reichswegen gegen den verwegenen Mönch einschreiten.

Der Staatsrat des Kaisers war anderer Ansicht und war geneigt, zu „temporisieren“. Der Kaiser dagegen stand ganz entschieden, ohne jede Schwäche und jedes Schwanken, auf der Seite der alten Kirche. „Unsere Hoffnung, zu siegen“, sagte der päpstliche Nuntius Aleander, „beruht einzig und allein auf dem Kaiser“ (vgl. Friedrich, Der Reichstag zu Worms im J. 1521, nach den Briefen des päpstlichen Nuntius Hieronymus Aleander, 1871). Der jugendliche Kaiser gab jedoch zuletzt dem Andringen seiner Staatsmänner, unter denen Chièvres und Gattinara hervorragten, insofern nach, daß er Luther ein Verhör vor dem versammelten Reichstag gestattete. Nach diesem verhör, welches am 17. und 18. April 1521 stattfand, wurde die Reichsacht gegen Luther und seine Anhänger ausgesprochen. Dem Kaiser war es wegen seiner auswärtigen Händel unmöglich, die Ausführung dieses Spruches durchzusetzen; er musste dies den einzelnen Reichsfürsten überlassen.

Verhängung der Reichsacht über die Protestanten

Wie sehr die einschneidende Maßregel der Verhängung der Reichsacht gegen die Anhänger des sogenannten neuen Evangeliums gerechtfertigt war, zeigten schon die von Luther und seinen Freunden verbreiteten Schriften, in welchen der völlige Umsturz aller bestehenden Verhältnisse in Kirche und Reich mit furchtbarer Beredsamkeit gepredigt wurde. Eine noch größere Rechtfertigung jener Maßregel lag in den jetzt Schlag auf Schlag folgenden revolutionären Ausbrüchen der deutschen Reichsritter und der deutschen Bauern. Beide Revolutionen wurden indessen von der Landesfürsten blutig unterdrückt. Allein nur die Bestrebungen der deutschen Reichsritter und Bauern in Betreff der weltlichen Dinge waren nieder geschlagen, nicht zugleich diejenigen, welche kirchliche Dinge betrafen. Diese wurden in anderer Form aufgenommen von einem Teil der Sieger, den Reichsfürsten, in deren Arme sich inzwischen Luther geworden hatte. Im Juli 1527 kam der Kurfürst von Sachsen endlich den dringenden Aufforderungen Luthers, sich der Kirchen seines Landes wie der Brücken, Stege und Wege anzunehmen, nach; eine aus Theologen und Weltlichen bestehende Visitations-Kommission führte im ganzen Kurfürstentum Sachsen die neue Lehre ein. Wer sich den Anordnungen des Kurfürsten, der sich als summus episcopus seines Landes gebärdete, nicht fügen wollte, dem blieb die Freiheit, auszuwandern. Fast gleichzeitig führte der Landgraf Philipp von Hessen das Territorial-Kirchentum in seinem Land ein. Einige andere deutsche Fürsten und Reichsstädte folgten bald nach.

Philipp Melanchthon täuscht durch die Augsburger Konfession

An die Stelle der einen allgemeinen Kirche trat für jedes einzelne Land, dessen Obrigkeit sich von der alten Kirche lossagte, ein eigenes, durch die Landesgrenze beschränktes Kirchentum. Diese neue Einrichtung schnitt die bisherige kirchliche Jurisdiktion völlig ab, während man (um das Volk zu täuschen) aus dem katholischen Dogma vieles und aus dem katholischen Kultus Einiges mit herüber nahm. Während diese gewaltige Umwälzung im römisch-deutschen Reich vor sich ging, war Karl V. abwesend; im Jahr 1522 hatte er nach Spanien, welches das Fundament seiner Macht war, zurück kehren müssen; dann nahm der französische Krieg seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Erst im Jahr 1530 konnte er den deutschen Verhältnissen wieder seine volle Aufmerksamkeit zuwenden. Zur Beratung über die dringend notwendige Türkenhilfe und zur Beilegung des religiösen Zwiespaltes eröffnete der Kaiser am 20. Juni 1530 einen Reichstag in Augsburg. Bereits am 25. Juni ließen der Kurfürst von Sachsen, der Landgraf Philipp von Hessen, die Herzoge Franz und Ernst von Braunschweig-Lüneburg, der Markgraf Georg von Brandenburg, der Fürst Wolfgang von Anhalt und die Abgesandten der Reichsstädte Nürnberg und Reutlingen ein von Philipp Melanchthon verfaßtes Bekenntnis ihrer Lehren verlesen (Augsburger Konfession).

Dasselbe war in milder Form abgefaßt und besonders deshalb bemerkenswert, weil es ein Konzil forderte und die Vereinigung der kirchlichen und weltlichen Gewalt in Einer Hand im Prinzip verneinte. Durch dieses Entgegenkommen der Neugläubigen, insbesondere durch die eigentümliche Haltung Melanchthons wurde der Kaiser angetrieben, selbst, nach Verlesung der Konfutation der Konfession, Vermittlungs-Versuche zu machen. Es war jedoch alles vergebens. Der vom Kaiser geplante friedliche Reunionsversuch wurde durch die neugläubigen Fürsten und Städtegesandten durchkreuzt. Die Anwendung gewaltsamer Maßregeln hat Karl V. während des Augsburger Tages nicht beabsichtigt. (Vgl. den Beweis bei L. Pastor, Die kirchlichen Reunions-Bestrebungen während der Regierung Karls V., Freiburg 1879, 65ff)

Kaiser Karl V. im Gespräch mit Papst Klemens VII. über die Situation in Deutschland

Die Zusammenkunft mit Papst Klemens VII.

Der Kaiser wandte sich nach dem Scheitern des Augsburger Friedensversuchs jetzt nur um so energischer dem Mittel zu, von welchem er schon seit Langem die Beilegung der kirchlichen Wirren hoffte: eine allgemeine Kirchenversammlung sollte über die streitigen Religionslehren entscheiden. Unablässig bemühte er sich hierfür. „Seit dem Jahr 1529“, schreibt er in seinen Aufzeichnungen (deutsch von L. A. Warnkönig, Leipzig 1862, 83), „in welchem der Kaiser zum ersten Mal nach Italien ging und mit dem Papst Klemens (VII.) eine Zusammenkunft hatte, unterließ er nie, so oft er diesen Papst oder den Papst Paul sah, auf allen seine Reisen, auf allen Reichstagen Deutschlands, in allen anderen Zeiten und unter verschiedenen Verhältnissen, beständig, entweder in Person oder durch seine Worte ein allgemeines Konzil als das einzige Heilmittel für die Übelstände Deutschlands und die Verirrungen, welche sich in der Christenheit verbreiteten, zu begehren.“ (siehe auch den Beitrag: Der große Abfall zur Zeit Klemens VII.)

Der Verräter König Franz I. von Frankreich

Die Geschichte bestätigt die Wahrheit dieser Worte. Wie kam es nun, daß der Zusammentritt des Konzils sich dennoch bis zum Jahr 1545 hinauszog? Man hat mit Unrecht die Päpste hierfür verantwortlich gemacht. Sie ebenso wenig wie Karl V. haben die Abhaltung einer allgemeinen Kirchenversammlung verzögert, sondern Franz I. von Frankreich. Weil das Konzil die Ruhe im römisch-deutschen Reich wieder herstellen sollte, deshalb arbeitete der französische König mit eiserner Konsequenz gegen das vom Kaiser und der ganzen Christenheit ersehnte Konzil. Nächst dem französischen König tragen schwere Schuld an der Verzögerung des Konzils die maßgebenden Fürsten und Theologen des neuen Kirchentums, vor Allem der Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen. Während sich aber so das Konzil hinauszog, waren die Zustände Deutschlands immer verworrener geworden. Die äußerliche Ruhe wurde nur notdürftig durch Friedstände (Nürnberger Religionsfriede 1532, Frankfurter Übereinkunft 1539) erhalten. Ende der dreißiger Jahre trat indessen eine bedeutsame Wendung ein. Gerade damals zeigte die Einführung der neuen Lehre im albertinischen Sachsen und in Brandenburg, daß notwendiger Weise etwas geschehen müsse. Zu gleicher Zeit versuchte indessen Landgraf Philipp von Hessen (aus Furcht wegen seiner Bigamie, welche die Reichsgesetze verboten) eine Annäherung an den Kaiser. Dieser, der noch immer von der Anwendung gewaltsamer Maßregeln nichts wissen wollte, wandte sich jetzt zu neuen Vermittlungs-Versuchen.

Warum Karl V. milde gegenüber den Protestanten reagierte

Zwei Umstände wirkten hierbei in sehr wesentlicher Weise mit:

1. seine bedrängte politische Lage, welche ihm die Wiederherstellung der Ruhe im Reich mehr denn je wünschenswert erscheinen ließ;

2. seine Täuschung in Betreff des Wesens der neuen Lehre.

In dem offiziellen Bekenntnis der Protestanten, in der Augsburger Konfession, trat ihm nämlich der eigentliche Gegensatz der alten und der neuen Kirche, die Verneinung der Jurisdiktion der katholischen Kirche, nicht entgegen; auch in Betreff der Lehre musste der Kaiser nach dem Wortlaut dieses Aktenstückes die Abweichungen von dem katholischen Dogma für weit geringer ansehen, als sie in der Tat waren. Nur hierdurch erklärt sich sein von jetzt an noch bis zum Jahr 1546 fortgesetztes Bemühen, die tatsächlich vorhandene große Kluft durch Besprechungen über diesen oder jenen Artikel der Lehre zu schließen. Ebenso ist allein hierdurch seine fortgesetzte Schonung und Milde gegen die Fürsten des neuen Kirchentums, welche sich die größten Rechtsverletzungen und Gewalttaten erlaubten, erklärlich. Bekanntlich erhob wegen dieser Schonung und Milde der König Ludwig XIV.

Eine Anklage gegen Karl V. ist nicht berechtigt

Ein Jahrhundert später vor den geistlichen Fürsten von Deutschland, um sie zum Hass gegen Österreich zu reizen, die Anklage, daß der Protestantismus sein Entstehen und sein Wachstum der Konvenienz des Hauses Habsburg verdanke. Diese Anklage ist nicht begründet. Die Kirchlichkeit des Kaisers ist nach dem einstimmigen Zeugnis der päpstliche Nuntien und der venetianischen Gesandten über jeden Zweifel erhaben. Keinen Augenblick hat Karl V. irgend welche Neigung zu der neuen Lehre gezeigt. Er hat im Gegenteil von der alten Kirche zu retten gesucht, was ihm noch rettbar schien. Er hat keine Sorge und Mühe gescheut, um die deutsche Kirchenspaltung zu beendigen. Es gelang ihm nicht, einesteils weil er glaubte und gemäß der Augsburger Konfession glauben musste, daß es sich in erster Linie um die Lehre handle, weil er darum auf diese hauptsächlich sein Augenmerk richtete und eben deshalb das eigentlich trennende Moment, die Veränderung der Kirchenverfassung in das faktisch seit 1527 bestehende Territorial-Kirchentum, nicht der vollen Wichtigkeit gemäß würdigte.

Katholische Fürsten haben aus Egoismus gegen den Kaiser gearbeitet

Es gelang ihm ferner nicht, weil die mächtigsten katholischen Fürsten, die bayerischen Herzoge, aus schmählichem Egoismus offen und geheim allen Plänen, welche die Herstellung der Ruhe in Deutschland und mithin die Stärkung der kaiserlichen Obergewalt bezweckten, entgegen arbeiteten. Es gelang ihm endlich des halb nicht, weil die Inhaber des neuen Kirchentums, voran der sächsische Kurfürst und der hessische Landgraf, trotz ihrer Aneignung der von Melanchthon verfaßten Konfession, trotz ihrer Berufung auf ein allgemeines, freies, christliches Konzil, von Anfang an nicht eine Ausgleichung wollten, sondern die Fortdauer und Erweiterung der religiösen Spaltung. Die Instruktionen, welche sie ihren Theologen und Gesandten auf die Religionsgespräche mitgaben, sowie ihr ganzes Verhalten und ihr Eingreifen in die Verhandlungen selbst beweisen dies deutlich. Diese drei Momente bewirkten das völlige Scheitern der vom Kaiser im Jahr 1540 und 1541 angestellten Reunions-Versuche. (Im einzelnen vergleiche über den Hagenauer Tag, das Wormser und das Regensburger Religionsgespräch des Unterzeichneten Schrift über „die kirchlichen Reunions-Bestrebungen“; die Verteidigung des Kaisers hat zuerst Onno Klopp in seiner trefflichen Studie über Karl V. , Histor.-polit. Blätter LX, 213ff, geführt.)

Zugeständnisse an die Protestanten hatten keinen Erfolg

Schon am Schluss des Regensburger Reichstags von 1541 hatte Karl V:, gezwungen durch die Türkengefahr, den Protestanten sehr bedeutende Zugeständnisse gemacht, ohne etwas zu erreichen; die Aggression, die damals sich der Fahne des Protestantismus bediente, war unersättlich. Im Jahr 1544 musste der Kaiser neue, bedeutende Zugeständnisse machen, jedoch mit keinem besseren Erfolg. Die protestantischen Fürsten sahen in jeden Versuch der Begütung nur eine Abschlagszahlung auf das Ganze, welches sie forderten. Diese Forderung war die reichsrechtliche Anerkennung des Territorial-Kirchentums. Der Streit, in welchen der Kaiser durch seine 1544 gemachten Zugeständnisse mit dem Papst geraten war, fand sofort seine Beendigung durch die definitive Ausschreibung des allgemeinen Konzils. Der Kaiser ging nun mit neuem Eifer an das, was er sich als höchste Lebensaufgabe gestellt: Deutschlands Wiedervereinigung im Glauben. Im Dezember 1545 war das Konzil in Trient eröffnet worden; der Kaiser veranstaltete im Januar 1546 ein neues Religionsgespräch in Regensburg. Eine Einigung wurde indessen hier nicht erzielt. Die protestantische Abgeordneten entfernten sich im Gegenteil unter nichtigen Vorwänden, eheh der Kaiser in Regensburg erschien.

Kaiser Karl V. beschließt, mit Gewalt gegen die Aufrührer vorzugehen

Alle seine Bemühungen zur Wiederanknüpfung der von den Protestanten in so jäher Weise abgebrochenen Verhandlungen waren vergebens. Der Gedanke, welchen Karl so lange zurück gedrängt hatte, gewann jetzt in seiner Seele Raum: er beschloss, die protestantischen Fürsten mit Gewalt zur Unterwerfung zu bringen. Die Gründe, welche ihn hierzu bestimmten, hat am besten der venetianische Gesandte Mocenigo auseinander gesetzt (Fiedler, Relationen venetianischer Botschafter, Wien 1870, 80ff). Es sind folgende:

1. Der Kaiser hatte einen sehr geringen Anhang; wenn er etwas durchsetzen wollte, musste er dem Herzog von Sachsen und dem von Württemberg den Hof machen. Noch demütiger stand der Kaiser dem hessischen Landgrafen gegenüber.

2. Das Luthertum nahmen die deutschen Fürsten nur zum Teil aus Überzeugung an; ihr hauptsächlicher Beweggrund bei Annahme der neuen Lehre war der, daß sie durch dieselbe freier leben und sich bereichern konnten. Die nicht lutherischen Fürsten wurden mit Gewalt zum Abfall von dem alten Glauben genötigt, sie schwebten in beständiger Furcht.

3. Keines der vorgeschlagenen Konzilien wollten die protestantischen Fürsten anerkennen, auch hatten sie bei dem Regensburger Religionsgespräch nicht die mindeste Nachgiebigkeit gezeigt.

4. Die protestantischen Fürsten gaben zu erkennen, daß sie einen Fürsten ihrer Religion, den Herzog von Sachsen, zum König wählen wollten

5. Der Kaiser musste fürchten, daß auch die geistlichen Fürsten lutherisch würden, wie es der Erzbischof von Köln bereits geworden, oder daß sie, als die schwächeren, verjagt würden.

6. Der Kaiser fürchtete, daß in Flandern und in den Niederlanden die neue Lehre auch Eingang finden werde, wie dies in Tirol und den anderen kaiserlichen Staaten bereits der Fall war. (Über den Widerstand, welchen der Kaiser hier dem Eindringen des Protestantismus entgegen setzte, vergleiche das keineswegs unparteiische Werk von Henne, Histoire du règne de Charles-Qint en Belgique, Bruxelles 1858 ss.; 10 vols.)

Der schmalkaldische Krieg war kein Religionskrieg

Dies waren die Gründe, welche den Kaiser zum Rüsten bestimmten. Den Krieg selbst begann nicht er, sondernd er Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen und der Landgraf von Hessen, welche das Geld zu ihrem Angriffskrieg von dem französischen König Franz I. erhalten hatten. Mithin ist der schmalkaldische Krieg eigentlich ein Krieg des Königs Franz I. gegen den Kaiser Karl V. zum Zweck der Zerrüttung Deutschlands in sich, denn der eigentliche Kriegsherr ist stets derjenige, der das Geld hergibt. Das Wort „Religion“, welches der Kurfürst und der Landgraf gebrauchten, hatte lediglich den Zweck, ihre Untertanen über die Sache selbst irre zu führen. Das wahre Verhältnis erhellt klar aus der Tatsache, daß der protestantische Herzog Moritz von Sachsen mit dem Kaiser gegen die Schmalkadener kämpfte.

Der schmalkaldische Krieg war somit, trotz der Verbindung des Kaisers mit dem Papst, kein eigentlicher Religionskrieg. (Vgl. Wie man in Deutschland Religionskriege macht, 4. Aufl., Frankfurt a. M. 1864) Den Kaiser begünstigte in diesem Krieg das Glück ungemein. Noch im Laufe des Jahres 1546 unterwarf er mit leichter Mühe die süddeutschen Städte, welche auf Seite der Schmalkaldener gestanden. Im folgenden Jahr musste sich der Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen nach dem jämmerlichen treffen von Mühlberg (eine Schlacht kann man es nicht nennen; non pugna, sed desertio, schrieb Melanchthon) dem Kaiser unterwerfen. Ihm folgte der Landgraf von Hessen, dessen Untertanen mit seinem ungerechten Krieg äußerst unzufrieden waren. Beide wurden die Gefangenen des Kaisers. Die außerordentlich große Mäßigung, welche Karl V. nach seinem glänzenden Erfolg bewies, widerlegt am besten alle modernen Anschuldigungen gegen ihn. Denjenigen, welche ihm rieten, seinen Sieg wie Cäsar bis zur Vernichtung des Feindes zu verfolgen, erwiderte er: „Die alten hatten ein Ziel vor Augen, die Ehre; wir Christen haben deren zwei, die Ehre und das Heil der Seele.“

Karl V. verlangte von den Protestanten die Anerkennung des Konzils von Trient

Die kirchliche Organisation der Neugläubigen ließ er unangefochten. Auf dem 1547 in Augsburg eröffneten Reichstag stellte er an die protestantischen Fürsten nicht die Forderung eines bedingungslosen Rücktrittes zur alten Kirche. Er verlangte einzig und allein die Anerkennung des Konzils, auf welchem auch die protestantischen Theologen gehört werden sollten. Gemäß der Augsburger Konfession musste er diese Forderung stellen. Die Reichsstände erklärten sich hiermit einverstanden. Allein infolge des schon während des schmalkaldischen Krieges ausgebrochenen und durch die Verlegung des Konzils von Trient nach Bologna verschärften Konfliktes zwischen Kaiser und Papst war hieran augenblicklich nicht zu denken. Da die Reichsstände dem Kaiser die Aufgabe, für den einstweiligen Zustand Sorge zu tragen, überwiesen hatten, so gab derselbe das sog. Interim.

Die Aussichten auf die Wiedereröffnung des Konzils wurden durch die am 8. Februar 1550 erfolgte Wahl des Kardinals del Monte zum Papst Julius III. in erfreulicher Weise gebessert. Der Reichsabschied vom 13. Februar 1551 bestätigte die einhellige Übereinkunft der Stände, daß die Erörterung der streitigen Religion dem allgemeinen Konzil heimgestellt und unterworfen sein solle. Wenn also menschliche Zusagen und Versprechungen eine Gewähr für die Zukunft geben konnten, so bot sich nun dem Kaiser die Aussicht auf die endliche Belegung des religiösen Zwiespaltes im römisch-deutschen Reich. Im Mai 1551 sollten die Verhandlungen des Konzils in Trient wieder beginnen. Man vertagte sie indessen auf den 1. September, „um die Deutschen zu erwarten“. Im Herbst trafen denn in der Tat aus Sachsen und Württemberg und von einigen Städten, z. B. Straßburg, protestantische Abgeordnete in Trient ein. Wie unerfreulich immerhin ihre Forderungen sein mochten, viel war doch schon durch das bloße Erscheinen der Protestanten in Trient erreicht.

Der Verräter Moritz von Sachsen

Im Dezember 1551 musste sich sogar der theologische Wortführer der protestantischen Partei, Philipp Melanchthon, auf Befehl des Kurfürsten Moritz von Sachsen nach Trient aufmachen. Er kam jedoch nur bis Nürnberg, denn inzwischen war Moritz von Sachsen gegen seinen kaiserlichen Freund und Wohltäter losgebrochen. Moritz stand in offenem Bündnis mit dem französischen König und in geheimem mit den Türken. Er zwang den gichtkranken Kaiser zur schleunigen Flucht über die Schnee bedeckten Berge von Tirol und sprengte das Trienter Konzil auseinander. In Linz und Passau stellte der Verräter dann seine Friedens-Bedingungen. Was Moritz vor Allem anstrebte, war die Anerkenung de Besitzstandes auch für den Fall, daß eine Einigung nicht zu Stande komme. Diese Forderung schloss die reichsrechtliche Anerkennung des Landeskirchentums in sich. Hierin einzuwilligen, hielt der Kaiser mit seinem Gewissen für nicht vereinbar (vgl. den sehr merkwürdigen Brief an seinen Bruder vom 30. Juni 1552, bei Lanz III, 318ff). Er hielt hieran unentwegt fest. Die Stelle des Vertrags über die einstweilige anerkennung des Landeskirchentums strich er weg. Außerdem bemerkte er ausdrücklich, daß er den Vertrag nur mit Rücksicht auf die große Notlage Ferdinands ratifizierte (Lanz III, 481). Als dann im Jahr 1555 auf dem Augsburger Reichtstag von den Protestanten abermals die reichsrechtliche Anerkennung des Territorial-Kirchentums gefordert wurde, zog sich Akrl von den Verhandlungen, auf die er, da Krankheit seine persönliche Anwesenheit verhinderte, doch nicht entscheidend einwirken konnte, völig zurück.

Die Abdankung Kaiser Karl’s V.

Die Entscheidung überließ er in jeder Hinsicht seinem Bruder Ferdinand. „Und um Euch hiervon offen und wie es sich unter Brüdern geziemt“, schreibt er an Ferdinand, „den Grund anzugeben, es geschieht allein aus Rücksicht auf die Religionssache, über welche ich die Skrupel habe, welche ich Euch so eingehend und offen mündlich bei unserer letzten Zusammenkunft in Villach auseinander gesetzt habe. Ich bitte Euch keinen andern Grund zu vermuten und darauf zu achten, daß Ihr zu keinem Punkt Eure Zustimmung gebt, welcher Euer Gewissen beschweren könnte oder die Ursache noch größeren Zwiespaltes in der Religion sein könnte, oder der die Heilung der Spaltung, welche wir von der Gnade und Barmherzigkeit Gottes hoffen müssen, noch weiter entferne“ (Lanz III, 622f).

Karl V. wollte offenbar mit einer Neuordnung der deutschen Verhältnisse im Sinne des Landeskirchentums nichts zu tun haben. Er erkannte klar, daß eine reichsrechtliche Anerkennung dieses Kirchentums die Wiedervereinigung der Getrennten, die Heilung der religiösen Spaltung unmöglich machen werde. Den Weg zu einer endlosen Spaltung des Reichs zu öffnen, hielt er mit seinem Gewissen nicht für vereinbar. Als daher Ferdinand im September 1555 abermals um seine Entscheidung bat, wiederholte der Kaiser, daß er um des Gewissens willen Scheu trage, sich in die Religions-Angelegenheit zu verwickeln. Ferdinand fügte sich in das Unvermeidliche: durch seine Notlage gezwungen, schloss er den sogenannten Augsburger Religionsfrieden ab. Karl V. verhehlte sich nicht, daß dieser sogen. Friede (in Wahrheit der Brunnquell alles späteren Unheils für Deutschland) ihn auf immer dem Ziel entrückte, dem er für das heilige römische Reich deutscher Nation mit so vielen Opfern und Mühen nachgestrebt. Der Gedanke der Abdankung, mit welchem er sich schon längere Zeit getragen, gedieh jetzt zum Entschluss. Noch im Herbst des Jahres 1555 übergab er die Regierung der Niederlande seinem Sohn Philipp, die stände des römisch-deutschen Reichs wies er an seinen Bruder Ferdinand. Dann trat er die letzte Reise seines Lebens an.

Kaiser Karl V. nach seiner Abdankung begibt sich in das Kloster Yuste. Dort wird er von der Geistlichkeit erwartet

Karl V. im Kloster San Yuste in Estremadura

Er begab sich nach dem Hieronymiten-Kloster San Yuste in Estremadura. Es ist unrichtig, daß er hier in klösterlicher Abgeschiedenheit, ohne Teilnahme an den Interessen der Welt gelebt habe: er unterhielt im gegenteil einen lebhaften Briefwechsel über alle wichtigen Fragen der Politik (vgl. das treffliche Werk von Gachard, Retraite et mort de Charles-Quint au monastère de Yuste, 2 vols., Bruxelles 1854 s.). Daneben lebte er freilich vorzugsweise religiösen Übungen: Messe und Predigt besuchte er mit ebenso großer Andacht wie Regelmäßigkeit. Zuweilen machte er sich auch Vorwürfe, daß er gegen Luther anfangs nicht strenger verfahren. Im Herbst des Jahres 1558 ergriff ihn eine tödliche Krankheit; nachdem er zweimal mit großer Andacht den Leib des Herrn empfangen, verschied er am 21. September 1558 mit den Worten: „Du bleibst in mir, auf daß ich in dir bleibe.“ –
aus: Wetzer und Welte`s Kirchenlexikon, Bd. 7, 1891, Sp. 171 – Sp. 179

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