Teufelskult in den Sekten
Wir können uns nicht in eine Untersuchung darüber einlassen, wie es kam, daß sich dieser Glaube an einen bösen Geist zum Dualismus ausgebildet hat, mit andern Worten, wie sich die Menschen so weit verirrten, daß sie das Böse, wenn nicht als gleich berechtigt und gleich ewig, so doch mindestens als gleich mächtig neben dem Guten dachten und zuletzt zwei persönliche Vertreter dieser zwei feindlichen Mächte, einen guten und einen bösen Geist, einander gegenüber stellten. Genug, daß es so kam.
Die dualistischen Sekten
Mehr oder minder dürfen wir die alten heidnischen Religionen alle nennen, wenn vom Dualismus die Rede ist. Selbst die griechische Mythologie hat starke Anklänge an ihn. Denn im Grund ist Jupiter samt seinem Gefolge von neidischen Göttern nichts als der zum Sieg gelangte böse Gott, nur daß er sich mit den Eigenschaften des überwundenen Lichtgottes geschmückt hat. Die griechische Philosophie aber vollends, zumal die Platonische, verteidigt den Dualismus in der unumwundesten Weise. Am meisten hat unter den europäischen Religionen die slawische den Glauben an einen bösen Gott ausgebildet. Aber auch die germanische Mythologie steht ihr nicht viel nach, wie uns denn das Spukhafte und Gespenstische aus der deutschen Sage oft in höchst unheimlicher Weise entgegen tritt. Noch viel mehr gilt das von den asiatischen Religionen. Unter diesen gehen die babylonische und die persische am weitesten in der Vergötterung des Bösen. (Die bis zur Stunde bestehende Sekte der Yesidis oder Jesd, welche buchstäblich Teufelsverehrung übt, ist wohl ein Überrest des alten babylonisch-persischen Volksglaubens. (siehe: Wetzer und Weltes Kirchenlexikon XI, 1214f.)
Ohne allen Zweifel stammen aus dieser Quelle die dualistischen Sekten, die sich von den frühesten Zeiten her an das Christentum anklammerten, obschon sie von ihm nichts besaßen als einige arg missbrauchte Namen. Mit der größten Folgerichtigkeit hat unter ihnen allen der Manichäismus diese unheimliche Anschauungsweise ausgebildet. Er geht von demSatz aus, daß sich zwei göttliche Wesen, oder vielmehr zwei Mächte oder zwei Naturen von Ewigkeit her gleich mächtig und gleich tätig gegenüber stünden, Licht und Finsternis, das höchste Gut und das höchste Böse. Von ihm empfangen jene späteren Sekten, welche unter dem Namen der Priscillianisten, der Paulizianer, der Bogumilen und der Katharer oder Albigenser bekannt sind, den gleichen Irrtum und sorgten ihrerseits dafür, daß der ausschweifendste Glaube an die Macht des Bösen neue Nahrung fand, ein Glaube, der ohnehin durch die Erinnerung an die alten, tief ins Volk gedrungenen heidnischen Sagen noch immer vielfach fortlebte. Schon die bisher besprochenen Sekten mussten sich vielfach nachsagen lassen, daß ihr Teufelsglaube, wie das auch ganz nahe liegt, im wirklichen Leben zu den abscheulichsten Grundsätzen und zu nicht minder verwerflichen Taten geführt habe. Es gibt aber noch mehrere, von denen das so beharrlich und so bestimmt versichert wird, daß man schwer alles für rein aus der Luft gegriffene Erdichtung halten kann. Unsere Zeit, welche – wir haben das schon öfter gefunden – eine besondere Neigung besitzt, alle Ungeheuer der Geschichte heilig zu sprechen, nimmt sich natürlich auch dieser Sekten nach Kräften an. Es liegen aber zu viele und zu unumstößliche Zeugnisse vor, als daß sich diese so leicht beseitigen ließen.
Die Schlangenanbeter
Schon Celsus, gewiß ein unparteiischer Zeuge, weiß von angeblichen Christen, die den Weltschöpfer einen verfluchten Gott nennen (Orig., Contra Cels. 6, 28 u. 29), wie er sagt. Das müssten allerdings seltsame Christen gewesen sein. Es waren in Wirklichkeit die Schlangenanbeter, die sogenannten Ophiten oder Naassener, die sich vom Christentum so weit entfernt hatten, daß sie keinen in ihren Kreis aufnahmen, der nicht Christus abgeschworen hatte. (ebd. 6, 28) Sie gaben sich selber ihren Namen zu Ehren der Schlange, die sich, wie sie lehrten dadurch als den größten Wohltäter der Menschheit bewiesen habe, daß sie dieser die wahre Weisheit und Erkenntnis vermittelte. (Ebd., Tertull., Praescript. 47) Gott, lästerten sie, Gott, der aus Missgunst dem Menschen den Fortschritt des Geistes vorenthalten wollte, habe sich dadurch des Rechtes auf Verehrung verlustig gemacht. Die Schlange aber verdiene als die Urheberin aller Erleuchtung und Bildung wahrhaft göttliche Huldigung.
Marcion über den Gott des Alten Testamentes
Noch weiter geht Marcion. Der Gott des Alten Testamentes, lehrt er mit Worten, die er den modernen Religionsforschern und Antisemiten entlehnt haben könnte, Jehovah sei der Urheber aller Übel, ein blutgieriger, nach dem Untergang der Menschen lechzender Gott, Anstifter der wildesten Religionskriege, der Menschenopfer, der Massenschlächtereien. Viel mehr und Besseres verdankten wir der Schlange. Indes uns Gott in Blindheit zurück halten wollte, habe sie uns den Schatz der wahren Erkenntnis geöffnet. Darum habe sie alles Anrecht auf unsere Verehrung, und nicht bloß sie, sondern alle, die je mit ihr gehalten. Kain, die Sodomiten und alle ähnlichen großen Verbrecher. Abel, Noe, Henoch und die Patriarchen dagegen, die sich dieser Erkenntnis verschlossen, seien als die eigentlichen Verworfenen zu betrachten.
Hier ist buchstäblich die Rolle von gut und bös umgewechselt, gerade wie es Dante von der Hölle schildert, die Liebe zu Gott hat sich in Hass gewandelt, der Abscheu gegen das Böse in Bewunderung und Verehrung.
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Die Kainiten
Wo möglich noch gottloser und gotteslästerlicher äußerten sich die Kainiten. Man meint Byron, Daumer, Dührung und andere Vorkämpfer des modernen Antisemitismus in ihnen zu hören. Abel und die übrigen Gerechten, von denen die heilige Schrift spreche, seien beschränkte Köpfe, Schwächlinge gewesen, mit denen sie nichts gemein haben wollten. Kain, Esau, die Rotte Korach, Judas, das seien die wahrhaft starken Geister und diese allein hätten die Ehre der Welt gerettet. Mit diesen wollten auch sie es halten, und deshalb rühmten sie sich mit Stolz der Zusammengehörigkeit und Blutsverwandtschaft mit Kain, mit Esau, mit den Sodomiten, mit Judas. Der Gott, von dem das Alte Testament berichtet, sei ein engherziger Zuchtmeister und habe das Gesetz – namentlich die zehn Gebote – nur deshalb gegeben, um den wahren Fortschritt der Menschheit zu Freiheit und Selbständigkeit zu verhindern. Er sei aber zu schwach, um seinem Gesetz Schutz und Achtung zu verschaffen und sich an denen zu rächen, die sich darüber hinweg setzen. Allerdings habe er Esau, die Sodomiten und Kain verfolgt. Aber sie hätten davon wenig Schaden genommen: die Bildung und Weisheit, welche sie besaßen, habe hingereicht, um sie gegen seinen ohnmächtigen Zorn zu schützen. Denn das müsse man anerkennen, daß Geist und Fortschritt immer auf Seiten derer gewesen sei, die dich vom Joch dieses Gottes losmachen. Nur das höhere Wissen sei es gewesen, was die Sodomiten oder die Korachiten bewogen habe, die Fesseln der Knechtschaft zu sprengen und Spaltung und Aufruhr zu erregen. Nur aus tieferer Erkenntnis habe Judas, der einzige unter den Aposteln, der wahrhaft gebildet gewesen sei, Christum ans Kreuz geliefert. In ihm sei etwas wahrhaft Göttliches unverkennbar, seine Tat sei eine Befreiungstat, eine wahre Wohltat für die Menschheit. Wenn einer göttliche Verehrung verdiene, so sei es Judas.
Die Gräuel der Sekten sind nicht unglaublich
Bei solchen Anschauungen liegt es sehr nahe, ja ist es selbstverständlich, daß auch Taten folgen, welche die Verwandtschaft mit den Sodomiten und mit der Rotte Korach handgreiflich beweisen sollen. Es ist darum nicht abzusehen, was an jenen Erzählungen über die Gräuel, welche diese Sekten verübten, unglaublich sein soll. Durch Jahrhunderte hindurch erhielt sich bei den Heiden die Überzeugung, daß sie wirklich geschahen, und deshalb marterten sie Tausende von Christen zu Tod, da sie das, was jene verbrachen, diesen zur Last legten. Die Unschuldigen halten gut leugnen: es waren eben die Beweise zu viel und zu dringlich, daß derlei wirklich geschehe, als daß eine Leugnung genützt hätte. Denn da jene Sekten sich beharrlich für christlich, ja, gerade wie heute, für die eigentlichen, die guten Christen ausgaben, obwohl sie nicht das mindeste Christliche an sich hatten, so fiel natürlich die ganze Schmach ihres Treibens auf die christliche Religion selber zurück. Das war gewiß auch der Hauptgrund, warum sie den christlichen Namen durchaus nicht fahren lassen wollten, da hierdurch der Hass von ihnen auf das Christentum abgelenkt wurde, sie also unter dessen Deckmantel desto sicherer ihrer Verruchtheit frönen konnten.
… und pflanzen sich im Dunkeln weiter fort
Wie aber die Teufelslehren der Gnostiker und Manichäer sich in die mittlere und jüngere Zeit herab fort erhielten, so pflanzte sich auch das teuflische Treiben der genannten Sekten im Dunkel beständig fort. Nicht bloß die Kirche, sondern auch die weltliche Macht schritt beständig gegen sie ein, da sich der Ruf beharrliche erhielt, daß sie den abscheulichsten Lastern huldigten. Das bewirkte aber nur, daß aus jenen Genossenschaften, die schon zu Tertullians Zeiten, wohl im Anschluss an die heimlichen Kulte und Mysterien des Altertums, das Geheimtun zur Kunst und Wissenschaft erhoben hatten (Tertull., Adv. Valentin. 1), daß, sagen wir, aus den Sekten Geheimbünde im eigentlichenSinn des Wortes wurden. –
aus: Albert M. Weiß, Apologetik, Bd. II Humanität und Humanismus, 1908, S. 570 – S. 576