Lexikon für Theologie und Kirche
Stichwort: Ophiten
Ophiten (Ophianer, Serpentini, Schlangenbrüder), eine gnostische Sekte, die von der Schlange ihren Namen erhielt. Die Schlange spielte nämlich eine Hauptrolle in ihrem System, insofern sie den Fall des Menschen veranlasst hat, der aber für sie der Übergang zur Gnosis ist.
Ophiten-Diagramm (Rekonstruktion)
Die Sekte bestand jedenfalls schon um die Mitte des 2. Jahrhunderts, da bereits Irenäus sie kennt (Adv. Haer. 1, 30) und Celsius ihr Diagramma zu seinen Angriffen gegen das Christentum benutzte (Orig. C. Cels. 6, c. 25. 29). Nach Origenes rühmten sie sich, einen gewissen Euphrates zu ihrem Urheber zu haben (1. c. c. 28), der nach Moragenes durch Apollonius von Tyana in der Magie unterrichtet sein sollte (1. c. c. 41) und zuerst in Syrien, dann in Rom lehrte, wo er bei den Kaisern Trajan und Hadrian in nicht geringer Gunst stand.
Dieser Euphrates ist aber wahrscheinlich kein anderer als der in den Philosophumenen des Origenes genannte Stifter der Peraten (4, 2.; 5, 13; 10, 10), die nur eine von den vielen Schulen bildeten, in welche die ophitische Gnosis zerfiel. Ob auf Euphrates das ganze ophitische System zurück zu führen ist, bleibt zweifelhaft.
Nach ophitischer Lehre war von Ewigkeit nichts als der Bythos und die Materie, die sich in Wasser, Finsternis, Abgrund und Chaos gliedert. Jener war das Urlicht und zugleich der Urmensch, dessen erste Emanation die Emoia war, die als zweiter Mensch gedacht wird. Der dritte Aeon war weiblichen Geschlechtes. Man nannte ihn das erste Weib, die Mutter alles Lebens, die Weisheit Gottes, den heiligen Geist. Aus der Verbindung dieses dritten Prinzips mit den beiden ersten sei ein viertes entsprungen, dass Christus heißt. Aus diesen vier Potenzen bestand das Pleroma. Indes war aus jener Verbindung noch ein anderer unvollkommenerer Aeon entstanden, der den Namen Prunicus oder Sophia führt.
Nun nahmen der erste und der zweite Mensch die Mutter oder den heiligen Geist, der bisher über den Elementen geschwebt hatte, zugleich mit Christus in ihre Wohnung oder den Bythos. Diese ophitische Viereinigkeit bildet die wahre heilige Kirche. Die (niedere) Sophia aber, welche von ihren Vätern einen Teil des Lichtes und von ihrer Mutter eine wollüstige Neigung (daher der Name Prunicus) zur Materie hatte, stürzte sich in das ihr nächste Element, das Wasser, und drang bis zum dritten, dem Abgrund, vor.
Die Materie, welche den in der Sophia vorhandenen Lichtteil verspürte, drang mächtig auf sie ein und verhinderte sie, zur Lichtwelt, aus welcher sie gefallen war, zurückzukehren. Sie bewohnte nun den von ihr hervorgebrachten Lufthimmel, welcher zwischen Gott und der Materie als Scheidewand diente.
In diesem Zustand zeugte sie den Jaldabaoth, der seinerseits sieben andere Engel hervor brachte und somit an der Spitze einer Ogdoas steht. Diese Engel bewohnten die großen Körper, welche wir Planeten nennen. Jaldabaoth wollte über die anderen Planetenfürsten eine Oberherrschaft ausüben, was sich diese jedoch nicht gefallen ließen. Hierüber erbittert, blickte er leidenschaftlich in die Hefe der Materie hinab und erzeugte aus ihr einen sehr unvollkommenen Geist, welcher die Gestalt einer Schlange hatte. Triumphierend über all diese Werke, beanspruchte er wieder von den Planetenfürsten göttliche Verehrung. „Ich bin der Vater und Gott“, rief er, „und über mich ist keiner.“
Die Sophia Prunicus überführte ihn der Lüge, indem sie ihn auf das oberste Prinzip, den Urmenschen oder Menschensohn, hinwies. Bestürzt von diesem Wort, rief Jaldabaoth: „Kommt, lasst uns den Menschen machen nach unserem Bilde.“ So wurde die Schöpfung des Menschen durch eine auf den Demiurgen Jaldabaoth geschehene Einwirkung des Urmenschen (des höchsten Prinzips) veranlasst, und es ist klar, dass das Menschengeschlecht an beiden Prinzipien, an Geist und Materie, teilhaben musste. Der nun erschaffene Mensch, Anfangs seelenlos, empfing unter Einwirkung der Sophia von Jaldabaoth das geistige Vermögen, den Rus und die Enthymesis; er erhob sich sogleich zum Urmenschen mit Verachtung seiner Schöpfer. Das war der Anfang des Abfalles von Jaldabaoth.
Indes suchte dieser den Adam durch die Hervorbringung des Weibes vom Höheren abzulenken, ein Plan, den die Sophia hintertrieb. Sie ließ die Schlange ins Paradies eindringen und durch dieselbe die beiden Menschen verleiten, das Gesetz des Jaldabaoth zu übertreten; gerade dieser Ungehorsam führte sie zur Erkenntnis des höchsten Gottes. Darüber erzürnt, jagte Jaldabaoth der Weltbeherrscher, sie aus dem Paradies.
Seither blieben sie und ihre Nachkommen dem Druck desselben sowie den verderblichen Einflüssen des schlangenartigen Satans und seiner Engel ausgesetzt. Doch zu ihrem Heil wirkte Sophia; sie wusste sogar Jaldabaoths Anschläge ihrem Zweck dienstbar zu machen. Sie hinderte die falschen Propheten, sein Lob zu verkünden, wie ihnen befohlen war, und nötigte sie, höhere Wahrheiten von dem höchsten Gott und dem zukünftigen Messias zu verkünden.
Zuletzt wandte sie sich an das Urweib (d. i. den heiligen Geist) und verlangte vom Urmenschen die Sendung Christi. Ihre Bitte ward erhört. Sofort kündigte sie die Ankunft des Messias durch Johannes an, verordnete die Bußtaufe und bereitete Jesum zu, damit der Aeon Christus bei seiner Ankunft ein reines Gefäß finde. Dieser stieg durch alle Himmel herab und verband sich mit Jesus im Augenblick der Taufe. Jesus Christus wirkte Wunder, verkündete den unbekannten Vater und bekannte sich offen als Sohn des Urmenschen.
Deshalb reizte Jaldaboath die Juden zum Angriff auf den menschlichen Jesus, und dieser starb am Kreuz. Aber Christus und die mit ihm vereinigte Sophia begaben sich in den Sitz der Gottheit zurück, erweckten durch einen Geist aus der Oberwelt den toten Jesus und zogen ihn in einem feinen ätherischenLeibe nach sich. Seither dürfen alle Seelen, die der Herrschaft des Demiurgen entwachsen sind, in die himmlische Heimat des Pleroma zurückkehren, und sobald alles Pneumatische im Reich des Jaldabaoths angezogen und alles Licht im Pleroma gesammelt ist, ist die Erlösung vollendet und das Ende der Welt vorhanden. Die bloß psychischen Naturen dagegen werden mit Jaldabaoth ihren Aufenthalt in der Gehenna oder dem Tartarus erhalten. –
Die Ophiten gebrauchten, wie Origenes (C. Cels. 6, 31) sagt, allerhand Kunstgriffe und Trugmittel, um die Leute für ihre Lehre zu gewinnen, so u. a. sieben schwülstige Gebetsformeln, welche den pneumatischen Seelen, die sich durch die sieben Reiche der Sterngeister ins Pleroma erhöhen, bei ihrem Eintritt in jedes dieser Reiche in den Mund gelegt wurden (Orig. 1. c.); ebenso ein merkwürdiges Diagramma, d. i. eine mit seltsamen Namen beschriebene und mit symbolischen Tierbildern bemalte Zeichnung von verschlungenen Kreisen die als eine Art bildlicher Darstellung oder symbolischen Abrisses der ophitischen Glaubenslehren anzusehen ist.
Nach Anleitung dieses Diagrammes muss man (…) bei den Ophiten einen guten und einen bösen Geist Ophis unterscheiden, nur dass ersterer nicht als ein besonderes Wesen gedacht, sondern mit der Natur der Sophia, der Mutter des pneumatischen Samens, identisch ist.
Wohl nur den Ophiten, welche einen guten Geist Ophis verehrten, ist der eigentümliche Schlangenkult zuzuschreiben, über den verschiedene Quellen berichten. Sie unterhielten in einem Kasten oder in einer Höhle eine lebendige Schlange, ließen das auf den Tisch gestellte Abendmahlsbrot von ihr belecken, worauf dasselbe gebrochen und ausgeteilt wurde und jeder der anwesenden die Schlange küsste. Das nannten sie ihr vollkommenes Opfer , das mit einem Loblied zur Ehre des höchsten Gottes, den die Schlange im Paradies den Menschen bekannt gemacht, seinen Abschluss fand.
So berichten Epiphanius (Haer. 37, 5), Theodoret (Haeret. Fab. 1, 14), Augusinus (De haer. c. 17). Auch Origenes sagt, die Ophiten hätten die Schlange verehrt, weil sie den ersten Menschen guten Rat erteilt, und fügt hinzu, dass keiner in ihre Gemeinschaft aufgenommen werde, der nicht zuvor Verfluchungen wider Jesus ausgesprochen habe (C. Cels. 6, 28). Letztere Mitteilung passt nicht zu der Lehre des Diagramms, sondern muss aus anderweitigen Nachrichten geschöpft sein.
Denn nach dem Diagramm verehrten die Ophiten Jesum, weil er sie von der Gewalt der weltschöpferischen Mächte befreite und die Erlösten durch die Gnosis dem oberen Lichtreich zuführte. Die ophitische Partei, welche Jesum verfluchte, kann demnach nicht diejenige gewesen sein, aus deren Mitte das Diagramm hervorging.
Nach Lipsius bezieht sich diese Nachricht am wahrscheinlichsten auf einen Teil der Kainiten. Nach ihnen sei „Christus“ von Judas verraten worden, weil er böse war (Epiph. Haeres. 38, 3). „Christus“ scheine ungenauer Ausdruck für Jesus zu sein; unter diesem aber verstehe jener Zweig der Kainiten sicher den demiurgischen Messias. Die Ophiten zerfielen in mehrer Sekten: die Kainiten; die Naassener welche in der Schlange der Genesis das Leben erzeugende Prinzip in der unteren Welt erblickten; die Peraten, welche meinten, allein durch die dem Untergang geweihte Welt durchschreiten zu können, ohne selbst mit unterzugehen (Philos. 5, 12 sq.); die Sethianer, welche Seth als den Urheber des pneumatischen Geschlechtes betrachteten und denselben in Christus abermals erscheinen ließen. –
Die Ophiten bestanden trotz der wilden Zügellosigkeit, die wenigstens bei einem Teil derselben in den unnatürlichsten Ausschweifungen zu Tage trat, Jahrhunderte lang; noch im Jahre 530 musste Justinian strenge Edikte gegen sie erlassen. –
aus: Wetzer und Welte`s Kirchenlexikon, Bd. 9, 1895, Sp. 926 – Sp. 930
Siehe auch den Beitrag auf katholischglauben.online:
in dem die Ophiten erwähnt werden.
Bildquellen
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