Lexikon für Theologie und Kirche
Stichwort: Humanität
Humanität (humanitas) bezeichnet
1) als Allgemeinbegriff das Wesen des Menschen, das ihn der Art nach von jedem andern Seienden unterscheidet. In diesem Sinn entwickelte den Begriff die scholastische Christologie für die humana natura des Gottmenschen: (… Thomas, Quodlib. 9, q. 2, a.2) Bereits die mittelhochdeutsche Literatur, mehr aber noch die des 18. Jahrhunderts verwendet dafür das Wort“Menschheit“, das im besonderen Gegensatz zur Tierheit steht. –
2) Gewöhnlich freilich nimmt die Aufklärung „Menschheit“ und manchmal auch Humanität als Kollektivbegriff für die Gesamtheit, der eben oder je lebenden Menschen. –
3) Als Wertbegriff bezeichnen Humanität wie Menschheit das ganze, reine, tiefe, schöne entfaltete Menschentum, „der Menschheit Würde“ und Ideal (Kant, Schiller). Humanität, die ebenso feinen Geschmack (ästhetische Humanität) wie edle Sitte (moralische Humanität) umfassen sollte, galt bereits im Altertum als das wesentliche Ziel echter Menschenbildung. Der Humanismus übernahm dieses Bildungsideal, überzeugt, volle Humanität sei nur bei den Alten, in ihren Sprachen, ihrem Schrifttum, ihrer Kunst, ihrer Lebensform zu finden. Erwartete der Humanismus der Renaissance die humane Bildungswirkung mehr äußerlich von der Aneignung einer klassischen Latinität, so erblickte der Heuhumanismus des 18. Jahrhunderts das Wesen der Humanität in der antiken, vornehmlich in der griechischen Geistigkeit, deren Wiederbelebung die Altertums-Wissenschaft versuchte. Die Beschäftigung mit den Sprachen sollte daneben die formale, funktionelle Bildung des werdenden Geistes sichern. Bahnbrecher dieser klassischen deutschen Bildunsgidee wurdenPhilologen (Gesner, Ernesti, Heyne, Fr. A. Wolf, Thiersch u.a.), mehr noch die geistigen Führer der Zeit: Winckelmann, Lessing, besonders Herder (Briefe zur Beförderung der Humanität, 1793), Schiller (Briefe über die ästhetische Erziehung, 1793), Goethe, W. v. Humboldt (Klassizismus). Sie weiteten das Bildungsideal der Humanität zu einem Ziel allgemein menschlicher Entwicklung aus, dem die Geschichte der Menschheit in ständigem Fortschritt und allmählicher Humanisierung aller Verhältnisse zustreben soll. Geschichte ist ihnen „Verwirklichung der durch die Menschheit darzustellende Idee“ (W. v. Humboldt). –
4) Der sittliche Begriff der Humanität als „Menschlichkeit“ und „Menschenfreundlichkeit“ wurde formelhaft zur Bezeichnung von Herrscher-Tugenden bereits im Hellenismus verwendet und im ethischen System der Stoa ausgebaut. Das Christentum konnte mit seiner Forderung der Bruderliebe an bestehende Strömungen anschließen, wie ja auch der Begriff der humanitas Eingang in die späten Schriften des Alten Testamentes und in das Neue Testament (vgl. Tit. 3, 4) gefunden hat. In Gegensatz zum christlichen Sittlichkeitsideal tritt die Humanität erst in der englischen Aufklärungs-Philosophie besonders durch Shaftesbury, Hutcheson u.a., von wo aus sie bald die ganze säkularisierte Moral des Abendlandes beherrscht, weiter geführt durch den Positivismus eines A. Comte u. a. wie durch den Neuidealismus der Schulen, die auf Kant zurückweisen. An die Stelle eines absoluten, erst in Gott und im Jenseits sich verwirklichenden Lebenszweckes tritt das innerweltliche Ziel menschlicher Wohlfahrt und Kultur, welches Gemeinschaftsgefühl, Teilnahme und Wohlwollen gegen alles, „was Menschenantlitz trägt“, zur Voraussetzung hat. So wird die Humanität oder allgemeine Menschenliebe ein Ersatz für Christentum und Religion überhaupt, besonders in der Gedankenwelt der Freimaurer und des bürgerlichen Freidenkertums. Als humanitäre Wohlfahrtspflege will sie dann auch die christliche Caritas überflüssig machen. – Gegen diesen „Humanitarismus“ muss betont werden, daß echte Humanität in jedem Sinn nur innerhalb der christlichen Religion gesichert ist. Nicht losgelöst vom Gottesreich und unter Leugnung der niederen und ungeordneten Neigungen im Menschen lassen Menschheit, Menschentum und Menschenliebe sich zur Vollendung führen, sondern nur in demütiger Anerkennung der Gefährdung durch dieSünde und im Anruf des Höheren im Menschen, das in Gott sein Ziel und die Hilfe zu diesem Ziel sucht. Gottesliebe, die sich in rechter Selbst- und Nächstenliebe auswirkt, ist der Weg zur idealen Humanität. –
aus: Michael Buchberger, Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. V, 1933, Sp. 192 – Sp. 193