Freidenker und Philosophen der Aufklärung

Die Freidenker und Philosophen der Aufklärung

Die Sekten

Die Reformatoren des 16. Jahrhunderts hatten den Grundsatz von der freien Bibelforschung aufgestellt und damit den Grund zum Verfall ihrer eigenen Schöpfung gelegt. Bald erkannten sie das Übel, und nun suchten sie der unaufhaltsam fortschreitenden Auflösung einen Damm entgegen zu setzen, indem sie sogenannte symbolische Schriften oder Glaubens-Bekenntnisse verfassten, welche alle ihre Anhänger unter dem Druck eiserner Staatsgewalt verpflichten sollten. Demgemäß übten die Fürsten in vielen Ländern eine unglaubliche Glaubens-Tyrannei und hielten eine Zeitlang die äußere Einheit aufrecht. Bald fühlte man aber schmerzlich das Unnatürliche und Widersprechende dieses Druckes; man wendete vielfach den Blick wieder nach der katholischen Kirche, und im 17. Jahrhundert wurden von einigen hervorragenden Männern Einigungs-Versuche gemacht, die sich aber alle zerschlugen an dem scheinbar harten Opfer, sich der kirchlichen Gewalt unterwerfen zu müssen. Da die verschiedenen protestantischen Landeskirchen vielen Einsichtsvolleren und Frömmeren nicht gefielen und bei andern die Sucht, das Bestehende umzumodeln, neue Versuche hervorrief, so bildeten sich Sekten über Sekten, von denen es besonders in Deutschland, England und Nordamerika wimmelte. Alle stützten sich, wie es sich von selbst versteht, auf die Bibel, und die Streitigkeiten über deren Sinn waren endlos.

Sozinus

Schon in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts hatte in Polen Sozinus eine Sekte gestiftet, welche selbst die Lehre von der Gottheit Christi und von der allerheiligsten Dreifaltigkeit verwarf.

Quäker

Um die Mitte des 17. Jahrhunderts gründete auch der Schuster Georg Fox in England eine Sekte. Er hielt sich für einen Propheten, verwarf die Sakramente und behauptete, daß in allen Menschen, Heiden, Juden, Christen, ein inneres Licht wohne, das hinreiche, uns zur Seligkeit zu führen. Seine Anhänger verweigern den Militärdienst, den Eid vor Gericht, den Zehnten und tragen ein äußerst schwärmerisches Gepräge. Da sich die Begeisterung bei ihren Andachts-Übungen durch Zuckungen und Zittern ankündigte, so erhielten sie den Namen Quäker oder Zitterer.

Herrnhuter

In der Lausitz gründete 1722 Graf Nikolaus von Zinsendorf eine eigentümliche Sekte, von der neu gegründeten Stadt Herrnhut benannt. Er lehrte sie sogenannte Blut- und Kreuz-Theologie, indem seine ganze Religion sich fast nur auf die Lehre von der Erlösung beschränkte. Eine äußerlich wohl gegliederte Ordnung sollte die verschiedenartigen Bestandteile seiner Gemeinde verbinden. Später verdrängten der Handelsgeist den ursprünglichen religiösen Eifer. Die Bekanntschaft mit ihnen bestimmte den Johann Wesley zu Oxford zur Gründung eines Vereines frommer Männer, von ihrer angemessenen pedantischen Lebensweise Methodisten genannt. Derselbe behauptete, die Bekehrung vollziehe sich plötzlich und bewirke einen Zustand, in welchem alle unordentlichen Regungen der Sinnlichkeit getilgt seien und man sich einer völligen Sündenlosigkeit erfreue.

Jumpers

Aus ihnen ging 1760 die Sekte der Jumpers (Springer) hervor, welche durch krampfhaftes Aufspringen und Tanzen ihre innere Erleuchtung kund gaben. Schwedenborg, der 1743 die Kirche des neuen Jerusalems stiftete, glaubte göttliche Eingebungen und Erscheinungen zu haben, stand vorgeblich mit den Geistern und den Seelen der Verstorbenen, die ihn in allen irdischen und himmlischen Dingen unterrichteten, in engem Verkehr und rühmte sich, mehrmals in der Hölle gewesen zu sein. Nach ihm gibt es nur eine Person in der Gottheit, die Engel und die Teufel sind menschlichen Ursprungs, Christus hat uns nur den Sinn der Bibel geoffenbart, ohne für unsere Sünden genug zu tun, Taufe und Abendmahl sind bloße Gebräuche.

Außerdem entstanden noch zahllose andere Sekten. Allein dieses wirre Treiben, dieses gegenseitige Bekämpfen, das Zwiespalt und bitteren Hass nährte, diese häufigen Religionswechsel, welche nicht selten von den Regierungen befohlen wurden, benahmen dem Christentum in den Augen vieler den Charakter der Göttlichkeit. Dabei wurde die katholische Kirche so sehr verschrien und verunglimpft, so dreist als eine Synagoge des Teufels und ein Reich des Antichrists hingestellt, daß man die christliche Wahrheit bei ihr nicht einmal zu suchen wagte und sich mit Prüfung ihrer Lehre gar nicht befasste. –

Die Vernunftreligion

Da man also das Christentum nur nach dem jämmerlichen Zerrbild, welches die Sekten darboten, kannte und beurteilte, so machte man dasselbe für allen Unsinn, welchen die Sektiererei je ausgeheckt, und für alles Unheil, welches sie gestiftet, verantwortlich und wandte sich mit Unwillen vom Christentum weg. In England, wo das Sektenwesen in seiner gehässigsten Gestalt auftrat, bereitete sich dieser Bruch zuerst vor. Schon im 17. Jahrhundert hatte sich dort eine Partei gebildet, welche allem christlichen Glauben förmlich entsagte und nur eine sogenannte Vernunftreligion annahm. Anfangs erkannte man noch an, daß man, um selig zu werden, an Gott glauben, ihn durch Tugend verehren, seine Sünden bereuen und eine Belohnung des Guten und Bestrafung des Bösen erwarten müsse. Es dauerte aber nicht lange, so fand man es bequemer, den Zügel der Religion ganz abzuwerfen, und indem man durch freie Forschung (woher der Name „Freidenker“) sich über verjährte, abergläubische Meinungen zu erheben wähnte, stellte man als reine Lehre der Vernunft das Unvernünftigste, welches der Menschengeist je ersonnen hat, nämlich den Atheismus und Materialismus auf. Schon im Anfang des 18. Jahrhunderts erklärte ein Hauptvertreter dieser Richtung, es gebe keinen persönlichen Gott, keine Freiheit, keine Unsterblichkeit, keine Tugend und kein Laster.

Freimaurerbund

Die antichristliche Lehre sollte aber nicht bloß durch Schriften sich weiterhin verbreiten, sondern auch vermöge eines geheimen, zu demselben Zweck gemeinsam wirkenden Bundes im Leben sich betätigen. In dieser Absicht entstand um das Jahr 1717 zu London die erste Großloge des sogenannten Freimaurer-Bundes. Derselbe setzte sich nichts Geringeres zur Aufgabe, als an die Stelle des vom Sohn Gottes zur Beseligung der Menschen gestifteten Christentums eine Gesellschaft (in der Sprache der Eingeweihten ein Bauwerk, einen Tempel) zu begründen, die zunächst im engeren Kreis ihrer Mitglieder und nach und nach auf dem ganzen Erdboden „die allein wahre Kirche der Menschheit bilden soll“, eine Kirche, die keinerlei Offenbarungslehre, sondern lediglich die Grundsätze der Vernunft, in denen angeblich die ganze Menschheit übereinstimme, anerkennt und darum alle Menschen ohne Unterschied der Religion in sich vereinigt.

Gottlose Philosophen

In Frankreich trafen viele Umstände zusammen, welche die Aufnahme jener giftigen Saat, die ihm durch zahlreiche Schriften und durch Befreundung mit den Freimaurer-Logen zugetragen wurde, außerordentlich begünstigten. Die Jansenisten, deren Irrlehren vom Papst verworfen waren, schadeten ebenso sehr durch ihre Widersetzlichkeit gegen die kirchliche Autorität, als durch ihre übermäßige Strenge in Verwaltung der heil. Sakramente. Die gewaltigste Macht jedoch, welche den christlichen Glauben von Grund aus unterwühlte, war eine Schar gottloser Philosophen. Unterstützt durch das verderbliche Beispiel des Hofes und vieler Großen, raubten diese dem Volk erst seine Tugend und Schamhaftigkeit, entfremdeten es dem katholischen Glauben und erfüllten es dann mit dem Gift revolutionärer Lehren.

Schon unter Ludwig XIV. (1643-1715) war das Beispiel des Hofes und so vieler aus dem Adel keine Tugendschule für das Volk: der in der höheren Gesellschaft bereits herrschend gewordene frivole Ton verbreitete sich in weiteren Kreisen, während freche Schöngeister sich bestrebten, in ihren Schriften das Laster als liebenswürdige Schwäche darzustellen. Noch trauriger gestalteten sich die Dinge unter der Regentschaft des liederlichen Herzogs von Orleans (1715 bis 1723). Seine Umgebung bestand aus den verworfensten Menschen; je wüster die Orgien, je schamloser die Reden, desto angenehmer. Das Gewissen galt für ein von Kindheit anerzogenes Vorurteil, die Religion für Pfaffenbetrug, die Unsterblichkeit der Seele für ein Ammenmärchen. Nicht besser ging es während der langen Regierung des schwachen und lasterhaften Königs XV., der sich von sittenlosen Weibern (Maitressen) beherrschen ließ und an seine verruchten Günstlinge schwere Geldsummen verschwendete. Von Paris und den Schlössern der Vornehmen aus verbreiteten sich Laster und Zuchtlosigkeit bis in die untersten Schichten des Volkes. So wurde derjenigen Partei, welche es auf den Umsturz der Kirche und des Staates abgesehen hatte, der Boden vorbereitet. –

Der Philosoph Voltaire

An ihre Spitze stellte sich gegen die Mitte des 18. Jahrhunderts Voltaire, der mit glänzender Sprachgewandtheit und außerordentlicher Anlage zu Witz und Satire einen unersättlichen Ehrgeiz, heimtückische Rachsucht, kriechende Heuchelei und unflätige Lasterhaftigkeit verband. Er bildete eine förmliche Verschwörung gegen das Christentum, zog alle einzelnen Kräfte zu diesem Zweck zusammen, richtete sein Augenmerk, wie ein schlauer Feldherr, auf alle Klassen der menschlichen Gesellschaft und verpflanzte den Unglauben auch in das gemeine Volk. Seine vornehmsten Mitverschworenen waren d` Alembert, der immer zum versteckten Angriff gegen die Religion riet, Diderot, der sich offen als Gottesleugner rühmte, und Damilaville, den Voltaire als förmlichen Gotteshasser schildert. Voltaire spornte seine Anhänger unaufhörlich an, alles aufzubieten, um die „Infame“, so nannte der in gotteslästerlicher Weise die katholische Kirche, zu zermalmen. „Fünf bis sechs Männer von Verstand“, meinte er, „sollten wohl genügen, um eine Religion umzustürzen, die von zwölf dummen Menschen sei eingeschwärzt worden.“ (Vgl. W. Kreiten SJ, Voltaire. Ein Charakterbild. Freiburg 1885)

Enzyklopädisten

In der Tat zeigten auch die Verschworenen eine erstaunliche Rührigkeit. Es erschien eine wahre Flut von gottlosen Schriften, welche in blendenden Phrasen alles Heilige in den Kot zogen. Dabei gingen sie mit ausgesuchter Bosheit und Arglist zu Werke. Man schmeichelte geschickt den Vorurteilen der Menge, machte die gesamte Religion verächtlich, während man nur gegen Missbräuche zu kämpfen vorgab, predigte Schonung des Menschenlebens und warf nebenbei die Schuld von allem vergossenen Blut auf die Könige und Priester; zum Feldgeschrei wählte man die Worte: „Vernunft, Freiheit, Gleichheit, Menschlichkeit, Brüderlichkeit.“ Nicht zufrieden mit den unzähligen kleinen Schmähschriften, welche sie nach allen Seiten hin verbreiteten, machten sich die Helden der Aufklärung daran, in einem großartigen Werk ihr neues Licht in Strömen über die Welt zu ergießen.

Sie verfassten in alphabetischer Ordnung ein Diktionär alles Wissenswerten oder die sogenannte Enzyklopädie, in der es unverkennbar auf den Umsturz der Altäre und des Thrones abgesehen war. Die bestehenden Einrichtungen in Kirche und Staat wurden bald mit Spott und Hohn übergossen, bald durch bitteren Tadel gehässig gemacht, die höchsten Wahrheiten hier nur in Zweifel gezogen, dort förmlich geleugnet, die geschichtlichen Tatsachen entstellt, die gottlosen Grundsätze der sogenannten Naturreligion, des Materialismus und der Gottesleugnung bald offen, bald versteckt gepredigt.

Der unheilvolle Samen gottloser Philosophie ist ausgestreut

Der verruchte Anschlag gelang nur allzu gut. Scheu vor dem Laster, Ehrfurcht vor der Religion galt nunmehr als Zeichen von Geistesschwäche; Wüstlinge und Gottesleugner waren als starke Geister gepriesen. Schon frohlockten die Philosophen in Voraussehung ihres Triumphes. „Alles, was ich sehe“, schrieb Voltaire an einen Gesinnungs-Genossen, „streut den Samen zu einer Revolution aus, die unfehlbar erfolgen wird, deren Zeuge zu sein ich aber nicht das Vergnügen haben werde. Das Licht ist dergestalt überall ausgebreitet, daß man bei der ersten Gelegenheit losbrechen wird, und dann wird es einen schönen Lärm absetzen. Unsere jungen Leute sind sehr glücklich; denn sie werden schöne Sachen sehen.“

Welcher Anteil jenem Patriarchen der Ungläubigen an der französischen Revolution zuzuschreiben sei, das haben seine eigenen Bewunderer gestanden. Im August 1790, als Frankreich schon ein Jahr unter der Schreckens-Herrschaft geseufzt und Ströme unschuldigen Blutes geflossen waren, las man in einer Zeitschrift, dem französischen Merkur: „Die Menschheit sei dem Voltaire zu ewigem Dank verpflichtet. Er hat nicht alles gesehen, was er tat, aber er hat alles getan, was wir sehen. Die aufgeklärten Geschichtsschreiber werden darlegen, daß der erste Urheber dieser großen Revolution, welche Europa in Staunen versetzt und nach allen Seiten hin bei den Völkern frohe Hoffnung, an den Höfen aber bange Furcht erweckt, ohne Widerspruch Voltaire ist. Er als der erste hat die vorzüglichste und schreckbarste Stütze der Tyrannei, die religiöse und priesterliche Gewalt, vernichtet. Hätte er das Joch der Priester nicht zerbrochen, nie hätte man jenes der Tyrannen abgeschüttelt.“

Um jedoch gerecht zu sein, muss man anerkennen, daß am Ruin der Religion einen bedeutenden Teil der Mitschuld auch Rousseau hat, dessen Schriften, in anziehender, sentimentaler Sprache verfasst, das Gift des Unglaubens unter gleisnerischer Form verhüllen und deshalb um so verfänglicher sind.

Die Gutgesinnten erkannten die Gefahr

Aber auch die Gutgesinnten erkannten die Gefahr, erzitterten ob deren Größe und säumten nicht, die Gläubigen von ihrer Schlaftrunkenheit aufzuwecken, auf daß der Feind sie nicht ungerüstet überrasche. Lange vor dem Ausbruch der Revolution rief der Jesuit de Neuville, welcher 1774 aus Gram über die Aufhebung seines Ordens starb, in feierlicher Predigt, nachdem er die Gottlosigkeit jener Philosophie geschildert:

„O heilige Religion! O Thron unserer Könige! O Frankreich! O mein Volk! Nicht nur als Christ, schon als Bürger müsste ich seufzen und nicht aufhören zu weinen über die Schmach, die man euch antut, und über das traurige Schicksal, welches man euch bereitet. Sie mögen fortfahren, diese schrecklichen Lehren, sich auszubreiten und zu befestigen: ihr verzehrendes Gift wird nicht säumen, die tiefste Grundlage des Staates zu vernichten. Es muss fortan in dem so blühenden Reich alles sinken, nieder stürzen und zermalmt werden. Zu solcher Zerstörung braucht Gott nicht seine Donner und Blitze in Bewegung zu setzen; der Himmel kann es der Erde überlassen, ihn zu rächen und sie zu strafen. Fortgerissen vom Schwindelgeist und Wahnsinn der Nation, wird der Staat fallen und in einen Abgrund des Verderbens stürzen.“

Im Jahre 1775 erhob der als apostolischer Prediger bekannte Exjesuit Beauregard sogar in der Notre-Dame-Kirche zu Paris mit furchtbarem Ernst und in feierlich prophetischem Ton seine Stimme:

„Ja, der König und die Religion sind es, worauf die Philosophie es abgesehen haben; Beil und Hammer sind in ihren Händen. Sie harren nur des günstigen Augenblicks, um Thron und Altar zu zertrümmern. Ja, o Herr, deine Tempel werden beraubt und zerstört, deine Feste abgeschafft, dein Name gelästert, dein Dienst geächtet werden. Was höre ich, großer Gott! Was sehe ich? Statt der heiligen Gesänge, von denen diese ehrwürdigen Hallen zu deinem Lobe erschallten, ertönen schlüpfrige Schandlieder! Und du, schändliche Göttin des Heidentums, schamlose Venus, du kommst hierher, verwegen den Platz des lebendigen Gottes einzunehmen, dich auf den Thron des Allerheiligsten niederzulassen und den ruchlosen Weihrauch deiner neuen Anbeter zu empfangen!“

Nutzlos verhallten aber diese Stimmen, und mit furchtbarer Schnelligkeit ging es auf der abschüssigen Bahn des Verderbens vorwärts. –
aus: Joseph Deharbes größere Katechismuserklärung, Bd. Religionsgeschichte, S. 383 – S. 388

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