Beherzigung
Wehe wer nur den Namen eines Christen hat
Martha brachte dreißig Jahre in ihrer oben geschilderten Wohnung zu, lebte in größter Strenge, lag dem Gebet Tag und Nacht ob, bewahrte die jungfräuliche Reinigkeit unverletzt, übte sich beständig in guten Werken und verharrte in der Geduld in Leiden. Wer so lebt, kann ganz getröstet am Ende seines Lebens sprechen: „Herr, in deine Hände empfehle ich meinen Geist!“ Wer aber weder seinen Leib noch seinen Geist oder seine Seele zum Dienst Gottes anwendet, sondern dem Leibe alles erlaubt, was ihm nur wohl tut, die Seele mit Sünden verunreinigt und sie davon zu reinigen unterläßt, wer in guten Werken träge und saumselig ist, wer die Glieder des Leibes und die Kräfte der Seele zur Beleidigung Gottes mißbraucht, wer in Krankheit und Widerwärtigkeiten keine christliche Geduld zeigt, alle Buße und Strenge verabscheut, dem Gebet wenig ergeben, oder kein besonderer Liebhaber der Reinigkeit ist: der gibt dadurch zu erkennen, daß er nur den Namen eines Christen hat, und als unbekehrt unglückselig zu sterben befürchten muss. „Zu vermessen ist derjenige“, schreibt Didacus Nissenus, „der da hofft, wie ein anderer Moses, gleichsam in den Armen des Herrn zu sterben, wenn er zuvor denselben Herrn beinahe sein ganzes Leben hindurch mit Sünden und Lasten bestritten hat.“ Wenn du einst, wie die heilige Martha, deinen Geist in die Hände des Herrn mit wahrer Hoffnung auf die ewige Seligkeit empfehlen willst, so wende jetzt deinen Geist, deine Seele und alle deine Kräfte allein zum Dienst Gottes an, wie es die heilige Martha getan hat. Dahin geht die Ermahnung des heiligen Petrus: „Darum sollen auch die, die nach dem Willen Gottes leiden, dem treuen Schöpfer ihre Seele anempfehlen durch Gutes tun.“ (1. Petr. 4,19) „Wer nicht Gutes tut, was Gott befohlen hat, der hofft vergebens, was Gott versprochen hat“, sagt der heilige Chrysostomus. –
aus: Wilhelm Auer, Kapuzinerordenspriester, Goldene Legende Leben der lieben Heiligen Gottes auf alle Tage des Jahres, 1902, S. 595