Sechste Sitzung des Konzils von Trient, gefeiert am 13. Januar 1547
Beschluss über die Rechtfertigung
I. Einleitung
Da in gegenwärtiger Zeit nicht ohne das Verderben vieler Seelen und großen Schaden für die kirchliche Einheit eine irrige Lehre über die Rechtfertigung verbreitet wird, so beabsichtigt zu Lob und Ehre des allmächtigen Gottes, zur Beruhigung der Kirche und zum Heil der Seelen, die hochheilige allgemeine und allumfassende Versammlung zu Trient, im heiligen Geist gesetzmäßig versammelt, unter Vorsitz im Namen unseres heiligsten Vaters und Herrn in Christus, des Herrn Paulus III., Papstes durch Gottes Vorsehung, der hochwürdigsten Herren, des Herrn Jo. Maria Bischof von Präneste de Monte, und Marcellus, Priester zum heiligen Kreuz in Jerusalem, Kardinäle der heiligen römischen Kirche und apostolische Abgeordnete mit Gleichberechtigung, darzulegen allen Gläubigen Christi die wahre und heilbringende Lehre über die Rechtfertigung, welche Christus Jesus, die Sonne der Gerechtigkeit (Malach. 4,2), der Urheber und Vollender unseres Glaubens (Hebr. 12,2) gelehrt hat, die Apostel überliefert haben, und die katholische Kirche unter Eingebung des heiligen Geistes immerdar fest gehalten hat; wobei sie ganz entschieden verbietet, daß fortan Jemand sich vermesse, anders zu glauben, zu predigen oder zu lehren, als durch gegenwärtigen Beschluss festgesetzt und erklärt wird.
II. Erklärung der Rechtfertigung
Kap. 1. Über das Unvermögen der Natur und des Gesetzes, die Menschen zu rechtfertigen.
Zuerst erklärt die heilige Versammlung, daß Jedermann zum richtigen und klaren Verständnis der Lehre von der Rechtfertigung einzusehen und zu bekennen habe, daß alle Menschen, indem sie durch die Übertretung Adams die Unschuld (Röm. 5,12) verloren haben, unrein geworden (1. Kor. 15,22), und wie der Apostel sagt (Ephes. 2,3), von Natur aus Kinder des Zornes, wie im Beschluss über die Ursünde dargelegt wurde (cf. Sess. V. in pr.), so sehr Knechte der Sünde (Röm. 6,20) und unter der Gewalt des Teufels und des Todes waren, daß nicht bloß die Heiden nicht durch die Kraft der Natur, sondern nicht einmal die Juden durch den Buchstaben des Gesetzes Moses daraus befreit werden, oder sich aufrichten konnten, obgleich in ihnen das freie Entscheidungs-Vermögen durchaus nicht ausgetilgt, wohl aber an Kraft verringert und gebeugt war.
Kap. 2. Von der Anordnung und dem Geheimnis der Ankunft Christi.
Darum geschah es, daß der himmlische Vater, der Vater der Erbarmungen und der Gott jeglichen Trostes (2. Kor. 1,3), seinen Sohn Christum Jesum, der sowohl vor dem Gesetz als in der Zeit des Gesetzes vielen heiligen Vätern angedeutet und verheißen wurde (Gen. 49,10 u. 18), nachdem jene glückselige Fülle der Zeit eingetreten war (Gal. 4,4), zu den Menschen sandte, auf daß er sowohl die Juden, welche unter dem Gesetz standen, erlöse, als auch, daß die Heiden (Röm. 9,30), welche nicht nach Gerechtigkeit gestrebt, Gerechtigkeit erlangen, und Alle die Aufnahme zur Kindschaft erhalten. Diesen hat Gott hingestellt als den Versöhner durch den Glauben in seinem Blut für unsere Sünden (Röm. 3,25), nicht allein aber für die unseren, sondern auch für die der ganzen Welt (1. Joh. 2,2).
Kap. 3. Wer durch Christus gerechtfertigt werde.
Obgleich Er für Alle gestorben ist (2. Kor. 5,15), so empfangen doch nicht Alle die Wohltat seines Todes, sondern nur die, welchen das Verdienst seines Leidens mitgeteilt wird; denn gleichwie die Menschen in der Tat, wenn sie nicht durch Fortpflanzung aus dem Samen Adams geboren würden, nicht als Ungerechte geboren würden, weil sie durch diese Fortpflanzung als von ihm in der Empfängnis die eigene Ungerechtigkeit auf sich ziehen: ebenso würden sie niemals gerechtfertigt, wenn sie nicht in Christus wiedergeboren werden, weil vermittels dieser Wiedergeburt durch das Verdienst seines Leidens die Gnade, durch welche sie gerecht werden, ihnen zugeteilt wird. Für diese Wohltat ermahnt uns der Apostel (Kol. 1,12f) immer dar zu danken dem Vater, der uns würdig gemacht hat für die Teilnahme an dem Los der Heiligen im Licht, und entrissen aus der Gewalt der Finsternisse, und versetzt hat in das Reich des Sohnes seiner Liebe, in welchem wir Erlösung und Vergebung der Sünden haben.
Kap. 4. Versuch zur Beschreibung der Rechtfertigung des Sünders, und ihre Weise im Stande der Gnade.
Mit folgenden Worten wir die Beschreibung der Rechtfertigung des Sünders angedeutet, daß sie sei eine Versetzung aus dem Stande, in welchem der Mensch als Sohn der ersten Adam geboren wird, in den Stand der Gnade und der Aufnahme in die Kindschaft Gottes durch den zweiten Adam Jesus Christus unseren Erlöser. Diese Versetzung aber kann nach Verkündigung des Evangeliums ohne das Bad der Wiedergeburt, oder ohne Verlangen danach, nicht geschehen, wie geschrieben steht (Joh. 3,5): „Wenn Jemand nicht wiedergeboren ist aus dem Wasser und dem heiligen Geist, so kann er nicht eingehen in das Reich Gottes.“
III. Vorbereitung auf die Rechtfertigung
Kap. 5. Über Notwendigkeit einer Vorbereitung auf die Rechtfertigung bei den Erwachsenen, und über ihren Ursprung.
Es wird ferner erklärt, daß der Anfang dieser Rechtfertigung bei den Erwachsenen von der zuvorkommenden Gnade Gottes durch Christus Jesus herzuleiten sei, das ist, von der Berufung durch ihn, durch welche sie ohne irgend ein Verdienst zu haben, berufen werden, so daß sie, welche durch Sünden von Gott abgewendet waren, durch seine anregende und hilfreiche Gnade fähig gemacht werden, sich zu ihrer eigenen Rechtfertigung zu bekehren, indem sie dieser Gnade freiwillig beistimmen und mitwirken; so daß während Gott das Herz des Menschen durch die Erleuchtung des heiligen Geistes rührt, weder der Mensch selber gar nichts tut, indem er diese Geisteseingebung aufnimmt, da er sie ja auch abweisen könnte, noch auch er sich selbst ohne die Gnade Gottes durch seinen freien Willen hinzuwenden vermöchte zu dem, was vor Ihm Gerechtigkeit ist. Daher werden wir in der heiligen Schrift an unsere Freiheit erinnert, wenn gesagt wird (Zach. 1,3): „Bekehret euch zu mir, und ich werde mich zu euch kehren“; und wenn wir entgegnen (Jer. Thren 5,21): „Bekehre du uns, o Herr, zu dir, und wir werden bekehrt werden“, so bekennen wir, daß uns Gottes Gnade zuvorkomme.
Kap. 6. Weise der Vorbereitung.
Zur Gerechtigkeit selber aber wird man vorbereitet, wenn man angeregt und unterstützt von der göttlichen Gnade den Glauben aus der Anhörung annimmt (Röm. 10,17), sich frei zu Gott hinwendet im Vertrauen, daß wahr sei, was von Gott geoffenbart und verheißen ist, und besonders, daß der Sünder von Gott gerechtfertigt werde, durch dessen Gnade vermittelst der Erlösung, welche in Christus Jesus gründet (Röm. 3,24); und wenn die, welche einsehen, daß sie Sünder sind, sich von der Furcht vor der göttlichen Gerechtigkeit, durch die sie heilsam erschüttert sind, weg wenden zur Betrachtung der Barmherzigkeit Gottes, und in der Hoffnung sich aufrichten im Vertrauen, daß Gott ihnen um Christi willen gnädig sein werde, und anfangen ihn als den Quell aller Gerechtigkeit zu lieben, und deshalb von einer Art Hass und Abscheu gegen die Sünde bewegt werden, das ist, von jener Buße (cf. Infra Sess. XIV. c. 4 de contritione), welche vor der Taufe gewirkt werden muss; endlich wenn man sich vornimmt, die Taufe zu empfangen, ein neues Leben zu beginnen, und die göttlichen Gebote zu halten. Über diese Vorbereitung steht geschrieben (Hebr. 11,6): „Wer sich Gott nahen will, muss glauben, daß er ist, und daß er Vergelter ist für die, welche ihn suchen“; und (Mt. 9,2; Mk. 2,5): „Habe Vertrauen, Sohn, deine Sünden werden dir vergeben!“ und (Eccles. 1,27): „Die Furcht Gottes verscheucht die die Sünde“; und (Act. 2,38) „Tuet Buße, und Jeder von euch lasse sich taufen im Namen Jesu Christi zur Vergebung eurer Sünden, und ihr werdet empfangen die Gaben des heiligen Geistes“; und (Mt. 28,19f): „Gehet also hin, lehret alle Völker und taufet sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes, indem ihr sie halten lehret Alles, was ich euch geboten habe“; endlich (1. Kg. 7,3): „Bereitet eure Herzen für den Herrn!“
IV. Gründe der Rechtfertigung
Kap. 7. Worin die Rechtfertigung des Sünders bestehe, und worauf sie sich gründe.
Dieser Zurichtung oder Vorbereitung folgt die Rechtfertigung selber, welche nicht bloß Vergebung der Sünden ist, sondern auch Heiligung und Erneuerung des inneren Menschen durch die frei gewollte Aufnahme der Gnade und Gaben; wodurch der Mensch aus einem Ungerechten ein gerechter, aus einem Feind ein Freund wird, auf daß er Erbe sei auf Hoffnung hin des ewigen Lebens (Tit. 3,7). Die Gründe dieser Rechtfertigung sind, und zwar der beabsichtigte, die Verherrlichung Gottes und Christi, und das ewige Leben; der bewirkende aber ist, der erbarmende Gott, welcher ohne Entgelt abwäscht (1. Kor. 6,11) und heiligt, indem er bezeichnet und salbt (Tit. 3,5) mit dem heiligen Geist der Verheißung (Eph. 1,13), der das Unterpfand unseres Erbrechtes ist; der verdienende dagegen, sein geliebtester Eingeborner, unser Herr Jesus Christus, welcher uns, da wir Feinde waren (Röm. 5,10), aus überschwänglicher Liebe, mit der er uns geliebt (Eph. 2,4), durch sein allerheiligstes Leiden am Holze des Kreuzes die Rechtfertigung verdient und für uns Gott dem Vater Genugtuung geleistet hat; ferner der vermittelnde, das Sakrament der Taufe, welches ist das Sakrament des Glaubens (cf. c. 76 D. IV. de cons. (Aug.)), ohne welchen Niemanden je Rechtfertigung zuteil wird; der einzige wesentliche Grund endlich ist die Gerechtigkeit Gottes, nicht die, durch welche er selber gerecht ist, sondern die, durch welche er uns gerecht macht, durch welche wir nämlich beschenkt von ihm erneuert werden im Geiste unseres Inneren, und nicht bloß als Gerechte erachtet werden, sondern wirklich heißen und sind, indem wir die Gerechtigkeit in uns aufnehmen, Jeder nach seinem Maße, welches der heilige Geist dem Einzelnen zuteilt, wie er will (1. Kor. 12,11), und nach Verhältnis der eigenen Vorbereitung und Mitwirkung eines Jeden.
Obwohl nun Niemand ein Gerechter sein kann, außer der, welchem die Verdienste des Leidens unseres Herrn Jesu Christi (Phil. 3,9 u. 10) zugeteilt werden, so geschieht doch dieses bei der Rechtfertigung des Ungerechten, indem auf Grund des Verdienstes des allerheiligsten Leidens durch den heiligen Geist die Liebe zu Gott in den Herzen derer, welche gerechtfertigt werden, ausgegossen wird (Röm. 5,5), und in ihnen verbleibt, wodurch bei der Rechtfertigung selber, der Mensch, dem sie mitgeteilt wird, nebst der Vergebung der Sünden dieses Alles zugleich mit eingegossen erhält durch Jesum Christum, den Glauben, die Hoffnung und die Liebe. Denn der Glaube (cf. Infra c. 10), wenn nicht die Hoffnung und die Liebe hinzu kommen, vereinigt weder vollkommen mit Christus, noch macht er zum lebendigen Glied seines Leibes. Auf diesen Grund hin heißt es ganz wahr, daß der Glaube ohne Werke ein toter und müßiger sei (Jak. 2,17), und in Christo Jesu weder die Beschneidung noch die Vorhaut etwas gelte (Gal. 5, 6 u. 6,15), sondern der Glaube, welcher durch die Liebe tätig ist. Diesen Glauben verlangen gemäß der Überlieferung der Apostel vor dem Sakrament der Taufe die Vorbereiteten von der Kirche, wenn sie den Glauben verlangen, welcher das ewige Leben gewährt, welches ohne die Hoffnung und Liebe der Glaube nicht gewähren kann. Darauf hin vernehmen sie auch alsbald das Wort Christi (Mt. 19,17): „Wenn du eingehen willst zum Leben, so halte die Gebote.“
Deshalb wird denjenigen, welche die wahre und christliche Gerechtigkeit empfangen, sogleich befohlen, dieselbe als ihr erstes Kleid (Lk. 15,22) anstatt dessen, welches Adam durch seinen Ungehorsam für sich und uns verloren hat, als ein von Christus Jesus ihnen geschenktes, weiß und unbefleckt als Wiedergeborene zu bewahren, damit sie dasselbe mitbringen vor den Richterstuhl unseres Herrn Jesu Christi, und das ewige Leben haben.
Kap. 8 Wie zu verstehen sei, daß der Sünder durch den Glauben, und aus Gnade gerechtfertigt werde.
Wenn nun der Apostel sagt (Röm. 4,1f), daß der Mensch gerechtfertigt werde durch den Glauben und aus Gnade, so sind diese Worte in dem Sinne aufzufassen, welchen die immer währende Übereinstimmung der katholischen Kirche festhält und ausspricht; daß wir nämlich deshalb durch den Glauben gerechtfertigt heißen, weil der Glaube der Anfang des menschlichen Heiles, die Grundlage und Wurzel der ganzen Rechtfertigung ist, ohne welche es unmöglich ist, Gott zu gefallen (Hebr. 11,6) und zur Gemeinschaft seiner Kinder zu gelangen. Aus Gnade gerechtfertigt aber heißen wir darum, weil nichts von dem, was der Rechtfertigung voran geht, weder Glaube noch Werke, die Gnade der Rechtfertigung selber verdient. „Wenn sie nämlich aus Gnade ist (Röm. 11,6), so ist sie nicht mehr aus den Werken; sonst ist, wie derselbe Apostel sagt, die Gnade nicht mehr Gnade.“
V. Gegen die Irrlehrer
Kap. 9. Gegen die eitle Zuversicht der Irrlehrer
Obgleich es aber notwendig ist zu glauben, daß Sünden weder nachgelassen werden noch je nachgelassen worden seien, außer aus Gnade durch die göttliche Rechtfertigung um Christi willen, so darf doch nicht gesagt werden, daß Jemanden, der sich mit Zuversicht und Gewissheit der Vergebung seiner Sünden brüstet und bei dieser allein sich beruhigt, die Sünden vergeben werden oder vergeben seien, obgleich bei Irrgläubigen und Abtrünnigen diese eitle und aller Gottesfurcht ermangelnde Zuversicht vorhanden sein kann, ja in unseren Zeitstürmen wirklich da ist und mit großer Ereiferung gegen die katholische Kirche gepredigt wird. Aber auch dieses darf nicht behauptet werden, daß die, welche wirklich gerechtfertigt sind, ganz ohne allen Zweifel fest annehmen müssen, daß sie gerechtfertigt seien, und daß Niemand von Sünden losgesprochen und gerechtfertigt werde, außer nur wer mit Gewissheit glaubt, daß er losgesprochen und gerechtfertigt sei, und daß durch diesen Glauben allein die Lossprechung und Rechtfertigung bewirkt werde, gleichsam als zweifle der, welcher dieses nicht glaubt, an den Verheißungen Gottes und an der Wirksamkeit des Todes und der Auferstehung Christi. Denn wie kein Gottesfürchtiger an der Barmherzigkeit Gottes, an dem Verdienst Christi und an der Kraft und Wirksamkeit der Sakramente zweifeln darf, so kann Jeder, wie er sich und seine eigene Schwäche und Unfähigkeit betrachtet, über seine Begnadigung in Sorge und Furcht sein, weil Niemand mit Glaubens-Gewissheit, welcher keine Täuschung unterlaufen kann, zu wissen vermag, daß er die Gnade Gottes erlangt habe.
Kap. 10. Vom Wachstum der erlangten Rechtfertigung.
Die nun so gerechtfertigt und Freunde Gottes und Hausgenossen geworden sind (Eph. 2,19) und von Tugend zu Tugend fortschreiten (Ps. 83,8), werden, wie der Apostel sagt (2. Kor. 4,16), von Tag zu Tag erneuert: das ist, dadurch, daß sie abtöten die Glieder ihres Fleisches (Kol. 3,5), und ergreifen die Waffen der Gerechtigkeit zur Heiligung (Röm. 6,13 u. 19) durch Beobachtung der Gebote Gottes und der Kirche, wachsen sie und werden noch mehr gerechtfertigt in derselben Gerechtigkeit, welche sie durch die Gnade Christi empfangen, indem der Glaube zu guten Werken mittätig ist; sowie geschrieben steht: „Wer gerecht ist (Apok. 22,11), werde noch mehr gerechtfertigt“; und wieder (Eccl. 18,22): „Verschmähe es nicht, bis zum Tode gerechtfertigt zu werden“; und ferner (Jak. 2,24): „Ihr sehet, daß durch die Werke der Mensch gerechtfertigt werde, und nicht durch den Glauben allein“. Dieses Wachstum der Gerechtigkeit aber erfleht die heilige Kirche, wenn sie betet (Dominica XIII. post Pentecosten): „Gib uns, o Herr, Wachstum des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe.“
VI. Beobachtung der Gebote
Kap. 11. Über Beobachtung der Gebote, sowie über Notwendigkeit und Möglichkeit derselben.
Niemand aber, wenn auch gerechtfertigt, darf sich befreit von Beobachtung der Gebote halten, Niemand jenes frevelhaften und von den Vätern unter der Ausschließung verbotenen Ausspruches sich bedienen: es sei unmöglich für den gerechtfertigten Menschen, die Gebote Gottes zu halten. Denn Gott (ex Aug. libr. De nat. et grat. c. 43) befiehlt nichts Unmögliches, sondern dadurch, daß er befiehlt, ermahnt er, sowohl zu tun, was du vermagst, als auch zu erbitten, was du nicht vermagst, und er hilft, daß du es vermagst. Seine Gebote sind nicht schwer (1. Joh. 5,3), sein Joch ist süß und seine Bürde leicht (Mt. 11,30). Denn die, welche Söhne Gottes sind, lieben Christum; die aber ihn lieben (Joh. 14,23), halten seine Worte, wie er selber bezeugt, was sie auch mit der Hilfe Gottes leisten können. Obgleich nämlich in diesem sterblichen Leben selbst die Heiligen und Gerechten in leichte wenigstens und alltägliche Sünden, welche auch lässliche genannt werden, bisweilen fallen, so hören sie deshalb nicht auf gerecht zu sein, weil dieser Ausspruch der Gerechten wie demütig so wahrhaft ist (Mt. 6,12): „Vergib uns unsere Schuld“, wodurch es geschieht, daß die Gerechten selber sich um so mehr verpflichtet fühlen müssen, auf dem Wege der Gerechtigkeit zu wandeln, als sie von der Sünde schon befreit (Röm. 6,22) dagegen Diener Gottes geworden (Tit. 212), nüchtern, gerecht und gottesfürchtig im Leben fortzuschreiten vermögen durch Christus Jesus, durch welchen (Röm. 5,2) sie Zutritt haben zu jener Gnade.
Denn Gott verläßt die durch seine Gnade einmal Gerechtfertigten nicht, wenn er nicht zuvor von ihnen verlassen wird. Darum darf Niemand sich mit dem bloßen Glauben schmeicheln in der Meinung, durch den Glauben allein sei er als Erbe eingesetzt und werde er die Erbschaft erlangen, selbst wenn er mit Christus nicht mitleidet, damit er auch mit verherrlicht werde (Röm. 8,17). „Denn auch Christus selber, wie der Apostel sagt (Hebr. 5,8f), hat aus dem was er gelitten hat, obgleich er Sohn Gottes war, Gehorsam gelernt, und ist in der Vollendung Allen, die ihm gehorchen Ursache des ewigen Heiles geworden.“ Deshalb ermahnt derselbe Apostel die Gerechtfertigten, indem er spricht (1. Kor. 9,24f): „Wisset ihr nicht, daß die, welche in der Rennbahn laufen, zwar Alle laufen, aber nur Einer den Kampfpreis erlangt? Also laufet, daß ihr erlangt. Ich demnach laufe so, nicht wie ins Ungewisse; ich kämpfe so, nicht gleichsam die Luft peitschend, sondern ich züchtige meinen Leib und bringe ihn zur Dienstbarkeit, damit ich nicht, nachdem ich Anderen gepredigt, etwa selber verwerflich werde.“
Gleiches der Apostelfürst Petrus (2. Petr. 1,10): „Bemühet euch, daß ihr durch gute Werke eure Berufung und Auserwählung gewiss machet; denn indem ihr dieses tuet, werdet ihr niemals sündigen.“ Darum steht fest, daß jene der rechtgläubigen Lehre der Religion entgegen sind (cf. infr. can. 25), welche sagen, daß der Gerechte bei jedem guten Werke wenigstens läßlich sündige, oder was noch unstatthafter ist, daß er die ewigen Strafen verdiene; sowie auch jene (cf. infr. can. 31), welche behaupten, daß die Gerechten durch alle Werke sündigen, wenn sie bei denselben, um ihre eigene Lässigkeit anzueifern und sich zum Laufen in der Rennbahn zu ermuntern, nebstdem, daß vor Allem Gott verherrlicht werde, auch auf den ewigen Lohn hinschauen, da geschrieben steht (Ps. 118,112): „Mein Herz habe ich darauf gerichtet, deine Satzungen zu erfüllen um des Lohnes willen“; und von Moses der Apostel sagt (Hebr. 11,26), daß er schaute auf die Vergeltung.
VII. Über die Vorherbestimmung und Beharrlichkeit
Kap. 12. Daß die vermessene Annahme der Vorherbestimmung abzuweisen sei.
Niemand darf auch, so lange man in dieser Sterblichkeit lebt, soweit in der Vermutung über das verborgene Geheimnis der göttlichen Vorherbestimmung gehen, daß er für gewiss annehme, er sei sicher unter der Zahl der Vorherbestimmten (cf. c. 17. C. XXIV. qu. 3 (August.); als ob es wahr sei, daß der Gerechtfertigte entweder nicht mehr sündigen könne, oder wenn er sündigt, er sich zuverlässig Bekehrung versprechen dürfe. Denn ohne besondere Offenbarung kann man nicht wissen, welche Gott sich auserwählt habe.
Kap. 13. Über die Gabe der Beharrlichkeit
Gleicherweise soll über die Gabe der Beharrlichkeit, von welcher geschrieben steht (Mt. 10,22; 24,13): „Wer ausharrt bis an das Ende, der wird gerettet werden“, und welche nirgends anders her als nur von dem erlangt werden kann, welcher Macht hat, den welcher steht (Röm. 14,4), festzustellen, daß er beharrlich stehe, und den der fällt, wieder aufzurichten, Niemand sich etwas Sicheres mit unbedingter Gewissheit versprechen, obgleich Alle auf Gottes Hilfe die festeste Hoffnung gründen und setzen müssen. Denn Gott wird, wenn nicht sie selber von seiner Gnade sich zurückziehen, das gute Werk (Phil. 1,6) wie er es angefangen so auch vollenden, da er das Wollen und das Vollbringen bewirkt. Dennoch mögen die, welche vermeinen zu stehen, zusehen, daß sie nicht fallen (1. Kor. 10,12), und mit Furcht und Zagen ihr Heil wirken in Arbeiten (Phil. 2,12), in Nachtwachen, in Almosen, in Gebeten und Opfern, in Fasten und Keuschheit. Denn sie müssen bange haben, da sie wissen, daß sie zur Hoffnung auf Verherrlichung (1. Petr. 1,3), und nicht schon zur Verherrlichung wiedergeboren sind, wegen des Kampfes, der verbleibt gegen das Fleisch, gegen die Welt, gegen den Teufel, und in welchem sie nicht Sieger sein können, wenn sie nicht mit Gottes Gnade dem Apostel gehorchen, der da spricht (Röm. 8,12,19): „Nicht sind wir verpflichtet dem Fleisch, um nach dem Fleisch zu leben; denn so ihr nach dem Fleische lebt, werdet ihr des Todes sein, so ihr aber durch den Geist die Wirksamkeit des Fleisches ertötet, werdet ihr leben.“
Kap. 14. Von den Gefallenen und ihrer Wiederherstellung.
Die aber durch die Sünde verlustig wurden der empfangenen Gnade der Rechtfertigung (vid. infr. can. 23 et 29), können wieder gerechtfertigt werden, wenn sie auf Antrieb Gottes vermittelst des Sakramentes der Buße durch das Verdienst Christi, die verlorene Gnade wieder zu erlangen sich bemühen. Denn diese Weise der Rechtfertigung ist für die Gefallenen die Wiederherstellung, welche die heiligen Väter passend das zweite Brett nach dem Schiffbruch der verlorenen Gnade nennen (cf. Hieron. in c. 72. D. II. de poen.). Für Jene nämlich, welche nach der Taufe in Sünden fallen, hat Christus Jesus das Sakrament der Buße eingesetzt, da er sagte (Mt. 16,19): „Nehmet hin den heiligen Geist: deren Sünden ihr vergebet, denen sind sie vergeben; und denen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten.“ Darum muss gelehrt werden, daß die Buße eines christlichen Menschen nach dem Falle eine viel andere sei als die bei der Taufe, und daß in derselben nicht nur das Ablassen von den Sünden und deren Verabscheuung, oder ein zerknirschtes und verdemütigtes Herz inbegriffen sei (Ps. 50,19), sondern auch deren sakramentale Beichte, wenigstens dem Verlangen nach und die seiner Zeit abzulegen ist, und die priesterliche Lossprechung, sowie auch die Genugtuung durch Fasten, Almosen, Gebete und andere fromme Übungen des geistigen Lebens; zwar nicht für die ewige Strafe, welche entweder durch das Sakrament oder durch das Verlangen nach dem Sakrament zugleich mit der Schuld erlassen wird, sondern für die zeitliche Strafe, welche nach Lehre der heiligen Schrift nicht immer ganz, wie es in der Taufe geschieht, denen erlassen wird, welche gegen die empfangene Gnade Gottes undankbar (Eph. 4,30) den heiligen Geist betrübten und sich nicht scheuten, den Tempel Gottes zu entweihen (1. Kor. 3,17). Über diese Buße steht geschrieben (Apoc. 2,5): „Gedenke, von wo herab du gefallen bist; tue Buße und vollbringe die früheren Werke“; und wieder (2. Kor. 7,10): „Die gottgemäße Trauer bewirkt Buße zu unwandelbarem Heile“; und ferner (Mt. 3,2; 4,17; Lk. 3,8): „Tuet Buße, und bringt würdige Früchte der Buße.“
Kap. 15. Durch jede Todsünde wird die Gnade, aber nicht der Glaube verloren.
Entgegen der arglistigen Erfindungsgabe einiger Menschen, welche durch süße Redensarten (Lk. 3,8) und Lobsprüche die Herzen der Unschuldigen verführen, ist auch zu behaupten, daß nicht nur durch den Unglauben, durch welchen auch der Glaube selber verloren wird, sondern auch durch jede andere Todsünde die empfangene Gnade der Rechtfertigung verloren werde, obgleich der Glaube nicht verloren wird; indem man verteidigen muss die Lehre des göttlichen Gesetzes, welches vom Reich Gottes nicht die Ungläubigen allein ausschließt (1. Kor. 6,9 u. 10), sondern ebenso auch die gläubigen Buhler, Ehebrecher, Weichlinge, Knabenschänder, Diebe, Geizige, Trunkenbolde, Lästerer, Räuber und alle Übrigen, welche Todsünden begehen, von welchen sie sich durch Beistand der göttlichen Gnade enthalten können, und um derentwillen sie sich von der Gnade Christi lossagen.
Kap. 16. Über die Frucht der Rechtfertigung, das ist, über das Verdienst der guten Werke, und über den Grund dieses Verdienstes.
Den auf diese Weise nun gerechtfertigten Menschen, sie mögen die erhaltene Gnade beständig bewahrt oder die verlorne wieder erworben haben, sind die Worte des Apostels vorzuhalten (1. Kor. 15,58): „Seid reich an jedem guten Werke, da ihr wisset, daß euer Mühen nicht vergeblich ist im Herrn. Denn nicht (Hebr. 6,10) ist Gott ungerecht, daß er vergesse eures Wirkens und der Liebe, die ihr in seinem Namen erwiesen habt“; und (ebd. 10,35): „Verlieret nicht eure Zuversicht, welche großen Lohn hat.“ Und deshalb ist denen, welche Gutes tun bis ans Ende (Mt. 10,22), und auf Gott vertrauen, das ewige Leben vorzuhalten, und zwar als eine den Söhnen Gottes durch Christus Jesus aus Erbarmen verheißene Gnade, und als der Lohn, welcher nach Gottes eigener Verheißung den guten Werken und Verdiensten derselben getreulich wird gegeben werden (Röm. 6,22).
Denn dieses ist jene Krone der Gerechtigkeit (2. Tim. 4,8), von welcher der Apostel sagt, daß sie ihm nach seinem Kampf und Wettlauf hinterlegt sei, die ihm vom gerechten Richter werde gereicht werden; nicht aber ihm allein, sondern auch Allen, welche lieb gewonnen seine Ankunft. Da nämlich eben Christus Jesus selber als das Haupt in die Glieder und als der Weinstock in die Reben (Joh. 15,1f), in die Gerechtfertigten selbst immerdar Kraft einströmen läßt, welche Kraft den guten Werken derselben stets voran geht, sie begleitet und ihnen nachfolgt, und ohne welche sie unter keiner Bedingung gottgefällig und verdienstlich sein könnten, so muss man glauben, daß eben den Gerechtfertigten nichts mehr mangle, um annehmen zu können, daß sie durch jene Werke, welche in Gott verrichtet wurden, vollständig dem göttlichen Gesetze nach dem Standpunkt dieses Lebens Genüge geleistet, und das ewige Leben, welches sie auch ihrer Zeit, wenn sie anders in der Gnade dahin scheiden (Apoc. 14,13), erlangen werden, wahrhaft verdient haben. Denn Christus unser Heiland sagt (Joh. 4,13 u. 14): „Wenn Jemand trinkt von dem Wasser, welches ich ihm geben werde, der wird nicht dürsten in Ewigkeit, sondern es wird in ihm zur Quelle eines Wassers, welches empor quillt ins ewige Leben.“
Auf diese Weise wird weder unsere Gerechtigkeit (Röm. 10,3) als eine eigene von uns ausgehende erklärt, noch auch die Gerechtigkeit Gottes übersehen oder verworfen; denn die Gerechtigkeit, welche die unsere genannt wird, weil wir durch ihr Haften an uns gerechtfertigt werden, diese selbe ist auch die Gerechtigkeit Gottes, weil sie uns von Gott durch das Verdienst Christi eingegossen wird. Aber auch das darf nicht übergangen werden: obgleich nämlich in der heiligen Schrift den guten Werken soviel zugemessen wird, daß Christus selbst verheißt, es werde der, welcher einem Einzigen aus seinen Niedrigsten einen Trunk kühlenden Wassers gibt (Mt. 10,42; Mk. 9,40), seines Lohnes nicht ermangeln, und der Apostel bezeugt (2. Kor. 4,17), es bewirke das, was in der Gegenwart das Augenblickliche und Leichte an unserer Bedrängnis ist, über die Maßen in Überschwänglichkeit eine ewige Wucht der Herrlichkeit in uns; so sei es doch ferne, daß ein christlicher Mensch auf sich selber vertraue oder sich rühme (1. Kor. 10,17), und nicht im Herrn, dessen Güte gegen alle Menschen so groß ist, daß er will, es soll ihr Verdienst sein (ex ep. Coelestini I. ad episc. Gall. c. 12), was sein Geschenk ist. Und weil wir Alle in Vielem fehlen (Jak. 3,2), so muss Jeder wie die Barmherzigkeit und Güte, so auch die Strenge und das Gericht vor Augen haben, und Niemand sich selber richten, auch wenn er sich selber nichts bewusst wäre (1. Kor. 4, 3. u. 4); denn jegliches Leben der Menschen darf nicht nach menschlichem Urteil geprüft und gerichtet werden, sondern nach dem Urteil Gottes, „welcher aufhellen wird das Verborgene der Finsternis (ebd. 4,5) und offenbar machen wird die Absichten der Herzen: und dann wird Lob zu Teil werden einem Jeden von Gott, welcher wie geschrieben steht (Mt. 16,27), „einem Jeden vergelten wird nach seinen Werken.“
Nach dieser katholischen Belehrung über die Rechtfertigung, ohne deren gläubige und unerschütterliche Annahme Niemand gerechtfertigt werden kann, hat die heilige Versammlung für gut erachtet, folgende Canones beizufügen, damit Alle wissen, was sie nicht nur halten und befolgen, sondern auch was sie meiden und fliehen müssen. –
aus: Beschlüsse und Glaubensregeln des hochheiligen allgemeinen Concils zu Trient unter den Päpsten Paul III., Julius III. und Pius IV., 1865, S. 23 – S. 32