Dogma Das Wesen der Erbsünde

Das Bild zeigt die Sünde und ihre Folgen

Abfall des Menschen von der Übernatur

§ 22. Das Wesen der Erbsünde

1. Falsche Auffassungen

a) Die Erbsünde besteht nicht, wie Peter Abaelard lehrte, in dem reatus poenae aeternae, d. h. in der Verdammungs-Strafe, die sich die Nachkommen Adams vom Stammhaupt zugezogen haben (Erbstrafe, nicht Erbschuld). Nach der Lehre des Konzils von Trient ist die Erbsünde eine wahre und eigentliche Sünde, d. h. Sündenschuld. Vgl. D 376, 789, 792. Paulus spricht von einer wirklichen Sünde. Röm. 5, 12: „weil alle gesündigt haben“; vgl. Röm. 5, 19.

b) Die Erbsünde besteht nicht, wie die Reformatoren, Bajaner und Jansenisten lehrten, in der habituellen bösen Begierlichkeit, die auch in den Getauften als wahre und eigentliche Sünde zurück bleibe, jedoch nicht mehr zur Strafe angerechnet werde. Das Konzil von Trient lehrt, daß durch die Taufe alles weggenommen wird, was eine wahre und eigentliche Sünde ist, und daß die nach der Taufe zur sittlichen Bewährung zurückbleibende Konkupiszenz nur im uneigentlichen Sinne Sünde genannt wird. D 792.
Mit der paulinischen Lehre von der Rechtfertigung als einer inneren Umwandlung und Erneuerung ist es unvereinbar, daß die Sünde im Menschen zurück bleibt, auch wenn sie nicht zur Strafe angerechnet wird. Der Gerechtfertigte ist der Gefahr der Verwerfung enthoben, weil der Grund der Verwerfung, die Sünde beseitigt ist. Röm. 8, 1: „Also gibt es jetzt keine Verwerfung für die, die in Christus Jesus sind.“ Da die Konkupiszenz infolge der Zusammensetzung der menschlichen Natur aus Körper und Geist auch im reinen Naturzustand als Naturübel vorhanden wäre, kann sie nicht in sich sündhaft sein; denn Gott hat alles gut geschaffen. D 428.

c) Die Erbsünde besteht nicht, wie u.a. Albert Pighius († 1542) und Ambrosius Catharinus O.P. († 1553) lehrten, in einer bloß äußerlichen Zurechnung der Sündentat Adams (Imputationstheorie). Nach der Lehre des Konzils von Trient wird die Sünde Adams durch Vererbung auf alle Adamskinder übertragen und wohnt jedem einzelnen als eigene Sünde inne: … D 790. Vgl. 795… Die Taufwirkung besteht nach der Lehre des Tridentinums in einer wirklichen Sündentilgung, nicht in einer bloßen Nichtanrechnung einer fremden Schuld. D 792. Vgl. Röm. 5, 12. 19.

2. Positive Lösung

Die Erbsünde besteht in dem Zustand des Gnaden-Beraubtseins, der durch die freie Sündentat des Stammhauptes verschuldet ist. Sent. communis.

Das Konzil von Trient bezeichnet die Erbsünde als Tod der Seele (mors animae; D 789). Der Tod der Seele ist aber das Nichtvorhandensein des übernatürlichen Lebens, d. i. der heiligmachenden Gnade. – Bei der Taufe wird die Erbsünde durch die Eingießung der heiligmachenden Gnade getilgt (D 792) Daraus folgt, daß die Erbsünde ein Zustand des Gnaden-Beraubtseins ist. – Dasselbe ergibt sich aus der paulinischen Gegenüberstellung der von Adam ausgehenden Sünde und der von Christus ausgehenden Gerechtigkeit (Röm. 5, 19). Da die von Christus verliehene Gerechtigkeit formell in der heiligmachenden Gnade besteht (D 799), so wird die von Adam ererbte Sünde formell in dem Mangel der heiligmachenden Gnade bestehen. Der Mangel der nach dem Willen Gottes vorhanden sein sollenden heiligmachenden Gnade begründet als Abwendung von Gott einen Schuldcharakter.

Da zum Begriff der formellen Sünde die ratio voluntarii gehört, d. h. die freie Verschuldung, das unmündige aber keinen persönlichen freiwilligen Akt setzen kann, so muss bei der Erbsünde das Moment der Freiwilligkeit aus dem Zusammenhang mit der freien Sündentat Adams erklärt werden. Adam war der Repräsentant des ganzen Menschengeschlechtes. Von seiner freien Entscheidung hing die Bewahrung bzw. der Verlust der übernatürlichen Ausstattung ab, die nicht ihm persönlich, sondern der menschlichen Natur als solcher geschenkt war. Durch seine freiwillige Übertretung ging sie darum nicht bloß für ihn, sondern für die ganze von ihm abstammende Menschheit verloren. Pius V. verwarf den Satz des Bajus, daß die Erbsünde den Charakter der Sünde an sich habe ohne alle Beziehung zu dem Willen, von dem sie ihren Ursprung hat. D 1047. Vgl. S. th. 1 II 81, 1.

aus: Ludwig Ott, Grundriss der katholischen Dogmatik, 1954, S. 127-129

Zum Unterschied von formeller und materieller Sünde siehe den Beitrag: Die formelle und die materielle Sünde

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