Lexikon für Theologie und Kirche
Stichwort: Abaelard
Abaelard (abaelardus, Abailardus), Peter, Philosoph, Theologe und Hymnendichter.
I. Leben. 1079 in Palais (Palatium, daher Peripateticus Palatinus) bei Nantes aus ritterlichem Geschlecht geboren. Fast noch Knabe, kam er in die Schule des Roscelin v. Comiègne, des Gegners des hl. Anselm, und erhielt hier die kritisch-nominalistische Richtung, die ihm eigentümlich blieb. Als er zu Paris bei Wilhelm v. Champeaux seine Studien fortsetzte, zerwarf er sich mit diesem berühmtesten Vertreter des Realismus, der es verhinderte, daß Abaelard in Paris einen Lehrstuhl erlangte. Er eröffnete deshalb, noch sehr jung, eine Schule in Melun, dann in Corbeil. Durch Krankheit gezwungen, einige Jahre in der Heimat zu verbringen, kehrte er nach 1108 nach Paris zurück und eröffnete trotz Gegnerschaft Wilhelms auf dem Genovefaberg bei Paris eine Schule.
Auch diese Tätigkeit unterbrach ein Aufenthalt in der Heimat, da seine Mutter nach dem Vorgang ihres Gatten ins Kloster treten wollte. Wohl durch dieses Beispiel bewogen, wandte er sich nun der Theologie zu. Sein Studium bei Anselm von Laon dauerte kurz, da er auch mit ihm zerfiel. So ging er wieder nach Paris und dozierte jetzt außer Dialektik auch Theologie.
Da gab das Liebesverhältnis zu Héloise seinem Leben eine verhängnisvolle Wendung. Zwar erfolgte durch die Heirat zunächst eine Aussöhnung mit deren Onkel Fulbert, aber dieser ließ ihn dann aus Rache kastrieren. Infolgedessen wurde Abaelard Mönch in St-Denis, nachdem er Héloise veranlaßt hatte, in Argenteuil den Schleier zu nehmen. 1121 verurteilte das Konzil von Soissons seine Schrift De unitate et trinitate divina. Er zog sich darauf in die Einsamkeit bei Nogent zurück. Dahin folgten ihm bald viele Schüler, die sich dort ansiedelten und die Kirche zum Paraklet (Le Paraclet) bauten.
1128 wurde er Abt von St-Gildas in der Bretagne; den Paraklet schenkte er der Héloise. 1133 floh er, angeblich weil die Mönche ihn mit dem Tode bedrohten. In dieser düsteren Stimmung beschrieb er seine Lebensschicksale in der Historia calamitatum. 1136 ist er wieder Lehrer der Dialektik in Paris, wo ihn Johann von Salisbury hörte. 1138 bis 1139 setzte der Kampf Wilhelms von St-Thierry und des hl. Bernhard gegen ihn ein, der zu seiner Verurteilung auf der Synode zu Sens führte (1141). Von Peter dem Ehrwürdigen in Cluny liebevoll aufgenommen, beschloß er 1142 sein Leben in dem Priorat St-Marcel und wurde im Kloster zum Paraklet, nach Zerstörung desselben in der Revolution (mit Héloise zusammen) auf dem Pére Lachaise in Paris beigesetzt.
II. Bedeutung. In dem wechselvollen Leben und zwiespältigen Charakter Abaelards spiegeln sich die großen Kulturbewegungen jener Zeit: die weltliche Kultur des höfischen Lebens, das aszetisch-mystische Ideal und der leidenschaftliche Erkenntnisdrang der jungen Scholastik. Die Ehrlichkeit der religiösen Überzeugung Abaelards kann nicht bezweifelt werden, wenn er auch nicht zu voller innerer Harmonie gekommen ist.
Seine Bedeutung für die Philosophie liegt darin, daß er in seiner Universalienlehre eine kritische Behandlung des Erkenntnis-Problems anbahnte, für die Theologie, daß er die Dialektik auf die Gegenstände des Glaubens anwandte und durch die Sic et non-Methode eine kritische Prüfung der Tradition anregte. Diese Methode ist durch die Sentenzenbücher seiner Schule, die Sentenzen des Magister Rolandus (Alexander III.), des Omnebene und die St. Florentiner Sentenzen in die Theologie der Scholastik eingeführt worden. Obschon er prinzipiell über das Verhältnis von Glauben und Wissen korrekter lehrte als viele Zeitgenossen, kam er doch durch Anwendung der Dialektik auf die Theologie zu Auffassungen, besonders in der Trinitätslehre, die dem Dogma nicht gerecht wurden.
Schriften: zur Theologie: De unitate et trinitate divina, nach der Verurteilung umgearbeitet zur Theologia christiana, diese umgearbeitet zur Theologia (fälschlich als Introductio in theologiam bezeichnet), die selbst wieder in verschiedenen Rezensionen vorliegt. –
aus: Michael Buchberger, Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. I, 1930, Sp. 5 – Sp. 6