Die Kreuzzüge – I. Die Veranlassung der Kreuzzüge
Seit Gregor VII. waren, dank seiner reformatorischen Tätigkeit und seinem rastlosen Wirken für die Hebung der Kirche Gottes, die Völker des Abendlandes von Neuem in dem christlichen Glauben geeinigt, und ein tief religiöser Zug ging durch die kriegerisch bewegte Zeit: – was hätte unter diesen Verhältnissen näher liegen können, als der Gedanke, die überströmende Kraft, die so oft durch ihre Ausschreitungen für den heimatlichen Boden verhängnisvoll geworden, im Dienst des Kreuzes zu verwerten und in einem gemeinsamen Zug gegen das mohammedanische Morgenland die heiligen Stätten, in welchen der Sohn Gottes sein großes Erlösungswerk vollbracht, den Händen der Ungläubigen zu entreißen, die das Kreuz verhöhnten und seine Bekenner mit den schwersten Bedrückungen heimsuchten?
Der Hilferuf des byzantinischen Kaisers Michael Parapinakes
Dieser Gedanke war in Gregor VII. erwacht, als im Jahre 1073 die Seldschuken – ein roher Türkenstamm, der von seinem Emir Seldschuk den Namen trug – von den durch Seldschuks Nachkommen den Griechen entrissenen kaukasischen Ländern aus verheerend in Kleinasien und Syrien eingedrungen waren und der von ihnen schwer bedrohte byzantinische Kaiser Michael Parapinakes (der Getreidewucherer), der dritte Nachfolger Isaaks I., des Gründers der Dynastie der Komnenen, die Hilfe des Abendlandes anrief und als Preis derselben die Rückkehr des byzantinischen Reiches zur kirchlichen Einheit in Aussicht stellte.
An der Spitze eines zahlreichen Heeres gedachte Gregor selbst, nach dem Morgenland zu ziehen, um nach der Wiedervereinigung der Griechen und Armenier mit dem römischen Stuhl die Türken über den Euphrat zurückzudrängen und in dem der Herrschaft der Ungläubigen entrissenen Palästina die Fahne des Kreuzes aufzupflanzen.
Aber der Kampf mit Heinrich IV. durchkreuzte diesen großartigen Plan, und statt als Sieger in das befreite Jerusalem einzuziehen, musste der schwer geprüfte Papst hinter den Mauern von Salerno Schutz suchen vor den Nachstellungen der Feinde seines ruhmreichen Pontifikats.
Gregors großer Gedanke war jedoch nicht mit ihm ins Grab gesunken, und was seinen Wünschen versagt geblieben, sollte durch seinen Schüler und zweiten Nachfolger Urban II. zur Ausführung gebracht werden. Er war es, der durch seinen zündenden Mahnruf die Begeisterung des Abendlandes für das große Unternehmen wachrief und demselben zugleich den vollen Beistand der Kirche zuteil werden ließ. Die unmittelbare Veranlassung dazu gaben ihm die Klagen über die trostlose Lage der Christen in Jerusalem, die lauter denn je aus dem Orient herüberdrangen.
Die zahlreichen Wallfahrten ins heilige Land
Seit der Erbauung der Kirche des heiligen Grabes durch Konstantins‘ des Großen Mutter Helena waren die Wallfahrten nach dem heiligen Land immer zahlreicher geworden.
Oft lag denselben ein Gelübde zu Grunde, oft auch nur der fromme Drang des Herzens oder das Bewusstsein einer Schuld, das zur Buße trieb, und das beseligende Gefühl, das den Pilger erfüllte, wenn sein Fuß die geheiligten Stätten betrat, auf welchen der Gottmensch gewandelt, das Vertrauen auf die besondere Kraft des Gebetes, das sich an dem Grab des Erlösers zu Gott emporschwang, ein Bad im Jordan, dessen Wasser durch die Taufe Jesu geheiligt war, und die erhöhte Achtung, die dem Pilger nach seiner Rückkehr in die Heimat zu Teil wurde, waren ein reicher Lohn für die Gefahren und Mühseligkeiten der weiten Reise.
Bei dem Antritt seiner Wallfahrt empfing der Pilger in Gegenwart der ganzen Gemeinde aus den Händen des Priesters das Pilgerhemd mit dem Kreuz, die Pilgerschärpe, an welcher die Pilgertasche hing, und den durch Gebete geweihten Pilgerstab, und nach erfolgter Einsegnung begleitete ihn die ganze Gemeinde in feierlicher Prozession bis zur nächsten Pfarrei. War er glücklich von seiner Pilgerfahrt zurückgekehrt, so versammelte sich die Gemeinde zu einer öffentlichen Danksagung, bei welcher der Heimgekehrte dem Priester einen Palmzweig aus dem heiligen Land überreichte, der auf dem Altar aufgestellt wurde.
Für den Pilger galt ein immerwährender Gottesfriede, und seine zurückgelassene Habe stand unter dem Schutz der Kirche. In allen christlichen Ländern, durch welche sein Weg ihn führte, fand er überall freundliche Aufnahme und bereitwillige Labung und Herberge, namentlich in den Klöstern, denen schon Karl der Große in einem seiner Capitularien die Gastfreundschaft gegen die Pilger zur besonderen Pflicht gemacht, sowie in den zahlreichen eigens für die Pilger errichteten Hospitien, die ihre Entstehung teils der Fürsorge einzelner Fürsten, besonders Ludwigs des Frommen, teils der Mildtätigkeit frommer Christen zu verdanken hatten, und kein Schiffer weigerte sich, den nach dem heiligen Grab Wallfahrenden zu freier Fahrt in sein Schiff aufzunehmen;
denn durch das Gebet des Pilgers hoffte man, günstigen Wind und Abwehr jeglicher Gefahr zu erlangen. Auch in Jerusalem selbst war für die Aufnahme und Verpflegung der ärmeren Pilger gesorgt, indem schon Gregor der Große dort zu diesem Zweck ein reich ausgestattetes Hospital hatte erbauen lassen.
Ganz besonders zahlreich wurden die Pilgerfahrten nach dem heiligen Land, seitdem gegen das Ende des zehnten Jahrhunderts der allgemein verbreitete Glaube an den bevorstehenden Untergang der Welt in der gesamten Christenheit eine erhöhte Bußfertigkeit hervorgerufen; im Laufe des elften Jahrhunderts traten Fürsten und Edle mit Tausenden ihrer Mannen und Bischöfe mit großen Scharen ihrer Diözesanen die Pilgerfahrt nach Jerusalem an.
Die Bedrückung der Christen im heiligen Land durch die Fatimiden
Solange Palästina unter der Herrschaft der griechischen Kaiser stand, fanden die abendländischen Pilger in Jerusalem die freundlichste Aufnahme. Auch die Araber, die selbst Jerusalem als einen heiligen Ort ansahen, gestatteten ihnen anfangs den ungestörten Besuch der heiligen Stätten, und die in Jerusalem ansässigen Christen genossen unter einem Patriarchen freie Religionsausübung.
Erst nachdem die Fatimiden – die angeblich von Fatima, der Tochter Mohammeds, abstammenden Beherrscher von Ägypten, die als Nachkommen des Propheten das ausschließliche Recht auf die Kalifenwürde in Anspruch nahmen und die in Bagdad herrschenden Abbasiden als unrechtmäßige Kalifen betrachteten – in den Besitz von Jerusalem gekommen (969), sahen sich die christlichen Pilger vielfachen Bedrückungen preisgegeben. Ganz besonders tat sich der grausame Kalif Hakem (1002 bis 1021) als ein eifriger Christenverfolger hervor. Er ließ die Auferstehungs-Kirche und viele andere christliche Kirchen im Morgenlande zerstören, gestattete jedoch später, aus Furcht vor der Rache der abendländischen Christen, den Wiederaufbau derselben.
Die fanatische Grausamkeit der Seldschuken gegenüber den Christen
Noch trauriger gestalteten sich die Verhältnisse für die morgenländische Kirche, als Jerusalem im Jahr 1076 von den Seldschuken erobert worden. Habsucht und fanatische Grausamkeit machten dieselben zu den schlimmsten Verfolgern der Christen. Nicht nur in Jerusalem, sondern auch in den übrigen Städten Palästinas störten sie den christlichen Gottesdienst auf jede Weise, verwüsteten die Kirchen, trieben Spott mit den geweihten Gefäßen und misshandelten die Priester. In Jerusalem rissen sie den Patriarchen bei den Haaren aus der Kirche und warfen ihn ins Gefängnis, um von den Christen für ihn eine hohe Auslösungssumme zu erpressen.
Von den christlichen Pilgern verlangten sie ein hohes Eingangsgeld zum Besuch der heiligen Stadt, und viele Tausende, die dasselbe nicht entrichten konnten, weil sie bereits auf dem Wege aller ihrer Habe beraubt worden, lagen nackt und hungernd vor den Toren von Jerusalem und starben dahin, ohne das letzte Ziel ihrer Sehnsucht erreicht zu haben. Diejenigen aber, die in die Stadt eingelassen wurden, fielen meist den gänzlich verarmten Christen Jerusalems zur Last; denn wenn auch von christlichen Fürsten und Bischöfen im Lauf der Zeit verschiedene Hospitäer für die Pilger des Abendlandes erbaut worden waren, so reichten dieselben doch nicht aus, um die große Zahl der Hilfsbedürftigen zu beherbergen und zu erhalten.
Die Legende vom Einsiedler Peter von Amiens
Die schwere Bedrängnis der morgenländischen Christen und die Not der christlichen Pilger erweckten das tiefste Mitgefühl eines frommen Mannes aus der Picardie, Peter von Amiens, der im Jahre 1093 als Wallfahrer nach Palästina gekommen und seitdem, wie schon früher in der Heimat, als Einsiedler in der Nähe von Jerusalem lebte. Voll heiliger Entrüstung wandte er sich an den Patriarchen Simeon und überhäufte denselben mit Vorwürfen, dass er nicht einschreite gegen das Wüten der Türken und die Entweihung der heiligen Stätten.
Dieser aber wies ihn unter Tränen auf seine vollständige Machtlosigkeit hin und erklärte ihm, dass nur die Christen des Abendlandes im Stande seien, der Not ihrer Glaubensbrüder im Morgenland ein Ende zu machen und den geschmähten Heiland an den Ungläubigen zu rächen. Mit glühender Begeisterung ergriff der fromme Einsiedler diesen Gedanken und bat den Patriarchen um Briefe an den Papst und die Fürsten des Abendlandes, damit er in der Heimat als Sendbote der Kirche von Jerusalem für die Befreiung des heiligen Grabes wirken könne.
Freudig ging der Patriarch auf diesen Vorschlag ein, und sogleich bereitete sich Peter zur schleunigen Rückkehr nach Europa vor. Die Nacht vor seiner Abreise verbrachte er in der Auferstehungs-Kirche, an den Stufen des Altars in heißem Gebet den Segen Gottes auf sein Unternehmen herabrufend. Von Anstrengung erschöpft, schlummerte er ein und sah im Traum den Heiland, der sich zu ihm neigte mit den Worten: „Erhebe dich, Peter, eile und verrichte mit Mut, was du übernommen hast; ich werde mit dir sein, denn es ist Zeit, dass mein heiliger Ort von den Ungläubigen gereinigt und meinen Dienern geholfen werde.“
Durch diese himmlische Erscheinung mit hohem Mut beseelt, verließ Peter am folgenden Morgen Jerusalem, um den Weg nach Antiochia anzutreten, wo er gleich nach seiner Ankunft Gelegenheit fand, sich nach Italien einzuschiffen.
Anmerkung zur Legende: siehe Lexikon – Petrus von Amiens
Peter von Amiens ruft die christlichen Völker zum Kreuzzug auf
Nachdem er zu Bari ans Land gestiegen, eilte er nach Rom, wo er bei dem Papst die freundlichste Aufnahme fand. Tief erschüttert durch die ergreifende Schilderung, die Peter ihm von den Leiden der morgenländischen Kirche machte, beschloss Urban, obgleich selbst schwer bedrängt durch die Anhänger des Gegenpapstes Guibert, die gesamte abendländische Christenheit zur Befreiung des heiligen Landes aufzurufen. Er bevollmächtigte den Einsiedler, indem er seinem Feuereifer das gebührende Lob zollte, einstweilen als sein Vorläufer den heiligen Krieg gegen die Ungläubigen zu predigen und dadurch die Gemüter vorzubereiten auf den Mahnruf, den er selbst an die Völker des Abendlandes richten wollte.
Von dem Segen des Papstes begleitet, durchzog Peter, auf einem Maulesel reitend, im groben Mönchsgewand, barhaupt und barfuß, mit dem Kruzifix in der Hand, ganz Italien und Frankreich, und wohin er kam, strömten Hohe und Niedere herbei, um den ergreifenden Worten des begeisterten Gottesmannes zu lauschen, dem der Ruf der Heiligkeit vorausging.
Mit hinreißender Beredsamkeit schilderte er die Leiden der christlichen Brüder im Morgenland, die Grausamkeit der Ungläubigen und die Schmach, die den heiligen Stätten von den Feinden des christlichen Namens zugefügt werde, und das Feuer der Begeisterung, das aus seinen tief liegenden Augen leuchtete, sowie die Strenge seiner Aszese, von welcher sein abgezehrter Körper Zeugnis ablegte, erhöhten den Eindruck seiner ernsten Mahnung, das Schwert zu ergreifen für die Sache des Kreuzes und Herz und Wandel von Sünden zu reinigen, damit der Segen Gottes dem großen Werk nicht fehle. Überall wurde er als ein Bote Gottes angesehen, und der Zug nach dem heiligen Land war bald die allgemeine Losung.
Die Begeisterung für einen Kreuzzug
Hocherfreut über die nie gesehene Begeisterung, die wie ein gewaltiger Strom das ganze Abendland durchflutete, schrieb Urban eine Kirchenversammlung nach Piacenza aus, die im März 1095 eröffnet wurde. Von allen Seiten strömten Geistliche und Laien zu derselben herbei, und so groß war der Andrang, dass für die Menge der Anwesenden, deren Zahl auf viertausend Priester und dreißigtausend Laien geschätzt wurde, keine Kirche Raum bot, und die Sitzungen unter freiem Himmel gehalten werden mussten.
In feuriger Rede erging sich der Papst über die große Angelegenheit, für welche bereits alle Herzen gewonnen waren, und seine Worte riefen in der Versammlung, in welcher sich auch Gesandte des griechischen Kaisers Alexius eingefunden, um die Hilfe des Abendlandes gegen die furchtbare Macht der Türken zu erbitten, die ihre Herrschaft bereits bis an den Bosporus ausgedehnt, eine solche Begeisterung hervor, dass die meisten Anwesenden das Gelübde ablegten, auf den ersten Ruf des Papstes das Schwert zu ergreifen für die Sache Gottes.
Das Konzil von Clermont
Von Piacenza begab sich Urban nach Frankreich, um auf einer zweiten Kirchenversammlung, die am 18. November zu Clermont eröffnet werden sollte, das große Werk zur Entscheidung zu bringen. Zu derselben fanden sich aus dem ganzen Land so viele Geistlichen und Laien ein, dass die unabsehbare Ebene, auf welcher die Versammlung abgehalten wurde, so weit das Auge reichte, mit Bischöfen, Äbten, Fürsten, Rittern und Herren und einer unzählbaren Volksschar bedeckt war.
Mit tief bewegter Seele schilderte der Papst in begeisterten Worten die Not der christlichen Brüder im Morgenland und die Frevel, welche die Ungläubigen an den heiligen Stätten verübt, erinnerte an den großen Karl und an alle jene christlichen Helden der Vergangenheit, die ins Feld gezogen für die Herrschaft des Kreuzes, und ermahnte die Versammelten, die Waffen, die sie bisher zur Schmach des Rittertums in sträflichem Bruderkampf geführt, fortan zur Ehre des christlichen Namens und zur Erlangung eines ewigen Lohnes gegen die Feinde des Kreuzes zu wenden und Streiter Christi zu werden im Kampf für die Befreiung der morgenländischen Kirche.
Die Rede von Papst Urban II. zum Kreuzzug
„Solches verkünde und gebiete ich“, so schloss der Papst, „und zur Ausführung setze ich den kommenden Frühling fest. Gott wird seine Gnadenschätze ausgießen über alle, die sich zum Zug verpflichten; er wird ihnen ein günstiges Jahr, eine reichliche Ernte und liebliche Witterung bescheren. Die den Tod finden, werden in die himmlischen Wohnungen eingehen und die Überlebenden zum Grab des Herrn gelangen. Und kann es ein höheres Glück geben für den Menschen, als im Leben die Stätten zu erblicken, wo der Herr die Sprache der Menschen redete?
O gebenedeit seien diejenigen, welche, zu solch edlen Opfern und Beschwerden berufen, herrlichen Lohn davon zurückbringen!“
Mit steigender Rührung hatte die Menge den Flammenworten des Papstes gelauscht, und als er geendet, da erscholl, weithin durch die unabsehbare Ebene dahinbrausend gleich dem Donner der Meeresbrandung, in den verschiedenen Mundarten der vieltausendstimmige Ruf: „Dieu el volt! Die li volt! Dio lo vuole! – Gott will es!“
Als der Sturm der Begeisterung sich gelegt hatte, ergriff der Papst aufs Neue das Wort. „Möge dieser Ruf“, sprach er, „euer Feldgeschrei sein in jeder Gefahr und das Kreuz euer Zeichen zur Kraft und zur Demut“, und verhieß allen, die an dem Zug Teil nehmen wollten, sowie diejenigen, die, durch Alter oder Krankheit verhindert, selbst für die Sache Gottes das Schwert zu führen, die Streitenden durch Geld oder auf andere Weise unterstützen würden, Ablass, und denen, welchen der Tod im Kampf für das Kreuz beschieden, Vergebung der Sünden.
Bischof Ademar von Puy
Da trat zuerst der wegen seiner Frömmigkeit und Rechtschaffenheit, wie wegen seines ritterlichen Sinnes allgemein verehrte Bischof Ademar von Puy, der bereits eine Wallfahrt nach dem heiligen Land gemacht, zu dem Papst heran, kniete vor ihm nieder und bat um die Erlaubnis, in den heiligen Krieg zu ziehen, und um seinen Segen. Als er beides erhalten, folgte der größte Teil der anwesenden Geistlichen und Laien seinem Beispiel. Nachdem diejenigen, die an dem Zug Teil nehmen wollten, nach alter Pilgersitte ein rotes Kreuz auf die rechte Schulter geheftet, legte einer der anwesenden Kardinäle in aller Namen ein allgemeines Sündenbekenntnis ab, das alle kniend nachsprachen, und der Papst erteilte ihnen die Lossprechung.
Da Urban der Bitte der Bischöfe, sich selbst an die Spitze des Kreuzheeres zu stellen, wegen der gefahrvollen Lage der Kirche in Europa nicht willfahren konnte, ernannte er den Bischof Ademar von Puy zu seinem Stellvertreter als geistliches Oberhaupt des Heeres. Hierauf machte er bekannt, dass die Kirche die Güter der Kreuzfahrer in ihren Schutz nehme, so dass diejenigen, welche dieselben schädigten, dem Kirchenbann verfallen würden, verkündete einen allgemeinen Gottesfrieden und ermahnte die Geistlichen, die nur mit der Zustimmung ihrer Bischöfe sich dem Zug anschließen sollten, in den ihrer Obhut anvertrauten Gemeinden auch ferner das Kreuz zu predigen.
Die Bewegung ging von Frankreich und Italien aus
Er selbst bereiste nach dem Schluss des Konzils die verschiedenen Gegenden Frankreichs, und überall fand seine Mahnung zur Beteiligung an dem Kreuzzug den begeistertsten Anklang. Auch die Bischöfe und Laien, die zu Clermont das Kreuz genommen, verbreiteten in ihrer Heimat den gleichen Eifer, von welchem sie selbst für das große Unternehmen erfüllt waren, und bald verwandelten sich überall Städte und Dörfer in Feldlager und Übungsplätze. Keiner wollte zurückbleiben: der Bauer verließ den Pflug, der Schäfer die Herde, der Mönch seine Zelle; selbst Missetäter kamen aus ihren Verstecken hervor, um unter dem Schutz des Kreuzes im heiligen Krieg ihre Verbrechen zu sühnen.
In der allgemeinen Begeisterung für das große Ziel, das durch die Kreuzzüge erreicht werden sollte, ging für den Augenblick alle Fehdelust unter; Streit und Gewalttätigkeiten hörten auf. Man sah Wunder und Zeichen am Himmel, die den Willen Gottes verkündeten: Kreuze und Schwerter, Ritter, die in den Wolken kämpften, Engel, die zum Aufbruch mahnten. Ja, es ging die Sage, Karl der Große sei seinem Grab entstiegen, um die Kreuzfahrer nach dem heiligen Land zu führen.
Die gewaltige Bewegung, von welcher zuerst Frankreich und Italien ergriffen worden, blieb nicht auf diese beiden Länder beschränkt. Über das Meer herüber kamen ganze Scharen von Engländern, Schotten und Skandinaviern, um sich den französischen und italienischen Kreuzfahrern anzuschließen. Geringer war die Beteiligung an dem ersten Kreuzzug bei den damals durch die inneren Zerwürfnisse und die Kirchenspaltung schwer heimgesuchten Deutschen, wie auch bei den Spaniern, die der Papst selbst freigesprochen von der Verpflichtung, zur Befreiung des heiligen Grabes auszuziehen, weil sie im eigenen Land das Kreuz zu verteidigen hatten gegen die fanatischen Scharen der Kalifen von Cordoba.
Beinahe zwei volle Jahrhunderte hat die großartige Bewegung gedauert, zu welcher die Kirchenversammlung von Clermont den unmittelbaren Anstoß gegeben, und an sieben Millionen Menschen sollen in den verschiedenen Kreuzzügen, die im Laufe dieser Zeit unternommen wurden, nach dem Morgenland gezogen sein.
Für einige Kreuzfahrer gab es nicht nur ausschließlich religiöse Motive
Indessen waren es nicht ausschließlich religiöse Motive, welche die Christen des Abendlandes bewogen, das Schwert zu ergreifen für die Befreiung des heiligen Landes: mit der Begeisterung für die Sache des Kreuzes mischten sich auch weltliche Triebfedern; denn neben dem himmlischen Lohn winkten den Kreuzfahrern auch irdische Vorteile.
Schuldner, die das Kreuz nahmen, waren bis zur Heimkehr von jeder Zinszahlung befreit; zinspflichtige Hörige oder leibeigene Bauern erlangten die Freiheit durch ihre Beteiligung an dem heiligen Krieg. Viele trieb auch Beutelust und Wandersucht; andere zogen aus mit Weib und Kind, um sich eingegangenen Verpflichtungen zu entziehen oder beengenden Verhältnissen aller Art zu entrinnen und im Morgenland das Glück zu suchen, das ihnen die Heimat versagte.
So war es denn auch nicht zu verwundern, dass unter den Kreuzfahrern vielfache Ausschreitungen vorkamen und errungene Siege oft durch Beutelust und Grausamkeit geschändet wurden; ungleich zahlreicher jedoch sind die Beispiele echter Frömmigkeit, unerschütterlicher Glaubenstreue, todesmutiger Begeisterung für die Sache des Kreuzes und wahrhaft christlichen Heldensinnes, welche die Geschichte der Kreuzzüge aufbewahrt. –
aus: F. J. Holzwarth, Weltgeschichte, 3. Bd., 1885, S. 531 – S. 538
siehe auch die Beiträge:
- Kirchenlexikon: Gründe für die Kreuzzüge ins heilige Land
- Die Schlacht bei Poitiers gegen die Mauren 732
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