Heiliges römisches Reich deutscher Nation

Kaiser Karl empfängt Gesandte und Kaufleute und Händler aus dem Orient; Karl der Große sitzt auf seinem Thron, mit Zepter und Reichsapfel, vor ihm rechts und links sieht man orientalisch gekleidete Menschen

Das römisch-deutsche Reich und dessen Stellung nach außen

Teil 2: Das heilige römische Reich deutscher Nation

Mit dem deutschen Königtum stand seit Otto I. bis zum Untergang des Reiches das römische Kaisertum in einer ununterbrochenen Verbindung. (1) Die volle Bedeutung dieser Verbindung ergibt sich nur aus der richtigen Einsicht in das Verhältnis zwischen der geistlichen und der weltlichen Gewalt, wie es im Mittelalter aufgefaßt wurde.

Kirche und Staat sind die zwei unter gewisser Voraussetzung notwendigen Ausgestaltungen der einen und selben menschlichen Gesellschaft, welche im Staat in der natürlichen Ordnung der Dinge steht, in der Kirche zu einer höheren, übernatürlichen Ordnung sich erhebt. Es würden aber die Kirche und Staat Beherrschenden in fortwährendem Streit liegen, wenn nicht durch einen von Gott angeordneten Ausgleich beide Gewalten, ohne jedoch der höheren ihren Vorrang zu entziehen, beschränkt, und der einen der Bereich des Menschlichen, Irdischen und Weltlichen, der andern das Gebiet des Geistlichen, Überirdischen und Göttlichen zugewiesen wäre.

Das ist der Sinn jenes berühmten Ausspruches des Papstes Gelasius, welcher das ganze Mittelalter hindurch die Auffassung des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat beherrscht hat.

Der Ursprung der Trennung der geistlichen und der weltlichen Gewalt, so lehrte Papst Gelasius am Ausgang des 5. Jahrhunderts, ist in der Anordnung des göttlichen Stifters der Kirche zu suchen, der, ‚eingedenk der menschlichen Schwäche, dafür sorgte, daß die beiden Gewalten getrennt seien, und jeder das ihr eigentümliche Gebiet zugewiesen werde. Die christlichen Fürsten sollten des Priestertums bezüglich des ewigen Heiles bedürfen, die Priester hinwieder bezüglich der zeitlichen Angelegenheiten auf die Anordnungen der Fürsten hingewiesen sein, damit der Streiter Gottes sich nicht in weltliche Händel mische, und der weltliche Herrscher nicht in Sachen der Religion das Wort führe. Wenn dann jede Gewalt sich bescheidet, so ist dafür gesorgt, daß keine durch allzu große Machtvollkommenheit sich überhebe, sondern jede vielmehr innerhalb des ihr zugehörigen Gebietes ihrem eigentümlichen Beruf gemäß walte‘.

Die kirchliche Gewalt hat ihre volle Selbständigkeit und Unabhängigkeit von ihrem göttlichen Stifter empfangen; sie ist ein vollständig ausgebildeter gesellschaftlicher Organismus, eine Körperschaft, die alle Mittel zur Erreichung ihres Zweckes in sich selbst beschließt. Sie befindet sich jedoch in steter Wechselbeziehung mit der weltlichen Autorität, die ebenfalls eine selbständige und in ihrem Gebiet unabhängige Macht besitzt und als solche von der Kirche anzuerkennen und zu achten ist. (2)

Sind aber die Gewalten in solcher Weise geschieden, jede auf ihrem Gebiet unabhängig waltend und doch wieder auf Eintracht und Einheit angewiesen, so liegt der Gedanke nahe, die weltliche, niedriger stehende und unvollkommenere Ordnung der Gesellschaft zu einem Abbild der geistlichen Ordnung in derselben zu erheben und dadurch zu vervollkommnen. Denn die geistliche Ordnung der Gesellschaft in der Kirche und namentlich deren hierarchische Einheit muss für die weltlichen Reiche als ein Ideal erscheinen, welches schon um deswillen nachgeahmt zu werden verdient, damit die Eintracht zwischen den beiden Gewalten sich um so ebenmäßiger darstelle.

Der einen und einzigen Weltkirche (3) gegenüber kann daher zwar die weltliche Gewalt in verschiedenen, voneinander unabhängigen Völkern und Reichen bestehen, ohne daß ihr etwas Wesentliches mangelte. Aber erhabener wird die Ordnung der weltlichen Dinge und ihr Bund mit den geistlichen, wenn auch bei ihr die Scheidewand zwischen Volk und Volk durchbrochen wird, die Völker untereinander verbunden werden, die Einheit des ganzen Menschengeschlechtes in einem höchsten Herrn und Richter ihren Ausdruck findet.

Klar und großartig verwirklichten die Päpste diesen Gedanken in dem heiligen römischen Reiche, dessen höchstem Zepter alle Völker der Erde huldigen sollten, während dem Kaiser als erhabenster Beruf die Schirmvogtei der Kirche oblag. Darum bezeichnete sich Karl der Große, der erste Träger der Kaiserkrone, als ‚Beschützer und demütiger Helfer der Kirche und des Heiligen Stuhls‘ und erklärte für das höchste Ziel seiner Regierung, daß ‚Friede, Eintracht und Einmütigkeit unter dem ganzen Christenvolk herrschen solle‘. Das Evangelium sollte das Gesetzbuch der Nationen werden; der christliche Staat sollte den Boden sichern, in welchen die Kirche fort und fort den Samen der geoffenbarten Wahrheiten ausstreut.

In der Vermählung des Papsttums mit dem Kaisertum behufs Ausgestaltung der einen christlichen, römisch-katholischen Universal-Monarchie bestand der eigentliche Kern des mittelalterlichen Staatsgedankens. ‚Zwei Schwerter‘, sagt der Sachsenspiegel, ‚ließ Gott auf Erden, zu beschirmen die Christenheit, das geistliche dem Papst, das weltliche dem Kaiser‘.

Das Kaisertum, aus einer Verleihung des Papstes entstanden, wurde in jedem einzelnen Fall durch die vom Papst zu vollziehende Salbung und Krönung erworben; durch die dem Kaiser übertragene höchste Schirmvogtei der Kirche wurde es ‚ein besonderes heiliges Amt‘. Doch diese Schirmvogtei erschöpfte nicht die höchste ideale Bedeutung des Kaisertums: der kosmopolitische Gedanke lag in ihm als tiefster Grund.

Der freien Verfügung des Papstes anheim gegeben, war das Kaisertum nicht an dieses oder jenes Land geknüpft, aber es ging wie durch ein vertragsmäßig zugestandenes Vorrecht an die deutsche Nation für immer über, seitdem der Papst Johannes XII. im Jahr 962 dem ersten Otto die Krone reichte.

Die jedesmalige Krönung war gleichsam eine Besiegelung des Vertrages zwischen dem Papst, welcher dem neuen Kaiser seine Weihe und Würde verlieh, und dem Kaiser, welcher der Kirche seinen Schutz verhieß. In ihrer gegenseitigen Huldigung bekundeten Papst und Kaiser die innige Vereinigung, welche zwischen dem geistlichen und dem weltlichen Oberhaupt obwalten sollte.

Auf die deutsche Königswahl hatte der Papst kein Recht auszuüben. Das deutsche Reich war keineswegs ein Lehen des Papstes, und ebenso wenig wurde der Kaiser durch seinen Krönungseid ein päpstlicher Lehensträger, sondern er verpflichtete sich durch diesen Eid nur feierlich zu dem, was wesentlich in seiner Kaiserwürde lag: zu dem Rechtsschutz der Kirche und ihres Oberhauptes.

Als oberster Schirmvogt der Kirche hatte der Kaiser überdies die Pflicht: allen christlichen Fürsten voran zu gehen in der Verteidigung und Beschützung des Glaubens gegen Ungläubige, Irrlehrer und Schismatiker. ‚Wie die Rinde den Baum äußerlich deckt und schützt und mit ihm einen Leib bildet‘, schrieb selbst ein König Wenzel in einem Brief an den König von England, ’so muss der Kaiser, mit dem zeitlichen Schwert an die Außenseite der Kirche gestellt, dieselbe, wenn nötig, mit dem eigenen Blut verteidigen.‘

Als höchstes weltliches Oberhaupt sollte der Kaiser nicht etwa ein gleichförmiges, alle Nationen unterwerfendes, alle Verschiedenheit verwischendes Weltreich aufrichten: die höhere Einheit der Kirche, in welcher alle Nationen brüderlich Platz finden, genügte für die höchsten Zwecke der Menschheit. Es galt nur, eine allgemein gültige völkerrechtliche Ordnung unter den Nationen der Christenheit zu begründen. Der Kaiser erschien als der erste und höchste Monarch, als der Eck- und Grundstein, gleichsam als die Verkörperung der Idee alles rechtlichen Besitzes, aller irdischen Rechtsordnung. ‚Nimm hinweg‘, sagte der Jurist Hermann Peter aus Landlau im Jahr 1460, ‚das Recht des Kaisers und wer kann dann noch sagen: Dieses Haus, dieses Gut ist mein?‘ (4)

Als oberster Hüter und Pfleger des rechtes war der Kaiser mit der Aufgabe betraut: die unter den einzelnen Reichen entstehenden Streitigkeiten zu vermitteln und zu entscheiden. (5) Der Kaiser allein führte viele Jahrhunderte hindurch den Titel ‚Majestät‘; er allein war berechtigt zur Erteilung des Königstitels; selbst in den Zeiten der äußersten politischen Machtlosigkeit des Kaisertums erkannten doch alle Fürsten und Völker dem römischen Kaiser deutscher Nation einen Vorrang, einen Primat der Ehren zu vor allen Herrschern der Christenheit.

Wie das deutsche Königtum, so war auch, wenngleich von diesem verschieden, das Kaisertum innig verwachsen mit dem deutschen Volkstum und trieb seine Wurzeln durch alle Schichten des Volkslebens. Das Volk in den großen Jahrhunderten seiner Geschichte war stolz darauf, daß sein König, zur höchsten Würde der Christenheit berufen, als Hort der ganzen christlichen Ordnung dastand. Bereitwillig leistete des die Opfer, welche die Behauptung dieser Stellung erheischte. Unter dem Namen der Romfahrt brachte das Reich seine einzige Gesamtbewaffnung, seine Gesamtleistung zustande.

Während der König bei allen andern Heerfahrten abhängig war von der Zustimmung der Reichsstände, bedurfte er für seine Zug um Empfang der Kaiserkrone dieser Zustimmung nicht. Jeder Reichsvasall und Aftervasall war bei Strafe des Verlustes seiner Lehen zu dieser Heeresfolge, deren Zweck als dauernde Ehrensache der Nation betrachtet wurde, verpflichtet. Bis hinab in die unfreien Stände, welche selbst nicht mitzogen, ward in den Rechten für Hof- und Diensthörige genau festgestellt, wie jeder einzelne den Zug unterstützen musste durch Lieferung von Geld, von Naturalien, von Ausrüstungs-Gegenständen, durch Dienstleistungen der verschiedensten Art. Damit aber der Kaiser nicht in Versuchung gerate, die für die Romfahrt aufgebotene Gesamtkraft des Volkes für eroberungssüchtige und gewalttätige Pläne auszunutzen, ward die Satzung gegeben, daß die Verpflichtung zur Heeresfolge am Tag der Kaiserkrönung erlösche.

Anmerkungen:

(1) ‚Die Deutschen‘, heißt es in dem sächsischen Landrecht, ’sollen durch Recht den König wählen. Wann er dann geweiht wird von den Bischöfen, die dazu gesetzt sind, und auf den Stuhl zu Aachen kommt, so hat er die königliche Gewalt und den königlichen Namen. Wann ihn dann hernach der Papst weiht, so hat er des Reichs Gewalt und den kaiserlichen Namen.‘ Das kirchliche Recht spricht sich darüber in der bekannten Dekretale Venerabilem von Innozenz III. (…) aus.
(2) Dieser und kein anderer ist auch der Sinn der viel besprochenen Bulle Unam sanctam von Papst Bonifaz VIII.
(3) ‚Hanc autem veneramur et unicam‘ usw. in der Bulle Unam sanctam.
(4) Dieser Ausspruch steht übrigens schon im Corp. Jur.. can., Decr. Pars prima, Dist. 8, c. 1.
(5) So erschien Eduard III. von England im Jahr 1338 auf dem Hoftag zu Koblenz vor Ludwig dem Bayern, um Klage zu führen und Recht zu erbitten gegen den König Philipp von Frankreich. Vgl. Boehmer, Fontes 1, 190-192. –
aus: Johannes Janssen, Zustände des deutschen Volkes, Bd. 1, Die Revolutionspartei und ihre Erfolge bis zum Wormser Reichstage von 1521, besorgt von Ludwig von Pastor 1915, S. 521 – S. 525

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